Mann trauert auf einem Friedhof vor einem Grabstein. Grab mit Aufschrift: Krebs, Symbolbild
Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt haben die deutschlandweit höchsten Sterberaten an Krebs. Auch sterben in Sachsen-Anhalt mehr Menschen an Herz-Kreislauf-Erkrankungen als anderswo in Deutschland. Bildrechte: IMAGO / Bihlmayerfotografie

Ost-West-Gefälle Sterblichkeit: Viele Todesfälle wären vermeidbar, vor allem in Sachsen-Anhalt

29. Juni 2023, 17:00 Uhr

In den deutschsprachigen Regionen Italiens, in Österreichs, der Schweiz und Deutschland gibt es große Unterschiede hinsichtlich der Lebenserwartung. Besonders niedrig ist sie in Vorpommern und Sachsen-Anhalt.

Im gesamten deutschsprachigen Raum ist die Lebenserwartung im Süden höher als im Norden und im Westen höher als im Osten. Das geht aus einer neuen Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) mit der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne hervor. In dieser Studie werden erstmals Berechnungen zur vermeidbaren Sterblichkeit für mehr als 100 Regionen in den deutschsprachigen Gebieten Deutschlands, Österreichs, Italiens und der Schweiz vorgelegt.

Rechtzeitige Behandlung und Vorsorge können frühzeitigen Tod vermeiden

Beim Konzept der vermeidbaren Todesfälle wird zwischen zwei Kategorien unterschieden: "medizinisch vermeidbare" Todesfälle, die bei angemessener und rechtzeitiger medizinischer Behandlung vermeidbar wären, und "präventiv vermeidbare", denen durch effiziente Prävention vorgebeugt werden könnte. Dazu gehören zum Beispiel mehrere Arten von Krebs.

Da es bei diesem Konzept der vermeidbaren Todesfälle um "vorzeitige" Sterbefälle geht, werden nur Todesfälle im Alter bis unter 75 Jahren als vermeidbar eingestuft. Trotzdem betrug der Anteil solcher Todesfälle an allen Sterbefällen in Deutschland 19 Prozent im Zeitraum von 2017 bis 2019. Bei Männern ist der Anteil mit 24 Prozent deutlich höher als bei Frauen mit 13 Prozent. 

Vermeidbare Todesfälle vor allem im Norden und Osten

Die Studie offenbart bei vermeidbaren Sterbefällen ein beträchtliches Nord-Süd- und Ost-West-Gefälle. Demnach gibt es in Südtirol und der Schweiz die wenigsten vermeidbaren Toten, gefolgt vom Westen Österreichs und dem Süden Deutschlands.

Je weiter man nach Norden und Osten schaut, umso mehr vermeidbare Sterbefälle gibt es. Diese verringern die Lebenserwartung laut Studie vor allem in Vorpommern und Sachsen-Anhalt, obwohl die vermeidbare Sterbefälle hier seit der Wiedervereinigung deutlich verringert werden konnte, wie die Autoren feststellen

Aber auch einige von wirtschaftlichem Strukturwandel geprägte Regionen in Westdeutschland wie Ostfriesland, das Ruhrgebiet und das Saarland weisen eine ähnlich hohe vermeidbare Sterblichkeit auf.

Vermeidbare Sterbefälle je 100.000 Einwohner im deutschsprachigen Raum
Vermeidbare Sterbefälle je 100.000 Einwohner im deutschsprachigen Raum Bildrechte: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB)

Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt haben die meisten Krebstoten

Auch im Jahr 2021 (dem letzten, für das derzeit ausgewertete Daten vorliegen) sah man noch, dass Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt die meisten Krebstoten verglichen mit der Einwohnerzahl und mit dem gesamtdeutschen Durchschnitt hatten.

Auffällig dabei ist, dass es nur bei einigen Krebsarten ein viel stärkeres Ost-West-Gefälle gibt als bei anderen. So dominieren einige oder alle ostdeutschen Bundesländer bei Sterbefällen durch Krebserkrankungen im Mund- und Rachenbereich, in den Verdauungsorganen, in den Harnorganen und in der Schilddrüse und endokrinen Drüsen.

Fortschritte seit der Wiedervereinigung durch Modernisierung der Medizintechnik

In der Studie wurden explizit zwei Zeiträume verglichen. 1992 bis '94 und 2017 bis '19. Und in diesen 25 Jahren hat sich im Osten Deutschlands trotz noch bestehender Rückstände einiges zum Guten verändert. Vor allem bei der Sterblichkeit von Frauen sei das Ost-West-Gefälle nahezu verschwunden. Die Unterschiede in der Effektivität der Gesundheitsvorsorge aufgrund des Mangels an hochentwickelter medizinischer Ausrüstung und modernen Technologien im Osten hatten früher zu deutlich höheren Sterblichkeitsraten durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebserkrankungen in den Regionen der ehemaligen DDR geführt. Diese Auswirkungen gehen nun laut Studie immer weiter zurück.

Sichtbar sind sie allerdings weiterhin. Sogar 2021, also nach dem eigentlichen Untersuchungszeitraum der Studie, sind es immer noch die fünf ostdeutschen Flächenbundesländer, die eine deutlich höhere Sterberate durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben als die westlichen.

Randgebiete: Abwanderung und geringe Arztdichte

Der Zugang zu rechtzeitiger medizinischer Versorgung sei in den Randgebieten des Ostens immer noch eine Herausforderung, die durch Abwanderung noch verstärkt wird, schreiben die vier Autoren der Studie. So weisen die ländlichen Gebiete Ostdeutschlands größere Entfernungen zu Gesundheitseinrichtungen und eine geringere Ärztedichte pro Einwohner im Rentenalter auf.

Auf einer Karte der Arztdichte in Deutschlands Kreisen kommt das gar nicht so stark zum Ausdruck. Aber die zeigt eben die Ärztedichte je 100.000 Einwohner an. Ostdeutsche Randgebiete sind aber weniger dicht besiedelt als viele andere, und es leben dort anteilig mehr alte Menschen als anderswo.

Im Allgemeinen sei die höhere Sterblichkeit im Norden und Osten stark mit den sozioökonomischen Bedingungen verbunden, insbesondere bei Männern. Im Zusammenhang mit der vermeidbaren Sterblichkeit wirken sich die sozioökonomischen Bedingungen sowohl auf die Verfügbarkeit einer angemessenen Gesundheitsversorgung aus, als auch auf die individuelle Inanspruchnahme dieser Leistungen und das gesundheitsbezogene Verhalten im Allgemeinen.

Faktor Rauchen - mehr Raucher im Osten

Laut Studie hängt das regionale Muster der vermeidbaren Sterblichkeit in Deutschland stark mit dem Rauchen zusammen. Jüngste Analysen des deutschen Mikrozensus 2017 bestätigten demnach, dass die Raucherquoten in den Gebieten mit niedriger vermeidbarer Sterblichkeit ebenfalls deutlich niedriger sind.
Unter den Geburtskohorten, die 2017 unter 45 Jahre alt waren, weise der Osten jedoch sowohl bei Männern als auch bei Frauen die höchsten Raucherquoten auf. Dies nährt bei den Autoren der Studie die Sorge, dass sich das Ost-West-Gefälle wieder vergrößert, sobald diese Kohorten das für die Sterblichkeit relevante Alter erreichen.

(rr)