In ausgerissenen Buchstaben steht "Das Altpapier" auf einem zerknüllten Blatt.
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Das Altpapier am 18. November 2019 "In eigener Sache"

18. November 2019, 13:47 Uhr

Es erscheinen derzeit zu viele Texte in der Berliner Zeitung, die auch von den eigenen Verlegern handeln: Unter anderem soll Holger Friedrich Inoffizieller Stasimitarbeiter gewesen sein. Ein sehr differenzierter Text zum Thema kommt vom konkurrierenden, manchmal auch kooperierenden Tagesspiegel. Ein Altpapier von Klaus Raab.

Die medialen Silke-und-Holger-Friedrich-Festspiele der vergangenen Wochen (Altpapier) hatten bislang auch seifenoprige Züge, die selbst Medien interessant fanden, die sonst längst nicht so scharf auf kritische Betrachtungen der eigenen Branche sind. Es war halt irgendwie auch kurios.

Das ist auch anderen aufgefallen. Janko Tietz von Spiegel Online schreibt: "Bestimmte Themen unterliegen einer gewissen Konjunktur, mal steht man im Fokus, mal lässt die Aufmerksamkeit nach. Mal ist man der Star, mal der Narr. Die 'Berliner Zeitung' hat diese Dynamik zuletzt im Zeitraffer erlebt." Und Boris Rosenkranz lästert in Übermediens Sonntags-Newsletter: "Dauert wohl nur noch so drei Folgen, maximal, bis die ersten Reporter mit Tornister vor Silkes Berliner Privatschule stehen, um sich undercover in die 7. Klasse zu mogeln".

Wo bislang allerdings Amüsement, Verwunderung, Ärger, Neugierde, Aufbruchstimmung und zuletzt auch viel Spott gewesen sind (wovon die Marke "Berliner Zeitung" unter aufmerksamkeitsökonomischen Gesichtspunkten – womöglich – sogar profitiert hat), steht nun doch eher ein "PR-Desaster" (Verena Mayer, Süddeutsche Zeitung).

Der neue Verleger der Berliner Zeitung, Holger Friedrich, soll der mit entsprechenden Recherchen vertrauten Welt am Sonntag zufolge in der DDR Ende der achtziger Jahre als Inoffizieller Mitarbeiter für das Ministerium für Staatssicherheit tätig gewesen sein. Deckname: Peter Bernstein. Für die Berliner Zeitung mit ihrer Ostberliner Identität, die ihre Geschichte bereits unter Schmerzen umfassend aufgearbeitet hatte, ist das ein Schlag. Frei lesbar ist ein vorgezogener welt.de-Beitrag vom Freitagnachmittag.

Ebenfalls um Holger Friedrich geht es online beim Spiegel: Im November ist auf der Titelseite der Berliner Zeitung ein wohlwollender Artikel über ein ostdeutsches Biotech-Unternehmen erschienen, ohne kenntlich zu machen, dass Friedrich dort als Aktionär beteiligt ist und im Aufsichtsrat sitzt. Weder der Chefredaktion noch den beiden zuständigen Wissenschaftsredakteuren sei das bewusst gewesen, heißt es in einer Stellungnahme, zu der sich die Redaktion genötigt sieht: "Wir werden in Zukunft für Transparenz sorgen, indem wir unsere Berichterstattung ausnahmslos darauf prüfen werden, ob geschäftliche Interessen des Unternehmerehepaares Friedrich oder unseres Hauses davon berührt sind – und dies öffentlich machen."

Holger Friedrich ist, Stand heute, eine Belastungsprobe für die Zeitung. Es gibt derzeit zu viele Texte "in eigener Sache".

Aber wie groß ist die Belastung durch die Stasi-Recherchen? Das ist natürlich noch nicht geklärt. Denn, erstens, man weiß nicht genau, wie Holger Friedrichs IM-Tätigkeit zu interpretieren ist. Die Berliner Zeitung selbst hat am Sonntag angekündigt, "wir werden diesen Fall journalistisch aufbereiten. Wir werden Fakten sammeln, wir wollen die Akten – die Opfer- und die Täterakte – einsehen." Nicht nur die Sicht der von Friedrichs Spitzeltätigkeit Betroffenen fehlt derzeit noch für ein kompletteres Bild.

Friedrichs eigene Darstellung ist am Freitag exklusiv online erschienen und wurde am Samstag prominent und – was "ungewöhnlich" ist, wie die WamS (€) recht freundlich schreibt – in der Berliner Zeitung gedruckt, zusammen mit den Fragen, die die Welt am Sonntag ihm geschickt hatte: Er schreibt, er sei "unter dem Verdacht der Republikflucht" verhaftet worden und, vor die Wahl gestellt, ob er eine mehrjährige Haftstrafe antreten oder eine Wiedergutmachung zu leisten bereit sei, habe er sich für eine Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit entschieden, um sich bei der ersten sich ihm "bietenden Gelegenheit der Zwangssituation durch aktive Dekonspiration" zu entziehen.

Zweitens, man weiß nicht, wie die Leserinnen und Leser der Zeitung auf die Enthüllungen reagieren werden, wie der Berliner Tagesspiegel schreibt: "Vielleicht wird sich an den Reaktionen der Leserinnen und Leser exemplarisch ablesen lassen, wie ein IM, wie IM 'Bernstein' 30 Jahre nach dem Mauerfall beurteilt wird. Milder, härter, gleichgültiger als früher?" Das ist für die nähere Zukunft sogar noch wichtiger als das, was der ehemalige Berliner-Zeitungs-Chefredakteur Uwe Vorkötter denkt, der bei Horizont ziemlich krawallig mit den Neuen aufräumt.

Die "Maiersche Säuberung"

Noch aber sind wir bei Frage eins – der Frage, was Friedrichs IM-Tätigkeit bedeutet. Dazu gibt es ein durchaus interessantes Interview mit dem neuen Herausgeber der Zeitung, Michael Maier, in der Süddeutschen Zeitung (€): "Ich finde verstörend, wie weit die Schatten der Vergangenheit in eine Gegenwart reichen, in der Holger Friedrich wahrscheinlich nicht einmal mehr selbst beurteilen kann, was richtig oder falsch war. Man sollte daher vorsichtig sein mit vorschnellen Urteilen. So etwas schlägt ein wie eine Granate, und wenn sich der Rauch verzieht, hat man einen Trümmerhaufen und weiß nicht, war da ein Haus, ein Palast oder eine Hütte?"

Maiers Aufforderung, mit vorschnellen Urteilen zurückhaltend zu sein, ist erst einmal ordentliche Krisenkommunikation. Aber es stimmt natürlich, dass IM-Tätigkeit nicht gleich IM-Tätigkeit gewesen ist. Das wissen westdeutsche Journalisten wie ich, die die DDR zudem nur als Kind erlebt haben, auch von der zurückliegenden Aufklärungsarbeit der Berliner Zeitung, wo die Stasi-Vergangenheit von Mitarbeitern in den 1990er und, mit verschiedenen Schattierungen, in den späten Nullerjahren aufgearbeitet worden ist.

Maier fällt an dieser Stelle allerdings seine eigene Vergangenheit als ehemaliger Chefredakteur, der in den Neunzigern für die Stasi-Überprüfungen in der Redaktion verantwortlich zeichnete, auf die Füße:

SZ: "Sie sagten einmal: Wenn jemand bei der Stasi war, hat er in einer freiheitlich-liberalen Zeitung nichts verloren." – Maier: "Ich habe gesagt: Wer einmal bei einem Spitzel-, Geheim- oder Denunziationsdienst gearbeitet hat, kann nicht schreibender oder inhaltlich verantwortlicher Redakteur sein. Für einen Verleger ist wichtig, dass er die Autonomie der Redaktion garantiert."

Die taz hat Maiers einstige Linie ebenfalls auf dem Schirm und schreibt: "Er (…) vertrat einen äußerst ungnädigen Umgang mit belasteten Redakteuren, der im Haus gelegentlich als 'Maier'sche Säuberung' erinnert wird." Die Einzelfallprüfung, auf die er seinerzeit gesetzt habe, habe für die betroffenen Mitarbeiter entweder zum "Ausschluss von leitenden Funktionen" oder zum Jobverlust geführt. "Mit Blick auf diese Geschichte wird der Umstand, dass der Eigentümer und Verleger selbst dem Vorwurf der Spitzeltätigkeit ausgesetzt ist, zu einer argumentativen Zwickmühle – auch gegenüber der eigenen Redaktion."

Die Frage wäre demnach dann auch noch, ob Maier, den die Friedrichs erst kürzlich zurück in den Verlag zurückgeholt haben, zu den geeignetsten Aufklärern und Aufklärungskommunikatoren gehört.

Das Gesellschaftsthema im Medienthema

Nun gibt es aber auch noch eine größere Einflugschneise in das Thema. Viele Themen des Medienjournalismus sind keine Branchen-, sondern eigentlich Gesellschaftsthemen. In diesem Fall ist es offenkundig, und davon zeugt etwa ein langer lesenswerter und differenzierter Essay von Robert Ide im Tagesspiegel.

"Im jetzigen Geschehen und im vorher Nicht-Geschehenen zeigt sich die ganze Problematik, aber auch die ganze Reichhaltigkeit ostdeutscher Geschichtsgegenwart", schreibt er. Nein, "der Osten" ist nicht mit den zwei Schubladen erklärbar, die oft reflexartig herausgezogen werden: Nazis und Stasi. Dass es nun einen prominenten Fall gibt, der jenseits des PR-Desasters ein paar Schichten mehr haben dürfte, könnte auch ein paar Leerstellen in der Vermittlung deutscher Geschichte schließen helfen, vielleicht sogar mit der gerade besonders unter Beobachtung stehenden Berliner Zeitung als einem Leitmedium. Ide:

"Auch im Osten gab es viele Wege. Es gab Mitmacher, Mitläufer, Abhauer, Oppositionelle, Schein-Oppositionelle, Ideologen und Idioten – wie in jeder Gesellschaft. In einer Diktatur, in der kein Recht galt außer das der Partei, waren alle Menschen ständig zu Entscheidungen verdammt.  (…) Osten ist nicht gleich Osten. Und ja, nicht mal Stasi ist gleich Stasi. Auch das zeigt der Fall Friedrich. Man kann auf eine gewisse Art unverschuldet der DDR-Geheimpolizei gedient haben und sich dann doch etwas zuschulden haben kommen lassen. Die eigene Schuld, wenn nicht wenigstens Verantwortung ist es aber, wie man heute damit umgeht."


Altpapierkorb (ARD- und ZDF-Mediatheken, Rechtsruck, Tina Hassel)

+++ Die Vernetzung öffentlich-rechtlicher Mediatheken hat begonnen: Von Montagmittag an verlinken ARD und ZDF "die Livestreams der Hauptprogramme ihrer Mediatheken, wie sie am Samstag mitteilten. Zudem werden zentrale Inhalte vernetzt: Wer etwa künftig ZDF-Sendungen wie ‚Frontal 21‘ oder die ‚heute-show‘ bei der ARD sucht, kommt mit einem Klick zum ZDF. Umgekehrt funktioniert das Gleiche mit ‚Tagesschau‘, ‚Weltspiegel‘ und anderen Titeln." Informiert zum Beispiel FAZ.net. Ist das das Ende von Youtube (golem.de)? (Nee, war ein Witz.)

+++ Floris Biskamp, "Koordinator des Promotionskollegs rechtspopulistische Sozialpolitik und exkludierende Solidarität an der Universität Tübingen", schreibt in einem nicht explizit medienfokussierten Gastbeitrag im Tagesspiegel, warum die Rede vom Rechtsruck nicht zutreffend sei: "Der Aufstieg der AfD ist nicht dadurch zu erklären, dass sich die Einstellungen in der Bevölkerung ruckartig nach rechts bewegt hätten. Vielmehr mobilisiert die Partei ein bestehendes Potenzial."

+++ Tina Hassel hat als neue alte Leiterin des ARD-Hauptstadtstudios wieder vom Grünen-Parteitag berichtet. Und auch einen Tweet abgesetzt, der ihr danach wieder viele kotzende Emojis und verärgerte Kommentare einbrachte: "Stehender Applaus für #Habeck nach Rede. Dabei mahnte er die #Gruenen deutlich: ‚Auch wir müssen Toleranz üben! Zuhören bei Gegenargumenten! Die die Angst vor zu viel Klimaschutz haben Ernst nehmen’ Richtig! Wichtig!" Halte man davon, was man will. Aber der Nachweis einer extremen Grün- oder Linkslastigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems in Deutschland wird nicht durch die Auswertung einzelner Tweets gelingen. Selbst dann nicht, wenn man 7 oder 84 ausgewählte Tweets vorlegen würde. Wer behauptet, "die Öffentlich-Rechtlichen" seien zu links, zu rechts oder zu sonstwas, wird sich vielleicht schon irgendwann mal die Mühe machen müssen, "die Öffentlich-Rechtlichen" auszuwerten. Alles, was nicht nur Gefühl ist, hilft (Altpapier).

+++ Selbstporträt des Tages: Am Freitag, nachdem Bild-Redakteur Ralf Schuler bei "Maybrit Illner" mitgemischt hatte, erklärte seine Zeitung, welche Rolle er im Talk gespielt hatte: "Der Chef des BILD-Parlamentsbüros steht für ein Blatt, das von der deutschen Linken erbittert bekämpft wird, seit es nach dem Mauerbau verstärkt für die Wiedervereinigung eintrat."

Neues Altpapier kommt am Dienstag.

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