Teasergrafik Altpapier vom 28. Januar 2020: Ein Meer aus schwarzen Regenschirmen über einem wolkenverhangenen Himmel. Regen fällt und glitzert auf den Schirmen. Dazwischen befindet sich ein Regenschirm in tiefblau. Er trägt das Logo der ARD.
Bildrechte: ARD/MDR/Panthermedia / Collage: MEDIEN360G

Das Altpapier am 28. Januar 2020 Ein bisschen unikat

28. Januar 2020, 11:00 Uhr

... ist die ARD. Aber auch Dein und Ihr guter Nachbar! Beginnen öffentlich-rechtliche Sender jetzt zu begreifen, "worum es geht"? Besitzt Sat.1 Bewusstsein? Die "Shiter und Hater" lässt es eher kalt. Außerdem: "Jeden Tag spuckt der Krimi rülpsend Film-Reste in die Wohnzimmer". Ein Altpapier von Christian Bartels.

So einiges wird Tom Buhrow, dem WDR-Intendanten und neuen ARD-Vorsitzenden, vorgeworfen. Den Vorwurf, sich rar zu machen, verdient er nicht.

Am Freitag war er im WDR-Rundfunkrat zu Gast gewesen und gewann das Heimspiel souverän. Die "Mitglieder betonten, den WDR in seiner Rolle als Teil der 4. Gewalt zu unterstützen und stellten sich ausdrücklich hinter den Intendanten und die Beschäftigten des Senders", heißt's im Protokoll, und: "Dass sich der Intendant für den Beitrag entschuldigt hatte, fanden zahlreiche Mitglieder richtig." Da geht's ums "Umweltsau"-Liedchen. Ferner wurde ein "Programmausschuss" "mit weiteren Beratungen beauftragt". Ein Schelm, wer gespannt sein sollte, was dabei rauskommt.

Am Sonntag war Buhrow dann per Gastbeitrag (€) in Springers Welt am Sonntag vertreten. Der Einstieg klingt nahezu spannend ("Ein Empfang in der Medienszene einer deutschen Großstadt im Januar. Es ist das erste Get-together seit der Kontroverse um das berühmt-berüchtigte 'Oma-Video'. Das große Beschnuppern ist angesagt: Küsschen links, 'Ich habe ja so an dich gedacht!' Küsschen rechts. 'Sag mal, wie geht's dir?' ..."). Dann hebt die Rede zügig ins Allgemein-Sympathische ab ("Ich gestehe, dass ich nicht in jeder Sekunde das richtige Wort gefunden habe. Aber mir geht es hier um etwas anderes: um den Draht zu unserem Publikum. Wir sind für die Menschen da"). Hinter ihrer Überschrift "Die ARD ist ein ziemlich westdeutscher Laden" steckt wenig mehr als "Deutschland ist ein Land der Regionen - von Konstanz bis Kiel, von Aachen bis Zittau. Die ARD ist in den Regionen so tief verwurzelt wie kein anderes Medium ...".

Und am gestrigen Montagmorgen war Buhrow bei Gabor Steingart am Telefon. Der Spreeschiff-Kapitän gestaltet mit seinem Team ja an jedem Werktags-Morgen "schön stringente, widerspruchslose Steingart-Geschichten" (@niggi). Gestern hieß eine davon "Journalismus unter Rechtfertigungsdruck" (auch wenn die E-Mail-Newsletter-Ausgabe insgesamt "Quarantäne in Wuhan: Ein Insider berichtet" hieß; kompakt kurz sind Steingarts Kolumnen auch nicht ...)

Rasch in den Kontext rein zitiert wurden einerseits "Gesinnungsjournalismus"-kritische Aussagen des "Berliner Medien-Professors Norbert Bolz", den ja nicht alle schätzen. Dass man bei Steingart einem breiten Spektrum an Ansichten begegnet, ist allerdings eine Stärke, gerade auch im Vergleich mit öffentlich-rechtlichen Angeboten, würde ich sagen. Bolz gegenüber stellte Steingart dann "die Online-Journalistin Eva Schulz, die mit Deutschland3000 überwiegend junge Menschen bei Instagram und YouTube erreicht" (womit er nonchalant bis fahrlässig darüber hinwegging, dass es sich bei diesem "Deutschland3000" um ein öffentlich-rechtliches, nämlich Funk-Angebot handelt). Die unnötig schlichte Strickart so mancher Argumentationen ist eine Steingart-Schwäche.

Dann also ging also Tom Buhrow am Telefon, per Du unter ehemaligen USA-Starkorrespondenten. Was der WDR-Intendant da so sagte:

"Wir sagen so gerne: Wir sind die vierte Gewalt – und stellen uns selbst auf ein hohes Podest. Aber gleichzeitig will man keine Verantwortung übernehmen und ist dann sehr mimosenhaft, wenn man mal irgendwie selber kritisiert wird."

Steingart überrascht mit der Aussage "Wir Journalisten sind ja eigentlich nicht dafür da, zu kuratieren". Darüber ließe sich gut diskutieren. Allerdings hätte in einem interaktiven Format jemand zurückgefragt, wie Steingart denn nennt, was er und sein Team tun. Buhrow spricht dann noch über Journalisten, die "nicht so gut verdienen", über Lebenswirklichkeiten jenseits der Metropolen, in denen die meisten Journalisten leben, und formuliert den sympathisch bescheidenen Satz "Die ARD ist ein bisschen unikat" (ab Min. 22:00). Denn: "Wir sind wirklich vor Ort und leben bei den Menschen."

"Sein neuer Lobby-Spruch ist dieser Tage: 'Wir sind nicht nur Berichterstatter, wir sind Nachbarn.' Er ventiliert ihn, wo immer er kann", schrieb Daniel Bouhs gerade in seinem taz-Beitrag zur Rundfunkgebühren-Lage über Bührow. Stimmt, im WamS-Artikel ausdrücklich, bei Steingart flockig variiert. Was insgesamt IntendantInnen und Intendanten bei all den Neujahrsempfängen und Jahresauftrakt-Pressegesprächen, die gerade in großer Zahl stiegen, so sagten, deute

"darauf hin, dass zumindest einige Sender zu begreifen beginnen, worum es geht und sich auf ihre Kernaufgaben konzentrieren. Die Einsicht ist auch finanziell bedingt",

fasst Ulrike Simon im gestern spätabends erschienenen, daher auch noch Grußworte der MDR-Intendantin Karola Wille enthaltenden horizont.net-Artikel zusammen.

Streaming-Kriege, 41 Mio. Abos, 282 Fußballspiele

Achtung, nun geht es um Rechte – aber um Lizenz- und Ausstrahlungs- bzw. Verbreitungsrechte.

In den Streaming-Kriegen, die in den USA bereits heftiger toben als hierzulande, bahnt sich eine Koalition zweier großer Plattformen an. Das britische, also europäische, aber US-amerikanisch besessene Sky will Disneys Streaming-Angebot in seine Plattform integrieren, berichtet der Standard (mit Bezug auf den britischen Telegraph und Link dorthin). Überdies zitiert er Beobachtungen, die deutscherseits Franz Scheele für wuv.de aus anderen, ebenfalls verlinkten englischsprachigen Quellen übersetzte. Demzufolge zähle das erst vor wenigen Monaten alte Disney+ bereits 41 Millionen Abonnenten. "Dies würde bereits rund einem Viertel der weltweiten Kunden des Marktführers Netflix entsprechen", obwohl Disneys Dings in so wichtigen und Streaming-versessenen Ländern wie Deutschland ja noch gar nicht zu haben ist.

Andererseits zähle einer der so scharfen wie neuen Konkurrenten, Apple TV+, "allein in den USA 33,6 Millionen Abonnenten". Wobei hier, dritterseits, auch viele (noch) nicht zahlende Menschen mitgezählt seien. Denn "jeder, der nach dem 10. September 2019 ein iPhone, iPod, Mac oder Apple TV gekauft hat, hat ein Jahr lang einen kostenlosen Zugriff auf den Dienst." Querfinanzierungen, sei es das Animieren zum Kauf neuer Geräte, sei es der Abschluss von Lieferdienst-Mitgliedschaften wie beim Mega-Datenkraken Amazon, gehören auch zu den Geschäftsmodellen. Und begünstigen immer noch größere Konzerne.

Da könnte ganz schön sein, dass ein traditionellerer einheimischer Konzern gerade auch ein Rechtepaket hat ergattern können bzw. einen "Coup gelandet" hat, wie die deutsche RTL-Mediengruppe selber findet. RTL hat für seine Sender und seine Plattform ab 2021/22 die "vollumfänglichen TV-Rechte" an 282 Fußballspielen pro Saison ersteigert. Und zwar in den beiden europäischen Vereins-Wettbewerben UEFA Europa League und UEFA Europa Conference League. "UEFA Europa Conference League"? Das ist die neue Dritte Liga in Europa, die sozusagen durch die Zweiteilung der bisherigen Zweiten Liga, eben der Europa League, entstehen soll ...

"Streamingdienst TV Now wird Platzhirsch im Europapokal", formuliert es heute die FAZ-Wirtschaft. Ab Mitte nächsten Jahres werden Europapokal-Spiele jedenfalls freier empfangbar sein als bislang – und noch eine weitere Plattform, RTLs tvnow.de, wird in den Blickpunkt von mehr Menschen rücken.

#Luegenpresse- und Nazi-Anspielungen und Privatfernsehen

Womit wir in der Welt des deutschen Privatfernsehens sind, in der schon seit der Kohl-Ära allerhand krasse Aufregungen um Aufmerksamkeit buhlen. In der Hinsicht kommt tagesaktuell einiges zusammen. Zum Beispiel taucht, kaum dass das "Dschungelcamp" einschaltquoten-erfolgreich vorbei ist, mit "DSDS"/ "Deutschland sucht den Superstar" ein weiteres, sehr traditionelles RTL-Format wieder auf. Dieter "Bohlen nährt vor einem Millionenpublikum das #Luegenpresse-Narrativ", fasste die Privatfernseh-Nase Micky Beisenherz auf Twitter einen breit geteilten Casting-Clip zusammen.

RTL ist seit je Aufmerksamkeits-Marktführer im deutschen Privatfernsehen. Daher müssen kleinere Mitbewerber immer noch schwerere Geschütze auffahren, um ebenfalls wahrgenommen zu werden. Sat.1 zerrt gerade ein Format, das auch schon zwei Jahrzehnte auf dem Buckel hat, wieder ins Programm und will mit "Nazi-Anspielungen" (futurezone.at) davon reden machen:

"'Was ein Mensch wert ist, bestimmst du' - So lautet das Motto, mit dem die kommende 'Big Brother'-Staffel von Sat.1 beworben wird. Außerdem heißt es in einem Promo-Video 'Entscheide du, wer einen Stern verdient' – daneben ist ein gelber Stern abgebildet."

Besonnene Kommentatoren sind sich einig darin, in beide Waagschalen Argumente zu legen. Einerseits sei das sicher "erschreckend", andererseits "freilich auch Unfug", dem Sender ein bewusstes Spiel mit Assoziationen zu unterstellen, meint Stefan Winterbauer bei meedia.de. Besitzt Sat.1 überhaupt Bewusstsein? "Eine bewusste Provokation" sei es,  "aber kein... neuer Tabubruch", sagte Medienwissenschaftlerin Joan Kristin Bleicher dem epd. Klar sind Bewertungssternchen überall gelb (außer man möchte sie golden sehen). Und was das zum Trailer-Untermalen ausgewählte, ebenfalls kritisierte Lied "Follow The Leader" angeht: Die Popularität, die mittelmäßige bis sehr schlechte englischsprachige Popmusik in Deutschland traditionell besitzt, hängt vor allem damit zusammen, dass man gut mit- und nachsingen kann, ohne auch nur eine Sekunde lang über eventuelle Bedeutung nachdenken zu müssen. Davon könnte Dieter Bohlen auch einige Liedchen singen ...

Muss jetzt noch erwähnt werden, dass der – nun ja: Nachrichtensender – n-tv etwas gegen die überall geforderte Diversität tat und die Talkshow "So! Muncu!" gerade "fast etwas klammheimlich" einstellte, wie der Tagesspiegel meldet? Aus Freude an der dort zitierten "blumenreichen" Begründung könnte das einen Klick verdienen. Weitergetalkt wird beim RTL-Sender vom erwähnten Micky Beisenherz, vielleicht weil der einfach besser in den Kram der Bertelsmann Content Alliance passt ...

Jedenfalls hat Joachim Huber (auch Tagesspiegel, aber anderer, nämlich "Dschungelcamp"/"IBES"-Anlass) einen Punkt, wenn er fragt:

"Wie merkwürdig aber ist zugleich, dass sich an diesem Fake-Fernsehen kaum Kritik aufbaut, wenig Pöbelei, weder Shiter noch Hater zum Gipfelsturm ansetzen? Kritik und all die vergleichbaren Entäußerungsformen sind gleichsam für das öffentlich-rechtliche Fernsehen reserviert. Satire, ob von Dieter Nuhr, Jan Böhmermann oder als 'Umweltsau'-Video, gibt öffentlicher Erregung ordentlich Futter."

Einerseits hängt das vermutlich einfach mit der Fragmentierung der Gesellschaft und dem Pluralismus (also: auch einer Fragmentierung) der Plattformen zusammen. Die Privatsender bauen, durchaus geschickt, mit tvnow.de und joyn.de ihre eigenen Plattformen auf. Je mehr ihre Aufregungs-Unterhaltung-"Sozialexperimente" à la "Dschungelcamp" und "Big Brother" darüber wahrgenommen werden, desto geringer wird die Rolle des traditionellen linearen Rahmenprogramms, das ein bisschen ja auch aus Nachrichtensendungen besteht. Desto geringer, leider, der publizistische Anspruch der privaten Fernsehsender.

Dass die ARD "ein bisschen unikat" ist, hängt leider auch damit zusammen, dass es ambitionierte nachrichtliche Konkurrenz für die Öffentlich-Rechtlichen im klassischen Privatfernsehen kaum mehr gibt.


Altpapierkorb (Krimirülpsen, Facebook, Frauen im Zeitungsmarkt, Joachim von Mengershausen, "Abwärtsspiralen", "Better Things", Online-Casinos und Glücksspielpolitik)

+++ "Jeden Tag spuckt der Krimi rülpsend Film-Reste in die Wohnzimmer. Krimiland Deutschland, Angstland, TV-Monokultur. Verblödung? Panikmache? Brutalisierung? Macht die Krimi-Permanenz die Populisten groß?" (aus Torsten Körners "Essay über den deutschen Fernsehkrimi in 15 Kapiteln" im Tagesspiegel). Und die ARD "hat die beliebtesten Krimi-Kommissare" (Tom Buhrow im o.g. WamS-Gastbeitrag)!

+++ Auf der FAZ-Medienseite geht es heute zweimal um Facebook: um eine "Pilotstudie" des Hans-Bredow-Instituts darüber, wie es "Kommunikationsregeln für seine Plattform entwickelt". "Sosehr die Forscher vor einer 'parallelen Justiz' warnen, erkennen sie zumindest auch, dass sich Facebook verstärkt um Transparenz bemüht", schreibt die FAZ. +++ Die sich ferner mit der von Facebook verkündeten "Sperre von sogenannten Deep Fakes" befasst.  "Während hier einer potentiell brandgefährlichen Technologie ein Riegel vorgeschoben wird, bleibt die prinzipielle Eingrenzung von Desinformation auf der Plattform weiter unangetastet", meint Nina Rehfeld.

+++ Die SZ-Medienseite stellt drei Frauen vor, die gerade auf "Schlüsselpositionen" in "einem der wichtigsten Zeitungsmärkte der Welt", in England, vorrückten, darunter die neue Financial Times-Chefredakteurin Roula Khalaf.

+++ Außer Filmen von, nur zum Beispiel, Peter Handke, Rosa von Praunheim, Ulrike Ottinger und Rudolf Thome  "betreute er auch die Entwicklung und die Produktion von Fernsehserien wie 'Exil' von Egon Günther nach dem Roman von Lion Feuchtwanger und vor allem 'Heimat' und 'Die Zweite Heimat' von Edgar Reitz. Serien im Übrigen, die schon 'High Concept' waren, lange bevor man diesen Begriff auch in Deutschland einführte: Da geht es um den WDR-Fernsehredakteur Joachim von Mengershausen, der vor einer Woche gestorben ist. Dietrich Leder ruft ihm auf medienkorrespondenz.de nach.

+++ Grundsätzliches zu "Abwärtsspiralen" im Pressebereich hat Giovanni di Lorenzo gesagt (dumontschauberg.wordpress.com).

+++ Der Frage, warum "Vanessa Nakate, die noch links von [Luisa] Neubauer stand", auf einem von der Agentur AP verbreiteten Gruppenfoto aus Davos nicht mehr drauf war, geht die taz nach.

+++ "Manchmal reißen die Szenen noch im Satz ab - man muss man ja nicht jeden Gag ausspielen", lobt Diemut Roether (epd medien) an der bei Telekoms Magenta TV zu sehenden Serie "Better Things".

+++ Und Online-Casinos sowie Online-Poker zählen, da online und sozusagen dem Entertainment gehörend, letztlich auch zur Medienwelt. Einen Überblick über die unglückliche "deutsche Glücksspielpolitik" und deren Folgen ("Der so genannte Illegale Markt hat inzwischen einen Marktanteil von 20 Prozent am gesamten Glückspielmarkt in Deutschland ... Bei Sportwetten haben die ausländischen Anbieter sogar einen Marktanteil von über 99 Prozent") gibt Christian Rath auf lto.de.

Neues Altpapier gibt's wieder am Mittwoch.

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