Teasergrafik Altpapier vom 11. März 2020: Porträt Autor Christian Bartels
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Das Altpapier am 11. März 2020 "Für so etwas haben wir die ÖR"

11. März 2020, 10:44 Uhr

Erfordert das Corona-Virus statt Gemeinwohl-Podcasts auch Gemeinwohl-Fernsehen? Pflügt es eingeschliffene Medien-Gewohnheiten um (was zu "euphorischen Gefühlen" führen kann)? Außerdem fordert ein prominenter Youtuber, nicht nur, aber schon auch den Google-Konzern zu zerschlagen (zu dem Youtube ja gehört). Und der alte Kultur-Fernsehsender 3sat macht mal wieder von sich reden – leider mit nichts Gutem. Ein Altpapier von Christian Bartels.

Pflügt das Corona-Virus Medien-Gewohnheiten um?

Das ZDF sagt die eine oder andere Veranstaltung ab, das ARD-Mitglied RBB gleich sämtliche "eigenen Veranstaltungen mit Publikum". Die Medien sehen sich außer als Berichterstatter auch als oft große Unternehmen mit allerhand "Publikumsverkehr" (RBB) dem um sich greifenden Coronavirus-Folgen gegenüber.

Folgender Vorschlag kam via Twitter (von Lorenz Matzat):

"Den #Corona NDR-Podcast gibt es auch zum Lesen. Fände es sinnvoll, wenn ARD & ZDF täglich zur Frühstück-TV-Zeit (schauen viele alte Menschen) & nach den Abendnachrichten 15 Minuten mit aktuellen Infos & Tipps bringen würden. Für so etwas haben wir die ÖR."

Klar ist auch der hier gelobte NDR öffentlich-rechtlich, wie gleich betont wurde. Und den Podcast, der "jeden Tag ein Update zur Situation" bringt, im ÖR-Mediathekendschungel zu finden, ist nicht allzu schwer (jedenfalls deutlich leichter als die bewussten Manuskripte ...).

Doch fürs Gemeinwohl Wertvolles wenn, dann in Nischen auszuprobieren, um in Programmen mit so klangvollen Markennamen wie "Das Erste" oder "Das Zweite" lieber dem dran gewöhnten Publikum Gewohntes zu bieten, ist nun mal ein Kern-Strukturprinzip klassischer Medien, und der Öffentlich-Rechtlichen ganz besonders. Vielleicht wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, daran zu rütteln. Zumindest träte der Gemeinwohl-Charakter dann viel deutlicher zutage.

Aktuell werfen die Medienmedien überduchschnitttlich viele Blicke zurück. "In den 1890er Jahren verschwieg Hamburg über Wochen, dass eine Cholera-Epidemie grassierte", um den "florierenden Handel und das gute Geschäft mit den Auswandernden" nicht zu gefährden, erinnert sich Steffen Grimberg in der taz. Und in den 1950ern wurde in Deutschland bemerkenswert unaufgeregt über die Asiatische Grippe berichtet, ergänzt Deutschlandfunks "@mediasres" (Audio).

Wieviele Lektionen für die Gegenwart sich daraus ziehen lassen, wäre eine andere Frage. Schließlich gab es in den 1950ern als modernstes Medium ein einziges Fernsehprogramm, das eher noch kein Massenmedium darstellte. Das Leitmedium war das Radio – und das, bzw. "die Nachricht, dass die Preise der abgesagten Leipziger Buchmesse am Donnerstagmorgen über das Radio mitgeteilt werden, ... löste sogar euphorische Gefühle aus" im Feuilleton der Frankfurter Rundschau (die zwar auch nicht mehr ist, was sie mal war, aber immerhin noch besteht und ein gewisses Gedächtnis besitzt).

Vielleicht pflügt das Coronavirus Medien-Gewohnheiten um, hin zu solchen, die früher mal eingeschliffen waren, und das wäre nicht einmal schlimm.

Warum Rezo krass punkige Christdemokraten lobt

Kann es, das Virus, gar eine Art Gemeinschaftsgefühl der in immer mehr (und dank sog. soz. Medien immer noch stärker von sich selbst überzeugten) Parallelöffentlichkeiten zersplitternden Gesellschaft wieder verstärken? Die Hoffnung wird ab und zu formuliert. An einer völlig anderen Ecke und aus völlig anderen Gründen deutet Rezo, der sympathische junge Youtuber mit den blauen Haaren, in diese Richtung. Und zwar, indem er in der jüngsten Ausgabe seiner (schriftlichen) zeit.de-Kolumne lobend darauf hinweist, "was für krasse Punks" in puncto "radikale Forderungen gegen kapitalistische Grundprinzipien" prominente, eher konservative Politiker doch seien.

Rezo zitiert Sprechblasen politischer Persönlichkeiten wie Bundespräsident Steinmeier, Bundeskanzlerin Merkel,  EU-Kommissionchefin von der Leyen und einiger Bundesminister. Konkret geht es um inzwischen gern und oft (und unbekümmert darum, wer genau was genau tun könnte) geäußerte Forderungen, die Macht von Konzernen wie Google, Apple, Facebook und Amazon, also des gern als "Gafa" abgekürzten Komplexes, zu beschränken oder sogar zu brechen. Für diese Idee selbst zeigt Rezo durchaus Verständnis, da er "die Marktmacht, mit der sich die Konzerne, deren immensen Datenbesitz man nur erahnen kann, immer noch stärker machen können", kritisch sieht:

"So platziert zum Beispiel Google die Produkte, an denen Google selbst verdient, besonders prominent. Das wird auch deshalb kritisch gesehen, weil Google gemeinsam mit Facebook 60 Prozent jeglicher Onlinewerbung kontrolliert"

Die 60 Prozent, zu denen ein Artikel des britischen Guardian verlinkt ist, scheint fürs besonders google-freudige Deutschland noch niedrig gegriffen. Doch das von Rezo zu lesen, ist bemerkenswert. Als prominenter Youtuber spielt er dem Google-Konzern hierzulande ja selber Einnahmen ein. Wie in seinem größten Erfolg "Die Zerstörung der CDU" baut er nun auf allerhand Daten, z.B. den Ausgaben für EU-Lobbyismus einerseits Googles, andererseits klassischer deutscher Industrieverbände, überzeugende Argumente auf und gelangt so zu Schlüssen wie:

"Die Existenz von Gafa ist damit kein plötzlicher Verstoß, sondern das logische Ergebnis unserer kapitalistischen Spielregeln der vergangenen Jahrzehnte. Alle Sorgen und Bedenken konnten genauso auch schon immer auf Großunternehmen angewandt werden und haben lediglich nun durch die Skalierbarkeit der Digitalisierung eine Dimension angenommen, die die Problematiken der aktuellen Spielregeln für jeden drastisch erkennbar macht."

Da erscheinen die in Politiker-Sprechblasen gern schnell formulierten Lösungsideen wie "dass die Plattformen aktiver in die Inhalte eingreifen und zum Beispiel Desinformation entfernen sollen", tatsächlich "ziemlich paradox", weil dieselben Konzern "damit schließlich nur noch mehr Inhalte bestimmen und vorfiltern würden und so noch zentraleren Einfluss erhielten". Auch wenn Rezo einiges vereinfachend ausblendet, ist sein "Brecht die Macht der Konzerne, aber nicht nur bei Facebook und Google!" ein bemerkenswert gut argumentierender Beitrag, der ähnlich viel Wirkung verdiente wie "Die Zerstörung der CDU."

Wobei der sympathische junge Youtuber noch ein paar Schippen Reichweite drauflegen könnte, wenn er das nicht nur in Textform schreiben, sondern auf seinem Kanal auf Googles Youtube statt Videos à la "Die gestörtesten ASMR Geräusche" mal einen Beitrag mit einem Titel wie z.B. "Zerschlagt nicht nur, aber auch den Google-Konzern!" herausbringen würde. Wenn der dann rasch eine siebenstellige Klicks-Anzahl erreichen würde, spräche das sogar für Youtube.

Mal wieder was von 3sat (aber nichts Gutes)

Was macht eigentlich 3sat? Der gemeinsame Kultur-Fernsehsender der deutschsprachigen Staaten steht schon lange nurmehr selten in irgendeinem Blickpunkt. Aber hier mal: "3sat wickelt Kurzfilm ab", alarmieren die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen in ziemlich scharfer Form.

"Mit Schreiben vom 27. Februar des Jahres hat 3sat die seit 1999 bestehende Medienpartnerschaft mit den Internationalen Kurzfilmtagen Oberhausen zum 31. August aufgekündigt. Zur Begründung heißt es: 'Da wir in diesem Genre', gemeint ist die Gattung Kurzfilm, 'schon seit geraumer Zeit nicht mehr produktionell tätig sind, jenseits der Oberhausen-Filme keinerlei Ankäufe in diesem Segment tätigen, und auch nicht mehr über die entsprechenden Sendeflächen verfügen, sehen wir uns leider zu diesem Schritt veranlasst.' Eine Begründung, warum der Kurzfilm keinen Platz mehr im Sender haben soll, wird nicht gegeben."

Das mag erst mal einleuchtend klingen. Warum sollten öffentlich-rechtliche Sender "Segmente" finanzieren, die sie auf ihren zahlreichen linearen und noch zahlreicheren nonlinearen Ausspielwegen gar nicht einsetzen? Bloß führt das zur bereits gestellten Frage, was 3sat denn eigentlich macht.

Sicher hat es der Sender nicht leicht, weil er jenseits der "Kulturzeit" wenig Eigenes bieten kann, sondern senden muss, was die (besonders auf deutscher Seite) zahlreich beteiligten Anstalten zur Wiederholung bereitstellen. Insofern werden 3sats "Sendeflächen", anstatt für irgendwas mit Kultur im engeren Sinne, auch für die irrsinnige öffentlich-rechtliche Krimiflut genutzt. Und verstärken damit die Eindrücke von Überfluss und Verwechselbarkeit, die dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk derart zu schaffen machen, dass er dringend seinen Gemeinwohl-Charakter herausstellen müsste.

"Bitte schreibt dem Intendanten des ZDF, wenn auch Ihr der Meinung seid, dass diese Entscheidung falsch ist. Zu diesem Zweck haben wir eine Textvorlage vorbereitet, die ihr entweder übernehmen oder abwandeln könnt",

schreibt der Oberhausener Festivalchef Lars Henrik Gass in einem weiteren Beitrag. Warum an den ZDF-Intendanten? Weil 3sat, wenn auch eine ZDF-ARD-ORF-DRS-Gemeinschaftseinrichtung, vom ZDF gelenkt wird –  das mit "zdfkultur" im weiten Internet inzwischen ja ein eigenes Was-mit-Kultur-Angebot anbietet (und dort übrigens auch "Sendeflächen" für Kurzfilme hätte).

An dieser Stelle [an die auch der Transparenzhinweis gehört, dass im MDR, und zwar im Funkhaus Erfurt, in dem das Altpapier ebenfalls erscheint, ja eines der sehr wenigen Kurzfilm-Magazine des Fernsehens produziert wird] ergänzen wir die Textvorlage jedenfalls gerne mit dem Argument, dass 3sat durch solche Entscheidungen noch irrelevanter zu werden droht als es leider ohnehin längst geworden ist, und übermitteln sie nach Mainz.


Altpapierkorb ("Kernland der Gewalt" Sachsen, Rundfunkbeitrags-Erhöhung, ProSiebenSat.1-Abschied, PiS-"Kampfsender" TVP, Gesichtserkennungs-Kunden, Bloggerszene "überaus aktiv", Chez Krömer")

+++ "In den vergangenen fünf Jahren sind Medienschaffende in Deutschland mindestens 119-mal angegriffen worden", meldet MDR Aktuell auf Basis einer Untersuchung des European Centre for Press and Media Freedom. Diess ECPMF hat seinen Sitz in Leipzig in Sachsen, dem "mit 55 registrierten Attacken" "Kernland der Gewalt".

+++ Wie steht es mit der Rundfunkbeitrags-Erhöhung und der sonstigen Rundfunkpolitik? Das ist Thema eines großen Interviews auf der FAZ-Medienseite (55 Cent bei Blendle) mit der Mainzer Medienstaatssekretärin Heike Raab, das Helmut Hartung führte. Raab hat "keine Sorge", dass Landtage der von der KEF empfohlenen Erhöhung ablehnen könnten, spricht sich sehr deutlich gegen das "Indexmodell" aus (das solche Landtags-Zustimmungen künftig erübrigen würde) und ausführlich über Pläne, die "Beauftragung" öffentlich-rechtlicher Programme zu verändern: "Wir sind jetzt gemeinsam der Auffassung, dass wir ZDFNeo, ZDFinfo, tagesschau24 oder One nicht mehr linear beauftragen müssen. Gerade tagesschau24 ist ein zunehmend als Streaming oder in der Mediathek genutztes Angebot, was für ZDFinfo ähnlich gilt. Differenzen bestehen mit einer Beauftragung von Phoenix und dem KiKA. Diese Debatte ist nicht trivial, denn hier geht es um grundsätzliche Fragen, wie die Grundversorgung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gewährleistet werden kann ..." Von 3sat, aber auch von Arte ist übrigens nicht die Rede.

+++ "Bemerkenswertes Interview, das zwischen den Zeilen wie eine Abrechnung mit dem aktuellen Vorstandschef klingt", schreibt die FAZ-Wirtschaft heute über das gestern hier in ganz anderen Zusammenhängen erwähnte SZ-Interview mit Conrad Albert, dem Noch-"Sender-Hierarchen" bei ProSiebenSat.1. Schließlich verkündete Albert darin seinen bevorstehenden Abschied, außer vielleicht für den Fall, dass stattdessen Konzernchef Max Conze verabschiedet wird (wie heute auch die SZ selbst noch mal aufschreibt).

+++ Top-Thema ebd. ist der "schlagkräftige Kampfsender" der Regierungspartei PiS, zu dem Polens öffentlich-rechtliches Fernsehen Telewizja Polska umgebaut wurde.

+++ Neues von Clearview AI, der Gesichtserkennungs-App mit der Drei-Milliarden-Bilder-Datenbank (Altpapier), gibt es auch. Während Simon Hurtz bei sueddeutsche.de kürzlich US-amerikanische Investigationen zusammenfasste und einen Fokus auf die vierstellige, prominente Milliardäre enthaltende Clearview-Kundenliste legte, fragt netzpolitik.org nun, ob zu diesen Kunden auch das Interpol-Generalsekretariat in Lyon gehörte.

+++ Sagt Kurt Krömer "Sie sind ja nicht von dieser Welt, Sie sind verbittert!". Sagt Erika Steinbach: "Sie legen mir ständig Sachen in den Mund. Warum haben Sie mich überhaupt eingeladen?" Da empfiehlt der Tagesspiegel, die aktuelle Ausgabe der RBB-Show "Chez Krömer" "unbedingt in der RBB-Mediathek an[zu]schauen" (sogar mit Link in die RBB-Mediathek!).

+++ Außerdem erhält eine fernseh-öffentliche Entschuldigung Klaas Heufer-Umlaufs "ohne jede Ironie" allerhand Aufmerksamkeit (Tagesspiegel, dwdl.de mit Heufer-Umlaufs Wortlaut).

+++ "Die meisten Blogger, das wurde an diesem Abend deutlich, sind auf mehreren Ebenen unterwegs, das 'Community-Building', also das Aufbauen einer Gruppe Gleichgesinnter gelingt viel leichter über Plattformen wie Facebook, Instagram oder Tumblr. Die Profile dort werden ebenfalls liebevoll gepflegt. Und auf den Plattformen werden, wenn man so will, ja auch Blogs betrieben, nur würde das niemand so nennen. Die Bloggerszene ist jedenfalls überaus aktiv", berichtet Michael G. Meyer (Berliner Zeitung) von der "Goldene Blogger"-Preisverleihung am Montag.

+++ Und vielleicht auch, weil am morgigen 12. März Welttag gegen Internetzensur ist, befasst sich die taz mit der Frage, warum der kritische vietnamesische Exilblogger Bui Thanh Hieu, der in Berlin lebt, nicht mehr schreibt.

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.

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