Teasergrafik Altpapier vom 10. Februar 2022: Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab
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Das Altpapier am 10. Februar 2022 Transparenz über die Konkurrenz

10. Februar 2022, 08:53 Uhr

Die neuen Umdrehungen der Verwicklungen, in die die Deutsche Welle geraten ist. Die Berliner Zeitung setzt sich auf mehreren Seiten mit der direkten Konkurrenz auseinander. Ein Talkformat, das die K-Frage anders beantwortet. Und: Wie man Interviewfragen ausweicht. Ein Altpapier von Klaus Raab.

Russische Perspektiven auf die Deutsche Welle

Dass wir Sommerloch auf den Medienseiten hätten, kann man nicht behaupten. Es gibt sogar Themen, die für "vorne" reichen würden, wie man in der Zeitungssprache der alten Hasen sagen würde. "Selten hat sich deutsches Medienrecht so sehr mit Geopolitik verquickt wie 2022", steigt Meedia etwa in ein Interview mit Eva Flecken von der Medienanstalt Berlin-Brandenburg ein, die im Dezember als zuständige Regulierungsbehörde ein Verfahren gegen RT DE eingeleitet hat, das deutschsprachige Programm von RT (Russia Today), weil keine deutsche Sendelizenz vorlag.

Dass die öffentlich-rechtliche Deutsche Welle als deutscher Auslandssender seitdem in die Speichen der Diplomatie geraten ist, ist bekannt (zuletzt gestern im Altpapierkorb). Aber regelmäßig kommt eine neue Umdrehung hinzu. RT DE etwa will nun gerichtlich gegen die Entscheidung der Landesmedienanstalten in Deutschland vorgehen, wie die dpa meldete. Helmut Hartung dröselt den Stand bei faz.net auf:

"RT DE ist die ganze Zeit über mit Live-Angeboten präsent – trotz der Untersagung der Verbreitung durch die Kommission für Zulassung und Aufsicht der Medienanstalten (ZAK) am 1. Februar, weil für die RT DE Productions GmbH keine Lizenz vorliegt. Der Bescheid wird erst nach einem Monat rechtskräftig – in dieser Zeit kann kann Putins Propagandasender die rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, wie es jetzt geschieht."

Der Deutschen Welle derweil, deren Moskauer Büro nach einem retourkutschenhalber ausgesprochenen Sendeverbot geschlossen wurde, droht nun auch Ungemach in der Türkei, wo man mitbekommen haben dürfte, was sich so machen lässt. Auch dort sollen sich die Deutsche Welle und zwei andere nicht türkische Sender nun "um eine Lizenz für auf der Internetseite veröffentlichte Inhalte bewerben" müssen, wie dpa meldet. Nur um die gute Ordnung um der guten Ordnung willen dürfte es wohl eher nicht gehen. Die Süddeutsche Zeitung schreibt: "Kritisiert wird, dass die erweiterten Befugnisse der türkischen Regierung mehr Druck auf die Angebote ermöglichen. Ausländische Nachrichtenseiten wurden seit dem verschärften Griff auf lokale Medien beliebter."

In Russland sendet die Deutsche Welle freilich derzeit erstmal weiter, und Gemma Pörzgen erweitert die Berichterstattung in einem instruktiven Text für Übermedien um russische Perspektiven auf den DW-Auftritt in Russland:

"Die DW kompensiert in ihrer Berichterstattung vieles, was man in den einheimischen Medien kaum noch erfährt. Genau das stieß in russischen Regierungskreisen in letzter Zeit zunehmend auf Kritik. Vor allem die ausführliche Berichterstattung über den wichtigsten russischen Oppositionspolitiker Alexej Nawalny und über den Ukraine-Konflikt wurde aus Sicht russischer Politiker immer stärker zum Ärgernis. Im Vergleich zum aufgepeitschten Ton in russischen TV-Angeboten unterscheidet sich der nüchterne, eher öffentlich-rechtliche Duktus für manche Russen angenehm von dem, was sie an Aufgeregtheit und Propaganda in den eigenen Medien oft erleben und wirkt seriös. Andere empfinden es als 'westliches Narrativ', das ihrer ganz anderen Weltsicht widerspricht. Es gibt auch Stimmen, die der DW vorwerfen, zu wenig kritisch zu sein – je nachdem wo jemand politisch steht."

Recherchen auf dem Berliner Zeitungsmarkt

Geopolitisch ein gutes Stüfchen darunter ist eine Auseinandersetzung anzusiedeln, die die Süddeutsche Zeitung in ihrem Medienseitenaufmacher aufgreift. Aber es geht schon auch um etwas: vordergründig um den Berliner Zeitungsmarkt, an dem das Adjektiv "umkämpft" seit älteren Tagen klebt wie das "harsche" an der Kritik. Die Berliner Zeitung und der Tagesspiegel konkurrierten dort lange Jahre um die Vorherrschaft, bis die Ostzeitung – die Berliner – irgendwann ziemlich heruntergewirtschaftet war und vom eigentlich zeitungsmarktfernen Ehepaar Friedrich gekauft wurde. Die Westzeitung – der Tagesspiegel – erscheint unter dem Dach der Holtzbrinck-Verlagsgruppe, genau wie "Die Zeit", die im November kritisch über den Neuverleger berichtet hat.

Am Wochenende nun veröffentlichte die Berliner Zeitung einen mehrere Seiten umfassenden Text, den man als Retourkutsche lesen könnte, wogegen sich Holger Friedrich gegenüber der SZ allerdings verwahrt ("Der Bericht der Kollegen hat nichts mit dem Zeit-Artikel aus dem November zu tun") – was die mit einem süffisanten "Wie auch immer" kommentiert. Jedenfalls handele es sich um "eine bemerkenswerte Recherche", wie die Münchner Tageszeitung findet:

"Es ist ein Artikel über Firmenbeteiligungen des Konkurrenzverlags. Normalerweise gehört dieses Thema eher nicht zu den Stoffen, mit denen Lokalmedien ihre Leserschaft hinterm Ofen hervorlocken wollen. Und doch hat sich ein Reporterteam tief in die Geschäftsmodelle der Stuttgarter Verlagsgruppe eingearbeitet. Eines dieser Geschäftsmodelle ist eine Firma namens DvH Ventures, über die Verleger Dieter von Holtzbrinck etwa in Start-ups investiert."

Und dann der Punkt:

"(D)en Autoren der Recherche zufolge erschienen über manche Start-ups auch freundliche Berichte in Holtzbrinck-Medien – ein Interessenkonflikt, auf den die Lesenden in den erschienenen Texten hätten aufmerksam gemacht werden müssen. Denn es ist eine Säule unabhängiger Publizistik, dass journalistische und wirtschaftliche Interessen eines Verlages getrennt werden. Dies ist der Recherche zufolge aber in mehreren Fällen nicht passiert."

Die Berliner Zeitung schreibt, es gehe ihr um Glaubwürdigkeit und Transparenz im Journalismus und eine Debatte darüber. In einem zweiten Text erinnert sie selbst transparenterweise daran, dass sie 2019 in ihrer eigenen Berichterstattung über die Firma Centogene nicht erwähnt hatte, dass ihr Verleger im Aufsichtsrat der Biotech-Firma saß und Anteile hielt. Nach vielen Reaktionen in anderen Medien darauf und einer Presseratsrüge sei man nun "für mögliche Interessenkonflikte besonders sensibilisiert".

Meedia fragt sich allerdings: "Wenn die Intention der Anstoß einer Debatte gewesen sein soll ('Zufall oder System?'), warum wirft man dann keinen Blick auf die gesamte deutsche Verlagslandschaft?" 

Aber wie auch immer. In der Süddeutschen ist zu lesen, "verschiedene Holtzbrinck-Medien" hätten in der Folge der Veröffentlichung erklärt, sie hätten "sich mit der Kritik auseinandergesetzt". Beim Tagesspiegel seien "die internen Abläufe und Transparenzrichtlinien" auf dem Prüfstand. "Allerdings erklärt die Regionalzeitung auch: 'Es ist uns kein Fall bekannt, in dem es einen mittelbaren oder unmittelbaren Einfluss der Gesellschafter, des Verlages oder der Geschäftsführung auf die Berichterstattung im Tagesspiegel gab.'"

tl;dr: Medienberichterstattung über Medienberichterstattung hat zu Medienberichterstattung über Medienberichterstattung geführt, über deren Motivation man zwar spekulieren kann, am Ende aber sagen die einen von sich, sie seien sensibilisiert, und die anderen, dass sie ihre Transparenzregeln überprüfen.

(Für die Transparenz: Ich war bis Juli 2021 Redakteur von Zeit Online.)

Ein Talk stellt die K-Frage

Ein Talk, ein Talk! Altpapier-Kollegin Annika Schneider lobt bei Übermedien den ZDF-Talk "13 Fragen", ein Format von ZDFkultur, das "unterhaltsam, politisch und konstruktiv" sei, das Kompromiss und Konsens statt Konflikt und Krawall suche. Der Name ZDFkultur, wir erinnern uns, bezeichnet keinen linearen Sender mehr, sondern nun eine Abteilung in der Mediathek.

Annika Schneiders Beispiel ist eine Sendung über ausgewählte Corona-Maßnahmen:

"Sechs Menschen diskutieren darin, ob es gerecht ist, wenn Bars und Clubs nur noch Geimpfte und Genesene einlassen. Es geht um das Nachtleben als Ort der Begegnung für alle und um die Frage, wie weit ein Staat Freiheiten einschränken darf. Beim Zuschauen konnte ich zum ersten Mal richtig nachfühlen, was manche Gegnerinnen und Gegner der Pandemie-Maßnahmen bewegt."

Die Abgrenzung – Kompromiss und Konsens statt Konflikt und Krawall – geht natürlich auf Kosten der Formate, die viel besser eingeführt, deswegen aber nicht zwangsläufig besser sind. "Anne Will" ist gemeint, "hart, aber fair" oder "Markus Lanz".

Was "13 Fragen" nicht kann, allerdings auch nicht können will, ist das Interview. Die Talkrunden, zu denen Kleinbusladungen von Gästen angekarrt werden und in denen das Wort immer schön reihum geht, können das auch nicht. Aber Sandra Maischberger und Markus Lanz können das an sich schon, weshalb ich die beiden anders behandeln würde als die anderen. Maischberger verbuddelte ihre Interviews in den vergangenen Jahren allerdings häufig unter viel Mixed-Zone-artigem Herumgemeine. Immerhin soll ihre Sendung zu "einem neuen, vertiefenden Gesprächsformat" verändert werden (Altpapier).

Und Markus Lanz produziert in seinen vielen auf Sehgewohnheiten zielenden Fernsehstunden neben Perlen auch eine enorme Menge Kaugummiautomatenschmuck. Um aber aufs Gute einzugehen: Er hat die K-Frage 2021 zum Beispiel auf andere Art gestellt als manches explizite Wahlkampfformat von ARD und ZDF. Und er ist, weil er nicht spiegelstrichjournalistisch das politische Programm abfragte, sondern Politikerinterviews als den performativen Akt versteht, der sie sind, nach meinem Eindruck damit weiter gekommen. Etwa als er durch eine hartnäckige Einladungspolitik und mit einigem Geschick im Wahlkampf den Spin der Grünen in der Baerbock-Plagiatsdebatte federführend zerlegt hat. Oder als er dem Eindruck Substanz gegeben hat, dass CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet für ein Amt, das schwierige Kommunikationsleistungen auf glattem Eis erfordert, womöglich nicht die Idealbesetzung wäre.

Auf die Frage allerdings, an wem er sich die Zähne ausgebissen habe, antwortete Lanz während eines Video-Interviews beim BDZV-Kongress: "Olaf Scholz". Der Mann ist seit zwei Monaten Bundeskanzler, weshalb es nicht schaden kann, sich sein Kommunikationsverhalten näher anzusehen. Das Video vom BDZV-Kongress-Interview ist in einem Text von Benjamin Hindrichs bei krautreporter.de verlinkt, in dem er "35 Wege, Fragen auszuweichen", nennt. Einige arbeitet er an Beispielen aus. Bei Laschet erkennt er zum Beispiel die Kernstrategie "Frage einfach ignorieren". Die bei Lanz aber zu ungefähr null Prozent funktioniert hat, weil Lanz genug Sendezeit hat, um ein paar Dutzend Mal nachzuhaken. Scholz dagegen agiere nach dem Muster "Die Frage zur Kenntnis nehmen, ohne sie zu beantworten".

Frage: Warum tun Sie das, Herr Bundeskanzler? – Scholz: Schönen Dank für die Frage, ich kann das nicht bestätigen.


Altpapierkorb (BR-Rundfunkrat, Olympia-Berichterstattung, Social-Media-Regeln des WDR, Michael Meyen)

+++ Dem katholischen Vertreter im Rundfunkrat des Bayerischen Rundfunks, Lorenz Wolf, wird vorgeworfen, er "habe sich zu klerikerfreundlich im Umgang mit sexuellem Missbrauch verhalten" (Altpapier). "Die Zeit" arbeitet nun eine Sitzung des Kontrollgremiums auf, die er für eine "Pressekonferenz in eigener Sache" missbraucht habe (Altpapierkorb vom Donnerstag) – und stellt auch Fragen, die einem einfallen, wenn man medienjournalistisch arbeitet: "Im Vorfeld der Sitzung hatte die ZEIT mit mehreren Mitgliedern gesprochen, von denen die meisten die Vorwürfe in dem Gutachten über ihren Vorsitzenden gar nicht gelesen hatten." Wegen der enormen Länge des Gutachtens sei das einerseits nachvollziehbar. "Andererseits: Wie kann man als Rundfunkrat für die Integrität des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einstehen, zu den Vertuschungsvorwürfen gegen den Mann in der eigenen Mitte aber nichts sagen?"

+++ Wie läuft die Olympia-Berichterstattung, wie gelingt der Spagat zwischen Jubel und notwendiger Kritik (Altpapier vom Montag)? Markus Ehrenberg vom Tagesspiegel findet, ganz gut: "Wenn zwischen Abfahrt, Eishockey und Halfpipe mal Ruhe ist in Peking, kommen sportpolitische Hintergrundberichte ins Programm. Und das gefühlt weniger pflichtschuldigst als vor fünf, zehn Jahren, als man öfters das Gefühl hatte, ein Hajo Seppelt hätte sich neben Tom Bartels für sein kritisches Tun zu entschuldigen."

+++ Der WDR hat Social-Media-Regeln für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entworfen. Der Entwurf sorgt allerdings für Diskussionen. (taz, @mediasres vom Deutschlandfunk)

+++ Unter dem Titel "Ein Prof driftet ab" schreibt Zeit Online über den auch an dieser Stelle schon mehrfach Thema gewesenen Münchner Kommunikationswissenschaftler Michael Meyen, dessen Blog-Veröffentlichungen (etwa über Ken Jebsen, die wir auch hier im Altpapier irritiert aufgegriffen haben) auch bei seinen Kolleginnen und Kollegen auf Unmut stoßen.

Neues Altpapier erscheint am Freitag.

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