Das Altpapier am 22. September 2022: Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab
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Das Altpapier am 22. September 2022 Distanzen und Finanzen

22. September 2022, 10:08 Uhr

Christian Lindner empfiehlt sich für die Medienpolitik (lobt "Die Zeit"): mit "Gedanken, die einst von der christlichen Soziallehre, der utopischen Linken oder den frühen Anarchisten kamen" (spottet die "SZ"). Und: Was ist wirklich los im NDR-Landesfunkhaus in Kiel? Ein Altpapier von Klaus Raab.

NDR Kiel: "Vertrauen entzogen"

"Es sind gerade viele Augen auf das Verhältnis Kieler Journalist*innen zur Politik gerichtet", schreibt Altpapier-Kollege René Martens bei "Übermedien". Das stimmt. Nach dem "Spiegel" (Altpapier vom Montag) hat nun auch "Die Zeit" einen Text im Blatt, der von den Vorwürfen handelt, die gegen die Führungsspitze des Landesfunkhauses Kiel vor einigen Wochen erhoben worden sind.

Zur Erinnerung: Es hatte mit der Berichterstattung des "Business Insiders" über einen "politischen Filter" begonnen, den es gegeben haben soll. Und weitergegangen war es mit einem langen Artikel im "Stern", in dem unter anderem zu lesen war, von Leitungspersonen des Funkhauses sei etwa kritische Berichterstattung über das Deutsche Rote Kreuz be- oder verhindert worden. (Was dann auch vom NDR Kiel und anderen im NDR in Sendungen verhandelt wurde.)

Im Kontextabsatz einer "epd"-Meldung vom Donnerstagmittag ist es so formuliert:

"Ende August waren erstmals Vorwürfe laut geworden, dass Führungskräfte des NDR in Kiel die Berichterstattung zugunsten des Ministerpräsidenten Daniel Günther (CDU) beeinflussten und journalistische Arbeit behinderten. Als Reaktion auf die Vorwürfe lassen der Kieler Chefredakteur Norbert Lorentzen und Redaktionsleiterin Julia Stein ihre Ämter ruhen. Landesfunkhausdirektor Volker Thormählen hat Urlaub genommen, um einer Aufklärung nicht im Weg zu stehen. Die Vorwürfe werden derzeit intern geprüft."

Anlass der Meldung ist die Berichterstattung der "Zeit". Sie kann man, genau wie zuvor die des "Spiegels", in zwei Richtungen auslegen. Erstens, so die "Zeit":

"(N)eue Recherchen legen nahe, dass die Anschuldigungen in zentralen Punkten nicht zu halten sind. Politische Einflussnahme? Dafür fehlen weiter Belege. Zu große Nähe zu den Institutionen im Land? In den vorliegenden Dokumenten nicht zu erkennen. Ein interner Bericht, mit dem alles anfing, lässt entscheidende Lücken."

Dass manch konkreter Vorwurf wohl nicht zu halten sei, hatte vor einer Woche auch schon "Zapp", das Medienmagazin des NDR, knapp berichtet.

Zweitens aber bleibt trotzdem eine Frage, so Götz Hamann in der "Zeit" – nämlich "was wirklich los ist im Landesfunkhaus in Kiel". Wenn man sowohl die "Spiegel"- als auch die "Zeit"-Berichterstattung richtig deutet, dann ist einiges los. Hamann fasst den Stand der Dinge so zusammen: "Wut und Frustration in großen Teilen der Belegschaft sind echt, aber die bisherige Begründung trägt nicht."

Die Situation stelle sich eher so dar, schreibt er: Der Druck auf die Mitarbeitenden sei in den vergangenen Jahren gestiegen. Frei gewordene Stellen seien nicht nachbesetzt worden. Die Pandemie habe das Programm dominiert, auf Kosten anderer Themen. Die Digitalisierung habe für die Etablierung neuer Arbeitsabläufe gesorgt. Diskussionen seien kurz gekommen, dafür habe es mehr Ansagen als früher gegeben. Von einer "Entfremdung" ist im Artikel die Rede, von einem "unzureichend moderierten Wandel". Also von Distanz.

Ob das für einen überregionalen Skandal gereicht hätte, wäre die Aufmerksamkeit durch die hitzig diskutierte RBB-Affäre nicht schon auf die Öffentlich-Rechtlichen gerichtet gewesen, dahinter kann man ein vorsichtiges Fragezeichen setzen. Womöglich sind hierarchische oder hierarchisch anmutende Old-Work-Arbeitsverhältnisse insgesamt noch zu verbreitet. Aber wenn, wie es nun geschah, "rund 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einer Mail an den NDR-Intendanten Joachim Knuth ihrer Führungsspitze das Vertrauen entzogen" haben, wie der "epd" in Bezug auf die "Zeit" meldet: Dann ist das ja nicht nichts. Der "Spiegel" legte online am Donnerstag mit einer konkreten Zahl nach: Es seien 96 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Immerhin das wäre also wohl geklärt.

Medienlandschaft Kiel: Gibt es einen Distanz-Mangel?

René Martens hat in seinem eingangs erwähnten "Übermedien"-Beitrag einen anderen Fokus auf die politische Berichterstattung in Kiel: Bei ihm geht es um eine Kultur der Nähe zur Politik, die es nicht nur im NDR gebe. Ausführlich geht es bei ihm etwa um einen leitenden Journalisten eines Privatradios, der auch Parteiveranstaltungen moderiere.

Eine "regierungs-unkritische Berichterstattung" führen Martens’ Gesprächspartner etwa auf das zugewandte Wesen von Ministerpräsident Daniel Günther zurück (das man wohl auch als professionelles Verhalten im Umgang mit Medien beschreiben könnte). Wilhelm Knelangen, Professor für Politikwissenschaft an der Christian-Albrecht-Universität Kiel, wird zitiert:

"In der Berichterstattung vor der Landtagswahl 2022 standen Günther und seine persönlichen Eigenschaften im Vordergrund. Es gab überhaupt keine inhaltliche Auseinandersetzung mehr. Über Thomas Losse-Müller, den Herausforderer von der SPD, hieß es im Wesentlichen, er sei unbekannt – während Günther als Politiker beschrieben wurde, der nicht nur bekannt, sondern auch beliebt sei. Was sich mit Umfragen natürlich bestätigen ließ."

Und ein anderer Faktor in Kiel sei eine Vorreiterschaft des NDR. Wenn er Themen klein halte, "habe das auch Auswirkung auf die Entscheidungen in anderen Medienhäusern", sagt ein anonym bleibender Journalist. "Kollegen anderer Redaktionen, die an den Geschichten dranbleiben wollen, müssten sich plötzlich im eigenen Haus rechtfertigen."

Der Text berührt etwas Wesentliches, was in der Berichterstattung über Compliance- und Transparenzregeln, die zuletzt im Fokus der öffentlichen Debatte standen, nicht zu kurz kommen darf: Regelkataloge sind im Journalismus zweifellos sehr wichtig für die Qualitätssicherung – aber auf weiche Faktoren kommt es auch an. Etwa auf die Frage, wie sehr man sich an der Konkurrenz orientieren sollte. Auf Sympathie. Oder, siehe oben, auf eine interne Diskussionskultur, die offensichtlich auch dann ungut sein kann, wenn gar keine schriftlich fixierte Regel verletzt wurde. Die Öffentlich-Rechtlichen-Debatte hat derzeit viele Stränge. An dieser Stelle greift sie auf den Journalismus insgesamt über.

 Die Christianische Soziallehre

Aber es gibt auch nach wie vor Stränge, die sehr spezifisch öffentlich-rechtlich sind: Wie viel darf so ein Intendant verdienen? Das ist zum Beispiel eine Frage, die derzeit gerne und intensiv diskutiert wird (Altpapier vom Mittwoch).

Welcher Politiker hat diesmal angefangen? War es im August Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff, der eine Absenkung der Intendantengehälter auf Verfassungsrichter-Niveau forderte? Bundesfinanzminister Christian Lindner ist mit seiner Forderung, öffentlich-rechtliche Intendantinnen und Intendanten sollten nicht mehr verdienen als der Kanzler, jedenfalls der vorläufig letzte in der Reihe (Altpapier vom Montag).

Und nun, es kommt wahrlich nicht nur schlecht an, was er fordert. Lindner bringe, findet Paul Middelhoff in der "Zeit", einen nicht umstürzlerischen Ton in die Debatte über die Öffentlich-Rechtlichen. (Was, wenn es so ist, wirklich gut wäre: Die Zweiseitigkeit der Diskussionen über die Öffentlich-Rechtlichen verhindert im Grunde jeden Debattenfortschritt – die einen wollen sie bei jeder harmlosen "Umweltsau" eindampfen oder ganz abschaffen, so dass die anderen sie immerzu grundsätzlich verteidigen, "weil jede Diskussion darüber sofort in die Systemfrage abgleitet und den Rechten zu nutzen droht", wie ich vor einigen Wochen im "Freitag" einmal geschrieben habe.)

Jedenfalls, Lindners Ton:

"Er kri­ti­siert die ho­hen In­ten­dan­ten-Ge­häl­ter, mo­niert die kurz­sich­ti­ge Ver­wen­dung von Mil­li­ar­den-Bud­gets, die von oh­ne­hin kri­sen­ge­plag­ten Ge­büh­ren­zah­lern fi­nan­ziert wer­den – und lie­fert so Ar­gu­men­te, die an­schluss­fä­hig sind, aber nichts Be­droh­li­ches oder Um­stürz­le­ri­sches an sich ha­ben. Lind­ners Kri­tik äh­nelt dar­in dem Kurs der FDP wäh­rend der här­tes­ten Pha­sen der Pan­de­mie, die schlie­ß­lich auch zum gu­ten Ab­schnei­den bei der Bun­des­tags­wahl 2021 ge­führt hat."

So Paul Middelhoff, der eine "strategische Chance" für die FDP sieht: Die Liberalen könnten den Umbau der Öffentlich-Rechtlichen zu ihrem Thema machen. (Wenn sie denn, müsste man dann wohl hinzufügen, in den für Rundfunk- und Medienpolitik zuständigen Ländern mitregieren.)

Spaß bei der Arbeit hatte aber womöglich vor allem Nils Minkmar, der Lindners Intendantengehaltskürzungsforderung auf der Medienseite der "Süddeutschen Zeitung" von einem durchaus prickelnden Standpunkt aus betrachtet:

"Lindner wirkt ein wenig wie ein ambitionierter Wissenschaftler, der ohne böse Absicht Saurier aus grauer Vorzeit wiedererweckt und freigelassen hat. Es sind ausgerechnet Gedanken, die einst von der christlichen Soziallehre, der utopischen Linken oder den frühen Anarchisten kamen, die aber seit Jahrzehnten niemand mehr zu denken wagte. Etwa, dass das sich der Verdienst am Nutzen für das Gemeinwohl orientieren sollte. Oder dass Ressourcen und Reichtümer in einer Republik halbwegs fair verteilt sein sollten. (…) Christian Lindner hat damit angefangen, und es wird nun sicher wieder häufiger vorkommen, dass etwa das geringe Lohnniveau wichtiger Berufe in Bildung und Gesundheit mit den hohen Einkommen aus Immobilien und Aktien verglichen werden."

Das nennt man wohl ausgleichende Gerechtigkeit: Wenn man als Politiker ein paar flotte Punkte bei einem Thema machen will, das viele triggert, für das man aber nicht zuständig ist – und man dann beim Wort genommen wird.


Altpapierkorb (Queen-Berichterstattung, Stand der Reformdebatte, "Knight Rider")

+++ Dass sowohl die ARD als auch das ZDF die Beerdigung der Queen übertragen haben (Altpapier), verteidigt ZDF-Chefredakteur Peter Frey gegenüber der "dpa", was etwa der "Tagesspiegel" aufgreift: Dass beide berichteten, sei "zwischen den beiden öffentlich-rechtlichen Sendersystemen 'vor zehn Jahren ausgemacht' worden", so Frey: "'Wir verzichten bei royalen Ereignissen auf Doppelübertragungen, mit einer Ausnahme: dem Tod der Queen. Der enorme Publikumszuspruch zeigt: Das war richtig.’"

+++ "In der medienpolitischen Debatte ist Deutschland nach rechts gerückt", schreibt Adrian Lobe in der Schweizer "Medienwoche" und betrachtet, vor allem, den Stand der Reformdebatte. Er warnt vor dem "Kodak-Moment" der Öffentlich-Rechtlichen – also vor dem Moment, in dem man feststellt, dass es für eine Transformation zu spät ist. "Die Vorschläge, die nun im Zuge der Affäre Schlesinger diskutiert werden, klingen (…) mehr nach Verwaltungsreform und Personalabbau als nach einer strategischen Neuausrichtung", so Lobe.

+++ "Kostensenkung, bessere Aufsicht, Angebote für alle. Hier müsste der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht auf die Politik warten. Man könnte selbst sofort vorangehen." Sagt Andreas Nowak, medienpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion des Sächsischen Landtages, im freilich sehr ausführlichen Interview mit Medienpolitik.net.

+++ Harter Disput heute Morgen zwischen Engelchen und Teufelchen darüber, was hier im Altpapierkorb weiter oben stehen sollte: die laufende Tagung der Rundfunkkommission der Länder? Oder 40 Jahre "Knight Rider"? Am Ende klare Sache: Gewonnen hat David Hasselhoff, auch deshalb, weil von der Rundfunkkommission noch gar nicht viel nach außen gedrungen ist. Der "Spiegel" schreibt online über die Serie und die Künstliche Intelligenz darin, das Auto K.I.T.T.; zum Beispiel das: "(I)n der noch im Herbst anlaufenden RTL+-Serie 'Ze Network', in der Hasselhoff sich selbst spielt, hat auch der schwarze Kultwagen einen Gastauftritt. 'The Hoff'fährt mit ihm über die deutsche Autobahn und durch Görlitz."

(Transparenzhinweis: Ich arbeite für "Zeit Online".)

Neues Altpapier gibt es am Freitag.

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