Das Altpapier am 14. Oktober 2022: Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab
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Das Altpapier am 14. Oktober 2022 Es gibt Beratungsbedarf

14. Oktober 2022, 12:38 Uhr

Mit dem Streit um die "Tagesschau"-App begann es, nun steht eine weitere Runde an: Wie viel Text ist in öffentlich-rechtlichen Onlineangeboten angemessen? Der RBB berichtet über "offenbar üppige Versorgungsansprüche" im RBB. Und: Vertiefung in einen Steingart-Newsletter. Ein Altpapier von Klaus Raab.

Verlage und ARD: Es geht um mehr als eine App

Am Landgericht Stuttgart sollte am kommenden Montag eigentlich eine interessante Entscheidung fallen. Um die App "Newszone" des öffentlich-rechtlichen SWR-Programms "Das Ding" sollte es dabei gehen, ein Nachrichtenangebot für Jüngere (dessen Themen man sich auch in einem Browser anschauen kann), gegen das allerdings Verlage im Südwesten Deutschlands geklagt hatten. Im Kern geht es bei der Klage um die Frage, ob die App zu textlastig gestaltet sei. "Das Landgericht Stuttgart, das … über einen Eilantrag der Verlage entscheiden will, soll sich in der Verhandlung eher skeptisch über die Verlegerklage geäußert haben", hieß es am Nachmittag noch im Text der "Süddeutschen". Kurz nach dessen Veröffentlichung wurde der Gerichtstermin dann allerdings abgesagt, wie die "dpa" meldete, weil es offensichtlich "noch Beratungsbedarf" mit den beiden Parteien gebe.

Beratungsbedarf: Den gibt es bei dem Thema, generell. Was für Außenstehende wie ein lösbares Problem aussehen mag – zählste halt mal die Wörter durch, einigst dich auf eine Zeichengrenze, und fertig! –, beschäftigt Verlage und Öffentlich-Rechtliche mittlerweile seit mehr als elf Jahren, also seit mehreren Internetzeitaltern. Just heute treffen sich sogar diverse Vertreterinnen und Vertreter von Verlagen und ARD (darunter Verlegerpräsident Mathias Döpfner, der ARD-Vorsitzende Tom Buhrow und MDR-Intendantin Karola Wille), um miteinander über Angebote von Radio Bremen und des MDR zu reden ("Tagesspiegel").

"Es geht um mehr als eine App", schreibt also die "SZ" richtigerweise. Und es geht auch um mehr als zwei Apps oder drei. Es geht also auch um mehr als die "Tagesschau"-App, die nach langem Rechtsstreit, der erst in diesem Jahr endgültig endete, als "presseähnlich" eingestuft worden war. Es geht vielmehr um das grundsätzliche Problem, dass, wo Verlage und Sender früher unterschiedliche Terrains bespielten, mit dem Internet "eine mixed zone entstanden" ist, "in der die beiden Welten aufeinanderprallen", wie es Wolfgang Janisch in der "SZ" formuliert.

Das Bild finde ich nicht passend: Es prallen keine zwei Welten aufeinander. Vielmehr gibt es keine zwei Welten mehr. Wo einmal geschlossene Grenzen waren, sind sie nun – mit einem in der "SZ" zitierten Wort von Wolfgang Schulz, dem Direktor des Hamburger Hans-Bredow-Instituts – "verschwommen", also durchlässig. Wollte man klare Grenzen haben, müsste man sie demnach gezielt ziehen. Ob und wie man das tut – das ist die Frage.

Nun geht man als Autor einer Textkolumne, die seit einigen Jahren auf den Seiten einer öffentlich-rechtlichen Anstalt erscheint, wahrscheinlich kaum als unbefangen durch – auch wenn diese Kolumne vor mehr als 20 Jahren speziell fürs Netz entwickelt wurde und schon deshalb nicht presseähnlich ist, weil sie erstens zu lang ist, um in einer Zeitung zu stehen, und zweitens erst nachts entstehen kann, während die Zeitungen schon durchs Land gefahren werden. Also ein klassisches Onlineformat ist.

Dass "presseähnlich" allerdings keine glückliche Kategorie ist, das finden manche unbefangene Menschen auch – wie Kurt Kister, der Mann, der Chefredakteur der "Süddeutschen" wurde in ungefähr jener Zeit, in der der Verlag seiner Zeitung zusammen mit anderen gegen die "Tagesschau"-App klagte. Kister (via Stefan Niggemeier entdeckt) formulierte es dieser Tage so:

"Der Begriff Presse wird mehr und mehr historisch, auch wenn die Rechtsprechung ihn noch unverdrossen benutzt. Eine Website ist keine "Presse", und eigentlich ist sie auch nicht 'presseähnlich', wie das Verleger gerne im Falle der Websites des öffentlich-rechtlichen Rundfunks behaupten. Wenn man ein Elektroauto 'kutschenähnlich' nennt, wird deswegen aus einem Tesla kein Vierspänner, selbst wenn das Auto und die Kutsche demselben Zweck dienen, der Fortbewegung."

Ob "presseähnlich" aber ein guter Begriff ist oder nicht – es wurde kein besserer gefunden. Wolfgang Janisch hat sicher Recht, wenn er heute kritisiert, die Bundesländer hätten keine gute Formel gefunden, als sie "den vor zwei Jahren in Kraft getretenen Medienstaatsvertrag konzipierten". Für Online-only-Angebote gelte demnach nun dasselbe Kriterium, das schon zuvor in Gebrauch war: "'Die Telemedienangebote dürfen nicht presseähnlich sein', heißt es im Staatsvertrag. Das ist – Stichwort Online-Journalismus – ein Abgrenzungsversuch, der mehr Probleme schafft, als er löst."

Was fehlt? Laut Wolfgang Schulz vom Bredow-Institut, den Janisch zitiert, fehlt ein neuer Generationenvertrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit der Gesellschaft. "Dabei müsse geklärt werden, wo ein gesellschaftliches Bedürfnis für die besondere Qualität herrsche, die potente Rundfunkanstalten bieten können. 'Die Antwort kann nicht sein: Wir machen einfach alles.'"

Neues von der Krise im RBB

Die jüngsten Berichte, die auf den Seiten des RBB unter dem eigenen Reiter "Krise im RBB" erschienen sind, drehen sich um die Juristische Direktorin. Erst wurde sie "von ihren Dienstpflichten entbunden", nachdem die Staatsanwaltschaft mitgeteilt hatte, dass sie wegen Beihilfe zur Untreue ermittle, was natürlich noch nichts über das Ergebnis der Ermittlungen aussagt (siehe auch Altpapier vom Mittwoch). Im neuesten Artikel vom gestrigen Donnerstag nun ist zu lesen, dass ihr, würde ihr Vertrag beendet,"offenbar üppige Versorgungsansprüche" zustünden – und im Todesfall auch einem Kreis ihrer Familienangehörigen, was, in einer etwas längeren Version auf tagesschau.de, als ein Kern des Problems herausgearbeitet wird. "In Teilen sittenwidrig" ist das zitierte Stichwort.

Die Recherche hat einiges an Interaktion verursacht, drüben in den so called Social Media, zumindest in den Social Media, in denen sich viele Journalisten herumtreiben. Eher entsetzte Reaktion. Es ist allerdings auch die Frage aufgekommen, ob der RBB sich unter Einbeziehung zu vieler "offenbars" hier womöglich selbst skandalisiere.

Wie auf so viele offene Fragen, die im Lauf der RBB-Krise sowie ihrer Ausläuferaffären aufgeworfen wurden, liegt die Antwort erst dann vor, wenn sie vorliegt. Dass die Spreizung der Gehälter und Ansprüche zwischen oberen und unteren Etagen aber zum großen Thema geworden ist – speziell innerhalb der Anstalten –, daran dürfte nicht mehr zu rütteln sein. Die Berichterstattung einer RBB-Redaktion über die Versorgungsansprüche auf Direktorenebene verdeutlicht das noch einmal.

Was Gabor Steingart schreibt

Mag Kritik an ARD und ZDF in vielen Fällen nachvollziehbar oder berechtigt sein: Immer ist sie es wahrlich nicht. Der Journalist Gabor Steingart hat am Donnerstag in seinem E-Mail-Newsletter – dem "Pioneer-Briefing", das auch bei focus.de und web.de erscheint, also insgesamt ein paar Leute erreichen dürfte – zu einem kleinen Rundumschlag ausgeholt. Gegen Olaf Scholz (SPD), gegen Robert Habeck (Grüne). Und gegen ARD und ZDF.

Er hat zum einen Kanzler Scholz und Wirtschaftsminister Habeck dafür kritisiert, dass sie für viel Geld den Ausbau des Kanzleramts "in Angriff nehmen" würden. Und zum anderen die Öffentlich-Rechtlichen (die bei ihm "staatsnahes TV" heißen) dafür, dass sie nicht darüber berichten würden. Steingart mutmaßt, das könne "womöglich" damit zu tun haben, dass "die Verantwortlichen der Sender an ihre eigenen pompösen Baupläne" denken würden: "Der eine Bauherr hackt dem anderen kein Auge aus." Diese Unterstellung, die sich unter dem Strich gegen öffentlich-rechtliche Journalisten richtet, könnte womöglich aus guten Gründen in der Womöglichkeitsform geschrieben sein, denn sonst könnte sie womöglich jemand als komplett abwegig oder als populistisch bezeichnen. Jedenfalls:

"Wenn Olaf Scholz und sein Vizekanzler Robert Habeck für 777 Millionen Euro die Verdopplung des Bundeskanzleramtes in Angriff nehmen und dafür die bislang aus der Steuerkasse gepflegten Bäume und Grünflächen zerstören, beseitigen und danach die Flächen versiegeln lassen, kräht im deutschen staatsnahen TV kein Hahn danach",

schreibt Steingart und fantasiert:

"(W)enn Donald Trump oder schlimmer noch Wladimir Putin geplant hätten, das Weiße Haus beziehungsweise den Kreml in seiner Bürofläche zu verdoppeln und neben das bisherige Regierungsgebäude ein zweites in gleicher Größe zu stellen, die TV-Anstalten würden weltweit rotieren; erst 'Breaking News', anschließend Sondersendung."

Besonders denkwürdig an seinem Newsletter ist nun, dass die Erweiterung des Kanzleramts gar nicht von Scholz und Habeck geplant wurde. Die Pläne stammen aus der Regierungszeit von Angela Merkel. 2020 wurden sie vom Bundesrechnungshof kritisiert. Zu keinem der Zeitpunkte war die jetzige Bundesregierung im Amt. Und Steingart weiß das auch: Er hat 2020 eine sehr ähnliche Kolumne geschrieben, in der er die Planungen kritisiert hat. Nur enthielt der Text damals keine Kritik an Scholz und Habeck, sondern an "ausgerechnet Angela Merkel, die sich zu Recht viel auf ihre Bescheidenheit zugutehält". Auch die "Kostenexplosion" im Vergleich zur ursprünglichen Planung, von der Steingart schreibt, ist nicht neu; auch sie wurde schon vor der laufenden Legislaturperiode festgestellt und kritisiert. Man fragt sich also, worüber ARD und ZDF eigentlich in einer Sondersendung berichten sollten: darüber, dass vor vier Jahren bekannt wurde, dass das Kanzleramt mittlerweile aus Regierungssicht zu klein ist?

Man kann die Planungen kritisieren. Selbstverständlich kann man das. Aber, wie gesagt, Steingart weiß, dass die ganze Sache nicht neu ist, und er hat es auch nicht vergessen – es steht sogar weit unten in seinem Newsletter vom Donnerstag. Allerdings erst tief im Abobereich. Oben, im frei lesbaren Teil, jongliert er lediglich mit diversen Feindbildern und Buzzwörtern: Scholz und Habeck, Putin und Trump, ARD und ZDF.

Was übrigens auch mal ein spannendes Thema für einen steilen Newsletter wäre: Wie verhalten sich die Notwendigkeit, Journalismus zu monetarisieren, und das Stilmittel der Irreführung eigentlich zueinander?


Altpapierkorb ("Katar"-Dokus des WDR, Julian Assange, Public-Value-Konferenz, Thomas Rabe, Afrikakorrespondenten)

+++ "Erstklassige Recherchen" der WDR-Redaktion von "Sport Inside" über "die Krönungsmesse der qatarischen Soft-Power-Strategie" lobt die "Frankfurter Allgemeine" heute in der Printausgabe. Es geht um die Fußball-WM und den Vierteiler "Katar – WM der Schande". "Dass der Sender ihn wie die gesamte Reihe auf dem neuen 'Sport Inside'-Sendeplatz mittags um 13.30 Uhr versteckt, spricht allerdings für sich", kritisiert Christoph Becker: "Erstklassige Recherchen im drittklassigen Umfeld". In der ARD-Mediathek stehen die Filme allerdings auch.

+++ In der "Zeit" findet sich ein langes Interview von Holger Stark mit dem Vater und dem Bruder von Julian Assange. Eine Passage sei zitiert: "Wollen Sie wirklich behaupten, dass Medien wie der Guardian oder in Deutschland die ZEIT oder der Spiegel unter der Kontrolle der Regierung stehen und nur publizieren, was den Mächtigen gefällt?", fragt Stark. Und Assanges Vater John Shipton antwortet: "Ja, genau so meine ich es." Stark lässt das natürlich und zum Glück nicht unwidersprochen so stehen.

+++ Wer sich für einen ausführlichen Beitrag über die Public-Value-Konferenz in Leipzig interessiert (zuletzt im Altpapier vom 7. Oktober), wird bei "epd Medien" fündig. Nur ein Absatz aus dem Text von Uwe Kammann sei zitiert:"Bei der Frage, wie und mit welchen Instrumenten sich Qualität in den Medien bestimmen lasse, zitierte die Mainzer Kommunikationswissenschaftlerin Birgit Stark zwar selbstironisch das Bonmot vom "Pudding an die Wand nageln", doch plädierte sie leidenschaftlich für ein kontinuierliches Qualitätsmonitoring, das die Arbeit sinnvoll unterfüttern könne. Und sie schob ihr Credo gleich hinterher, um alle Anstrengungen beim begleitenden Diskurs zu rechtfertigen: "Länder mit einem hohen öffentlich-rechtlichen Medienniveau haben auch einen hohen Demokratie-Standard."

+++ Neues vom Pferdesport: "Wie fest sitzt Thomas Rabe im Sattel?", fragt "kress pro" im neuen Heft, was eine berechtigte Frage sein könnte angesichts der Tatsache, dass etwa das "Manager Magazin", an dem Bertelsmann beteiligt ist, die Situation dort als "Führungschaos" beschrieben hat und Rabe zusätzlich zu Bertelsmann vorübergehend auch noch die RTL Group führt. Twitterbarster Satz der online verfügbaren Zusammenfassung natürlich: "Moderiert er bald auch noch ,Deutschland sucht den Superstar'?"

+++ Bernd Dörries, der Afrikakorrespondent der "Süddeutschen", ließ dieser Tage anlässlich des Jubiläums seiner Zeitung seine Jahre in Kapstadt Revue passieren. "Für viele Menschen in Deutschland ist Afrika letztlich ein Klumpen, ein einziges Land, aus dem es wenig Gutes zu berichten gibt – zumindest die Tierwelt soll aber ganz schön sein", schreibt er. "Seit fünf Jahren bin ich nun Afrika-Korrespondent für die Süddeutsche Zeitung mit Sitz in Kapstadt, zuständig für 49 Länder südlich der Sahara, 41 davon habe ich besucht". Womöglich besteht ja eine Korrelation zwischen dem, was viele Menschen wohl glauben – dass der Kontinent "ein Klumpen, ein einziges Land" sei – und der Tatsache, dass ein einziger Korrespondent für mehrere Dutzend Länder zuständig ist. Wie, fragt man sich jedenfalls, könnten Bernd Dörries und seine insgesamt viel zu wenigen Kolleginnen und Kollegen, die für deutsche Medien in Afrika arbeiten, die existierende Vielfalt abbilden?

Das nächste Altpapier erscheint am Montag.

1 Kommentar

Rainer Meyer am 15.10.2022

Die Kritik an Steingart ist schwach, da sie nicht auf seine Argumente eingeht. Gut, er hat keine Argumente? Das würde ich auch so sehen. Aber das Steingart seine Kritik von Merkel auf die neue Regierung 1:1 übernimmt, was ist daran schlimm? Schließlich hat die neue Regierung anscheinend auch die Planung der alten 1:1 übernommen.

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