Das Altpapier am 04. November 2022: Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab
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Das Altpapier am 04. November 2022 Tag 1 nach Buhrows Revolutionsaufruf

04. November 2022, 10:09 Uhr

"Buhrow sprengt das System", "Buhrow bleibt Buhrow", "Buhrow, Meister des grellsonnigen Schwafelns", "Buhrow, der alte Fuchs", "Buhrows Bombe": Der WDR-Intendant hat eine Art Revolution ausgerufen. Dazu haben Politikerinnen, Intendanten, Gremienmitglieder und Journalisten einiges zu sagen. Ein Altpapier von Klaus Raab.

"Ein staubiger Klassiker" – jetzt neu von Tom Buhrow

Wenn jemand von Rang und Namen die Revolution ausruft, und das hat der ARD-Vorsitzende Tom Buhrow der "FAZ" zufolge am Mittwochabend in einer ungewöhnlich gerahmten Rede im "Übersee-Club" getan (Altpapier), beschäftigt das die Medien nicht nur für einen Tag. Entweder weil es wirklich um eine relevante Umwälzung geht, zu der sich deshalb viele weitere Menschen von Rang und Namen äußern. Oder weil das, was wie eine Revolution aussehen mag, womöglich doch keine ist. Was dann ebenfalls thematisiert werden sollte.

Wir finden heute deshalb allerlei zum Thema. Zum Beispiel eine ganze "FAZ"-Medienseite mit drei Texten und eine ganze "SZ"-Medienseite mit zwei Texten (plus Sudoku und Kreuzworträtsel).

Zum einen gibt es Lob dafür, dass endlich etwas vorangehe in der Reformdebatte über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Überfällig, findet Marvin Schade bei medieninsider.de Buhrows Vorschlag, Reformen groß zu denken. Weitere Zustimmung wird vor allem zitiert von Michael Hanfeld in der "FAZ", der seine eigene Geschichte von gestern heute nicht kaputtschreibt, sondern von Buhrows "Revolution" zu "Buhrows Bombe" weiterdreht. Allen voran unter den Lobenden: die derzeit lauteste Stimme der nicht zuständigen Bundespolitiker, Christian Lindner, der bekundete, Buhrows Überlegungen seien ein "Meilenstein". Dass er eine Zusammenlegung von ARD und ZDF nicht mehr völlig ausschließe, sei außerdem beachtlich: "Herr Buhrow spricht das bisher Unsagbare und Undenkbare aus."

In diesem Satz steckt zunächst einmal eine interessante Definition von Unsagbar- und Undenkbarkeit: Man muss das hier wohl im Sinn von "Es wurde schon oft gesagt und gedacht" verstehen. So oft, dass, wenn die CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung eine ARD-ZDF-Fusion vorschlug, kritische Journalisten das als "einen staubigen Klassiker" einordneten, der "aus der medienpolitischen Mottenkiste geholt" werde. Wer bislang diesen Klassiker allerdings nicht bemüht hat, waren Intendantinnen und Intendanten von ARD und ZDF.

Wo ist sie denn nun, die Revolution?

Macht Buhrows Rede das aber revolutionär? Thomas Lückerath findet bei DWDL.de: "Dass Buhrows Rede schon als Revolution wahrgenommen wird, sagt viel über die bisher insbesondere bei den Öffentlich-Rechtlichen selbst gepflegten Denkverbote. Revolutionär sind seine Gedanken nicht. Dass sie ausgesprochen werden, schon eher." So ist wohl besser formuliert, was Lindner als Tabubruch framete.

Bemerkenswert an Buhrows Rede ist in der Tat, dass sie wie ein systemverändernder Reformanstoß aus den Anstalten selbst klingt. Sowas ist man nicht gewohnt. Es wird nicht allen Intendantinnen und Intendanten gerecht, das so pauschal zu formulieren. Aber das Außenbild, das ARD und ZDF (vielleicht weniger das Deutschlandradio) in der Debatte über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk abgeben, setzt sich eher aus vielen kleinen Selbstverteidigungen und Also-ans-uns-liegt's-ja-nicht-Aussagen zusammen. Zuletzt wunderbar zu bewundern im Doppelinterview der "Zeit" mit besagtem Tom Buhrow und der ehemaligen Gruner+Jahr-Chefin Julia Jäkel (Altpapier), in dem der WDR-Intendant ungefähr so visionär klang wie die SPD in der letzten Großen Koalition. Alles, was an Reform fehle, schrieb er einfach der Politik zu.

So gesehen ist diese jüngste Buhrow-Rede tatsächlich ein Fortschritt. Markus Brauck meint bei spiegel.de dazu: "Er sagt, was viele denken und was in dieser Deutlichkeit noch kein Intendant je öffentlich gesagt hat – über die verkrusteten Strukturen, über das ewige Kleinklein von Landesanstalten und Landespolitik." Dass Buhrows Vorschläge deshalb einer Revolution gleichkommen, ist aber auch Braucks These nicht. Er schränkt sein Lob der Deutlichkeit selbst ein, indem er seinen Kommentar zweiteilt. Teil 1: "Buhrow sprengt das System." Teil 2: "Buhrow bleibt Buhrow" – er sprengt also, frei paraphrasiert, gar nichts. Außer bisweilen die Toleranzgrenzen derer, die den bestbezahlten ARD-Intendanten nicht für den besten Intendanten halten.

Die stärksten Worte findet Revolutionsexperte Willi Winkler in der "Süddeutschen Zeitung". Es wäre nicht angemessen, seinen Text instruktiv zu nennen. Er ist aber amüsant zu lesen für die meisten, die nicht selbst Tom Buhrow sind. Winkler findet, dass Buhrow, "der Meister des wahrlich grellsonnigen Schwafelns", wie ein "Festzelteröffnungsredner von einem rhetorischen Gemeinplatz auf den nächsten hüpfte. Kein Denkverbot blieb ungedacht, kein Tabu, das nicht fallen sollte, keine Stirn, die nicht geboten wurde."

Noch'n Zitat:

"Seit der unglücklich gescheiterten Revolution von 1848 ruft alle zwei Wochen ein Elektromarkt oder eine Frittenbude die Revolution aus, warum also nicht zur Abwechslung ein Intendant, der, man erschauert, 'für meine Person Gesprächsbereitschaft' signalisiert?"

"Ansporn" und Irritation

Nein, keine Revolution, meint auch Gerhart Baum ("Bundesminister a.D. und Mitglied des WDR-Rundfunkrats") in einem Gastbeitrag in der "FAZ": "Tom Buhrows Rede gibt Anlass zur Diskussion, das ist gut. Ein Befreiungsschlag ist sie nicht", schreibt er.

Baum beklagt unter anderem, dass Buhrows Vorschlag, einen Runden Tisch einzurichten, deshalb merkwürdig sei, "weil es doch die Verantwortungsträger gibt: die Länderparlamente, die Landesregierungen, die Gremien der Sender". Was zwar stimmt, die gibt es – aber diese Replik ist selber merkwürdig. Denn dass Buhrow den Runden Tisch vorschlägt, weil diese Verantwortungsträger keine Reformvorschläge unterbreiten würden, darauf geht Baum nicht weiter ein. Anders gesagt: Buhrow sagt, die vorhandenen Institutionen verschleppen Reformen – und deshalb bräuchten wir eine neue Institution. Worauf Baum antwortet, nein, wir brauchen doch keine neue Institution, wir haben doch Institutionen, die für Reformen zuständig sind. Hm?

DWDL.de erklärt das Revolutionspotenzial und implizit auch Baums Reaktion so: "Neu ist allein der runde Tisch, den er [also Buhrow] sich wünscht. Das klingt vernünftig, macht Änderungen allerdings auch nicht einfacher, weil man bestehenden Organen – in Medienpolitik und Rundfunkräten – vor den Kopf stößt."

Kommen wir damit zur Frage, was die bestehenden Organe und anderen Beteiligten zu alldem sagen. Zurückhaltend höflich gegenüber Buhrow sind seine ARD-Intendantenkolleginnen und -kollegen, zumindest die, die sich öffentlich äußern. Sein Nachfolger als ARD-Vorsitzender, SWR-Intendant Kai Gniffke, den die "Süddeutsche" in die Schublade "radikalere Reformer" packt, lässt – zitiert in der "SZ" und in der "FAZ" – ausrichten, er nehme Buhrows Text "als Ansporn, mutig zu sein und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zukunftsfest zu machen". Ganz nett. Aber vor allem diplomatisch. Was man Buhrow innerhalb der ARD vorwerfen könnte und mutmaßlich dürfte, ist, dass er gut reden hat, wenn er nicht mehr machen muss. Er setze als scheidender ARD-Vorsitzender – und WDR-Intendant ist er auch nicht mehr für viele Jahre – "viele seiner Kolleginnen und Kollegen in den ARD-Intendanzen unter Handlungsdruck", formuliert die "Süddeutsche". Der MDR- und "taz"-Kollege Steffen Grimberg findet in der "taz" freilich, genau das mache Buhrow zu einem "alten Fuchs".

Die Frau, die am ehesten für die vielköpfige und kleinteilige deutsche Medienpolitik sprechen kann, Heike Raab, die als SPD-Staatssekretärin in Rheinland-Pfalz die Rundfunkkommission der Länder leitet, sei ebenfalls irritiert ("SZ") beziehungsweise lasse "schwere Säuernis" erkennen ("FAZ"): weil Buhrow und die anderen Intendanten doch erst im Oktober eingeladen gewesen seien, ihre Reformvorschläge einzubringen. "Statt der Ländergemeinschaft, die den Reformdruck klar zum Ausdruck gebracht hat, live zu berichten, wohin die Reise geht, geht Herr Buhrow in den Übersee-Club, sagt, ,Mein Feld ist die Welt, und berichtet im Alleingang, wie er sich die Revolution vorstellt."


Und was sagt das ZDF?

Das ZDF sagt auch etwas zur von Tom Buhrow angestoßenen Diskussion über eine Fusion von ARD und ZDF. Muss es auch, denn für den gestrigen Donnerstag hatte der neue ZDF-Intendant Norbert Himmler zu seinem ersten Pressegespräch eingeladen und wurde dort dazu befragt. Buhrow – und das muss man ihm lassen, falls er das vorhatte – hat die Tagesordnung also aus der Ferne mitbestimmt. "Dass er in seinem ersten Pressegespräch so viel über die Kollegen der ARD reden würde, hatte sich ZDF-Intendant Norbert Himmler, der seit März den Sender leitet, bestimmt nicht vorgestellt" beginnt der Artikel der "FAZ" von Sonntagszeitungsredakteur Harald Staun. Und im "Tagesspiegel" wird über das Gespräch mit Himmler online zwar berichtet, aber unter der Unterzeile "Der ARD-Chef spricht sich für eine Reformdebatte ohne Tabus aus und setzt seinen ZDF-Kollegen Norbert Himmler unter Druck".

Da hat der freilich nicht so viel Lust drauf und sagt zu Buhrows Fusionsüberlegungen: "Zur Qualität des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gehört bisher, aber auch in Zukunft der publizistische Wettbewerb von ARD und ZDF". Die Betonung dürfte in dem Satz auf dem Adjektiv "publizistische" liegen. Thomas Lückerath kommentiert bei DWDL "Man steht zwar programmlich im Wettbewerb (und betont auch stetig, wie wertvoll dieser insbesondere publizistisch sei), doch in medienpolitischen Fragen galt bislang stets ein solidarischer Schulterschluss. Das scheint vorbei zu sein."


Altpapierkorb (ZDF-Mediathek, Interview mit Vaunet-Vorstand, Medienpolitik in Liechtenstein)

+++ Was ZDF-Intendant Norbert Himmler unter anderem sagte, als es im Pressegespräch dann ums ZDF ging: dass Zuschauer und Zuschauerinnen in der ZDF-Mediathek nachlesen könnten, wie dort die persönlichen Empfehlungen zustande kommen. Harald Staun in der "FAZ": "Die Offenlegung der Algorithmen sei ein 'echtes Unterscheidungskriterium‘, sagte Himmler. Beim ZDF würden sie so eingestellt, dass sie den Nutzern 'Angebote‘ machen, 'ihren Horizont zu erweitern‘ und, statt 'more of the same‘ zu empfehlen, Pluralität und Diversität fördern." Staun: "Wenigstens diese Änderung klingt auf ihre Art auch ein kleines bisschen revolutionär, womöglich gelingt es damit tatsächlich, ein Stück des verlorenen Vertrauens wiederherzustellen."

+++ Ein weiterer Bericht über das Pressegespräch mit Himmler steht bei dwdl.de.

+++ Claus Grewenig, Vorstandvorsitzender von Vaunet, dem Verband Privater Medien, fordert im Interview mit Helmut Hartung bei medienpolitik.net, "dass ein wohlüberlegter Neustart im dualen System nötig sei": "Als nachteilig für die private Seite bewertet er den Ausbau der Audioaktivitäten (…) durch die Flexibilisierung des Auftrags, ebenso, wie die Tendenz der Hyperlokalisierung, das heißt die Besetzung durch lokaljournalistische Berichterstattung oder sonstige lokale Präsenz, z.B. auf Städte-, Gemeinde- oder Stadtteil-Ebene. Hierfür gäbe es keinen Auftrag für die landesweit konzipierten ARD-Anstalten."

+++ Ein privater Medienkonzern und Herausgeber zahlreicher Zeitungen möchte die Öffentlich-Rechtlichen übernehmen und privatisiert zu einem Bruchteil der bisherigen Kosten weiter betreiben. So lauten die Nachrichten aus Liechtenstein (medienwoche.ch).

Das nächste Altpapier erscheint am Montag.

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