Das Altpapier am 13. Januar 2023: Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab
Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 13. Januar 2023 Das Klima kam jahrelang zu kurz

13. Januar 2023, 08:34 Uhr

Die ARD hat ihre eigene Klima-Berichterstattung evaluieren lassen – und hat es nun schwarz auf weiß: Sie war bis 2018 ereigniszentriert und insgesamt zu wenig umfangreich. Und auch jetzt ist der Anteil der Sendeminuten zum Thema demnach sehr gering. Die Medienthemen des Tages kommentiert Klaus Raab.

Langweilig, hart bohrend, vielfach geschnipselt: die Talkwoche

Der Erziehungswissenschaftler Wolfgang Klafki hat bereits vor 30 Jahren die Umweltfrage, die man heute sicher eher Klimafrage nennen würde, zu den epochaltypischen Schlüsselproblemen der Menschheit gezählt. Über diese Probleme Bescheid zu wissen, zähle zur Allgemeinbildung, so Klafki (Wikipedia). In die öffentlich-rechtlichen Medienhäuser drang das über Jahrzehnte offensichtlich nicht wirklich durch, wie eine Inhaltsanalyse der Universität Hamburg zeigt. Wir müssen also über die öffentlich-rechtliche Klimaberichterstattung reden. Machen wir gleich. Aber weil Freitag ist, beginnen wir mit einem kleinen Rückblick auf die Medienwoche.

Die Talkwoche nämlich hatte, was die Aufmerksamkeitsverteilung angeht, ihre Höhepunkte. Während am Montag Louis Klamroth eine Talkpremiere in einer Prime Time der ARD feierte, "die so unoriginell vor sich hinplätscherte wie eine Fußballbundesliga-Saison" (wie ich im "Freitag" schrieb), zeigte Sandra Maischberger am Dienstag und Mittwoch in Einzelgesprächen mit Berlins Oberbürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) und Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP), wie man hart nachbohrt, wenn man es mit Leuten zu tun bekommt, die ein Diplom in rhetorischer Ausflucht haben.

Der Aufmerksamkeitsökonom Markus Lanz derweil ließ im ZDF erst CDU-Chef Friedrich Merz grenzwertiges und pauschal abwertendes Zeug über "kleine Paschas" herziehen, um direkt den Soziologen Aladin El-Mafalaani und tags darauf den Politikwissenschaftler Carlo Masala zu einer Gegenrede ansetzen zu lassen. Das Prinzip des Pro und Contra, aber ausgedehnt auf zwei Sendungen: Das sorgte gleich für die vielfache Ration Schnipsel-Konfetti bei Twitter. Es gab Merz-Schnipsel, El-Mafalaani-reagiert-auf-Merz-Schnipsel, Masala-Schnipsel und schließlich, am Donnerstag, auch noch einen von CDU-Mann Paul Ziemiak gestreuten Schnipsel, der laut Ziemiak belegen sollte, dass Merz das Gegenteil von dem gesagt habe, was er eben sehr wohl auch gesagt hatte. "Diskussion über kleinen Ausschnitt von #Merz bei #Lanz zeigt, wie man heute Debatten im Netz lenken kann", schrieb er dazu. Und sein kleiner Ausschnitt zeigt das natürlich auch.

Das Medienformat der Woche: das Liveblog

Das journalistische Format der Woche dürfte trotzdem nicht der Talk, sondern das Liveblog gewesen sein, das von aachener-zeitung.de bis zeit.de zum Einsatz kam. Es gab am gestrigen Donnerstag eines bei rnd.de, bei fr.de, bei zdf.de, bei spiegel.de, bei rp-online.de. Berichtet wurde wieder aus Lützerath. Kommen wir nun also zur aktuellen Klimaberichterstattung. Die Besetzung des Dorfes durch Klimaaktivistinnen und -aktivisten war, auch medienjournalistisch und sogar international (Altpapiere vom Mittwoch und Donnerstag), eines der größeren Medienthemen der Woche. Und am Donnerstag wurde es auch nicht kleiner: "Polizei trägt Luisa Neubauer weg" bzw. "Luisa Neubauer von Polizei weggetragen" lauteten Liveblog-Überschriften am frühen Abend.

Ob die erste Überschrift im Aktiv besser ist, die die Polizisten zu den Hauptfiguren macht, oder die zweite im Passiv, die die uneingeschränkte Aufmerksamkeit auf das Satzsubjekt Neubauer lenkt: Darüber kann man streiten. Dass es sich hier um eine Meldung handelt, die aus den vielen kleinen Lützerath-Meldungen so sehr herausragt, dass sie quer durch die Prärie zur Überschrift taugt: Darüber wohl nicht. Der Faktor Prominenz ist für Medien ein Nachrichtenkriterium. Das ist zweischneidig, aber weil durch Personalisierung die Aufmerksamkeit auf Relevantes und auf Zusammenhänge gelenkt wird, kann man nicht viel dagegen sagen. Jedenfalls wenn die Berichterstattung dann auch Zusammenhänge thematisiert.

Dazu hat Ralf Heimann im Altpapier vom Donnerstag den Soziologen und Protestforscher Simon Teune zitiert, der zur Lützerath-Berichterstattung angemerkt hatte, an ihr könne man "ablesen, dass sehr stark auf das Äußere, oft auf Phänomene, auf Abläufe geguckt wird". Teune sagte aber auch, es gebe " darüber hinaus nicht die Frage, welche Alternativen zu den politischen Maßnahmen, die da jetzt durchgedrückt werden, es geben könnte".

Er hat gewiss einen Punkt. Was Lützerath betrifft, kann man in meiner Wahrnehmung allerdings mittlerweile auch eine zweite Ebene ausmachen. Mittlerweile zumindest wird durchaus darüber nachgedacht, welche Alternativen es zur Räumung des Dorfs geben könnte. In dieser Woche geschah das – um nur einige Beispiele zu nennen – bei "Maischberger", oder in der Berichterstattung über den offenen Brief mehrerer deutscher Prominenter, die eine Neuverhandlung der Verträge zur Räumung des Dorfs forderten; und im "heute journal" kam ein Klimaforscher, Niklas Höhne, ausführlich zu Wort, der darüber sprach.

Oberflächenorientierte Berichterstattung erschöpft sich eben bei länger relevanten Themen irgendwann, sodass dann Stückchen für Stückchen tiefer gegraben wurde. Vielleicht kann man es so zusammenfassen: Die Medien arbeiten in Lützerath wie Bagger. Bevor sie anfangen zu graben, müssen sie erstmal Menschen wegräumen.

Die ARD evaluiert ihre Berichterstattung übers Klima: Es kam zu kurz

Allerdings ist die Lützerath-Berichterstattung nur ein Ausschnitt der Klimaberichterstattung. Wie fiel die über die vergangenen Jahre aus? Die "Frankfurter Rundschau" fasste dieser Tage eine Schweizer Studie von 2021 so zusammen:

"Bis zum Jahr 2018 hatten die Medien das Thema kaum auf dem Schirm. In der gedruckten Presse, also in Zeitungen und Zeitschriften, waren in dem Jahrzehnt davor lediglich 0,24 Prozent aller erschienenen Artikel in Deutschland dem Thema Klimawandel gewidmet, wie ein Schweizer Forschungsteam 2021 in einer Studie zur globalen Klimaberichterstattung ermittelt hat. Der weltweite Durchschnitt lag bei 0,5 Prozent. Auch das war wenig, aber immerhin noch doppelt so viel wie in Deutschland."

Die Frage nach den Quantitäten der Klimaberichterstattung hat sich nun zudem ein Forschungsteam der Universität Hamburg für die Fachzeitschrift "Media Perspektiven" angenommen hat, die vom Intendanten des Hessischen Rundfunks herausgegeben wird, also zum ARD-Kosmos gehört. In dieser Studie geht es explizit um öffentlich-rechtliche Fernsehinhalte. Untersucht wurden zwei Millionen Sendeminuten der "Tagesschau" und des Gesamtprogramms von Das Erste, ZDF und WDR  von 2007 bis 2022 daraufhin, ob der Begriff "Klima" erwähnt wird. Mittlerweile ist diese Analyse, aus der die "Frankfurter Rundschau" vorab zitiert hat, erschienen (hier eine kurze Übersicht und hier der Volltext als pdf). Und zwei der zusammenfassenden Punkte lauten, wieder zitiert nach der "FR":

"In der Tagesschau, der wichtigsten Nachrichtensendung der ARD, gab es demnach über weite Strecken gar keine Berichterstattung zum Klimawandel. Von den rund 3 600 Tagen der Dekade bis 2018 wurde das Klima an rund 2 950 Tagen nicht erwähnt. Damit kam an 82 Prozent aller Tage das Klima nicht vor."

In der Analyse selbst heißt es:

"Zusammenfassend kann man den Beiträgen in der ‚Tagesschau‘ – zumindest bis zum Jahr 2018 – ‚Ereigniszentriertheit‘ (…) zuschreiben, wie sie auch häufig der Berichterstattung zum Thema Klima im Printbereich attestiert wird. Eine Konsequenz dieser Dynamik ist die Abwesenheit des Themas ‚Klima‘ über lange Strecken. Auch hier spiegelt die ‚Tagesschau‘ die geringe Aufmerksamkeit für das Thema in der deutschen Presse über viele Jahre wider."

Mittlerweile würden "vor allem Das Erste, aber auch die anderen beiden Programme in Morgen-, Vorabend-, und Hauptabendsendungen bemerkbar vermehrt über das Klima berichten". Dennoch sei "der prozentuale Anteil der Sendeminuten zum Thema im Großteil des Programms sehr gering".

Vielleicht sollte man an der Stelle aber noch einmal daran erinnern, dass ein "Klima vor 8"-Kurzformat nicht in der ARD, sondern, weil die ARD ein solches Format nicht wollte, bei der RTL-Gruppe unterkam – als "Klima Update". Dessen Ausgaben seien so kurz, schrieb Christian Bartels hier im Altpapier seinerzeit zur Einführung, "dass öffentlich-rechtliche Sender so etwas eigentlich schon dann ausstrahlen könnten, wenn sie auf ein paar ihrer Eigenwerbe-Trailer verzichten würden".


Altpapierkorb (ARD-Kultur-Portal, Rundfunkbeitragserhöhungsdebatte, WM-Quoten, "Tracks"-Einstellung, Dschungel, "Drachenlord"-Interview)

+++ Der eben zitierte Altpapier-Kollege Christian Bartels hat sich für den KNA Mediendienst das neue Kultur-Portal der ARD genauer angeschaut, das seit Oktober in der Beta-Phase herumwerkelt. Und fand Sinnvolles ("Nachvollziehbar und sinnvoll, dass die ARD zeigen will, wie viel Kultur sie in ihren zahlreichen Sendern und Internetauftritten bietet"), aber auch viel Verbesserungswürdiges ("Zugleich präsentiert ARD Kultur sein großes Allerlei aus öffentlich-rechtlichen Inhalten auf suboptimale Weise": mit viel Weißraum und ohne die Möglichkeiten des Internets wirklich zu nutzen).

Spannend werde es, so Bartels, im laufenden Drei-Stufen-Test im Februar, "wenn der MDR-Rundfunkrat, in dem schon gestritten wurde, ob das Portal ohne abgeschlossenen Test überhaupt starten durfte, im Zuge des Tests im Februar neue Gutachten diskutiert. Auch alle anderen ARD-Rundfunkräte müssen nochmals zustimmen. Durchaus möglich, dass eines der Kontrollgremien, die seit dem Skandal um Ex-RBB-Intendantin Patricia Schlesinger wie nie zuvor im Fokus der Aufmerksamkeit stehen, ein Zeichen setzen will, dass Rundfunkräte durchaus inhaltlich und konzeptuell Einfluss nehmen können."

+++ Reiner Haseloff. Dietmar Woidke. Franziska Giffey. Markus Söder. Die Namen von vier Ministerpräsidenten und Landeschefinnen in einem medienjournalistischen Artikel. Worum könnte es also gehen? Bingo, die ewige Rundfunkbeitragserhöhungsdebatte: Sie alle "wollen über 2024 hinaus einen gleichbleibenden Monatsbeitrag von 18,36 Euro", schreibt Joachim Huber im "Tagesspiegel" und prophezeit, dass die Öffentlich-Rechtlichen vielleicht etwas dagegen unternehmen könnten, Stichwort "Bundesverfassungsgericht". Huber kommentiert: "Die Anstalten riskieren eine Menge. Sie spielen mit der Akzeptanz in der Bevölkerung, sie fordern die Rundfunkpolitik zu einer härteren Gangart heraus. Und das, wo seit dem vergangenen Jahr bei ARD, Deutschlandradio und ZDF Demut und neue Bescheidenheit angesagt wäre." Wer sich für weitere Stimmen aus der Politik zum Thema interessiert, wird bei der "FAZ" auch online fündig.

+++ Der Boykott der Fußball-Weltmeisterschaft der Männer in Katar (siehe dazu auch den Altpapier-Jahresrückblick auf die Sportberichterstattung) hat im globalen Maßstab nicht ganz so gut funktioniert: Es sahen insgesamt – wohlgemerkt: nach Schätzungen des ausrichtenden Verbands, der Fifa – mehr als fünf Milliarden Menschen zu, mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung und auch erheblich mehr als die vorangegangene Weltmeisterschaft in Russland, wie "epd Medien" schreibt.

+++ Ebenfalls in der neuen Ausgabe von "epd Medien" analysiert Altpapier-Autor René Martens die Einstellung der Musiksendung "Tracks" bei Arte, über die er hier geschrieben hatte: Das Festhalten am reportageartigen "Tracks"-Ableger "Tracks East" könne "den Wegfall des Popkultur-Magazins nicht kompensieren".

+++ Weil Mitte Januar ist, ziehen wieder Menschen in einen Wald, die dafür Geld bekommen ("Tagesspiegel"). Das Dschungelcamp aka "Ich bin ein Star, holt mich hier raus" hat zudem einen neuen Moderator, wie zu erfahren ist ("SZ").

+++ Dass "Bild" auf einen falschen "Drachenlord" hereingefallen ist, stand beim "Medieninsider" und dann auch gestern hier im Altpapierkorb. "Süddeutsche" und "FAZ" bereiten die Geschehnisse nun noch einmal für ihre Printseiten nach.

Das Altpapier erscheint wieder am Montag. Laut Planungskalender werde wohl ich es schreiben. Bis dahin!

2 Kommentare

goffman am 13.01.2023

„Das Klima kam jahrelang zu kurz“
Immer noch! Wenn man sich die Tragweite dieser Katastrophe anschaut und dann mal vergleicht: Corona, Kriege, Inflation: dazu gibt es Live-Ticker, Corona-Radar und Co. und wie lange dauern diese Krisen an? Wie lange sind die dadurch entstehenden Schäden spürbar?
Die Klimakatastrophe wirkt Jahrtausende, unumkehrbar, global, wird bei einem "Weiter-So" größere Migrationsbewegung auslösen als alle Kriege der letzten Jahre zusammen und sogar Teile des Planeten unbewohnbar machen.

Und da gibt es sogar noch ein Thema, das genauso verheerend ist wie die Klimakatastrophe, verheerender als Corona und Krieg und sogar noch weniger Aufmerksamkeit bekommt:
Das sechste große Massenaussterben der Erdgeschichte, auch menschengemacht.

Atheist am 13.01.2023

„ Das Klima kam jahrelang zu kurz“
Naja, dafür wird jetzt um 200% aufgeholt.
Kein Tag vergeht hier ohne Kämpfer und Co

Mehr vom Altpapier

Kontakt