Das Altpapier am 1. Februar 2023: Porträt der Altpapier-Autorin Jenni Zylka
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Autorin Jenni Zylka kommentiert im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 1. Februar 2023 Und es bewegt sich doch

01. Februar 2023, 09:43 Uhr

Das ZDF verzichtet zukünftig auf Blaublutreporte, Maischberger träumt von Mette-Maret, und ein Mitglied des WDR-Rundfunkrats hat einst für den RWE gearbeitet, und ist jetzt sauer über RWE-kritische Berichterstattung. Heute kommentiert Jenni Zylka die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Schwindelerregende Juvenilisierung

Es geschehen noch Zeichen und Wunder: Das ZDF hat nach einem Bericht in der Bild-Zeitung, der hier nochmal vom Spiegel aufgegriffen wurde, den bereits im Herbst 2022 angekündigten, umfassenden Umbau seines Programm konkretisiert. Und während man quasi hören konnte, wie vor Schreck über die Meldung sämtliche Gebissgläser der Nation umfielen (jaja, alter Witz, immer auf die Kukident-Zielgruppe, ich weiß schon, dass Zahnprothesen mittlerweile gar nicht mehr in Wassergläsern neben dem Bett lagern und grinsen, sondern abends mit einer Schraube aufgezogen werden und die ganze Nacht durch das dunkle Wohnzimmer klappern), unterstrich die seit 100 Tagen amtierende Chefredakteurin Bettina Schausten diese schwindelerregende Juvenilisierung im Tagesspiegel-Interview:

"Unsere Programme werden überdurchschnittlich von Älteren genutzt. Die sind mir als Zuschauer lieb und teuer. Aber wir müssen alle erreichen, auch die Jüngeren, die kaum noch im klassischen TV unterwegs sind. Um die kümmern wir uns jetzt besonders."

Wie man das macht, weiß sie:

"Wir werden im Zuge des Strategieprozesses gezielt umschichten und mehr Programme anbieten, die vor allem Jüngere ansprechen."

Die Ausführung, was das konkret bedeutet, klang ein kleines bisschen vage, aber das mag auch an der Länge des Interviews liegen - oder vielleicht daran, dass das ZDF in den letzten 30 Jahren eher mediokre Erfolge beim Anwerben von jugendlichem Publikum machte. Das wird sich jedoch nun alles ändern, und zwar ungefähr so:

"Oder nehmen Sie "planet e.", ein wichtiges Doku-Format, thematisch aber sehr breit, das wir Richtung Nachhaltigkeit und Klima neu justieren. Diese Themen sind Jüngeren besonders wichtig und wir liefern Aufklärung und Information dazu."

Prominente als Entlastung

Man könnte also sagen: Out with the Boulevard, in with the Klimakrise. Denn, und jetzt kommt’s: Nach 26 Jahren wird das ZDF im Sommer auch sein "People"-Magazin "Leute heute" einstellen. Good gracious! Und was ist, wenn man unbedingt wissen möchte, auf welchem Stand der gnadenlose Kampf in Sachen Prince Harrys "Skandalbuch" ist!? Oder ob Beatrix ihren 85. allein feiern muss, weil ihre Familie gerade "den karibischen Teil des Königreichs" besucht, wie der Merkur hier in erschreckend eindeutigem Kolonialmachtwording berichtet?!! Aber da kennt das ZDF kein Pardon:

"…die Berichterstattung über Prominente, die ja eine wichtige Entlastungsfunktion hat und auch weiter stattfinden wird, braucht im Jahr 2023 keine eigene TV-Sendung mehr. Die Redaktion wird ihre Themen künftig für andere Sendungen, die Mediathek und für ZDFheute produzieren. So können wir Ressourcen für andere Aufgaben freibekommen."

Denn man tau. Da muss man eben lernen, sich anders zu "entlasten".

Übrigens hat die taz fast zeitgleich ein hübsches Interview mit Julia Mateus, der neuen Chefredakteurin der Titanic geführt, dessen Fragen (leider nicht die Antworten) zum Teil auf eine fast gruselige Weise denen gleichen, die der Tagesspiegel an Bettina Schausten gestellt hatte... Zufall?!

Taz:

"Was haben Sie als Erstes abgeschafft?"

Mateus: "Um Druckkosten zu sparen, darf in Titanic-Texten kein Semikolon mehr gesetzt werden, sondern nur ein Komma oder ein Punkt."

"Was haben Sie als Erstes angeschafft?"

Mateus: "Freizeichenmusik! Wer in der Redaktion anruft, hört seit Neuestem anstelle des Tutens Musik von sympathischen politischen Liedermachern."

Tagesspiegel:

"Wem im ZDF wird Geld genommen, wem gegeben?"

Schausten: "In den nächsten zwei Jahren werden wir 100 Millionen Euro vom Linearen ins Digitale verschieben." (etc etc etc)

"Sehr schön, wem im ZDF wird Geld genommen?"

Schausten: "Wenn wir Neues machen, müssen wir auf Bestehendes verzichten." (etc etc etc)

Maischbergers Blaublutbrand

Hihi! Aber nochmal zurück zu den angesprochenen Ressourcen für Adelsnachrichten: Die Zeiten, als norwegische Prinzessinnen noch von eifrigen ntv-Reporterinnen per Fernsehscheinwerfer angekokelt wurden (hier für die Babys und die Vergesslichen unter uns ein alter Spiegel-Artikel dazu), sind fast genauso lange vorbei. Lustigerweise erinnerte die damalige Blaublut-Pyromanin Sandra Maischberger selbst in einem lebendigen Interview im Fernsehsalon der Deutschen Kinemathek neulich an das Fernsehereignis, das die arme Mette-Marit für immer im kollektiven Pop-Gedächtnis Deutschlands, nun ja, einbrannte:

"Wir saßen draußen in der norwegischen Maisonne, und (…) ich kriegte dann am Sonntag (…) aus dem Königshaus in Norwegen einen Anruf, was ich mit der Prinzessin gemacht hätte. Die hätte Verbrennungen 5. Grades oder sowas, das klang wahnsinnig dramatisch. (…) Sie hat sich vollständig erholt, aber ich habe tagelang von so Blasen geträumt…"

Der Botschafter von Norwegen, anekdotelt Maischberger weiter, habe aber gefunden, dass "Norwegen dadurch auf eine sympathische Art und Weise in die Öffentlichkeit gekommen sei", und ihr dafür einen "Goldenen Lachs" überreicht, obendrein einige Tonnen echten Lachs. Das nennt man dann wohl norwegischen Humor, haha, bzw. hår hår. Im weiteren Gespräch gab es außer noch mehr Döneken auch einiges an Maischenberger‘schen Grundsätzen zu hören: 

"Ich finde es manchmal wohltuend, zu hören, wie jemand anders etwas sieht, und dann zu sagen. Ah, interessant, so kann man das auch sehen."

Gollands Brandbrief

Klingt doch schön nach – etwas bemühter - Duldsamkeit. Ein bisschen war auch die älter werdende ARD Thema, es fiel sogar der Name Louis Klamroth als Staffelstabübernehmer von Frank Plasberg bei "Hart aber fair" - und dazu passt dann wieder folgender kleiner Tröt, den der Verein "Klimavoracht" gestern auf Mastodon absetzte:

"Hart aber Fair Moderator Louis Klamroth wird von Mitgliedern des WDR-Rundfunkrates Befangenheit vorgeworfen, die selbst Interessenvertreter von Kohlekonzernen sind."

Es geht um die viel kritisierte Klamroth-Neubauer-Connection, deren Medienecho unter anderem hier und hier auch schon im Altpapier Thema war. Den Hintergrund hängte Klimavoracht gleich dran: Der Kölner Stadtanzeiger hatte bereits im September 2021 darüber berichtet, dass der Brühler CDU-Abgeordnete Gregor Golland für RWE tätig war, und zwar für ein äußerst kalorienreiches Handgeld:

"Der Brühler CDU-Landtagsabgeordnete Gregor Golland hat jetzt den Umfang seiner Einnahmen im Jahr 2015 offengelegt. Demnach erhält er für seine Nebentätigkeit bei der RWE BBS GmbH eine Vergütung der Stufe 9, also 90.000 bis 120.000 Euro im Jahr."

Yup. Jener Golland wiederum verhält sich in Sachen Klamroth und "Compliance" dagegen gerade päpstlicher als Papst Pius I., und pocht auf einen Brandbrief aufgrund der angeblichen Befangenheit Klamroths, wie der Merkur unter Bezugnahme auf ein Golland-Interview mit dem Focus berichtet:

"Im Interview mit Focus Online monierte der CDU-Politiker Gregor Golland, der dem WDR-Rundfunkrat angehört: "Es sind so viele kleine Dinge, die das Fass zum Überlaufen gebracht haben. Deswegen haben die CDU-Rundfunkräte – und zwar mit voller Rückendeckung der gesamten NRW-Landtagsfraktion – einen Brandbrief an den WDR-Intendanten Tom Buhrow geschrieben."

Nochmal ganz kurz zum Verständnis: Der WDR sah sich Vorwürfen gegenüber, in einem Ticker falsch über Polizeiaktionen bei der Räumung Lützeraths zugunsten eines Braunkohletagebaus von RWE berichtet zu haben. (Hier findet sich übrigens auch noch ein langer Artikel in der FAZ zur Rundfunkratssitzung am vergangenen Montag.)

Und nebenbei: Das Focus-Interview, aus dem der Merkur zitierte, hat sich verdünnisiert – man findet zwar noch die Ankündigung, aber die Seite selbst "kann nicht angezeigt werden". Verrückte Welt.

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+++ Von wegen kein Interesse mehr an Adelsnews: Der Stern berichtet, dass Prinzessin Kate einen neuen Instagram-Account vorgestellt hat, der "Shaping Us" heißt – und in dem es um "das geht, was uns geprägt hat". Und nicht um Fitness, wie es der Name vermuten lässt. +++

+++ Noch eine Insta-Story, slightly anderes Thema: "Instagram steht kurz vor 'Free the Nipple'", berichtet die US-Vogue (hier übersetzt in der deutschen Vogue, interessanterweise auch mit einem anderen Foto.) Die Vorgeschichte steht in beiden Artikeln. +++

+++ Und auf tagesschau.de findet sich dieser Artikel über die gar nicht mehr so rosige Zukunft der Streaming-Dienste, die unter der Krise und den steigenden Kosten leiden, und sich trotz Ideen wie dem Netflix-Werbe-Abo gegenüber dem "Big Tech"-Modell (zum Beispiel bei amazon, das seine Dienste mit anderen Leistungen zusammen anbietet) im Nachteil sehen könnten. +++

Das nächste Altpapier schreibt am Donnerstag Ralf Heimann.

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