Das Altpapier am 30. Januar 2023: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Autor Christian Bartels kommentiert im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 31. Januar 2023 Gern mal ein Eklat

31. Januar 2023, 09:43 Uhr

Die Rundfunkräte stehen 2023 im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit. Bertelsmann-Chef Thomas Rabe agiert unglücklich, die Kartellämter tun's aber auch. Außerdem: Erodiert Twitter langsam vor sich hin? Und: wer dem ARD-Vorsitzenden mal Mastodon zeigen könnte... Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Bertelsmann hat kein Glück & dann auch noch Pech

Bertelsmann schon wieder in den Medienmedien-Schlagzeilen? Da geht's wohl um ein pompös angekündigtes Projekt oder um dessen Platzen.

Jawohl, ein Fernsehgruppen-Fusionsplan des größten deutschen Medienkonzerns ist "auch in den Niederlanden gescheitert" (dwdl.de), also die "RTL-Fusion mit Talpa ... geplatzt" bzw. "krachend gescheitert" (meedia.de jeweils). Dass die niederländische Kartellbehörde eine Untersagung ankündigte, ist die "vierte Schlappe in Folge" für den Gütersloher, zählt das "Handelsblatt" auf. Bei Talpa handelt es sich um das ehemalige Endemol, also einen ziemlich großen Fernseh-Laden. RTL wäre im Fusionsfall 70-prozentiger Mehrheitsgesellschafter geworden, während es beim ähnlich gelagerten – schon zuvor verbotenen  – Plan in Frankreich Minderheitsgesellschafter geworden wäre.

"Thomas Rabes Zeit als Bertelsmann-Chef scheint abzulaufen", kommentiert meedia.de bereits und sieht einen "potentiellen Nachfolger" in Carsten Coesfeld. Der ist zwar erst Mitte 30, aber "seit Sommer Chef von Bertelsmann Investment, dem globalen Wagniskapitalfinanzierer", und außerdem ein Enkel von Reinhard Mohn, also Spross der Eigentümerfamilie. (Allerdings nicht identisch mit Thomas Coesfeld, der 2024 den Ex-Punkrocker Hartwig Masuch als Chef der Bertelsmann Music Group, des inzwischen wieder "viertgrößten Musikunternehmens der Welt", ablösen soll, wie die "FAZ" gerade ausführlich berichtet; falls wer tiefer einsteigen wollen sollte: Hier wären beide Coesfelds mit ihrer Stiefoma zu sehen...).

Klar agiert Thomas Rabe einerseits unglücklich bis unbeholfen – "Rabenvater" wurde er auf Demos gegen die maßgeblich von ihm initiierte, geradezu tölpelhafte Gruner+Jahr-Abwicklung genannt. Andererseits war seine Strategie, in europäischen Ländern jeweils durch Fusionen "nationale Champions" zu gründen, um im globalen Wettbewerb bestehen zu können, "grundsätzlich richtig", zitiert das "Handelsblatt" einen Analysten. Die "FAZ" meint:

"Er glaubt, dass 'nationale Medienchampions' es am ehesten noch mit den stark gewachsenen Streaming-Angeboten von Netflix, Amazon und Disney aufnehmen können. 'Faking Hitler' statt 'The Crown' – so kann das schon klappen. Rabe hoffte offenbar auf Zustimmung der Kartellbehörden, weil seine Sichtweise auch eine gesellschaftspolitische Dimension hat. Doch sein Kalkül geht nicht auf."

Tatsächlich mutet es seltsam an, wie Kartellämter europaweit das lineare werbefinanzierte Fernsehen weiterhin zum Maßstab nehmen, obwohl doch sogar die deutschen Öffentlich-Rechtlichen, denen niemand weit in die Zukunft ausgreifende Visionen bescheinigen würden, längst bemerkt haben, wie rasant sich weite Teile der Bewegtbildnutzung ins Nonlineare verlagern. Da konkurrieren private Fernsehsender dann außer mit finanzstarken öffentlich-rechtlichen mit Amazon und DAZN, Netflix und Googles Youtube, die teils ebenfalls höchste Werbeeinnahmen erzielen. Durch solche vorgestrigen Verbote machen es die Kartellbehörden etablierten europäischen Verlags- und Fernsehkonzernen schwer, sich zu behaupten, und US-amerikanischen Datenkraken umso leichter, noch mehr Abermilliarden aus europäischen Märkten herauszuholen.

Neues aus den Rundfunkräten (WDR, MDR, RBB)

Der erste Monat des Jahres 2023 endet, und ein kleiner Medienmedien-Megatrend zeichnet sich deutlich ab: Rundfunkratssitzungen erhalten im Jahr 1 nach dem Schlesinger-Skandal grundsätzlich wesentlich mehr Aufmerksamkeit als zuvor. Von Gremien-Gremlins, wie einst in den Nuller Jahren Günter Jauch würde niemand mehr reden.

Heute steigt beim WDR die Sitzung, für die die "Welt" einen "Eklat" vorhersagte (Altpapier). Um den "Hart aber fair"-Moderator Louis Klamroth und seine Beziehung zur Klima-Aktivistin Luisa Neubauer soll es gehen. Punktgenau widmete Klamroth die Talkshow gestern dem Thema Klima. "Moderator Klamroth vermied erfolgreich jegliche Nähe zur 'Letzte Generation'-Aktivistin van Baalen", meint der "Stadtanzeiger" vom WDR-Standort Köln. "Das Ziel dieser Sendung schien ... der Beweis zu sein: Louis Klamroth ist trotz seiner Beziehung ... Neubauer sehr wohl in der Lage, offen und neutral über das Klima diskutieren zu lassen", schreibt Kurt Sagatz bei tagesspiegel.de, nachdem Kollege Ehrenberg dem Moderator zuvor schon bescheinigt hatte, "bisher ... in seiner Sendung nicht negativ aufgefallen" zu sein. Wirklich positiv fiel Klamroth freilich auch kaum auf, wie Senta Krasser im KNA-Mediendienst (€) beschrieb.

Gestern tagte der Rat bei unserem MDR. Offenbar wurde länger über "die eingeschränkte Auswahlmöglichkeit" der Rundfunkratsmitglieder bei der für März terminierten Intendanten-Wahl gestritten, berichtet flurfunk-dresden.de. Außerdem interessant: MDR-Programmdirektor Klaus Brinkbäumer erklärte, seine zehn Moderationen der Talkshow "Riverboat" "honorarfrei" zu absolvieren. Hübsche Geste in Zeiten wie diesen. Wenn es den Gremien dann noch gelänge, auch die Honorare der Talkshowmoderatoren, die für ihre Arbeit bezahlt werden, öffentlich zu machen, wäre das echt was wert.

Noch nachgetragen werden muss die wegen ihrer kurzfristigen Verschiebung umso gespannter erwartete Sondersitzung des RBB-Rundfunkrats am Freitag. Da ging es um die hohen Anwaltshonorare, die zur Schlesinger-Affären-Klärung schon aufliefen, ohne dass irgendein Ergebnis vorliegt, und wiederum schärfer zur Sache. Die "SZ" fasste so zusammen:

"Tatsächlich sieht es so aus, als habe der Anspruch, die Kanzlei [Lutz/ Abel] 'vollumfänglich' aufklären zu lassen, den Sender in ein ganz neues Dilemma geführt - und Intendantin Katrin Vernau in die Lage, als Senderchefin an Programm und Mitarbeitern zu sparen, um dafür eine Schar Anwälte zu bezahlen. Vernau selbst versuchte den millionenschweren Rattenschwanz zu verteidigen: 'Die Anwaltskosten waren bekannt.'..."

Wobei der Auftrag an die Anwälte noch von "Frau Schlesinger und Frau Lange" vergeben wurde, als diese beiden Spitzenverdienerinnen des RBB noch in Amt und Würden waren, wie der Rundfunkratsvorsitzende Ralf Roggenbuck im "Medienmagazin"-Interview (ab ca. Min. 14:00) sagt. Auch da ist ein vergleichsweise scharfer Ton kaum zu überhören.

Ob die Arbeit der Anwälte dem RBB und damit "dem Beitragszahler" hilft, sogar Geld von Schlesinger und Co zurückfordern zu können – so geht ja die Argumentation der aktuellen Intendantin (Altpapier) – wird sich frühestens erst Ende April herausstellen, wenn die Kanzlei ihre teure Arbeit abgeschlossen haben könnte. Zumindest der scharfe Ton der Diskussion aber ist ein gutes Zeichen, würde ich sagen. Wenn es heute in Köln und/oder demnächst anderswo mal zu Eklats zwischen Gremien und Intendanten käme, könnte das den oft bemühten Narrativen, dass die Rundfunkräte die öffentlich-rechtlichen Anstalten kontrollieren, und also, dass die Anstalten tatsächlich kontrolliert werden, nur gut tun. Völlig unabhängig von inhaltlichen Fragen. In Gremien, die die Gesellschaft halbwegs repräsentieren, müsste es selbstverständlich äußerst unterschiedliche Ansichten geben.

Neues von Twitter und Mastodon

Bleibt oder wird Twitter doch wieder, als was viele auch in Deutschland es schätzten, bevor Elon Musk es kaufte? Unklar. "Dass die Plattform langsam, aber sicher erodiert", würden Jannis Brühl und Simon Hurtz sagen, nachdem sie für die "SZ" mit deren früherem "Site Reliability Engineer" Ramin Khatibi sprachen. Den zitieren sie so:

"Die Plattform ist ein komplexes Geflecht aus Datenbanken, Servern und Code - bei Twitter gilt es als ein besonders undurchschaubares Dickicht. Musk vergleicht die Plattform mit einer Rube-Goldberg-Maschine, also mit einem nichtsnutzigen, aber unterhaltsamen Apparat, der einfache Dinge extrem kompliziert macht. Angeblich denkt der neue Chef deshalb darüber nach, den kompletten Programmcode in die Tonne zu treten und bei Null anzufangen. Dafür spricht, dass er etliche Entwickler feuerte, die teils seit mehr als einem Jahrzehnt für das Unternehmen arbeiteten. Mit ihnen gingen aber auch genau jene, die verstehen, wie das System funktioniert."

Während Code Elon Musk womöglich egal ist, sind Twitters Einnahmen, auch fast ausschließlich aus Werbung, es eher nicht. Im Dezember fielen sie um sagenhafte 71 Prozent, nachdem sie im November erst um bloß 55 Prozent gefallen waren. Das meldete kürzlich Reuters. Hierzulande blieb das eher unbeachtet. Wer die Meldung teilte: Jeff Jarvis auf Mastodon.

Gelegenheit für einen weiteren Appell fürs komplexe "Fediverse", zu dessen wesentlichen Teilen das Netzwerk Mastodon gehört:

"Dezentrale soziale Netzwerke entsprechen dem dezentralen Charakter von Forschung und Lehre an Hochschulen. So wie das Internet zunächst vor allem ein Netzwerk von Universitätsnetzwerken war, könnten auch Hochschulen dazu beitragen, das Fediverse von der Nische in den Mainstream zu bringen, und dabei eine ideale Kommunikationsinfrastruktur für wissenschaftlichen Austausch schaffen",

schreibt ZDF-Verwaltungsratsmitglied Leonard Dobusch bei netzpolitik.org. Das bezieht sich also auf Universitäten und weitere Hochschulen. Wobei: Dezentralität stellt ja auch die positive Seite der Medaille der kleinstaatlich organisierten Rundfunkanstalten-Landschaft dar, in der viele Rundfunkräte jede "Rote Rosen"-Staffelverlängerung absegnen müssen und zahlreiche Intendantinnen und Intendanten Bundeskanzler-artige Gehälter beziehen. "Wer zeigt Kai Gniffke Mastodon?" fragte Dirk von Gehlen kürzlich in seinem Blog.

Vielleicht könnten ja Svenja Siegert und Birand Bingül, die FischerAppelt-Berater, die den ARD-Vorsitzenden derzeit zusätzlich beraten (AP gestern), und als vormalige WDR-Sprecher sowie noch vormaligere Journalisten bekannt sind, ihr ungenanntes Beratungs-Honorar um einen Mastodon-Bonus erhöhen und Gniffke dann mal informieren.


Altpapierkorb (Landesverrat, Linksverschiebung, Megayacht, Digitalsteuer, ChatGPT, "In aller Freundschaft")

+++ 4.200 Euro Geldstrafe wegen "Offenlegung von Staatsgeheimnissen", also Landesverrat? Solch ein Urteil gegen Journalisten fiel wegen ihrer Recherchen in Finnland. Reinhard Wolff nennt es in der "taz" einen "gefährlichen Präzedenzfall". +++

+++ "Die Linksverschiebung im Berufsfeld Journalismus" läuft schon seit Jahrzehnten, zitiert die "Welt" (€) den Leipziger Kommunikations-Professor Christian Pieter Hoffmann aus einem "ausführlichen wissenschaftlichen Überblicksartikel für die Konrad-Adenauer-Stiftung". Und: "Die ökonomische Krise des Journalismus lässt vermuten, dass materielle Motive eher nicht zum Eintritt in dieses Berufsfeld anregen. Materielle Motive sind jedoch bedeutender für die Berufswahl konservativer Personen, während links orientierte Personen eine stärkere Befriedigung aus politischem Aktivismus beziehen." +++

+++ Die "Washington Post" kostete Jeff Bezos, den Chef des übelsten Datenkraken Amazon, immerhin rund halb so viel wie seine Megayacht. Nun bewegt sich aber auch die Zeitung "in schwerer See", schreibt Konrad Ege bei "epd medien". +++

+++ Österreich ist zufrieden mit rund 96 Millionen Euro Einnahmen aus seiner neuen Digitalsteuer, die vor allem auf Banner- oder Suchmaschinenwerbung zielt ("Standard"). +++

+++ Die "taz" konnte die Einnahmen aus ihrem "spendenbasierten Paid-Content-Modell" im Jahr 2022 um dreizehn Prozent auf "mehr als 2,66 Millionen Euro" steigern. +++

+++ "Es stimmt, dass die Verwendung von künstlicher Intelligenz wie mir dazu führen kann, dass bestimmte Aufgaben, die früher von Menschen erledigt wurden, nun von Maschinen übernommen werden. Im Falle des Journalismus kann dies bedeuten, dass die Verwendung von künstlicher Intelligenz dazu führen kann, dass einige Aufgaben, wie z.B. die Erstellung von Nachrichtenmeldungen oder die Übersetzung von Inhalten, von Maschinen übernommen werden. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass die Verwendung von künstlicher Intelligenz auch die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen und Möglichkeiten ermöglichen kann ...". Sagt ChatGPT im "Telepolis"-Interview auf die Frage, ob die KI-Software menschliche Journalisten überflüssig machen kann. +++

+++ Neue Runde im Streit zwischen uebermedien.de und dem "Katapult"-Magazin aus Greifswald (Altpapierkorb im April '21)? "Ukrainische Journalisten werfen 'Katapult' vor, sie benutzt und dann fallen gelassen zu haben", schreibt Stefan Niggemeier. +++

+++ Hoch- bis Spät-Feuilletonismus in schönster Blüte dann noch, wenn Tilman Spreckelsen auf der "FAZ"-Medienseite anhand des Tausend-Folgen-Jubiläums der MDR/ARD-Arztserie "In aller Freundschaft" die deutsche Romantik rekapituliert – nicht die noch andauernde fernsehgeschichtliche Epoche, in der ARD und ZDF hunderte romantische Schmonzetten pro Jahr raushauen, sondern die länger zurückliegende literarische ... +++

Das nächste Altpapier schreibt am Mittwoch Jenni Zylka.

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