Das Altpapier am 16. Februar 2023: Porträt der Altpapier-Autorin Annika Schneider
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Autor Annika Schneider kommentiert im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 17. Februar 2023 Meinung und Macht made by Springer

17. Februar 2023, 09:29 Uhr

Während der Springer-TV-Chef noch von seinem Programm schwärmt, schaut sein Boss Döpfner längst ganz woanders hin. Kann er nur hoffen, dass seine US-Partner kein "Reschke Fernsehen" schauen. Die Medienthemen des Tages kommentiert Annika Schneider.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Meinung macht Quote

Dass Meinung und Information unzulässig vermischt werden, gehört zu den Standardvorwürfen gegen die öffentlich-rechtlichen Sender. Als die Rundfunkkommission der Länder zuletzt die breite Öffentlichkeit um Kommentare zur geplanten Rundfunkreform bat, nahm die Kritik am angeblichen "Meinungsjournalismus" der Sender breiten Raum ein. Die Länderchefs hielten deswegen im Herbst noch einmal ausdrücklich fest (in ihrer Begründung zum Dritten Medienänderungsstaatsvertrag):

"Die Bindung der Rundfunkanstalten an die Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit steht dabei Formaten nicht entgegen, die bewusst und erkennbar subjektiv sind, beispielsweise Meinungen, Kommentare oder Kabarett und Satire. Solche Formate sind Teil der abzubildenden Meinungsvielfalt. Insbesondere Information und Berichterstattung haben jedoch objektiv und unparteilich zu sein."

Meinung hat also in neutraler Berichterstattung nichts zu suchen, ist aber grundsätzlich schon gefragt – ganz ähnlich sieht das Frank Hoffmann, der bei Axel Springer unter anderem die TV-Programme von "Welt" und "Bild" verantwortet:

"Mit Meinung kann man sich vom Wettbewerb abgrenzen und Profil gewinnen, was mit der klassischen Nachrichtenberichterstattung so nicht möglich ist. […] Die Nachricht ist möglicherweise schon bekannt, also braucht es mehr. Es braucht Einordnung und Vertiefung. Deswegen ist es nötig, den Begriff des Nachrichtenfernsehen weiter zu fassen als früher und nicht nur die reine Chronistenpflicht zu bedienen, sondern auch Meinungen zu liefern – natürlich sorgfältig als solche gekennzeichnet."

Gesagt hat Hoffmann das in einem Interview, das Thomas Lückerath mit ihm für DWDL geführt hat. Der Senderchef suggeriert damit, dass "Einordnung und Vertiefung" vor allem Meinung bedeutet, was natürlich nicht der Fall ist. Klar ist aber auch, dass gerade bei "Welt" und "Bild" Meinung eine wichtige Säule der eigenen Strategie ist. 

Auswandererträume bei Springer

Interessant ist an dem Gespräch aber noch etwas Anderes: wie überzeugt der Fernsehmacher seine Nischensender als Erfolgsgeschichte verkauft. Dass der Springer-Konzern seine Ambitionen längst auf ganz andere Geschäftsfelder richtet, war vor kurzem erst Inhalt eines Interviews mit Konzernchef Mathias Döpfner und Thema im Altpapier. Nun haben sich wieder zwei ausführliche Texte mit Axel Springer beschäftigt.  Den Artikel im "Manager Magazin" (€), auf den ich leider nicht direkt zugreifen kann, fasst turi2 folgendermaßen zusammen:

"Das Geschäft der 'Bild'/'Welt'-Gruppe bewerten 'Manager Magazin'-Redakteurin Christina Kyriasoglou und Chef­redakteur Martin Noé als 'eine kapital­markt­mäßig fast zu vernach­lässigende Größe – spätestens seit dem Scheitern von Bild TV'. Früher habe es 'satt dreistellige Gewinne' gegeben, die nun am Sinken seien und internen Kalkulationen zufolge auf dem jetzigen Kurs in fünf Jahren 'bei null' stünden."

Demnach könnten die deutschen Mediengeschäfte in Zukunft kaum noch eine Rolle spielen, im Zentrum des Konzerns stattdessen die US-Marken "Business Insider" und "Politico" stehen. Auch die "Wirtschaftswoche (€)" berichtet über Döpfners "transatlantische Träume".

Reschke über Reichelt

Hoffen kann Döpfner dabei nur, dass seine US-amerikanischen Geschäftspartner nicht zu genau in die ARD-Mediathek schauen. Anja Reschke hat sich in ihrer neuen Late-Night-Show "Reschke Fernsehen" nämlich noch einmal den Ex-"Bild"-Chef Julian Reichelt vorgeknöpft. Das begründet sie zu Beginn der Sendung so:

"Es läuft, wie es immer läuft bei diesen Skandalen: Männer in Machtpositionen haben ihren Spaß. Manchmal jahrelang. Und wenn sie auffliegen, dann haben wir unseren Spaß – als Voyeure. Wir weiden uns an pikanten Details, wir glotzen voll interessierter Abscheu auf das Zerfleddern dieses Skandals. Und dann, wenn wir satt sind und kein neues Futter kommt, dann wenden wir uns ab und vergessen langsam, was war. Bis zum nächsten #MeToo-Einzelfall."

Um dem Vergessen in diesem Fall vorzubeugen, hat Reschke eine – nach eigener Aussage – "Rechercheshow über Sex und Macht" zusammengebastelt, und dafür unter anderem mit einer ganzen Reihe von ehemaligen und aktuellen Beschäftigten bei Springer über Reichelt gesprochen. Wirklich Neues fördert die Sendung nicht zutage, aber sie untermauert bisher Bekanntes mit weiteren Aussagen und zeichnet eindrücklich nach, wie Reichelt im Konzern agierte, dabei von Döpfner geschützt wurde und was das Ganze mit systematischem Machtmissbrauch zu tun hat. Details der Recherche finden sich zum Nachlesen bei der "Tagesschau".

Nach dem eher durchwachsenen Start von Reschkes Show (Altpapier), gibt es zwar auch in dieser Folge einige verzichtbare, weil unkreative Gags, aber das Format punktet diesmal mit Relevanz, Recherche und einigem Mut – ein Schreiben von Reichelts Anwalt bindet die erfahrene Investigativ-Journalistin Reschke lässig-leger in ihre Moderationen ein.

Ein entsprechendes Medienecho gibt es schon. Über die in der Sendung erhobenen Vorwürfe berichten unter anderem der "Tagesspiegel" und "Spiegel online" (€).


Altpapierkorb

+++ Eigentlich wollte die oben schon erwähnte Rundfunkkommission diese Woche beschließen, wie sich der "Zukunftsrat" zusammensetzen wird, der über die Zukunft der Öffentlich-Rechtlichen nachdenken soll. Auf konkrete Personen habe man sich aber nicht einigen können, ist in der FAZ zu lesen. Dort äußert sich Rainer Robra, Chef der Staatskanzlei Sachsen-Anhalt, in einem Interview mit Helmut Hartung zu den Plänen. Er fordert eine Abkehr von "absolutistisch regierenden Intendanten" und nimmt auch gezielt das ZDF in den Blick: "Gelegentlich vermittelt das ZDF den Eindruck, die Reformen gingen sie nichts an. Das ist ein fundamentaler Irrtum. Die Reformnotwendigkeit ist möglicherweise bei der ARD gravierender, doch es geht darum, das öffentlich-rechtliche System insgesamt zu reformieren, und dazu gehört auch das ZDF."

+++ "Ohne Risiko gibt es im Krieg keine guten Fotos" – unter diese Überschrift hat die SZ ein Interview mit dem ukrainischen Fotografen Evgeniy Maloletka gestellt, der unter anderem wochenlang im belagerten Mariupol gearbeitet hat. Dabei geht er enorme Risiken ein: "Manchmal ist die Straße, die aus einem umkämpften Gebiet führt, unter Beschuss, dann muss man sehr schnell fahren, um nicht getroffen zu werden." Nachzulesen ist das eindrückliche und schwer zu ertragende Gespräch auf der Print-Medienseite oder, sehr gut mit Fotos aufbereitet, online (€).

+++ Neue Programmdirektorin beim rbb könnte eine Frau aus dem eigenen Haus werden, die gleichzeitig auch Erfahrung aus einer anderen ARD-Anstalt mitbringt: Martina Zöllner ist seit 2017 rbb-Kulturchefin und war vorher lange beim SWR. Wenn es nach der Aufräum-Intendantin Kathrin Vernau geht, soll sie nun Nachfolgerin von Jan Schulte-Kellinghaus werden, wie DWDL berichtet. Der Verwaltungsrat muss allerdings noch zustimmen. Wie außerdem bei "Spiegel online" zu lesen ist, wehrt sich der bisherige Betriebsdirektor des rbb, Christoph Augenstein, vor Gericht gegen seine fristlose Kündigung – wie vor ihm schon zwei andere Führungskräfte des Senders.

+++ Seit Mai gibt es einen digitalen Radiosender, der eigens von einem Unternehmen finanziert wird: "Brillux Radio" vom Farben- und Lackhersteller Brillux. Wie sich das Sponsoring im Programm spiegelt, hatte sich Christoph Sterz schon einmal kritisch für den Deutschlandfunk angeschaut. Bei "Radioszene" gibt es nun auch ein Interview mit dem Senderchef Sebastian Trzaska zu lesen. Schlucken musste ich als Deutschlandfunk-Radiomacherin bei folgendem Zitat: "Wenn der Inhalt die Länge trägt, dürfen schöne Hörstücke auch mal zwei Minuten haben." Hmpf.

+++ Zum Schluss noch ein Hinweis in eigener Sache: Alles rund ums Thema Haltung und Meinung im Journalismus gibt es schon seit einigen Wochen gleich hier nebenan in einem Dossier von Medien360G zu lesen und zu sehen. Neu hinzugekommen ist ein 25-minütiges Audio, in dem ich mit zwei Podcast-Profis darüber diskutiere, ob speziell journalistische Podcasts die Grenze zwischen Information und Meinung zunehmend verwischen (womit wir beim Anfang dieses Altpapiers wären). Funk-Podcast-Host Leo Braun und die Podcast-Forscherin Vera Katzenberger erklären unter anderem, warum in Podcasts viel Persönlichkeit nicht unbedingt viel Meinung bedeutet und warum die aktuelle Journalistenausbildung aufs Podcast-Hosten noch nicht gut vorbereitet.

Das nächste Altpapier kommt am Rosenmontag von René Martens. Schönes Wochenende!

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