Das Altpapier am 28. Februar 2023: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 28. Februar 2023 Maut auf der Daten-Autobahn?

28. Februar 2023, 10:14 Uhr

Die EU will Infrastruktur-Geld von Netflix. Die Bundesregierung erwägt, gegen den Bundes-Datenschützer zu klagen und zahlte einer ProSieben-Moderation mehr als 1000 Euro. Im RBB-Rundfunkrat wird's spannend, und ein ARD-Anstalten-Intendant spricht vom "Schrumpfen". Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Neues aus der Internet-Medienpolitik der EU

Es gibt eine neue netz- und damit medienpolitische Initiative der EU. Sie "will Netflix, Google und Co. für Datenverbrauch der Nutzer zur Kasse bitten", schreibt der "Standard". Und auch "Süddeutsche" und "FAZ" berichten ähnliches aus Barcelona, von der, wow, "größten Mobilfunkmesse der Welt". Eine einprägsame Faustregel flankiert die Berichte: "Fünf Firmen sind für 55 Prozent des Datenverkehrs verantwortlich", nämlich die, die dafür sorgen, dass vor allem Videoinhalte auf vor allem mobile Geräte gestreamt werden. Also Google mit seinem Youtube, Netflix, Amazon, Meta und Apple. Schon weil diese abermilliardenschweren Konzerne allesamt US-amerikanisch sind, scheint freilich ungewiss, ob die EU ihre Initiative verwirklichen kann:

"Kritiker dieser auch als 'Datenverkehrssteuer' bezeichneten Abgabe weisen indes darauf hin, dass die Plattformen ihre Dienstleistungen in diesem Fall über Internetanbieter außerhalb der EU leiten könnten. Außerdem würden einige Verbraucher dann doppelt zur Kasse gebeten ...",

so die "FAZ", die das Problem im Kommentar so umreißt:

"Die einen haben die Infrastruktur, die anderen sorgen für die Nutzung. Es ist wie im realen Leben: Eine Autobahn bringt nichts, wenn niemand drüberfährt. Und ein Spediteur kann seinem Geschäft nicht nachgehen, wenn es keine Autobahn gibt. Der Streit dreht sich wie immer ums Geld. Infrastruktur aufrechtzuerhalten und vor allem auszubauen, kostet. Im wirklichen Leben zahlen (nicht nur) die Autofahrer viel Geld dafür, im virtuellen Leben hat sich dieses Modell noch nicht durchgesetzt, obwohl der Verkehr exorbitant zunimmt."

Die alte Helmut-Kohl-Metapher der "Datenautobahn" ist sozusagen wieder da. Wobei die "FAZ" den EU-Plan dann durch die Kommentar-Überschrift "Internetmaut" dann fast schon erledigt. Schließlich war Autobahn-Maut, die anderswo funktionieren, in Deutschland jahrelang die größte Lachnummer des politisch gemeinten Humors. Dabei verdiente dieser EU-Plan, breit diskutiert zu werden. Schon weil Streaming Strom, also Energie verbraucht und es nicht unfair wäre, wenn sich alle Verursacher und Profiteure an den Kosten für möglichst effiziente Infrastrukturen beteiligen müssten.

Medienwächter versus EU

"Die EU zerstört die staatsferne Medienaufsicht". Noch eine medienpolitische Initiative der EU? Da handelt es sich natürlich um keine Willensbekundung, sondern um eine kritische Einschätzung. Unter dem Gastbeitrag auf der "FAZ"-Medienseite wird Autor Wolfgang Kreißig mit gleich drei Abkürzungen vorgestellt. Zwei reichen auch: Als Präsident der LFK (Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg) ist er Vorsitzender der DLM (Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten). Heißt: Für die föderalistischen deutschen Medienwächter formuliert er die zwar immer mal wieder schon geäußerten, aber noch nicht durchgedrungenen Bedenken gegenüber EU-Gesetzen wie dem schon beschlossenen DSA und dem noch nicht beschlossenen EMFA (Was das ist? Vgl. diesen Altpapier-Jahresrückblick). Kreißig hat da einige gute Punkte:

"Mit dem nun schrittweise bis 2024 anwendbar werdenden Digital Services Act, mit dem neben Onlinehandelsplattformen wie Amazon eben auch Social-Media-Plattformen wie Twitter und Facebook reguliert werden, wird eine neue Aufsichtsstruktur mit maßgeblichen Entscheidungskompetenzen der weder unabhängigen noch staatsfernen EU-Kommission geschaffen."

Allerdings klammern Forderungen wie

"Diese Aspekte müssen sorgfältig bedacht und in eine Balance zwischen europäischen und nationalstaatlichen Regulierungskompetenzen gebracht werden"

aus, dass dieses "Bedenken" besonders in Deutschland hinterherhinkt, weil hier Medienaufsicht eben nicht "nationalstaatlich" erledigt wird, sondern föderalistisch. Die Bundesregierung hätte zur Umsetzung der beschlossenen EU-Gesetze DSA und DMA längst schon Entscheidungen treffen können (oder müssen). Doch hat die Bundesregierung alle Hände voll zu tun und in der Medienpolitik weder viele Kompetenzen (in beiden Wortbedeutungen), noch viel Interesse daran.

Wobei, tagesaktuell ...

Oh, Medienpolitik der Bundesregierung

Tagesaktuell tritt die Bundesregierung medienpolitisch geradezu doppelt in Erscheinung. Erstens hat eine ihrer Behörden, das Bundespresseamt, eine Entscheidung getroffen. Bzw. entschieden, erst mal keine zu treffen:

"Das Bundespresseamt macht ungeachtet der Kritik des Datenschutzbeauftragten bislang keine Anstalten, sich aus dem sozialen Netzwerk Facebook zurückzuziehen. 'Unser Facebook-Auftritt ist aus unserer Sicht ein wichtiger Bestandteil unserer Öffentlichkeitsarbeit, an dem wir zunächst einmal festhalten wollen', sagte der stellvertretende Regierungssprecher Wolfgang Büchner am Montag in Berlin",

heißt es in einer dpa-Meldung bei heise.de, der zufolge Büchner, ehemaliger "Spiegel"-Chefredakteur ja übrigens, dann noch nicht ausschloss, "dass wir gegen diesen Bescheid des Bundesdatenschutzbeauftragten klagen". Um diesen Bescheid des BfDI handelt es sich, der dem Presseamt aus datenschutzrechtlichen Gründen den "Betrieb der Facebook-Fanpage der Bundesregierung" untersagte. Klar, in PR und Werbung möchte niemand auf die (vermeintlich) leicht bezifferbaren "Fans" beim Datenkraken Facebook verzichten, deren Zahl sich durch mehr bezahlte Werbung schön einfach erhöhen lässt. Würde eine Bundesbehörde gegen einen Bescheid des Bundes-Datenschützers klagen, wäre das allerdings ein Treppenwitz mit hoher Aussagekraft für die Digital- und damit Medienpolitik der Bundesregierung.

Die zweite aktuelle medienpolitische Schlagzeile zur Bundesregierung lautet:

"Die TV-Moderatorin Linda Zervakis versuchte erfolglos, eine taz-Veröffentlichung zu verhindern. Nun ist klar, wie viel Geld sie vom Kanzleramt bekam"

Nachdem sie zutage förderte, dass Bundeskanzler Scholz zu seinem Auftritt auf der Republica-Konferenz im vorigen Sommer seine Interviewerin selber mitbrachte (Altpapier), hat die "taz" nachgesetzt und erfahren, dass Zervakis für ihr Kanzler-Interview "eine Bezahlung ..., die als Teil einer großzügigen Kostenpauschale getarnt wurde", bekam. Nämlich 1.130,50 Euro brutto. Ist das ein größerer Scoop der kleinen Zeitung? Eher "ein Lehrstück, wie man aus einer kleinen unangenehmen Sache eine maximal große superpeinliche Sache machen kann", meint Stefan Niggemeier auf Twitter. Darunter wird munter gestritten.

Altpapier-Kollege René Martens fand neulich hier "die Integrität der Republica ... beschädigt". Ich bin da eher anderer Meinung. Dass amtierende Regierungschefs sich nach eigenen Bedingungen interviewen lassen, hat sich in Deutschland spätestens während Angela Merkels Kanzlerinschaft eingespielt, als diese sich dann Solo-Talkshows bei Anne Will verschaffte, wenn es ihr passte (wohingegen Scholz immerhin die bessere Interviewerin Maybrit Illner zu bevorzugen scheint). Das lässt sich akzeptieren, wenn man darauf hofft, dass Regierungschefs so eingesparte Zeit hoffentlich sinnvoll einsetzen, etwa um zur Lösung von Krisen beizutragen. Die Staatsferne öffentlich-rechtlicher Medien, etwa wenn darin sehr oft Ministerpräsidenten und Bundesminister befragt werden, scheint mir brisanter... Außerdem, dass Scholz sich für Netzpolitik ungefähr so stark interessiert wie seine Vorgängerin, nämlich kaum, hatte der Republica-Auftritt ja ungefähr gezeigt.

Rundfunkrat lud erfolgreich Rechtsanwälte ein

Spannung bei Rundfunkrats-Sitzungen – das ist ein junges Phänomen. Wenn heute der des RBB tagt, herrscht wieder welche. Wird die Anwaltskanzlei Lutz Abel einen "Fortschritts-" oder "Zwischenbericht" zu ihren Aufklärungsbemühungen in der Schlesinger-Affäre vorstellen? Nee, schien es kürzlich noch (AP gestern), weshalb der "Tagesspiegel" von "Empörung" wusste. Doch, schrieb er dann in eine weiter aktualisierte Meldung hinein:

"Für den amtierenden Rundfunkrat ist die Sitzung am Dienstag die letzte Gelegenheit, Auskunft über den Stand der Untersuchungen zu erhalten. Ralf Roggenbuck als derzeitiger Vorsitzender hat darum die Kanzlei kurzfristig selbst eingeladen. Offenbar erfolgreich. Die Anwälte der Kanzlei haben jedenfalls ihr Erscheinen angekündigt. 'Ich erwarte morgen einen Fortschrittsbericht der Kanzlei Lutz und Abel', sagte Roggenbuck ..."

Bei einer Podiumsdiskussion gestern sagte auch RBB-Intendantin Katrin Vernau, dass sie einen zumindest mündlichen Bericht erwartet. Aber warum "letzte Gelegenheit"? Nun, am Donnerstag konstituiert sich der RBB-Rundfunkrat neu. Das ist natürlich doof, jetzt wo das Gremium seine Bedeutung erkannt hat und die Aufklärung angelaufen ist. Doch hatte bei der letzten konstituierenden Sitzung am 28. Februar 2019 sicher niemand geahnt, dass vier Jahre nach dem Antrittsfoto die Intendantin gefeuert und die Vorsitzende zurückgetreten sein würde ...

Bei der erwähnten Diskussion umriss Vernau außerdem ihre Spar-Pläne. Der RBB werde "viel schneller und viel stärker als der Rest der ARD auf Kooperation setzen müssen", also auf die gemeinsamen Mantelprogramme der Dritten Programme, die im Sommer beschlossen werden sollen. Darum ging es auch schon gestern hier.

Grundsätzlicher Spar-Vorschläge unterbreitet unterdessen die "Berliner Zeitung" ("Die 'Tagesschau' kostet 2000 Euro die Minute, ein Primetime-Krimi im Schnitt 20.000 Euro, also das Zehnfache. Warum nicht mehr hochwertige Informationen statt die immer gleichen Krimis?"). Und dann sind da ja noch die relativen Sonderfälle "Ruhegelder" der sehr zahlreichen Ex-Führungskräfte und die "Bettelbriefe" ("Tagesspiegel"), die Vernau daher derzeit verschicke. Zu denen hat der "Tsp." seine Meinung nun wohl etwas revidiert ("Das öffentlich-rechtliche Ruhegeld wird zur Charakterfrage, zum Test von Anstand und Charakter ...").

Ein Intendant spricht vom "Schrumpfen"

"Die Last der Altersvorsorge ist da, aber sie nimmt nicht mehr zu. Diese Verträge, die zu dieser Last führen, werden schon seit über 25 Jahren nicht mehr angeboten."

Das sagt nun nicht Vernau, sondern ein anderer Intendant einer ARD-Anstalt, der auch gerade Spar-Pläne vorstellte. Florian Hager vom Hessischen Rundfunk gab dazu offenbar zwei Interviews. Aus dem der dpa veröffentlicht etwa die hessische "FAZ" größere Auszüge, etwa noch

"Wir kommen aus einer Zeit, in der das System darauf ausgelegt war, dass in jedem Jahr mehr Geld zur Verfügung steht und in dem das Angebotsprofil sehr stabil war – also mit einem Fernsehkanal und Hörfunkkanälen mit Sendeplätzen. Wir kommen jetzt aber in eine Zeit, in der die Sendeplätze an Wichtigkeit verlieren."

Wenn Sie denken, da fehlt doch die Einschätzung, wie es derzeit mit "mehr Geld" aussieht – die Ergänzung liefert Hager im dwdl.de-Interview:

"Die große Aufgabe, die vor uns liegt, ist es, eine Transformation im Schrumpfen hinzukriegen. Wir müssen kleiner, aber dafür flexibler werden. Die alte Logik lautete, dass wir ein relativ stabiles Angebotsprofil mit Fernseh- und Radioprogrammen rund um die Uhr hatten und wenn wir mehr davon gemacht haben, konnten wir einen höheren Finanzbedarf anmelden. Diese Zeiten sind definitiv vorbei. ... Wir können nur Neues machen, wenn wir dafür Altes sein lassen. Und um ganz ehrlich zu sein: Eigentlich müssen wir zuerst Altes sein lassen, damit die notwendigen Ressourcen frei werden, um über das Neue vernünftig nachdenken zu können."

Was immer sich der ARD vorwerfen lässt: An durchaus differenziert vorgetragenen Bemühungen, möglichst sinnvoll zu sparen (und sich so darauf einzurichten, dass der Rundfunkbeitrag in den nächsten Jahren trotz Inflation usw. eher nicht steigen wird), mangelt es in der Arbeitsgemeinschaft gerade nicht.


Altpapierkorb (ARD-Studio Kiew, Andy Müller-Maguhn, Autorenn-Fernsehen, "Stern+", Funke Wochenblatt GmbH)

+++ Was natürlich noch Erwähnung verdient: Der WDR eröffnete zum Jahrestag des Kriegsbeginn ein ARD-Studio in Kiew. Bis dahin (und schon seit den 1950ern) gehörte die ukrainische Hauptstadt "zum Berichtsgebiet des ARD-Studios Moskau" gehört hatte. +++

+++ Im aktuellen "Spiegel" vermutet ein großes Stück, dass die CIA Unterstützer des eingekerkerten Wikileaks-Gründers Julian Assange "jagt", also unter Druck setzt und natürlich ausspäht. Andy Müller-Maguhn ist einer von ihnen. +++

+++ "Wir haben den Sport nicht nur für sachkundige Beobachter aufbereitet, sondern auch für Erna Kasupke, für die Laufkundschaft", sagt RTL-Reporter Florian König im großen "SZ"-Rückblick auf drei Jahrzehnte Formel-1-Übertragung bei RTL. Inzwischen seien die Autorennen für RTL zu nischig, für Anbieter wie Netflix (dessen "Drive to Survive" die "SZ" bei der Gelegenheit auch empfiehlt) aber gerade richtig. +++

+++ Ein Plus hinterm Markennamen bedeutet inzwischen überall bezahlpflichtige bzw. abonnierbare Inhalte. "Als 'eines der ambitioniertesten journalistischen Projekte' bezeichnete [Bertelsmann/RTL-Chef Thomas] Rabe selbst das Angebot 'Stern+', das ein gemeinsames digitales Bezahlangebot von 'Stern' (inclusive Stern crime), 'Capital' und 'Geo' werden soll. ... Bis zum Jahr 2025 soll die Zahl der Digital-Abonnenten von bisher 30.000 auf 100.000 gesteigert werden. 30 Millionen Euro Investitionen sind dafür vorgesehen", berichtete die "FAZ" kürzlich zur Lage des zerfledderten Zeitschriftenverlags Gruner+Jahr. +++ Jetzt verstärkt sich der "Stern" tatsächlich "an vier wichtigen Positionen", nicht zuletzt aus Ausgburg, woher der aktuelle Chefredakteur Gregor Peter Schmitz kam. +++

+++ Im neulich hier verlinkten uebermedien.de-Artikel über eingestellte Anzeigenzeitungen in Westalen war's schon angedeutet. Nun ist noch klarer, dass auch die Funke Wochenblatt GmbH mehr als die Hälfte ihrer nicht großen Redaktion streicht (mmm.verdi.de). +++

Am Mittwoch gibt hier eine neue Altpapier-Autorin ihr Debüt.

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