Das Altpapier am 27. Februar 2023: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 27. Februar 2023 Sich verschärfende Dilemmata

27. Februar 2023, 10:25 Uhr

Böhmermann ist schon wieder weitergezogen, doch seine vorletzte Show wirkt nach. Satire darf alles, aber kann sie Journalismus? Die ARD will im Sommer eine für ihre Außenwahrnehmung erhebliche Reform beschließen. Und rund um das größte ARD-Problem, den RBB, eskaliert wieder die Empörung. Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Das Verhältnis von Journalismus und Satire

An Wochenenden kommt immer viel Medienmedien-Hörstoff zusammen. Aktuell z.B. zur Kritik an Jan Böhmermanns "ZDF Magazin Royale" und am Umgang des Entertainers sowie seiner Redaktion damit. Nachdem Ralf Heimann am Donnerstag hier ausführlich in schriftlichen Worten nachvollzogen hat, was sich insbesondere in allerhand Twitter-Threads ereignete, taten das dann die betroffenen Macher des "Ballaballa Balkan"-Podcasts in gesprochenen Worten. Krsto Lazarevic hatte die Showfolge zum schwierigen Themenkomplex des Staates Bosnien-Herzegowina und des dort wirkenden "Hohen Repräsentanten" Christian Schmidt freundlich wie deutlich kritisiert, war daraufhin in einem Shitstorm geraten und bespricht das nun bemerkenswert gelassen mit Danijel Majic ("Eigentlich bin ich ja der Shitstorm-Magnet").

Anhören lohnt, schon weil sich die beiden grundsätzlich gegen Verkürzungen aussprechen, wie sie andererseits im Medien-Betrieb üblich und nötig sind. Richtig kurz ist die Folge daher nicht. So ab Min. 14.20 geht es etwa rund zweieinhalb Minuten um die ZDF-Behauptung, Schmidt habe die Pressefreiheit attackiert. Wobei man dann den Rest der 44 Minuten auch hören kann, weil die Podcast-Macher das dialogische Prinzip produktiv nutzen.

Während Böhmermanns Team, das ja hohen Themen-Durchsatz hat, sich wieder mit was anderem beschäftigte, kam noch frischer, grundsätzlicherer Lesestoff rein. Für die "Süddeutsche" befassten sich Aurelie von Blazekovic und Cornelius Pollmer mit der "kreativen Todeszone", die entsteht, "wenn Satire und Journalismus sich zusammentun". Außer Böhmermann nennt die "SZ" auch Anja Reschke, die ziemlich genau dieselbe Zone für den großen ZDF-Rivalen ARD bespielt und nach viel Kritik am Anfang inzwischen allerhand Lob erhält, etwa für ihre jüngste Sendung am Donnerstag (Altpapier vom Freitag):

"Reschke ist eine bekannte und seriöse Journalistin, die in ihrer neuen Sendung auch satirisch arbeiten möchte. Böhmermann war hauptamtlicher Satiriker, als er und seine Redaktion verstärkt journalistisch zu arbeiten begannen. Beide hier stellvertretend Genannten haben ein Problem mit ihrer jeweils schwächeren Hälfte: Bei Reschke mangelt es fatal an Pointen, bei Böhmermann, dem qualitativen Unterhaltungsmarktführer der vergangenen Jahre, wird es journalistisch gelegentlich mindestens heikel. Im Fall der inkriminierten Sendung von Jan Böhmermann ... jedoch stellen sich übergeordnete Fragen ..., allen voran diese hier: Satire darf alles, aber wie gut kann sie Journalismus?"

Klar, alle haben auch Schwächen. Der "SZ"-Text bemüht sich selber um Humor ("Wenn Rohkost so aufbereitet wird, dass sie nach Rinderbraten schmeckt ..."), den Böhmermanns beitragsfinanzierte Gagautoren womöglich besser hinbekommen hätten. Wenigstens hätte Böhmermann beim Vortrag grimassiert. Einen Punkt aber trifft die "SZ", vor allem beim Ausblick:

"Es wird ja - nach allem was sich so ahnen lässt - so weitergehen, dass in einem sich Tag für Tag verschärfenden Dilemma auch öffentlich-rechtliche Formate nach Reichweite gieren, nicht zuletzt als Rechtfertigung ihrer eigenen Existenz. Dabei nicht nur Selbstvertrauen zu zeigen, sondern auch Souveränität speziell gegenüber berechtigter Kritik, darauf wird gute Unterhaltung nicht verzichten können. Und guter, auch privatwirtschaftlicher Journalismus übrigens noch weniger."

Noch mehr Lesestoff bietet der in diese Böhmermann-Debatte früh eingestiegene, umso länger über den Balkan berichtende Korrespondent Michael Martens, der sozusagen Rückenwind mitnimmt und in der "FAZ" nun der Staatengemeinschaft, die Schmidt in Bosnien repräsentiert, wortgewaltig "Kolonialismus" vorwirft. Das sei "der eigentliche und seltsamerweise gerade von linken Kritikern oft übersehene Skandal" ...

Frische Kai-Gniffke-Interviews

"Eine Kernaufgabe des ARD-Vorsitzes ist Kommunikation", sagt Kai Gniffke, und tatsächlich kommuniziert der ARD-Vorsitzende, was das Zeug hält. Vorige Woche reiste er nach Berlin, um bei der "TopDocs"-Veranstaltung Dokumentarfilme "Königsdisziplin des Journalismus" zu nennen und lineare Sendeplätze angesichts der Mediatheken schon mal für unwichtig zu erklären, wie dwdl.de und ich (KNA/€) notierten.

Wenn er schon an der Spree war, gastierte Gniffke dann auf Gabor Steingarts Boot und gab "Pioneer"-Chefredakteur Michael Bröcker ein Audio-Interview. Gratis anhören lassen sich knapp zehn Minuten via "Express-Folge". Bröcker spricht Gniffke nicht etwa mit "Prof. Dr." an, sondern ist mit ihm per Du und hält der ARD dann "20 TV-Sender, 73 Radiowellen, sechs Milliarden Euro Budget" vor. Worauf Gniffke sogleich die Radiowellen seines SWR "durchdekliniert" und feststellt, dass kaum eine verzichtbar sei. "Wir sind nicht Großbritannien", lautet eins seiner Argumente:

"Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand in Saarbrücken sagt, okay, dann kommt das ganze Programm nur noch aus Leipzig".

Natürlich ist Gniffke Föderalist genug, um ein umgekehrt ost-westdeutsches Beispiel auch anzufügen (bei dem es sich aber nicht um die inzwischen überstrapazierte Arthrose in Bautzen und Bitburg handelt ...)

Außerdem liegt ein gedruckt mehr als sieben DIN-A-4-Seiten langes Gniffke-Interview vor. In Briefkästen ging es am Donnerstag in "epd medien", online erschien es am Samstag nicht im kargen (doch inzwischen um einen Podcast in der Randspalte bereicherten) "epd medien"-Internetauftritt, sondern bei turi2.de. Der Überschrift "Ich werde kein PR-Feuerwerk zünden" zum Trotz, zündet Gniffke erst mal ein PR-Feuerwerk ("Alle Menschen mit exzellentem Programm versorgen, vom Säugling bis zum Greis", "Offenbar machen wir vieles richtig" ...). Härtere Neuigkeiten hat er aber auch dabei, etwa zur für die Außenwahrnehmung der ARD beim Fernseh-Publikum tatsächlich wichtigen Idee eines "gemeinsamen Mantelprogramms für die Dritten Programme". Das hieße, dass nicht mehr alle Dritten, wenn sie zwischen eher wenigen regionalen Sendungen jeweils unterschiedliche Krimis, Schmonzetten und Quizshows wiederholen, ums selbe bundesweite Publikum konkurrieren. Dazu sagt Gniffke:

"Wir werden das ... im Juni beschließen. Regional haben wir sehr unterschiedliche Priorisierungen. Es gibt Medienhäuser, die stärker auf regional geprägte Strecken setzen, andere weniger. Deswegen muss es nicht one size fits all sein, es kann auch sein, dass wir fünf Häuser haben, die sagen, wir machen ein gemeinsames Drittes Programm und schalten uns von 18 bis 22 Uhr auseinander oder von 16 bis 20 Uhr."

Außerdem fragt "epd medien" als eine der wenigen Publikationen, die regelmäßig Hörspiele besprechen, ob die ARD im Zuge ihrer Kooperations-Politik "die Zahl der Hörspiele reduzieren" will. Gniffke dementiert das nicht direkt ("Wir wollen die Vielzahl reduzieren, aber die Vielfalt erhalten"). Es lohnt also, das Interview zu lesen, auch weil Diemut Roether und Michael Ridder dann noch die gewaltige Größe der Kommunikations-Teams der ARD-Vorsitzenden ansprechen. Worauf Gniffke dann auch hier mit Leipzig und Saarbrücken kommt, und mit der ARD-Stärke, dass sie kein Konzern mit Zentrale in Berlin ist.

Damit in die Hauptstadt. Achtung, jetzt wird's richtig unübersichtlich.

Empörung, Solidarität, "Bettelbriefe"

Zum RBB sagte Gniffke im epd-Interview auch so einiges, sprach etwa von "Soldarität" mit der Berlin-Brandenburger Anstalt und von "Unterhaken". Was das bedeutet – offenbar nicht, dass andere Anstalten beim RBB fehlendes Geld langfristig ersetzen – versucht der "Tagesspiegel" schriftlich zu erklären. "Bislang sind das nur warme Worte mit der Solidarität", erklärt RBB-Intendantin Katrin Vernau mündlich im RBB-"Medienmagazin" (noch mehr Hörstoff also).

Überhaupt nimmt rund um den RBB die Empörung wieder zu. Eine der entsprechenden News hatte als erster der RBB selbst in Gestalt seiner Reporterin Gabi Probst:

"Die Anwaltskanzlei Lutz/Abel wird in der kommenden Sitzung des Rundfunkrats am 28. Februar keinen Zwischenbericht zur Compliance-Untersuchung vorlegen. ... Die Kanzlei teilte der Gremiengeschäftsstelle des rbb mit, dass sie 'in Abstimmung' mit den Auftraggebern 'in der Sitzung weder einen schriftlichen Bericht noch Auskunft zu weiteren inhaltlichen Prüfungsergebnissen erteilen können'. ... Auftraggeber der Kanzlei sind die Compliance-Beauftragte des rbb und die Vorsitzende des rbb-Verwaltungsrats. Die Stellungnahme der Kanzlei hat innerhalb des Rundfunkrats Empörung ausgelöst."

Muss am Ende die Anstalten-Gemeinschaft einen Hohen Repräsentanten nach Berlin senden, der mit kolonialistischen Befugnissen durchregiert? Pardon, schlechter Scherz. Mittelfristig muss es keineswegs schlecht sein, wenn die Öffentlichkeit erfährt, dass Rundfunkrat und Verwaltungsrat unterschiedliche Gremien sind: Ersterer ein größeres, in dem idealerweise sehr unterschiedliche Stimmen vertreten sind, letzterer ein kleineres, entscheidungsmächtiges, das meist von den Bundesländer-Regierungen bestimmt wird, die oft eigene Interessen verfolgen.

Wie der RBB seine finanziellen Probleme auch lösen will: durch "Bettelbriefe". So ätzt zumindest "exklusiv" der "Tagesspiegel". Die Intendantin habe

"an Ruhegeld-Empfänger der RBB-Vorgängeranstalten Sender Freies Berlin, Ostdeutscher Rundfunk Brandenburg und auch des RBB geschrieben – mit dem Betreff 'Solidarbeitrag für den RBB' ... ... Der moralische Druck, den Vernau in ihrem Schreiben aufbaut, wird zum Schluss noch einem Schmankerl versehen. Wer sich auf einen Solidarbeitrag verständigt, der kann bei Einverständniserklärung damit rechnen, dass sein 'Soli' in die Unternehmensöffentlichkeit kommuniziert wird. "

Heißt: Offenbar sollen die angeschriebenen Veteranen von ihren – bekanntlich häufig hohen – Ruhegeldern sozusagen etwas spenden für die Anstalt, die im Programm heftig einsparen muss. Einen der Adressaten oder mehrere "empörte" das wiederum so sehr, dass sie Vernaus Brief und ihre Antworten offenbar dem "Tagesspiegel" zukommen ließen, der nun von einer "Spendergalerie" und einem "positiven Pranger" scherzt.

Klar lässt sich fragen, ob das Versprechen, solche "Spenden" öffentlich zu machen (oder eher die implizite Drohung, dass Umkehrschlüsse dann ja auch immer möglich sind), gute Anreize setzen. Andererseits, würde noch wer glauben, dass beim RBB irgendetwas nicht an die Öffentlichkeit gelangt?

Vermutlich erhalten unterschiedliche Ex-Führungskräfte unterschiedlich hohe Pensionen, wie einer der Adressaten beklagt. Manche haben vielleicht gewiefter verhandelt als andere; nicht auszuschließen, dass mitunter sogar der Verwaltungsrat Kontrolle ausgeübt hat. Und gewiss haben viele sich ihren Ruhestand durch gute Arbeit verdient. Doch gerade weil die Frage weder lautet, ob ehemalige Führungskräfte sich mitverantwortlich für die Strukturen fühlen, die beim RBB entstanden sind, oder eher um das sorgen, wofür sie einst gearbeitet haben, ist es keine ganz schlechte Idee, die zahlreichen gut versorgten ehemaligen Hierarchen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks um Solidarität zu bitten. Zumal die Diskussionen an Schärfe weiter zunehmen ("Warum braucht es überhaupt für jede dieser Geld fressenden Quasi-Behörden einen Quasi-Behördenleiter? Könnte das nicht Buhrow als Chef der ARD alleine?", fragte gerade die "Berliner Zeitung", die vom PR-Feuerwerk des neuen ARD-Vorsitzenden vielleicht noch gar nichts mitbekommen hat. Da geht's um die allgemeinen RBB-Einspar-Ankündigungen).

Und klar sollten außerdem die aktuellen Intendantinnen und Intendanten bei ihren Bezügen (allerwenigstens) auf rechnerisches Bundeskanzler-Niveau runterkommen. Aber auch das fiele vielen sicher leichter, wenn ihre Vorgänger vorangingen.


Altpapierkorb (Spanischer Journalist in polnischer Haft, tagesschau.de-Kritik, "Hitler-Tagebücher", "Umverteilung" in Österreich? KI vs. Urheberrecht)

+++ Der spanische Journalist Pablo Gonzalez berichtete vor einem Jahr außer für spanische und lateinamerikanische Medien auch für die Deutsche Welle "über die Ankunft der ukrainischen Flüchtlinge nach dem Einmarsch der Russen" in Polen. Dann kam er wegen weiterhin nicht präzisierter Spionagevorwürfe in polnische Untersuchungshaft und sitzt noch immer darin. Das berichtet Spanien-Korrespondent Reiner Wandler in der "taz". +++

+++ Im linearen Fernsehen kann die ARD-"Tagesschau" noch immer als eine Art Leuchtturm gelten. Online kann sie das immer noch weniger, zeigt (als Beispiel für viel Twitter-Ärger über tagesschau.de-Bemühungen, Seymour Hershs Vorwürfe zu entkräften), etwa dieser Stefan-Niggemeier-Tweet mit Link zu sprengtechnik.de. +++

+++ "Der Skandal um die gefälschten Hitler-Tagebücher wird durch die Publikation nicht grösser. Aber auch nicht kleiner", meint die "Neue Zürcher Zeitung" zu den jüngsten NDR-Enthüllungen (AP vom Freitag). Doch kündigte Bertelsmann gleich an, "alle historisch relevanten Unterlagen von Gruner + Jahr bzw. dem 'Stern' ins Unternehmensarchiv von Bertelsmann nach Gütersloh" zu überführen. +++ Was nicht in der PM steht: ob die "60 Minuten Lesezeit", die G+J John Goetz vom NDR "für insgesamt 60 Bände und rund 2.000 Seiten. Das alles in kaum lesbarer deutscher Handschrift. Mit Aufpasserin. Ohne Fotos" gewährte (ndr.de), sich für künftige Interessenten im Gütersloher Archiv erhöht. +++

+++ Leonhard Dobusch, vielfach im Altpapier erwähntes ZDF-Gremienmitglied, aber auch Österreicher, beklagt bei der anstehenden Reform des österreichischen Rundfunks eine "Umverteilung von Geld von öffentlich-rechtlichen zu privaten Medien durch die türkis-grüne Bundesregierung" ("Süddeutsche"; im oben verlinkten RBB-"Medienmagazin" ist Dobusch auch zu hören). +++ "Zwischen dem ORF und übermächtigen IT-Giganten wird der Platz eng für heimische Privatmedien. Gedruckte Zeitungen werden weniger, und auch der Bedarf an linearem Fernsehen und Radio sinkt", meint indes der "Standard". +++

+++ Benjamin von Stuckrad-Barre ist wohl kein Freund des Hauses Springer mehr, versteht es aber dennoch, pfiffige PR für sein neues Buch zu entfalten, belegt die "SZ". +++

+++ "Schlechte Nachrichten" "für Kulturschaffende aller Sparten" hat dann noch Heise-Justiziar Joerg Heidrich: "Auch in Deutschland sind sich die Juristen weitgehend einig, dass KI-generierte Inhalte nicht dem Schutz des Urheberrechtsgesetz unterliegen", weil nur Ergebnisse "einer 'menschlichen Schöpfung', nicht aber das Ergebnis eines von einer Maschine ausgeführten Algorithmus" schutzfähig sei. Daher stünden "auch Verwertungsgesellschaften wie die VG Wort und die VG Bild-Kunst, die für das Einkommen der Kreativen eine nicht unerhebliche Rolle spielen, ... vor großen Problemen". +++

Neues Altpapier gibt's am Dienstag.

Mehr vom Altpapier

Kontakt