Das Altpapier am 9. März 2023: Porträt des Altpapier-Autoren Ralf Heimann
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Kolumne: Das Altpapier am 9. März 2023 Ein Boot und viel Sprengstoff

09. März 2023, 11:08 Uhr

Nach dem Anschlag auf die Nordstream-Pipelines gibt es eine Spur. Aber was, wenn sie falsch ist? Der Zukunftsrat steht früher als erwartet. Aber steht er wirklich für die Zukunft? Und: Brauchen wir noch einen Internationalen Frauentag? Heute kommentiert Ralf Heimann die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Ein Schiff mit Sprengstoff und viele offene Fragen

Irgendwer hat im vergangenen Jahr die russischen Gaspipelines in der Ostsee gesprengt, und jetzt ist es offenbar gelungen, das Boot ausfindig zu machen, mit dem der Sprengstoff transportiert wurde. Erst berichtete die "New York Times" von geheimdienstlichen Erkenntnissen, die darauf schließen lassen, dass eine pro-ukrainische Gruppe an dem Anschlag beteiligt sei. Dann veröffentlichte ein gemeinsames Rechercheteam der ARD, des SWR und der "ZEIT" eine noch etwas detailliertere Recherche, die ebenfalls eine Spur in die Ukraine sieht. Das Team gibt an, von deutschen Ermittlern erfahren zu haben, wie sich die Besatzung des Boots zusammensetzt, welchen Weg das Boot genommen hat, wo es gemietet und wo es zurückgegeben wurde. Auf einem Tisch in der Kabine habe man Spuren von Sprengstoff nachweisen können.

Das Drehbuch für die Verfilmung steht damit also im Grunde schon. Das Problem formuliert Christoph Koopmann im SZ-Podcast "Auf den Punkt". Der wichtigste Satz sei: "Man kann vieles noch nicht sicher sagen."

Der Spiegel zitiert in einem Text dazu (€), was bekannt und was noch bekannt ist, und an dem elf Autoren und eine Autorin (zum Internationalen Frauentag kommen wir gleich noch) mitgearbeitet haben, einen Sicherheitsexperten, der von einem "Puzzle" spricht. Das ist ein passendes Bild, denn bei einem Puzzle kommt irgendwann der Moment, in dem man glaubt, sagen zu können, was für ein Bild sich ergeben wird. Aber diese Vermutung kann falsch sein.

In diesem Fall lautet ein entscheidender Satz: "Allerdings haben die Ermittler bislang keine Beweise dafür gefunden, wer die Zerstörung in Auftrag gegeben hat." Er steht in dem Text, den Holger Stark, der an der Recherche beteiligt war, für "Zeit Online" geschrieben hat.

Der Satz bedeutet: Es kann sein, dass alles ganz anders gewesen ist, vielleicht nicht in den Details, die sich belegen lassen, und relativ wahrscheinlich wird am Ende nicht herauskommen, dass die sechs Leute einfach mit Dynamitstangen geangelt haben. Aber entscheidend ist, von wem der Auftrag kam. Diese Frage ist offen. Es wird immer wieder erwähnt, dass es sich theoretisch um eine sogenannte False-Flag-Operation handeln kann, also eine Operation, die den Verdacht auf jemand anders lenken soll (wobei es auch dafür keine Belege gibt).

Irgendwer kann ein Interesse daran haben, es so aussehen zu lassen, als hätte die Ukraine die Pipeline zerstört, denn wenn sich herausstellen sollte, dass die Ukraine die Gasversorgung des Westens sabotiert, könnte der Westen sich fragen, ob er die Ukraine weiterhin unterstützen möchte. Die Interessenlage ist kompliziert. Die USA hatten von Beginn an etwas gegen die Pipeline. Joe Biden hat gesagt, wenn Russland einen Krieg gegen die Ukraine beginne, werde man das Projekt stoppen (womit er den Berichten nach allerdings Sanktionen meinte). Der amerikanische Star-Journalist Seymour Hersh hatte einen Blogbeitrag veröffentlicht (zuletzt hier Thema im Altpapier), in dem er behauptet, die USA steckten hinter der Aktion. Dabei hatte er sich allerdings nur auf eine Quelle gestützt.

Die New York Times schreibt nun, "dass die Saboteure sehr wahrscheinlich ukrainische oder russische Staatsangehörige sind oder eine Kombination von beidem". Und auch wenn es sich um ukrainische Staatsangehörige handeln sollte, ist nicht bewiesen, dass die Regierung dahinter steckt. Es könnte etwa sein, dass Geheimdienste ohne das Wissen der Regierung tätig werden, sagt Christoph Koopmann in dem SZ-Podcast.

So ergibt sich ein Problem, das sich nur schwer auflösen lässt. Investigativteams wollen möglichst als Erstes über einen Fall berichten. Möglicherweise ergeben sich aus der Veröffentlichung auch neue Hinweise. Vielleicht fügen sich Puzzlestücke zusammen.

Es besteht allerdings die Gefahr, dass sich falsche Informationen oder ein falscher Spin festsetzen. Und wenn eine Geschichte erst mal im Umlauf ist, lässt sie sich nur noch schwer korrigieren. Menschen haben die Tendenz, an den Informationen festzuhalten, die sie zuerst bekommen. In der Wissenschaft nennt man das den Primäreffekt. Es gibt weitere Phänomene, die dazu beitragen, dass Menschen Bekanntes bevorzugen, etwa den Bestätigungsfehler oder den Ankereffekt.

Sebastian Wellendorf hat für das Deutschlandfunk-Medienmagazin "@mediasres" mit Marco Bertolaso, dem Leiter der Deutschlandfunk-Nachrichtenredaktion, über die Gefahren bei der Berichterstattung in so einem Fall gesprochen.

In dem Gespräch wird zum einen deutlich, dass die Interessenlage noch etwas komplizierter ist. Auf den ersten Blick könnte Russland ein Interesse daran haben, der Ukraine alles in die Schuhe zu schieben. Aber damit würde es auch anerkennen, dass die Ukraine dazu in der Lage ist. Möglicherweise ist das Interesse, den Verdacht auf die Ukraine zu verstärken, in Russland daher deshalb nicht groß. Bertolaso sagt auch etwas dazu, ob es sinnvoll ist, diese Geschichte in allen bekannten Details zu veröffentlichen. Interessant sind zwei Aspekte.

Zum einen dokumentiert das Rechercheteam damit, dass es da "schon mal tief in den Karton" geguckt hat, sagt Bertolaso. Damit belegt es also, dass die Informationen nicht über drei Ecken, via Stille Post und über das Medium des Hörensagens in der Redaktion angekommen sind. Zum anderen – und das sagt Bertolaso in dem Beitrag nicht – verfestigt sich mit jedem Detail eine Geschichte, die möglicherweise einen anderen Hintergrund hat. Das ist die Gefahr.

In der Redaktionskonferenz am Mittwochmorgen ist auch die Frage aufgekommen, ob da nicht ein bestimmtes Narrativ verbreitet werde, sagt Bertolaso. Die Frage sei aber "das tägliche Schwarzbrot jeden Nachrichtenredakteurs". Diese Frage stellesich auch bei einer Meldung über die Arbeitslosenzahlen, wo man sich fragen müsse, ob man die Unterbeschäftigung erwähnt. Sie stelle sich auch dort, wo man über die Vereinigten Staaten berichtee oder wo es darum gehe, warum über bestimmte Länder in Afrika nicht berichtet wird. "Da kann ich hier eigentlich nichts Besonderes erkennen", sagt Bertolaso.

Der Zukunftsrat steht

Wer im Zukunftsrat sitzen wird, der sich Gedanken über die Zukunft von ARD und ZDF machen soll, steht nun doch schon eine knappe Woche früher fest als geplant, berichtet Volker Nünning für das Magazin "Medieninsider" (€). Über die Besetzung hatten die medienpolitischen Verantwortlichen der Länder entschieden. Dabei wäre fast das herausgekommen, was üblicherweise passiert, wenn politische Gremien Stellen, Sitze und freie Plätze besetzen: Sie bringen ihre eigenen Leute unter. Die CDU hatte für den Rat ihr altes medienpolitisches Schlachtross Johannes Beermann aus dem Stall holen wollen, den früheren Chef der sächsischen Staatskanzlei (Altpapier). Das war aber laut Nünning bei den von der SPD geführten Ländern nicht so gut angekommen. Und jetzt ist man sich einig geworden.

Wie auch die Nachrichtenagentur dpa berichtet, hier bei "Newsroom.de", schicken die acht beteiligten Bundesländer folgendes Personal ins Rennen:

  • Roger de Weck, Schweizer Publizist
  • Bettina Reitz, Filmproduzentin
  • Nadine Klass, Urheberrechtsexpertin
  • Peter M. Huber, ehemaliger Bundesverfassungsrichter
  • Mark D. Cole, Medienrechtler
  • Maria Exner, Journalistin
  • Julia Jäkel, ehemalige Gruner+Jahr-Chefin
  • Annika Sehl, Digitaljournalismus-Professorin

Was fällt auf? Drei Männer, fünf Frauen. Also schon mal keine Altherren-Veranstaltung. [Korrekturhinweis: Hier stand vorher "Vier Männer, vier Frauen." - leider verzählt, ist korrigiert.] Und das Alter? Volker Nünning hat die Geburtsjahrgänge zusammengetragen. Das jüngste Mitglied ist am Ende des Jahres 39 (Maria Exner), das älteste 70 (Roger de Weck). Das von der CDU nominierte Quartett (Huber, Weck, Reitz, Klass) ist im Schnitt 60 Jahre alt, das der SPD ist deutlich jünger, 46. Damit ergibt sich ein Durchschnittsalter von 53 Jahren. Und das liegt ungefähr acht Jahre über dem Durchschnittsalter der deutschen Bevölkerung, aber immer noch deutlich unter dem Durchschnittsalter des Fernsehpublikums.

Das hätte man anders machen können. Ungefähr die Hälfte der Bevölkerung ist jünger als das jüngste Mitglied des Rates. Allerdings hätten sich dann wieder andere Probleme ergeben: Acht Sitze können nicht alles repräsentieren, und man kann auch argumentieren: Ein bisschen Erfahrung ist für so eine Aufgabe nicht schlecht. Man kann aber natürlich auch sagen: An einem Zukunftsrat sollten vor allem die Menschen beteiligt sein, die diese Sache in der Zukunft betreffen wird.

Einen anderen Kritikpunkt hatte der Medienwissenschaftler Otfried Jarren vor einer knappen Woche im "Medieninsider" genannt: Im bisher bekannten Kompetenzfeld des Gremiums fehlten wesentliche Bereiche: Technologie, Organisationsentwicklung beziehungsweise Change-Management sowie Medienökonomie. Das gilt auch für die aktuelle Zusammensetzung. Und es stelle sich laut Jarren die Frage, ob “rundfunkrechtliche Kompetenzen” nötig seien. Die könne man auch jederzeit von außen einholen.

Eine weitere offene Frage ist, wann der Zukunftsrat anfangen wird, sich Gedanken zu machen. Viel Zeit hat er nicht. Im Herbst sollen die ersten Empfehlungen vorliegen.

Der Feind der Gender-Pay-Gap

Der Internationale Frauentag, Weltfrauentag oder der feministische Kampftag war gestern für viele Medien Anlass, durch Berichte darauf hinzuweisen, dass dieser Tag weiter gebraucht wird. Die Dinge ändern sich eh langsam, und wenn niemand drüber spricht, dauert es noch länger.

Die Investigativjournalistin Birte Meier, die sich durch alle Instanzen klagte, weil das ZDF ihr weniger zahlte als ihren männlichen Kollegen, erzählt im Interview mit der "Zeit" (€), dass man ihr irgendwann Geld dafür bot, dass sie den Mund hält – damit sich möglichst nichts ändert.

Das ist in vielen Jobs schon der Deal, den man mit dem Arbeitsvertrag eingeht. Unternehmen haben kein Interesse daran, dass über die Bezahlung gesprochen wird. In Verträgen legen sie, dass das Gehalt geheim bleiben muss. Ich habe das selbst erlebt. Ein Prinzip ist dabei ganz wichtig: Teile und herrsche.

Gibt es eine Gruppe, die gut verdient, und eine, die sehr viel weniger bekommt, hat die erste Gruppe kein Interesse daran, daran etwas zu ändern. Eine Mehrheit wird sich so nicht ergeben.

Das lässt sich nur ändern, indem Menschen, deren Interesse an Fairness größer ist als am eigenen Vorteil, offen darüber sprechen. Kleiner Merksatz: Transparenz ist der natürliche Feind der Gender-Pay-Gap.

Am Internationalen Frauentag kann man kritisieren, dass es ein bisschen so ist wie am Muttertag: Einmal im Jahr ist das wichtig, was eigentlich das ganze Jahr über wichtig sein sollte. Aber immerhin. Es ist ein Anlass, um auf Dinge aufmerksam zu machen, die Männer im Alltag nicht erleben, auch wenn sie mit Frauen zusammenarbeiten und die gleichen Aufgaben erledigen.

Die "Spiegel"-Reporterin Ann-Kathrin Müller sagt im "@mediasres"-Interview, sie sei als "Merkel-Hure" beschimpft worden. Und so etwas erlebe sie oft. Beleidigungen zielten bei Frauen auf ihren Körper ab, auf ihr Geschlecht. Wenn sie mit Männern zu einem Thema recherchiere, bekomme meistens sie die Hass-Mails, sagt sie. "Ich leite die dann an die männlichen Kollegen weiter, damit gesehen wird, was so reinkommt", sagt sie. Und schon dieses kleine Detail ist eine sehr gute Idee, denn was Frauen alltäglich erscheint, haben einige Männer noch nie erlebt. Ich zum Beispiel habe mich vor 14 Jahren bei Twitter angemeldet und habe dort noch nie eine Hass-Nachricht bekommen, in der ich bedroht oder aufgrund meines Aussehens oder Körpers beleidigt worden bin.

Auch hier ist also wichtig: Transparenz kann Veränderungen anstoßen. Und auch die Medienhäuser können etwas machen. Ann-Kathrin Müller weist auf einen Schutzkodex der Organisation "Reporter ohne Grenzen" hin. Sich anzuschließen, sei schon ein Schritt, um das Gefühl zu vermitteln, sie seien nicht allein.

Sebastian Wellendorf hat für "@mediasres" auch mit dem Bielefelder Gewalt- und Konfliktforscher Yann Rees gesprochen, der zwar in seinen Daten nicht erkennen kann, dass Frauen häufiger angegriffen werden als Männer (möglicherweise, das wird nicht deutlich, weil das Geschlecht nicht vermerkt ist). Aber aus Erfahrungsberichten lasse sich ableiten, dass die Qualität eine andere sei. Frauen werden danach aufgrund ihres Aussehens beleidigt, ihnen werde Fachkompetenz abgesprochen. Vor allem, wenn Frauen sich etwa "#metoo"-Themen widmeten, komme es zu heftigen Reaktionen. Hinzu komme, dass inzwischen akzeptiert sei, gegen Medien zu wettern. Das Lügenpresse-Narrativ etwa finde in weiten Teilen der Bevölkerung durchaus Zuspruch, sagt Rees. Gleichzeitig habe man es mit einer Normalisierung von rechtspopulistischen Narrativen zu tun. Es zeige sich, dass die Presse von rechter Seite als Feindbild konstruiert werde. Andererseits gebe es eine immer größere Bereitschaft, Übergriffe nicht hinzunehmen, sondern sie öffentlich zu machen und zu melden. Wenn das passiere, stellten Journalistinnen und Journalisten allerdings fest, dass sie damit oft nicht ganz ernst genommen werden. Immerhin das könnte sich relativ schnell ändern.

Vito von Eichborn ist tot

Die letzte E-Mail, die ich von Vito von Eichborn bekam, ist vom 17. Juli 2017. Wir hatten über ein Buch nachgedacht. Es sollte um die AfD gehen. In einer losen Ideensammlung, die er mir als Word-Datei schickte ("Die Akte AfD"), schrieb er: "Natürlich ist dies ein Pamphlet gegen die AfD". Gleich darauf hieß es: "Und falls es geeignete Witze, Gags, Anekdoten gibt – hinein." Gestern hörte ich, dass Vito von Eichborn gestorben ist. Jan Wiele zitiert in einem Nachruf für die FAZ aus einer Kurzbiografie, die er auf seiner Website veröffentlicht hatte. Und darin geht es um das, was sein Leben bestimmt hat: das Buch. Er schrieb:

"Das Buch landet nicht sofort im Müll wie andere Printmedien oder im Nirwana des Internets, braucht keinen Strom und hat ökonomisch betrachtet einen sehr hohen Kosten-Nutzen-Wert. Sogar kleine Auflagen in inhaltlichen Nischen können sich rechnen."

Eichhorn sei zum Inbegriff von Querfinanzierung geworden, schreibt Wiele. "Populäre Sach- und Geschenkbücher stützten teils abseitige Hochliteratur." Dass er den nach ihm benannten Verlag später verkauft hat, sei der Fehler seines Lebens gewesen, sagte Eichborn später. Eichborns letzte Mail an mich endet so: "Nun harre ich auf eine erste Lieferung. Gute Grüße. VvE" Die erste Lieferung kam allerdings nie, aus dem Buch ist leider nichts geworden.

Altpapierkorb (Linda Zervakis, Regierungsnahe Medien in Polen, MDR wählt Intendanten)

+++ Die Moderatorin Linda Zervakis hat nach einem Bericht von "T-Online" im vergangenen Jahr sehr viel mehr Geld vom Bundeskanzleramt bekommen, als im Januar berichtet worden war. Danach hatte sie nicht nur eine "Kostenpauschale" in Höhe von 1.100 Euro für ein Interview kassiert, das sie mit dem Bundeskanzler auf der Digitalkonferenz "re:publica" geführt hatte (Altpapier), sondern etwa 12.000 Euro, denn später hatte sie noch mindestens eine Veranstaltung im Auftrag der Behörde moderiert. So kamen ungefähr 12.000 Euro zusammen. Der Deutschen Presseagentur sagte Zervakis: "Ich habe mich zu keiner Zeit von irgendeiner Seite vereinnahmen lassen und werde diesen Weg auch fortsetzen." Darum, ob sie sich tatsächlich beeinflussen lassen hat, geht es allerdings auch gar nicht. Unglücklich ist der Eindruck, der entsteht, wenn eine Journalistin einerseits kritisch über die Regierung berichtet, andererseits von ihrbezahlt wird. In dieser Konstellation kann man nichts richtig machen: Ist man im Interview zu freundlich, sieht es aus, als mache man es für Geld. Ist man kritisch, ist die Frage: War das kritisch genug? Als von der 1.000-Euro-Kostenpauschale die Rede war, schrieb Stefan Niggemeier, wie Christian Bartels im Altpapier zitiert, es sei "ein Lehrstück, wie man aus einer kleinen unangenehmen Sache eine maximal große superpeinliche Sache machen kann". Bei 12.000 Euro sieht es zumindest so aus, als wenn man ein Interesse daran haben könnte, diesen Auftrag nicht zu verlieren.

[Ergänzung: Ich habe leider diesen Thread von Jens Weinreich unterschlagen, der schon am 6. März, also vor "T-Online" auf die Antwort der Bundesregierung hingewiesen hatte. Weinreich weist unter anderem darauf hin, dass Linda Zervakis schon in den vergangenen Jahren Honorare der Bundesregierung erhalten habe, es also um erheblich größere Summen gehe – und nicht nur um sie, sondern laut Weinreich um etwa 200 Journalistinnen und Journalisten, die oft für Honorare in Höhe von 4.000 bis 5.000 Euro arbeiteten.]

+++ In Polen hat sich ein 15-jähriger Junge umgebracht, und das hat möglicherweise damit zu tun, dass regierungstreue Medien über einen Missbrauchsfall berichtet und den Jungen als Opfer identifiziert hatten, berichtet Gerhard Gnauck auf der FAZ-Medienseite (€). Der Junge war vor drei Jahren von einem Mann missbraucht worden. Der Täter wurde später verurteilt. Er ist ein Liberaler, laut FAZ angeblich auch LGBTQ-Aktivist und Mitglied der Oppositionspartei. Radio Stettin und der regierungstreue Sender "TVP Info" hätten den Fall im Dezember wieder aufgewärmt und der Opposition vorgeworfen, den Fall "so lange unter den Teppich gekehrt" zu haben. Und das führt nun zu einer Debatte darüber, was das für die Parlamentswahlen im Herbst bedeutet.

+++ Am Montag wählt der MDR-Rundfunkrat einen neuen MDR-Intendanten. Zur Wahl steht nur Verwaltungsdirektor Ralf Ludwig. Seine Wahl könnte allerdings im ersten Wahlgang zunächst scheitern, denn Ludwig braucht eine Zwei-Drittel-Mehrheit, doch die ist nicht sicher, denn es gibt Kritik am Verfahren und an den Konditionen, zu denen Ludwig laut dem Bericht eingestellt werden möchte, berichtet Helmut Hartung im Artikel "Wird Ralf Ludwig Chef des MDR mit 'Ruhegeld'?" auf der FAZ-Medienseite (€). Der Gesamtpersonalrat kritisiert, dass es nur einen Kandidaten gibt und nur drei angehört wurden. Außerdem gibt es Zweifel daran, ob Ludwig, der kein Journalist ist, für den Posten geeignet ist. Und es taucht noch ein Reizwort auf. Ludwig hatte offenbar ausgehandelt, dass sein Vertrag auch ein “Ruhegeld” enthält, also eine Sonderzahlung, die ihn schon vor dem Ruhestand mit einer Art Rente absichern würde. Diese Praxis war im Zusammenhang mit dem RBB-Skandal in Verruf geraten.

Korrekturhinweis am 10. März 2023, 11:40 Uhr: Wir hatten am Ende der Meldung geschrieben, wenn Ludwig am Montag keine Mehrheit bekomme, werde in vier Wochen noch einmal gewählt. Dann genüge eine einfache Mehrheit. Das stimmte so nicht. Es ist etwas komplizierter. Richtig ist laut MDR-Staatsvertrag: Wird Ludwig am Montag nicht gewählt, darf der Verwaltungsrat innerhalb eines Monats einen neuen Vorschlag machen. Kommt dann bis drei Monate vor Ende der Amtszeit Ende Oktober (also Anfang August) keine Wahl zustande, gibt es nach einem Monat einen weiteren Wahlgang (Anfang September). Hier bräuchte Ludwig die Hälfte der Stimmen des Rundfunkrats, also 26 Stimmen. Interessant ist: Am Montag könnte Ludwig schon mit 23 Stimmen gewählt werden. Er braucht eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Aber theoretisch müssten nur zwei Drittel des Rates anwesend sein. Das wären 34 Mitglieder, zwei Drittel davon sind 23.

Das Altpapier am Freitag schreibt René Martens.

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