Das Altpapier am 21. März 2023: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 21. März 2023 Der dickste Hund des deutschen Fernsehkrimis

21. März 2023, 10:04 Uhr

... in diesem Jahr läuft heute abend zum Glück bei RTL. Die Bundesregierung investiert außer in Journalisten auch ganz schön in Öffentlichkeitsarbeit. Die ARD wiederum will "hunderte Millionen" in Streaming-Technik investieren. Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Noch mehr Regierungsgeld ...

Sie machen weiterhin keine großen Schlagzeilen, aber immerhin weiter welche: die Bundesregierungs-Honorare für Journalisten. Sebastian Erb, der mit der Zervakis-Republica-Kanzler-Scholz-Recherche die Sache ins Rollen gebracht hatte, legte für die "taz" nicht nur noch mal nach ("Das Bundeskanzleramt rechtfertigt eine hohe Zahlung an Linda Zervakis"), sondern veröffentlichte auch seine "per IFG", also Informationsfreiheitsgesetz erlangten Kanzleramts-Unterlagen bei fragdenstaat.de. Und weil das Kanzleramt klug genug ist, wenn, dann alle Anfragen zu beantworten, konnte dann auch der "Tagesspiegel" vermelden, was "ein Regierungssprecher dem Tagesspiegel auf Anfrage" dann auch ihm noch mal mitteilte.

Neu online steht inzwischen Volker Lilienthals am Freitag hier erwähnter, auführlicher "epd medien"-Beitrag. Unter der Überschrift "Ein systemisches Problem" schreibt Lilienthal resolut:

" ...hier geht es um den Grundsatz der journalistischen Distanz - also um eine Professionsnorm, die viel mehr ist als bloß eine Regel für moralisches Wohlverhalten, sondern eine conditio sine qua non für die Funktionalität der 'Vierten Gewalt' innerhalb der Demokratie. Dies gilt in ganz besonderer Weise für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk..., der staatsfern konzipiert ist, aber eben eine Garantiefinanzierung genießt, über die staatliche Gliederungen mitentscheiden, was auch EU-beihilferechtlich immer wieder zu legitimieren ist. Es wäre ein GAU, wenn diese Staatsferne grundsätzlich in Zweifel gezogen werden könnte - und sei es nur wegen einzelner Zahlungen von Bundesministerien an Redakteure von ARD und ZDF."

Wobei Lilienthal, der einst ja als Aufdecker des "Schleichwerbeskandal" um den ARD-Bavaria-"Marienhof" Furore gemacht hatte, sich dann aber dagegen ausspricht, die Namen der oft üppig honorierten Journalistinnen und Journalisten zu nennen. Dennoch empfahl er, wie gestern hier im Korb erwähnt, den uebermedien.de-Beitrag zum selben Thema, der allerdings sehr wohl Namen nennt. Vor allem verdient Aufmerksamkeit, dass diesem zufolge die Liste und Zahl der Honorare und ihrer Empfänger noch länger und höher werden dürften, weil bisher u.a. Angaben des Bundesinnenministeriums ("Man habe versäumt, die Daten einzureichen, sagt eine Sprecherin zu Übermedien, werde das aber nachholen") sowie des Auswärtigen Amts, des Bundesrechnungshofs und des Bundespräsidialamts fehlten. Bundespräsident Steinmeier hält ja viel von Journalisten und holte vor einem Jahr zwei prominente offiziell in sein Amt.

Außerdem nennen Boris Rosenkranz und Lisa Kräher von "Übermedien" wie gesagt abwägend so einige Namen. Während sie Johannes B. Kerner gegen "Clickbait"-Vorwürfe bei t-online.de verteidigen, nennen sie vor allem Namen bekannterer Journalistinnen (was Lilienthal, der "eine misogyne Gefahr ..., der auch die Bundesregierung in ihrer Antwort nicht ganz entgangen ist", sieht, vielleicht doch ärgert):

"Anders ist es, und da sollte man vielleicht differenzieren, bei festangestellten Mitarbeitern, etwa vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die obendrein Chef oder Abteilungsleiter sind und Programmverantwortung haben. Muss Anne Gellinek vom ZDF unbedingt nebenbei noch ein Politiker-Gespräch eines Ministeriums moderieren?"

Außerdem geht's um einen – namentlich nun nicht genannten – freien Mitarbeiter des ZDF-Landesstudios Brandenburg, der laut Bundespresseamt "an Videos für die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung mitgewirkt" habe. Ja, hat die Bundesregierung denn nicht wenigstens im Presseamt, an dessen Spitze stets erfahrene Journalisten stehen wie derzeit der vormalige Hauptstadtkorrespondent Steffen Hebestreit und einst der spätere BR-Intendant Ulrich Wilhelm, eigene Leute im Haus, die unbefangener öffentlichkeitsarbeiten könnten?

Doch, antwortet Franziska Zimmerer in einem "Welt"-Kommentar, und zitiert aus einem Papier des Bundes deutscher Steuerzahler, es seien

"mehr als 300 Planstellen für die Öffentlichkeitsarbeit. Rechnet man dann noch das Bundespresseamt mit seinen 530 Stellen dazu, kommt man auf mehr als 830 Stellen."

Dazu schaut Zimmerer auf aktuelle Bundesministerien-Öffentlichkeitsarbeit, bei der die Grenzen zur (streng genommen: nicht gestatteten) politischen Werbung für die Amtsinhaber und ihre Parteien oft fließen. Sie nennt Beispiele von der grünen Bundesfamilienministerin Paus ("verkauft in ihrem Format 'Gerade Paus' auf dem Instagram-Account ihres Ministeriums ihre politischen Erfolge ... als Informationsangebot") wie aus dem FDP-geführten Bundesfinanzministerium (das, auch auf Insta, "ausgedachte Stock-Foto-Familien mit ebenso ausgedachten Steuererklärungen präsentiert", bei denen tolle Ersparnisse herausspringen).

Fazit: Auch jenseite der Fragen, was der Facebook-kritische, aber in der Bundesregierung kaum beachtete Bundesdatenschutzbeauftragte (Altpapier) dazu sagt, und ob nicht sogar Ministerien-Geld an den Facebook-Konzern selbst geht (das er dann vielleicht in Irland ein bisschen versteuert... ), ist die Medien-Arbeit der Bundesregierung sowohl in vielen Medien als auch mit Hilfe vieler Journalisten ein gewaltiger Komplex, der allerwenigstens künftig erheblich mehr  Transparenz benötigte.

Kai Gniffkes allerjüngster Coup

Die Sätze "Geradezu verdächtig still ist es derzeit bei ARD und ZDF. Dabei täten die Sender gut daran, etwas Licht ins Dunkel zu bringen und aktiv in die Debatte einzusteigen ...", stehen auch im erwähnten uebermedien.de-Beitrag. Verdächtig still ist es derzeit bei ARD und ZDF natürlich nur an dieser einen Front. Sonst treiben die Anstalten viel Öffentlichkeitsarbeit. Ganz besonders der noch neue ARD-Vorsitzende Kai Gniffke.

Gerade gab er dem Mediensdienst der katholischen KNA ein Interview (Altpapier), in dem er etwa auf die Frage, ob "noch sinnvoll" sei, "dass Rundfunkräte mit kirchlichen Vertretern besetzt sind", antwortet: "In jedem Fall, denn etwa die Hälfte der Menschen in der Bundesrepublik sind Mitglied einer der großen christlichen Kirchen." Schon sorgt er bei der Evangelischen Akademie Tutzing für noch mehr Furore. Das Votum für kirchliche Gremien-Mitglieder könnte damit zu tun haben , dass diese zumindest in der Vergangenheit selten besonders kritische Fragen stellen, wie das "Sittenbild" aus dem Berlin-Brandenburger Rundfunk-Milieu belegt, das die "FAZ" gerne weiter ausmalt. Dazu zitiert sie die zurückgetretene frühere Vorsitzende des RBB-Rundfunkrats, die Kirchenvertreterin Friederike von Kirchbach, aus dem Untersuchungsausschuss des Brandenburger Landtags:

"Manches blieb ... unklar: Einerseits sprach sie davon, keine Details der Boni zu kennen, andererseits sagte sie, sie denke, dass ihr der prozentuale Anteil vermittelt wurde."

Wobei die Unklarheit wiederum den Brandenburger Politikern geschuldet ist, die offenbar jetzt nicht länger nachfragten (und das, jenau wie die Berliner Kollegen, in den RBB-Gremien lange Jahre ja auch nicht getan hatten). Nun aber nach Tutzing! Bei der Tagung der Evangelischen Akademie waren außer Gniffke das Medienressort der "Süddeutschen" sowie der Bayerische Rundfunk aus dem nahen München sowie Nachrichtenagenturen anwesend. "ARD will hunderte Millionen für Streamingtechnik ausgeben", lautet die spektakulärste Schlagzeile, frei online zu lesen etwa bei golem.de. Gniffke hatte den Berichten zufolge viele konstruktiv klingende Schlagwörter wie "Technikfröhlichkeit" (mit der der BR titelt), "deutschen Erfindergeist" und "deutsche Ingenieurskunst", die die "SZ" zitiert, im Gepäck. Wo genau die hunderte Millionen herkommen sollen, machte er offenbar noch nicht sehr deutlich. Dafür zukünftig eingesetzte "Text-Roboter" und die Blockchain, die der ARD-Vorsitzende ferner in die Debatte warf, nicht ausreichen.

Im Kern hat Gniffke natürlich einen Punkt: Einen offenen "Marktplatz für alle deutschen Medien" als "Medieninfrastruktur" auf Augenhöhe mit den Netzwerken der Plattform-Konzerne, das könnte durchaus eine sinnvolle öffentlich-rechtliche Aufgabe sein. Doof freilich, wie Heiko Hilker in seinem Newsletter erwähnt, dass das von den Öffentlich-Rechtlichen betriebene, auch in München ansässige Institut für Rundfunktechnik just abgewickelt wurde. Das war lange Jahre weltweit mitführend in der medientechnischen Forschung gewesen (und hätte mit seinen Patentrechten an Erfindungen wie dem Musikformat mp3 hohe Millionensummen eingespielt. Also wenn sich beizeiten jemand ernsthaft drum gekümmert hätte). Jedenfalls: Kai Gniffkes jüngste Ankündigungen schreien nach weiteren Kai-Gniffke-Interviews zur notwendigen Vertiefung.

Bertelsmanns Fernseh-Bemühungen

Der Bertelsmann-Konzern steckt seit Wochen in ungewöhnlich negativen Schlagzeilen, auch weil seine großen, schönen Plattform-Ideen ("One app, all media" hieß das 2021) nicht klappten und die Zeitschriften nun bloß noch stören.

Um Fernsehen bemüht sich Bertelsmanns RTL kräftig, ob nun beim Nebensender RTL2 (dessen tägliche Serie "Köln 50667" gerade das "sauschwierige Unterfangen, gegen Sehgewohnheiten anzukämpfen", aufnahm, wie dwdl.de gründlich analysiert), oder im Hauptsender. Da läuft heute abend zur sog. besten Sendezeit der wohl dickste Hund des deutschen Fernsehkrimis 2023: "Miss Merkel - Ein Uckermark-Krimi" (Trailer bei Youtube) mit Katharina Thalbach in der Titelrolle der Altkanzlerin.

"Von plumpen Sex-Witzen ('Zeig mir deine Rakete') über Ex-Kanzlerinnen-Pieseln im Wald und Flatulenzen des Hundes bis zu Kalauern der billigen Sorte ('Lieber Influencer als Influenza') ist jeglicher Unsinns-Humor aus der unteren Schublade dabei",

macht Heike Hupertz in der "FAZ" gespannt. "Schlicht und klamaukig", findet Andrea Kaiser bei "epd medien". Klingt, als hätte das auch ganz gut auf einen der Regionalkrimi-Sendeplätze bei ZDF oder ARD, die Merkel zu ihren Amtszeiten ja sehr gewogen waren, gepasst.

Insofern: Schon aus Gründen des für die Öffentlich-Rechtlichen essentiellen Staatsferne-Anschein gut, dass dieser Film bei RTL läuft. Was vielleicht nicht mal ein Zufall ist, der nur zustande kam, weil die Privatsender schneller handeln und sich attraktive Rechte sichern können, sondern eine bewusste Entscheidung. Produziert wurde "Miss Merkel" nämlich von der Letterbox-Filmproduktion – einem Unternehmen der NDR-Enkelfirma Studio Hamburg, der man vermutlich kein Unrecht tut, wenn man annimmt, dass sie ihre allerspektakulärsten Projekte erst mal der eigenen Oma mit den sicheren Einnahmen anbietet ...

Mal eine gute Nachricht

Noch ein Blick zum Springer-Konzern, der auch in negativen Schlagzeilen steckt, das aber immerhin gewohnt ist. Zu den "vielen Fragezeichen" (AP gestern) des "Bild"-Chefredaktions-Rauswurfs hörte Caspar Shaller von der "taz", die ja lange in der Rudi-Caesar-Koch-Straße nebenan saß und gute Drähte zu Springer hat:

"Verschiedene Quellen berichten, dass Donnerstagmorgen noch alles seinen gewohnten Gang ging. Alexandra Würzbach leitete die tägliche 10-Uhr-Konferenz, bevor sie und ihre Co-Chefredakteure zum Vorstand einberufen wurden. Erst dort wurde ihnen eröffnet, dass sie gehen müssten."

Was Fragen, was denn bloß bei Springer los ist, weiter anfacht. Oder kommen aus Mathias Döpfners Chefbüro deshalb keine elaborierten Visionen für den deutschen Medienmarkt mehr, weil der nun (vom undankbaren Posten den "Bild"-Haupt-Chefredakteurs) gefeuerte Johannes Boie eigentlich Döpfners bester Mann dafür war? Jedenfalls gibt es noch 'ne interessante Springer-Personalie:

"Der bisherige Deutschlandchef von Politico, Florian Eder, wechselt zur Süddeutschen Zeitung. Er wird dort ein neues journalistisches Angebot entwickeln und die Gesamtverantwortung dafür übernehmen."

Die US-amerikanische Springer-Marke "Politico", die es, anders die US-amerikanische Springer-Marke "Business Insider" auf deutsch noch nicht gibt, gilt als auch hierzulande zukunftsträchtig. Dass die "Welt" dereinst in ihr aufgehen könnte, wurde bereits spekuliert (Altpapierkorb). Dass da eine Führungsperson freiwillig geht, ist insofern eine brisante Neuigkeit – in der ja auch etwas im deutschen Medienbetrieb Seltenes steckt: die gute Nachricht, dass die Südwestdeutsche Medienholding (die in den vergangenen Jahren auch nur mit Spar- und Streich-Aktivitäten hier auftauchte), "ein neues journalistisches Angebot" aufbauen möchte.


Altpapierkorb (Kackhaufen, Lineker & Bommes, "Libra" & "Sinn und Form", Deutsche Welle)

+++ Nachdem Elon Musk twitterte: "press@twitter.com now auto responds with", ähm, einem "Kackhaufen-Emoji", verzichtete kaum ein Netzwelt-/Digital-/Medien-Ressorts drauf verzichtet, sich von Twitters "Pressestelle" ein ebensolches schicken zu lassen und rumzuzeigen. Sogar Michael Hanfeld von der "FAZ" ... +++

+++ Bisschen unfair, bloß wegen relativer Gleichzeitigkeit den ARD-Sport-Quiz-Talkshow-Moderator Alexander Bommes mit Gary Lineker zu vergleichen, aber der "Tagesspiegel" tut's. Der "große Moment" von Linekers schneller Rückkehr in seine BBC-Fußballsendung war "ein wenig antiklimaktisch", schreibt Kit Holden. +++

+++ "So erscheint die Idee, die Freiheit der Presse gebiete die völlige Reinigung des Pressemarktes von öffentlichen Institutionen, fast wie eine Phantasmagorie aus vergangenen Zeiten, als darüber nachgedacht wurde, öffentliche Bildungseinrichtungen mit Mitteln des Wettbewerbsrechts zu verdrängen", schreibt Christoph Möllers, Staatsrechtler von der Berliner Humboldt-Universität, zu den seiner Ansicht nach zeitgleichen, aber sonst nicht vergleichbaren Fällen "Libra" und "Sinn und Form" (Altpapier) auf der "SZ"-Medienseite. +++

+++ "Die Senderspitze, unterstützt von einem treubraven Rundfunkrat, wirkt in ihrem eigenen Ausgabenverhalten (Dienstreisen!) so, als würde sie den Mitarbeitenden Wasser predigen und sich selber Wein einschenken", kommentiert Joachim Huber zur Lage bei der Deutschen Welle (AP gestern). +++

Das nächste Altpapier schreibt am Mittwoch René Martens.

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