Das Altpapier am 16. Juni 2023: Porträt des Altpapier-Autoren Ralf Heimann
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 16. Juni 2023 Da waren’s nur noch zwei

16. Juni 2023, 11:27 Uhr

Der Kapriolensender RBB wählt heute eine neue Intendantin. Das ist schon klar, weil der einzige männliche Kandidat am Abend vor der Wahl abgesprungen ist. Zum zweiten Mal. Damit gibt er der Gewinnerin noch schön einen mit. Und auch sonst geht wieder einiges schief. Heute kommentiert Ralf Heimann die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Am Ende dann doch wieder Chaos

Nach einem kurzen Moment, in dem man hätte denken können: "Jetzt läuft’s ja alles doch noch ganz rund beim RBB" (Altpapier), kam am Donnerstagabend die nächste Meldung herein, die diesen Eindruck augenblicklich wieder verwischte. Nachdem Radio-Bremen-Programmdirektor Jan Weyrauch bei der Wahl zum RBB-Intendanten, die heute stattfinden soll, in der engeren Auswahl gewesen war, sich dann aber zurückgezogen hatte, um kurz darauf doch wieder dabei zu sein, meldete die dpa gegen halb acht, hier zu lesen beim "Spiegel": "Jan Weyrauch zieht Bewerbung zurück."

Man muss sich unweigerlich vorstellen, wie Weyrauch mit seinem Smartphone und einem Gänseblümchen in der Hand auf einer Wiese in Bremen sitzt, Blütenblatt für Blütenblatt herauszupft, vor sich hinmurmelt: "Ich trete an. Ich trete nicht an. Ich trete an. Ich trete nicht an." – und das dem Sender zwischendurch immer mal wieder mitteilt.

Aber ganz so war es offenbar doch nicht. Die Berliner "BZ" titelt in der Dachzeile zur Meldung über Weyrauchs Rückzug: "Er verzichtet auf Top-Gehalt." Und das ist zwar einerseits vollkommen richtig, denn im Bevölkerungsschnitt werden RBB-Intendaten-Bezüge wohl sehr weit über dem Durchschnitt liegen. Aber die Interpretation ist auch ein bisschen kurios, denn einer der Hauptgründe für Weyrauchs Rückzug scheint zu sein, dass er gerade nicht auf ein Top-Gehalt verzichten möchte. Bei Radio Bremen verdient er zurzeit 214.000 Euro im Jahr. In seiner neuen Position als Intendant könnte das weniger sein. Im Gespräch ist laut "epd Medien" eine Spannbreite zwischen 180.000 und 230.000 Euro.

Zur Erinnerung: Im Rundfunkrat hatte man irgendwann im Verlauf des Prozesses beschlossen, die Intendatenbezüge zu deckeln. Das war offenbar der Grund für Weyrauchs ersten Rückzug. Kurz danach war öffentlich geworden, dass er nach Einschätzung der Personalvertretung wohl der qualifizierteste Bewerber war. Und weil nicht der Rundfunkrat, sondern der Verwaltungsrat die Bezüge festlegt, hätte sich die Chance ergeben, sich erst wählen zu lassen und dann in dieser hervorragenden Verhandlungsposition mit dem Verwaltungsrat über das Geld zu sprechen. Dem wäre es ja möglicherweise lieber, am Ende noch ein paar Euro draufzulegen als öffentlich eingestehen zu müssen: Wir haben uns leider verwählt, denn für die uns vorschwebenden Summe ist der gewählte Kandidat leider nicht zu haben.

Weyrauchs gestern veröffentlichte Erklärung deutet darauf hin, dass es zu dieser Situation mit einiger Wahrscheinlichkeit gekommen wäre.

Der dpa hatte er gesagt, er sei selbstverständlich bereit, im Vergleich zum Gehalt von Interimschefin Katrin Vernau (295.000 Euro) Abstriche in Kauf zu nehmen. Zum Vergleich: Patricia Schlesinger hatte im Jahr 2021 ungefähr 340.000 Euro bekommen. Allerdings seien "während des Prozesses (…) Vorstellungen zur Gehaltsspanne des Intendantenvertrags ins Spiel gebracht" worden, bei denen er "auch aus strategischen Überlegungen für die Folgewirkung auf das gesamte Gehaltsgefüge im RBB bei allem Verständnis für den sorgsamen und sparsamen Umgang mit Beitragsgeldern nicht mitgehen kann".

So schön kann man es also ausdrücken und auch noch als Interesse des Senders darstellen, wenn man selbst gern mehr Geld gehabt hätte.

Alle schlagen um sich

Es zeichnete sich also wohl ab, dass man sich nicht einig werden würde. Weyrauch sagt: "Der Schaden für den rbb, für seine Gremien und nicht zuletzt für den Kandidaten wäre in der Öffentlichkeit riesig und kaum erklärbar."

Das ist eine interessante Formulierung. Aber stimmt das so? Man muss einen Moment drüber nachdenken.

Der Schaden für den Sender hätte darin bestanden, dass er es ganz berlinlike nicht hinbekommen hätte, eine Wahl so über die Bühne zu bringen, dass am Ende jemand einfach – dafür wählt man ja schließlich – ganz normal im Amt ist.

Die Gremien hätten Schaden genommen, weil man sich gefragt hätte: Spricht man denn im Vorfeld so einer Wahl nicht an irgendeiner Stelle auch mal verbindlich über Geld? Dass die Gremien nun keinen Schaden nehmen, kann man allerdings auch nicht behaupten. Das wird schon heute in der Berichterstattung deutlich. Der Eindruck ist: Alle schlagen irgendwie um sich.

Der Vorsitzende des RBB-Rundfunkrats gibt Weyrauch laut "rbb24" noch einen mit, indem er sagt: "Wir stehen vor grundlegenden Neuorientierungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und im rbb, das musste allen klar sein, die für das Intendantenamt antreten." In anderen Worten: Weyrauch war das nach Einschätzung von Bürgel wohl nicht klar. Er wollte also offenbar keine Neuorientierung.

Der Personalrat wiederum kritisiert Bürgel, weil der es nach Einschätzung des Rates nicht geschafft hatte, den Kandidatinnen und Kandidaten deutlich zu machen, worum es geht und was dafür zu bekommen ist. Die Personalratsvorsitzende Sabine Jauer gibt sich keine große Mühe mehr, irgendetwas diplomatisch zu formulieren. Laut "rbb24" sagt sie:

"Wir haben großes Unverständnis über die mangelhafte Professionalität des Vorsitzenden der Findungskommission, Herrn Bürgel, der offensichtlich nicht in der Lage war, mit den Kandidaten und Kandidatinnen professionell zu kommunizieren, sodass nun 50 Prozent der von uns ausgewählten Kandidaten auf der Strecken geblieben sind."

Und noch mehr ärgert sie sich über den Verwaltungsratsvorsitzenden Benjamin Ehlers. Der habe sich in das Wahlverfahren "unangemessen eingemischt".

Eine große Chance, leider verpasst

Und der Schaden für den Kandidaten? Weyrauch selbst steht jetzt als der da, dem es am Ende vor allem ums Geld ging. Die Frage ist: Reichen 180.000 Euro oder wie viel auch immer er in dem Job bekommen hätte, denn nicht in jedem Fall aus, um vernünftig zu leben? Muss es denn wirklich noch immer mehr sein?

Man kann es natürlich auch anders sehen und sagen: Verständlich, dass Weyrauch in seinem neuen Job mit mehr Verantwortung nicht unbedingt weniger verdienen möchte als vorher.

In jedem Fall bleibt aber die Frage: Wer hat das denn alles verbockt? Er selbst? Die Gremien? Hat man ihm ein falsches Signal gegeben? Hat man ihm signalisiert, dass das alles schon irgendwie klappen wird, wenn er erst mal gewählt ist? Hat er seine eigene Position hier falsch eingeschätzt? Fest steht: Er hat sich verschätzt.

Das ist sehr schade, denn die Situation wäre eine große Chance gewesen. Kaum etwas hätte Weyrauchs Bereitschaft so viel Glaubwürdigkeit verliehen wie das Signal: Für diesen Job verzichte ich sogar auf richtig viel Geld.

Der Satz in Weyrauchs Statement ist der Versuch, die Geschichte so klingen zu lassen, als hätte er den eigenen Imageverlust gerade noch abgewendet. Dabei ist das Gegenteil der Fall. Und nicht nur das. Er gibt nicht nur selbst kein gutes Bild aber, durch seinen Rückzug schwächt er auch die Person, die heute, wenn wirklich alles klappen sollte, die Intendantenwahl gewinnen wird.

Die neue RBB-Intendantin steht von Beginn unter dem Eindruck, nur zweite Wahl zu sein. Das hätte sich schon dadurch vermeiden lassen, dass man nicht erst mittendrin mit dem Gehaltsdeckel um die Ecke gekommen wäre. Dafür war es dann irgendwann zu spät. Aber es wäre auch danach noch möglich gewesen, diese ungünstige Situation zu umgehen, wenn man Weyrauch gleich deutlich gemacht hätte: An dem Gehaltsdeckel wird sich auch nach der Wahl nichts ändern.

Im Falle von Juliane Leopold, die vor Weyrauch angekündigt hatte, sich nicht mehr zur Wahl zu stellen, war es etwas anders. Nach Einschätzung von RBB-Medienjournalist Jörg Wagner zog sie sich zurück, als klar war: Sie wird nicht gewinnen, also zwar ebenfalls, um einen Imageverlust abzuwenden, aber aus anderen Gründen.

Zwei weitere Makel

Im Interview mit Martin Krebbers für das Deutschlandfunk-Medienmagazin "@mediasres", sagt Wagner zu Leopolds Begründung, die gelautet hatte, ihr sei erst später klar geworden, dass es beim RBB zurzeit wichtigere Dinge gebe als die digitale Transformation, diese Einschätzung stimme so nicht. Nach seinem Eindruck sei das "eine Ausrede gewesen, um ein mögliches Versagen in der eigentlichen Wahl zu kaschieren".

Der Vollständigkeit halber: Die amtierende Interimsintendantin Katrin Vernau hatte sich ebenfalls verkalkuliert. In ihrem Fall war der etwas überraschende Eindruck entstanden, dass sie in dieser sensiblen Situation, in der es im Zusammenhang mit ihrer Vorgängerin unter anderem um den Verdacht von Vetternwirtschaft geht, damit rechnete, dass man bei ihr eine Ausnahme machen, sie fragen und auch ohne Bewerbungsmappe an den Regularien vorbei dauerhaft als Intendantin einstellen könnte.

Man fragt sich: Woher kommt so etwas? Vernebelt so ein Amt die Sinne tatsächlich so schnell und in so hoher Dosierung?

Fest steht jedenfalls, dass der RBB, wenn er die Wahl heute nicht doch noch irgendwie vergurken sollte, am Abend eine neue Intendantin haben wird: entweder die frühere Microsoft- und Vodafone-Managerin Heide Baumann oder die frühere "Spiegel"-Journalistin und Vize-Regierungssprecherin Ulrike Demmer.

Beide Kandidatinnen haben neben dem von Weyrauch verursachten Makel noch jeweils mindestens einen weiteren. Ulrike Demmer würde laut Jörg Wagner "garantiert der Vorwurf gemacht werden, dass sie als eine ehemalige stellvertretende Regierungssprecherin nicht glaubhaft die Staatsferne des Rundfunks verkörpere". Damit habe sich auch der frühere BR-Intendant Ulrich Wilhelm immer wieder auseinandersetzen müssen.

Heide Baumann werde viel Zeit brauchen, um sich mit dem öffentlich-rechtlichen System, speziell mit dem RBB vertraut zu machen, sagt Wagner. Mal schauen, was der Tag noch so an Überraschungen bereithält. Stefan Niggemeier schrieb gestern Abend bei Twitter im Scherz: "Am Ende muss es Schlesinger wieder machen."


Altpapierkorb (Femizid-Berichterstattung, Fußball-WM, Beitragseinnahmen, Regionalfenster, Presseförderung, Presserat über Friedrich und Döpfner, Grimme-Online-Award)

+++ An jedem dritten Tag tötet in Deutschland ein Mann seine Partner oder Ex-Partnerin. Eine Initiative aus Investigativjournalistinnen habe einen Leitfaden herausgegeben, der erklärt, wie man über solche Fälle am besten berichtet. Spoiler: Das Wort "Familiendrama" kommt in den Berichten im Idealfall nicht vor. Das DJV-Magazin "Journalist" hat diesen Leitfaden dokumentiert. Zur Orientierung: Unter anderem geht es um die Sprache, die Darstellung der Taten, den Umgang mit Betroffenen und Angehörigen sowie um die Sicherheitsrisiken, die sich für diese Menschen ergeben können.

+++ Kurz vor dem Start der Fußball-Weltmeisterschaft, diesmal der Frauen, am 20. Juli, ist es ARD und ZDF doch noch gelungen, an Übertragungsrechte zu kommen (Altpapier). Über die Einigung und die Hintergründe hat Martin Krebbers für "@mediasres" mit ZDF-Sportchef Yorck Polus gesprochen. Und der erklärt die komplizierte Gemengelage. Danach führte die Sportrechteagentur "SportA", die Verhandlungen für ARD und ZDF, konnte sich mit dem Fußballweltverband Fifa aber zunächst nicht einigen. Das gelang laut Polus erst, als die Europäische Rundfunkunion, kurz EBU, sich einschaltete, eine Vereinigung öffentlich-rechtlicher europäischer Fernsehanstalten, die mit der Fifa schon einen Vertrag für das Turnier hatte. Der galt allerdings nicht für Deutschland. Doch das bekam man mit einem neuen Angebot offenbar doch noch irgendwie hin. Wie viel ARD und ZDF für die Übertragungsrechte zahlen, verrät mit Polus mit Verweis aufs "Geschäftsgeheimnis" nicht.  

+++ Die Einnahmen aus dem Rundfunkbeitrag sind im vergangenen Jahr um knapp zwei Prozent auf knapp 8,6 Milliarden Euro gestiegen, meldet der Beitragsservice in seinem Jahresbericht für 2022. Zurückzuführen sei das größtenteils auf die Erhöhung des Beitrags um 86 Cent auf 18,36 Euro. Die Zahl der Menschen, die aus sozialen Gründen von dem Beitrag befreit sind, habe sich trotz der wirtschaftlichen Unsicherheiten verringert.

+++ Die Rundfunkkommission der Bundesländer hat am Donnerstag einstimmig beschlossen, dass sowohl die Mediengruppe "RTL Deutschland" als auch "ProSiebenSat.1" weiterhin Regionalfenster in ihren reichweitenstärksten Programmen einbauen müssen, meldet "epd Medien". Der Grund für den Beschluss war eine Unklarheit, die dazu hätte führen können, dass diese Pflicht nur einen der beiden großen Fernsehkonzerne betrifft. Dort heißt es bislang in Paragraph 59, "in den beiden reichweitenstärksten bundesweiten TV-Programmen seien "mindestens im zeitlichen und regional differenzierten Umfang der Programmaktivitäten zum 1. Juli 2002 nach Maßgabe des jeweiligen Landesrechts Fensterprogramme zur aktuellen und authentischen Darstellung der Ereignisse" im jeweiligen Land aufzunehmen.

+++ So richtig scheint es mit der von den Zeitungsverlagen herbeigesehnten Presseförderung nicht voran zu gehen (Altpapier). Das Bundeswirtschaftsministerium will es nicht machen, die Kulturstaatsministerin Claudia Roth soll sich damit nun offenbar beschäftigen, aber die "kolportierten 220 Millionen Euro" seien offenbar noch nicht budgetiert, schreibt Christian Meier in einem Beitrag für die "Welt". Auf Nachfrage heiße es: "Die Bundesregierung befindet sich aktuell in der Beratung, wie eine Zustellförderung ausgestaltet werden kann und welches Ressort dafür zuständig ist." Auf dem Zeitungsverlegerkongress sei man "leicht resigniert" gewesen, ob die Förderung überhaupt kommt. Zwischenzeitlich schienen die Verleger eine Idee nach skandinavischem Vorbild zu bevorzugen: die Senkung des Mehrwertsteuersatzes für Presseprodukte auf null Prozent.

+++ In Tschechien ist genau das Gegenteil geplant: eine höhere Mehrwertsteuer für Zeitungen, berichtet Kilian Kirchgeßner für "@mediasres".

+++ Der deutsche Presserat hat Holger Friedrich, den Verleger der "Berliner Zeitung", gerügt, weil er nach Einschätzung des Rates gegen Informantenschutz verstoßen hat, als er den Namen des früheren "Bild"-Chefredakteurs Julian Reichelt an den "Springer"-Verlag weitergab. Das meldet der Rat in einer Pressemitteilung. Eine Beschwerde über die "Zeit" wegen der Veröffentlichung mehrerer Kurznachrichten von Mathias Döpfner wies der Presserat dagegen zurück. Das teilt das Gremium ebenfalls in einer Pressemitteilung mit. Am Inhalt der "Nachrichten des Springer-Chefs an leitende Angestellte besteht in dem konkreten Fall nach Ziffer 8 des Pressekodex ein überwiegendes öffentliches Interesse".

+++ Gestern Abend sind die Grimme-Online-Awards verliehen worden. Hier ein Überblick über alle Preisträgerinnern und Preisträger. Altpapier-Kollege Christian Bartels war in der Jury. Bei Twitter erklärt er, warum er sich darüber ärgert, dass Mastodon nicht nachnominiert wurde – und natürlich erklärt er das auch bei Mastodon

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. Das Altpapier am Montag schreibt Klaus Raab.

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