Das Altpapier am 04. Juli 2023: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 04. Juli 2023 Champagner auf dem Sonnendeck

04. Juli 2023, 12:35 Uhr

Der reichweitenstärkste deutsche Papier-Werbeträger stellt 2024 sein Erscheinen ein. Im RBB wird bemerkenswert deutlich über Vergangenheit und Zukunft des RBB gesprochen. Im anlaufenden Hessen-Wahlkampf geht es auch um Netzpolitik. Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Neues vom Papiermedien-Markt

Keine Spur von Sommerloch, viel los an allen Ecken und Enden. Der Überblick beginnt heute in der Welt der Papier-Medien – manchmal bleibt unser Name Programm. Nun ist es RTL also gelungen, einen ersten Teil des ehemaligen Zeitschriftenverlags Gruner + Jahr, den es innerhalb des Bertelsmann-Konzerns schlucken musste, zu verkaufen. Um die "P.M."-Zeitschriften geht es, deren Abkürzung weder für Pressemitteilung noch für "populärwissenschaftliches Magazin" (RTL-PM) steht; die entsprechende, hübsche Vornamen-Verwechslungs-Geschichte aus den 1970er Jahren finden Sie etwa in der Wikipedia.

Beim Käufer für eine ungenannte Summe handelt es sich um GeraNova Bruckmann aus München. Zu diesem im Vergleich mit klangvollen Namen wie einst G+J weniger bekannten Verlag, der auch die schöne Internetadresse verlagshaus.de besitzt, gehören nach eigenen Angaben so schöne Dinge wie "Europas größter Tierzeitschriftenverlag" ("Ein Herz für Tiere Media"), Selbermachen Media und der Christian-Verlag ("kümmert sich um die schönen Dinge des Lebens").

Wobei das Geschäft mit gedruckten, kostenpflichtigen Medien dennoch schwierig bleibt. Wer gestern hier bis in den Altpapierkorb scrollte oder wischte, fand die Nachricht, dass "Emotion", vor allem als Zeitschrift bekannt, wenn auch natürlich ebenfalls online, gerade Insolvenz anmelden musste  – u.a. wegen "gestiegener Papier- und Druckpreise".  Könnten Papier und Druck nun aber perspektivisch billiger werden? Gerade kündigte ein ganz großer Wettbewerber, das nach (glaubwürdigen) eigenen Angaben "reichweitenstärkste Werbemedium Deutschlands", sein Aus an. "Einkauf aktuell", das über lange Jahre in Abermillionen Plastikhüllen eingeschweißte Werbekatalogbündel, das die Postboten in alle Briefkästen stopfen mussten und noch müssen, auf denen nicht hinreichend deutliche Aufkleber dies verbieten, wird im kommenden Frühjahr sein Erscheinen einstellen. Das melden etwa manager-magazin.de und RTLs "Stern".

Vermutlich hängt die Entscheidung der Deutschen Post mit der vor einem Jahr (Altpapier) angekündigten, nun zum Juli wirksam gewordenen Rewe-Entscheidung, keine Kataloge mehr drucken zu lassen, zusammen. Steckten nicht Rewe-Kataloge oft in den "Einkauf aktuell"-Bündeln?

Damals verlinkte ich hier auch ein Interview, das ich mit dem Buchwissenschaftler Daniel Bellingradt über ökonomische und ökologische Aspekte Papier-basierter und digital-elektronischer Medien geführt hatte. Der Bellingradt-Satz "Hinter dem Display brummen riesige Serverfarmen, die Unmengen an Strom verbrauchen", bleibt weiter gültig. Es lässt sich nicht leichthin sagen, dass gedruckte Medien mehr Energie verbrauchen als digitale. Doch dass das "Einkauf aktuell" des weiterhin teil-staatlichen Post-Konzerns endlich wegfällt, dürften viele in der Medienlandschaft begrüßen.

Beim RBB geht's hoch her

Wenn Sie gerade Zeit haben .... huch, "321 Min."? .. Na ja, eine Dreiviertelstunde reicht auch. So lange dauert im Kern die aktuelle Ausgabe des RBB-"Medienmagazins", die sich definitiv zu hören lohnt.

Anlass der Sonderausgabe ist der einjährige Jahrestag der RBB-Skandale. Okay, daran wurde schon öfter erinnert. Hier geht es um die ersten Meldungen, die der RBB selbst in der eigenen Sache bringen musste. Es war ja der "Business Insider" aus dem Springer-Konzern, der die Sache ins Rollen brachte, weshalb viele und auch der RBB zunächst reflexhaft behaupten konnten, es handele sich um eine Springer-Kampagne und könne ignoriert werden. Zum Jahrestag versammelte "Medienmagazin"-Macher Jörg Wagner unter anderem BI-Chefredakteur Kayhan Özgenc, RBB-Reporterin Gabi Probst, deren Berichte in der eigenen Skandalsache dann auch viel Aufsehen erregten (Altpapier), und RBB-Rundfunkrats-Mitglied Antje Kapek. Es fallen sehr deutliche Worte, auch optimistische. "Der RBB wird geradezu zum Vorbild", was Recherchen auch im eigenen Haus betrifft, sagt Probst etwa. Es sei "supermutig" und werde in die ganze ARD ausstrahlen, wie der neue Verwaltungsrat dabei vorging, das Gehalt der neu gewählten nächsten Intendantin zu reduzieren, sagt Kapek. Es fallen aber auch bemerkenswert düstere Sätze zur Rolle der Gremien. Ebenfalls Kapek schildert, wie Schlesinger mit "einstündigen Vorträge, wie toll es ist, dass wir irgendwo wieder einen Grimme-Preis gewonnen haben", ihre nominellen Kontrolleure einlullte (bei Min. 21.50). Von einem "massiven Problem mit der Kontrolle" spricht der Zeithistoriker Christoph Classen: Das ganze Aufsichtsgremien-System sei wohl in der Nachkriegszeit in Ordnung gewesen, aber "nicht mehr zeitgemäß".

Und dann fordert Wagner, dass es solch einen "Klimabericht" übers interne Arbeitsklima, wie ihn der NDR erstellte (Altpapier), beim RBB auch geben sollte. Dazu spielt er eine ganz aktuelle Wutrede einer nicht namentlich genannten RBB-Mitarbeiterin ein (ab Min. 33.12). "Der öffentlich-rechtliche Rundfunk macht ja lauter Dinge, die er bei anderen anprangert", zieht sie etwa vom Leder, oder:

"Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist ein Riesen-Tanker. Da wird immer noch ein Deck aufgezogen, oben, da kommt nochmal ein Sonnendeck und noch ein Sonnendeck. Und da oben steht man, trinkt Champagner, isst Canapés und fühlt sich sehr wichtig. Und unten, da sitzen die Galeeren-Sklaven und rudern um ihr Leben, bekommen immer mal ein bisschen Brot und Wasser. Wenn es dann gar nicht mehr vorwärtsgeht, dann sagt man: 'Oh, wir müssen ein bisschen Last abwerfen' ..."

Falls Sie zeitsparender lesen statt hören wollen: Das geht bei businessinsider.de. Das ist ein anderer Schnack, als wenn heute auf der "SZ"-Medienseite der Politik- und Rundfunkrats-Veteran Gerhart Baum Sätze sagt wie "Ich habe langsam Zweifel, ob die Staatsferne noch funktioniert". Und das Beste: Dieser andere Schnack ist im öffentlich-rechtlichen Rundfunk selbst zu hören. (Wobei, um fair zu bleiben, Baum sein Anliegen, für den Kultur-Auftrag der Öffentlich-Rechtlichen einzutreten, ebenfalls deutlich vorbringt und außerdem etwa sagt: "... wichtig ist, dass Kultur in der Primetime kommt und nicht in der Nacht. Wichtig ist, dass endlich diese Tatorte zurückgedrängt werden und Qualität kommt").

Das Interview mit Baum führten Stefan Fischer und Claudia Tieschky, die außerdem exklusiv meldet: "26 Millionen beim RBB aufgetaucht". Das habe der Beitragsservice anhand seiner 2022 in Berlin und Brandenburg erzielten Einnahmen errechnet. Hinweise, dass dafür oben im Haus des Rundfunks neue Sonnendecks eingezogen wurden, gibt es nicht. Vielmehr müsse weiter gerechnet werden, ob womöglich weniger im Programm gespart werden könne. Ebenfalls zum Thema passt, dass der "Tatort" tatsächlich ein bisschen zurückgedrängt wird. Der SWR, die vom ARD-Vorsitzenden Kai Gniffke geleitete Anstalt, verkündete, keine Folgen mehr mit Heike Makatsch zu drehen. Wobei die Einlull... pardon Versorgung des Publikums mit Fernsehkrimis gesichert bleibt: "Künftig werde sich der SWR auf seine drei anderen 'Tatort'-Reihen in Ludwigshafen, Stuttgart und im Schwarzwald konzentrieren, von denen auch künftig unverändert jeweils zwei neue Folgen pro Jahr produziert würden", schreibt der "Tagesspiegel".

Faeser, Chatkontrolle, Palantir

Harter Schnitt in die Politik, aber nicht die, die sich in den Kontrollgremien tummelt, sondern in die real existierende Digitalpolitik. Wobei, Ministerpräsidenten sitzen ja oft in den Verwaltungsräten, und Bundesinnenministerin Faeser möchte hessische Ministerpräsidentin werden. Wäre es gut, wenn sie die Wahl gewönne, falls nicht für Hessen, dann zumindest fürs Innenministerium, wo dann ja jemand anders ..? Mit solchen Fragen befasst sich netzpolitik.org:

"Kürzlich hat ihre Partei, die SPD, sie zur Spitzenkandidatin für die Landtagswahl im Oktober gewählt. Frei nach dem Motto 'Wenn’s in Hessen nicht klappt, für’n Bund reichts' möchte Faeser aber Innenministerin bleiben, wenn die Wahlergebnisse für ein Landesregieren nicht genügen. ... ein guter Zeitpunkt zurückzublicken und zu schauen, was die Hessen vielleicht erwartet. Oder wie es im Bund weitergeht. Ein Einblick in das schwierige Verhältnis von Nancy Faeser zum eigenen Koalitionsvertrag."

Anna Biselli geht dann allerhand konkrete Punkte durch, unter anderem das dem Innenministerium unterstellte Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik. Da hatte Faeser 2022 nach tatkräftiger Vorarbeit des ZDF-Entertainers Jan Böhmermann den bisherigen Präsidenten Arne Schönbohm entlassen. (Und dass dem ZDF-Verwaltungsrat Faesers Parteifreundin Malu Dreyer vorsitzt, kann hier noch mal erwähnt werden). Vor kurzem bestätigte dass Innenministerium nun nochmals, dass Schönbohm im Kern nichts vorzuwerfen war, ja, dass er nach der ZDF-Kampagne "auch zu seinem eigenen Schutz abgezogen worden" sei (heise.de). Diese Bestätigung kam freilich erst, als immerhin der wichtige Chefposten endlich neu besetzt war. Das BSI leitet nun eine Frau. Claudia Plattner ist zweifellos kompetent, wahrscheinlich kompetenter als der zu CDU-Zeiten berufene Schönbohm bei seinem Amtsantritt war. Trotzdem übten die wenigen Fachmedien, die Meldungen brachten, wie heise.de und auch netzpolitik.org Kritik. "Jetzt ist die Willkür an der Spitze der deutschen Cyberabwehr amtlich", brachte es als erste die "Wirtschaftswoche" auf den Punkt: Faeser hat beamtenrechtlich dafür gesorgt, dass sie Plattner leichter loswerden könnte als sie Schönbohm loswerden konnte. Was der gerade diesem Posten wichtigen parteipolitischen Unabhängigkeit Hohn spricht.

Und Themen, bei denen das BSI andere Ansichten haben könnte und müsste als die amtierende Innenministerin, gibt es viele, zeigt Biselli auf. Die auf EU-Ebene geplante, in Deutschland weiterhin wenig diskutierte Chatkontrolle gehört dazu, und die Frage von "Hackbacks". Sehr vereinfacht: Wer für Sicherheit in der Informationstechnik zuständig ist, muss dafür eintreten, dass Schwachstellen in der Infrastruktur, in den Netzen wie auf den Endgeräten, schnell geschlossen werden. In der Politik gibt es die Neigung, solche Schwachstellen für Kontrollzwecke nutzen zu wollen. Was dagegen spricht: Mindestens so gut, wie (wahrscheinlich) wohlmeinende deutsche Behörden solche Schwachstellen vielleicht auszunutzen verstehen, beherrschen das internationale Akteure aller Couleur. Und das vermutlich ohne, dass es hierzulande bemerkt wird ...

Andererseits verdient noch eine weithin unter dem Radar gelaufene Nachricht Aufmerksamkeit. Auch da geht es um Faesers Ministerium und um Hessens derzeitige (sowie Bayerns) Bundesland-Politik. Erst der Bayerische Rundfunk und dann die dpa meldeten, dass eine "bundesweite Einführung der umstrittenen Polizei-Analysesoftware des US-Unternehmens Palantir ... offenbar vom Tisch" sei. Das habe Faeser für Bundespolizei und Bundeskriminalamt beschlossen, obwohl die Software auf das schöne Akronym "VeRA" (Verfahrensübergreifende Recherche und Analyse) hört. Da nun haben Datenschutzgründe offenkundig eine Hauptrolle gespielt, schon weil die Gefahr bestand, dass dieses Palantir – gegründet vom deutschstämmigen Milliardär und Donald-Trump-Unterstützer Peter Thiel – alle Daten in den USA speichert. Es sei denn, dass Faeser "ihren Behörden aus wahlkampftaktischen Gründen das moderne Analysewerkzeug verweigert", wie hingegen der hessische Innenminister von der aktuellen schwarz-grünen Regierung sich laut BR beschwerte.

Kurzum: Auch in diesen Bereichen gibt es jede Menge Diskussionsstoff, der schon seiner kaum überblickbaren Auswirkungen wegen deutlich mehr Aufmerksamkeit vertrüge als er tatsächlich bekommt.


Altpapierkorb ("Mima"/MDR, Magdeburger Landtag, Bundesregierungs-Gigabitstrategie, Wörter-Diebstahl für KI?)

+++ Zur aktuellen Aufregung um das "Mittagsmagazin" (Altpapier gestern), das auf ARD-Seite der MDR übernahm [bei dem auch diese Kolumne erscheint], befragte der "Tagesspiegel" MDR-Chefredakteurin Julia Krittian. Außer schön klingenden Formeln ("die Vielfalt unseres Landes von Görlitz bis Aachen, von der Zugspitze bis Rügen") enthält das Interview auch konkretere Aussagen: "Wir sind für die Moderation im Gespräch mit unterschiedlichen Persönlichkeiten mit ganz unterschiedlichen Hintergründen. Klar ist: Ein Mittagsmagazin unter Federführung des MDR wird künftig nicht mehr vier Hauptmoderatorinnen und Moderatoren haben, wie bislang beim RBB". +++

+++ "Erst 44, dann 47 und im dritten Wahlgang 48 Stimmen": Da geht es nicht um eine spannende Intendanten-Wahl, sondern um die eines Landesdatenschutzbeauftragten. Pointe: Im Landtag von Sachsen-Anhalt reichten 48 Stimmen gar nicht zur Wahl aus, die also platzte. "Offenbar ließen erneut CDU-Abgeordnete den Kandidaten der eigenen Koalition durchfallen", berichtete netzpolitik.org vergangene Woche. Genau dieser kleinteilige Bundesländer-Datenschutz (der in vielen Bundesländern freilich leidlich funktioniert) ist es übrigens, der auf EU-Ebene deutsche Datenschutz-Interessen durchsetzen müsste. +++

+++ "Ein Jahr ist die Gigabitstrategie der Bundesregierung jetzt alt. Die Strategie soll den Ausbau der Glasfasernetze im Land massiv beschleunigen. Am Dienstag lädt das Bundesministerium für Digitales und Verkehr ... zu einem kleinen Festakt. Zeit, eine Zwischenbilanz zu ziehen: Gibt es Grund zu feiern?" (Falk Steiner bei heise.de) +++

+++ "In der großen Aufregungsmaschine, die wie geölt läuft, wenn viel Stoff für Empörung hineingeworfen wird, hat Musk am Wochenende mal wieder richtig Gas gegeben. ... Man kann ihm vieles unterstellen, aber eben keine Unkenntnis darüber, wie der verbale Durchlauferhitzer zum Brodeln gebracht wird", kommentiert ebenfalls heise.de das gestrige Altpapier-Topthema. +++ Dafür, dass Musks Vorwurf, KI-Unternehmen würden auf Twittter Trainingsdaten "schürfen" im Kern zutrifft, spricht eine kalifornische Sammelklage wegen des Diebstahls von "300 Millionen Wörtern aus dem Internet" gegen den ChatGPT-Anbieter, von der die "FAZ" berichtet.

Das nächste Altpapier erscheint morgen von René Martens.

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