Das Altpapier am 25. Juli 2023: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
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Kolumne: Das Altpapier am 25. Juli 2023 Ex-Twitter

25. Juli 2023, 10:46 Uhr

Elon Musk hat das sympathische kleine blaue Vögelchen seiner Plattform abgeschossen und ersetzt ihren bestens bekannten Markennamen durch einen, äh, Porno-affinen. Was Twitter kann, kann Mastodon auch. Die Medienpolitik der EU schafft wenig, außer immer neuen Problemen. Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Musk wirft weg, was Twitter ausmachte

Twitter adé, muss nun wohl auch sagen, wer sein Konto auf der Plattform trotz allem behalten möchte. Denn sowohl der Name als auch das bekannte hübsche Symbol, das blaue Vögelchen, sind verschwunden oder im Verschwinden begriffen. Und werden jeweils durch ein "X" ersetzt (Altpapierkorb gestern).

"Lights. Camera. X!", twitterte bzw. x-te etwa die nominelle neue Twitter- bzw. X-Chefin Linda Yaccarino. Wär nicht auch Y ein schöner und, solange man es nicht spricht, gleich kurzer Name gewesen? Schließlich klingt x.com, was als Internetadresse bereits zu Twitter weiterleitet, "eher wie eine Porno-Seite" (heise.de). Auf deutsch stellt sich die Frage, ob man das X deutsch ausspricht oder englisch, also wie "Ex", was im Deutschen ja auch selten positive, zukunftszugewandte Assoziationen auslöst.

Wie gewohnt, kann Twitter- bzw. X-Eigentümer Elon Musk sich auf breite Berichterstattung verlassen. Bei heise.de umreißt Eva-Maria Weiß seine mutmaßlichen Gedankengänge:

"Musk wollte und will einen Dienst aufbauen, der alles vereint – nach dem Vorbild des chinesischen WeChat. Das ist ein Messenger, über den man dank Bezahlfunktion auch direkt seine Stromrechnung begleichen kann, aber auch Lebensmittel von einem Supermarkt bestellen."

Wenn nicht mit Ambitionen, dann geizt Musk am Design: Das sympathische blaue Vögelchen, das den Vorzug besaß, auch kleinformatig auf kleinen Bildschirmen gut erkennbar zu sein, wird durch ein X ersetzt, das – okay, diesen Vorzug auch besitzt – aber "aus einer frei verfügbaren digitalen Schriftart entnommen" wurde, so die "Welt":

"Augenscheinlich gibt er [Musk] für das Rebranding so wenig Geld wie möglich aus", schreibt Benedikt Fuest, der sich vom Direktor des Instituts für Marketing und Medien der Uni Hamburg außerdem sagen ließ, dass sich so ein einzelner Buchstabe "nur schwer markenrechtlich schützen", also "nicht als Wortmarke" eintragen lasse. Immerhin kommt ein X prominent in einem Adjektiv vor, das zwar zu vielen Dingen, aber auch deutlich zu Twitter gehört:

"Die Plattform wurde oft mit der Verbreitung toxischer Inhalte in Verbindung gebracht, und verglichen mit Wettbewerbern wie Meta stand sie auch nie für eine große wirtschaftliche Erfolgsgeschichte. Aber ohne Zweifel hat sie dank ihrer prägenden Rolle im öffentlichen Diskurs eine starke und globale Identität. Musk will das nun offenbar einfach wegwerfen – und liefert ein weiteres Beispiel für die destruktive Kraft, die er seit der Übernahme entfaltet",

kommentiert "FAZ"-Wirtschaftsredakteur Roland Lindner.

In dessen Bericht hinter der Bezahlschranke ist übrigens eine hübsch partizipativ anmutende "nicht-repräsentative Abstimmung für unsere Leser – also für Sie" eingebunden, wie sie ja auf Twitter selbst auch gern angeboten wird. Interesse verdient, dass das Tool vom Berliner Startup Opinary stammt, von dem auch gerade die Rede ist, weil es verkauft wird bzw. sich verkauft – originellerweise mal nicht, wie sonst ungefähr alle deutschen Startup-Firmen mit halbwegs funktionierenden Ideen, an x-mal reichere US-amerikanische Wettbewerber, sondern an eine indische Firma. Womit die gern beschworene digitale Souveränität Europas zwar auch nicht unbedingt gestärkt, aber zumindest der sich laufend verschärfende Abbau der digitalen Souveränität Europas zugunsten der USA ein wenig gemildert wird.

Wer könnte Twitter ersetzen?

"Spätestens wenn die Meta-Alternative Threads nach Deutschland kommt, wird sich Musks Plattform erledigt haben", prophezeit die "taz". "Und vielleicht findet sich bis zum endgültigen Ende von X auch noch eine bessere Alternative", schließt Carolina Schwarz. Als ob sie nicht wüsste, dass es die wenn nicht bessere, dann sympathischere Alternative Mastodon ja schon gibt. Auch die verzeichnet, freilich in vergleichsweise bescheidenem Maßstab, nun wieder mehr Nutzer, meldet etwa techcrunch.com.

Tatsächlich kann Mastodon wichtige Twitter-Funktionen übernehmen.

Das zeigt die folgenreiche Aufmerksamkeit für Tweets, aber auch Mastodon-Posts der Hackerin bzw., wie ihr Beruf weiter unten paraphrasiert wird, "Sicherheitsforscherin" Lilith Wittmann. Zu den Folgen gehörte, dass die Schufa ihre gerade erst prominent beworbene App namens "Bonify" erstmal offline gehen ließ.

Die Aufmerksamkeit schaffte es auf praktische jede Nachrichtenportal-Startseite inklusive bild.de (was Wittmann nicht so freute). Kurz gesagt machte Wittmann außer auf die unter Datenschutz-Aspekten sowieso oft kritisierte Schufa auf die Mechanik aufmerksam, dass neue Apps gerne (und oft mit Erfolg) benutzt werden, um mit wohlphrasierten Versprechen ("die Transparenz zu erhöhen und den Menschen künftig mehr Kontrolle über ihre Daten zu geben") wenig datenschutz-sensible Zeitgenossen zum freiwilligen Preisgeben von noch mehr persönlichen Daten zu animieren. Als aufmerksamkeitheischendes Mittel zum Zweck erfragte sie via App sensible Daten eines prominenten Politikers, des Ex-Bundesgesundheitsministers Jens Spahn (CDU). Okay, in Berichten wie dem der "Berliner Zeitung" oder dem der "Welt" werden Wittmanns Tweets, die sie weiterhin ebenfalls postet, zitiert und eingebunden. (Auch weil Elon Musk den Irrweg, dass nichteingeloggte Nicht-Twitter-Mitglieder solche Tweets gar nicht mehr sehen können, schnell wieder aufgegeben hat). Außerdem wurde auf Twitter/X dann auch Kritik an Wittmanns Spahn-Daten-Veröffentlichung ("Privacy ist nicht so dein Ding, hm?") geübt.

Aber bei focus.de, einem Portal, das wenn nicht beim Renommee, dann in punkto beinharter Suchmaschinenoptimierung vorn dabei ist, steht gleich schon im Vorspann:

"Um auf eine Sicherheitslücke der Schufa-App Bonify hinzuweisen, teilte eine Sicherheitsforscherin eine Mieterauskunft des ehemaligen Gesundheitsministers Jens Spahn auf Mastodon"

Womit also belegt ist, dass Mastodon sich ähnlich gut wie das rasant in Richtung Unseriosität driftende Twitter dazu eignet, Aufmerksamkeit auch für eher schwierige Themen so zu verstärken, dass klassisch-redaktionelle Medien drauf einsteigen. Ihren Mastodon-Account beschreibt Wittmann übrigens als "noch souveräner als auf Twitter, noch unseriöser als auf Linkedin" – was darauf deutet, dass Mastodon auch jene Ambiguität kann, die einst (als Ambiguitätstoleranz noch gelebt oder zumindest gefordert wurde) definitiv zu Twitters Reizen gehörte.

Neue Kritik an der EU-Medienpolitik

Die Medienpolitik der EU ist keine richtige Medienpolitik, weil auch auf EU-Ebene Mediendinge in vielen unterschiedlichen, jeweils auch andere, größere Themen enthaltenden Ressorts mitlaufen. Sie wird dennoch immer wichtiger, da die EU allerhand Kompetenzen, also Macht besitzt. Oder nicht? Das ist oft noch unklar.

Spannend könnte es im September werden, wenn eine "Kampfabstimmung" (netzpolitik.org) ansteht. Im Fall, um den es dann gehen wird, braucht es keine einstimmige Entscheidung, sondern eine "qualifizierte Mehrheit". Heißt: "Wenn vier Staaten mit zusammen mindestens 35 Prozent der EU-Bevölkerung dagegen stimmen oder sich enthalten, ... verhindern [sie] den Vorschlag." Heißt überdies: Da kommt es auf Deutschland als noch bevölkerungsreichstes EU-Land besonders an. Wobei sich die deutsche Bundesregierung in diesem Fall – Überraschung – noch nicht einig ist. Es geht ums sensible Thema Chatkontrolle, also darum, "Anbieter von Internetdiensten [zu] verpflichten, auf Anordnung alle Inhalte ihrer Nutzer:innen zu durchsuchen und strafbare Kinderpornografie sowie Grooming an ein EU-Zentrum weiterzuleiten". Bzw. darum, im Kampf gegen Missbrauch nicht-europäischen Plattform-Konzernen vorzuschreiben, dass sie eine mächtige Überwachungsinfrastruktur vorhalten, die selbst massiv missbrauchbar wäre. Inzwischen könne da selbst Bundesinnenministerin Faeser (die ja viel um die Ohren hat, darunter den Wahlkampf in Hessen) zu den Guten gezählt werden, meint Andre Meister, da die Mehrheit der EU-Mitgliedsstaaten sogar "verschlüsselte Kommunikation von Unverdächtigen überwachen" wolle.

Hierzulande breiter diskutiert wird über das von der EU geplante Medienfreiheitsgesetz EMFA (European Media Freedom Act). Nachdem neulich die medienpolitisch zurückhaltende Staatsministerin auch für Medien, Claudia Roth, es in der "FAZ" gelobt hatte (Altpapier), steht heute dort auf der Medienseite wieder scharfe Kritik daran. Auch in der aktuell vorgesehenen Form verstoße das EU-Gesetz gegen das deutsche Grundgesetz, schreibt Frederik Ferreau vom Medienrechts-Institut der Uni Köln, und schlüsselt die Ansicht mit drei Argumenten auf. Er schließt:

"Würden deutsche Landesregierungen den Landesmedienanstalten diktieren wollen, wie sie die gesetzlichen Regelungen zur Vielfaltssicherung anzuwenden haben, wäre ein Aufschrei aus der Politik gewiss. Geht es aber um die Einflussnahme der Kommission auf Medien und Medienregulierung, bleibt es in der Medienpolitik bedenklich still. Der Grund dafür dürfte in der Fehlvorstellung von der EU-Kommission als einer überparteilichen 'Hüterin der Verträge' liegen. Tatsächlich aber bildet die Kommission die politische Spitze der Unionsexekutive und besitzt eine Machtfülle, um die sie viele nationale Regierungen beneiden."

Dafür, dass die mächtige EU-Kommission mehr Medien-Aufmerksamkeit verdient, spricht dann noch ein Thema der vorigen Wochen, über das hierzulande wenig berichtet wurde. Obwohl in dem Zusammenhang dem weder einflussreichen noch unumstrittenen, aber restprominenten EU-Parlamentarier Martin Sonneborn das Kunststückchen, einen mehr als 24.000 Zeichen enthaltenden Tweet zu posten, gelungen ist. Im lesenswerten Longread echauffierte sich Sonneborn über den Kommissions-Plan, die US-Amerikanerin Fiona Scott Morton zur Wettbewerbs-Chefökonomin zu ernennen. Scott Morton "...war nicht nur für das us-amerikanische Justizministerium, sondern auch für mehrere oligopolistische US-Digitalkonzerne tätig (Apple, Amazon, Microsoft), deren Beratung ihr mehrere Millionen Dollar eingebracht hat", schrieb er etwa. Tatsächlich wurde dann nichts aus dem Plan – vor allem wohl, weil Frankreich dagegen einschritt. Woraufhin "FAZ"-Korrespondent Werner Mussler die in Frankreich "durchscheinende Mischung aus Nationalismus, Antiamerikanismus und Merkantilismus" kritisierte (wobei die "FAZ"-typische Mischung aus Pro-Amerikanismus, solange nicht wieder Trump regiert, und Unterstützung der zumindest glücklosen von der Leyen-Kommission durchschien ...).

Wie auch immer man das im Einzelnen sieht: Nicht nur, aber auch medien- und/oder digtalpolitisch müsste die EU-Kommission dringend mal irgendetwas Sinnvolles auf die Beine stellen und durchsetzen, um ein Zeichen zu setzen, dass sie überhaupt Vertrauen verdienen könnte. Pompöse Ankündigungen gibt es inzwischen viel mehr als genug.


Altpapierkorb (ARD & Kartellrecht, Thinktanks & Intellektuelle, DAZN & Sportwetten, Krieg im Fernsehen, Mastodon & GOA)

+++ Bemerkenswert oft Nutzwert besitzt, was der akribische Rechercheur Volker Nünning aufschreibt, inzwischen oft für medieninsider.com. Aktuell tauchte er ins Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen ein, dessen Formulierungen zum "Kartellverbot" den ARD-Anstalten regelmäßig hohe Anwaltskosten abverlangen und vom Bundeswirtschaftsministerium geändert werden könnten. Doch wie seine Vorgänger möchte Minister Robert Habeck offenbar nicht dran rühren. +++

+++ Wahrscheinlich ist Habeck mit ARD und ZDF zufrieden, solange er und seine Parteifreunde dort derart oft zu Wort kommen. Ganz zu schweigen von befreundeten Denkfabriken. Warum selbst respektable Moderations-Persönlichkeiten wie "Marietta Slomka oder Christian Sievers zu Beginn des Gesprächs nie Genaueres über die Ausrichtung der jeweiligen Thinktanks sagen", wunderte sich kürzlich die "SZ"-Medienseite. Auf, äh, X wurde viel drüber diskutiert. "Experten und Thinktanks sind ... zu allgemeinen Gesellschaftsdeutern emporgestiegen und haben damit jene mediale Position eingenommen, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Figur des 'Intellektuellen' hatte", schließt Autor Andreas Bernard. +++

+++ Noch 'ne "Super-App" will das Sport-Netflix DAZN werden, unter anderem, indem es ins lukrative (und zwischen EU und deutschen Bundesländern kaum sinnvoll regulierte) Sportwetten-Geschäft einsteigt, meldet die "FAZ". Einer der Gründe: Die Mega-Datenkraken Amazon und Apple sollen verstärkt ins Bieten um Übertragungsrechte an Fußball-Bundesligaspielen einsteigen. +++

+++ "Wie viel Brutalität, die im Ukraine-Krieg von Menschen an Menschen begangen werden, muss sich die Öffentlichkeit aussetzen, um das Risiko klarzustellen? Auf diese Frage gibt es keine prinzipielle 'gute' Antwort ... Allerdings reißt das Vorsichtsprinzip – lieber gar nicht davon reden, lieber nichts zeigen – eine Lücke in der Debatte über den Krieg in der Ukraine. Damit wird das Kriegsgeschehen auf eine schmerzbefreite, sublime Höhe, gestellt. Dort dominiert das Strategiedenken alles. Sehen wir nur mehr aus der Feldherren-Satelliten-Perspektive?" Fragt Thomas Pany bei "Telepolis". +++

+++ Und was die Kanzlei Lutz Abel für bis Ende Juli wohl knapp zwei Millionen Euro Rundfunkbeitrags-Geld des RBB zu den Skandalen der Schlesinger-Zeit so ermittelte, "erscheint ... eher mau", fasst Michael Ridder bei "epd medien" zusammen. Nun wolle der RBB lieber "auf eigene Faust" ermitteln – wie er das aus zahllosen Krimis, die auch er gern wiederholt, ja kennt. +++

"Nochmals um Mastodon und die Frage, ob es dieses Jahr einen Grimme Online Award hätte gewinnen sollen (wofür ich mich in der Jury eingesetzt hatte) geht es in der neuen Folge des Grimme-Instituts-/"epd medien"-Podcasts "Läuft", mit einem Beitrag von mir."

Das nächste Altpapier kommt am Mittwoch von Annika Schneider.

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