Das Altpapier am 5. März 2024: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels 3 min
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 5. März 2024 Bären-Dienste und Pyrrhussiege

05. März 2024, 10:30 Uhr

Jetzt ist aber wirklich "Informationskrieg", auch in Deutschland. Können deutsche Dienste damit umgehen? Beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk wird das höchste Intendanten-Gehalt demnächst gesenkt. Funkstille herrscht beim wohl wichtigsten deutschen Internet-Preis. Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Ge-hackte Bundeswehr

"Fast zehn Jahre ist es her, seit sich Fancybear den Bundestag vorknöpfte", stieg der gestrige "Wiwo"-Newsletter "Daily Punch" ein. "Fancybear"? Aufschluss gibt die neulich im Altpapierkorb empfohlene ARD-Mediathek-Doku "Putins Bären". Um russische Hacker, die sich selber Bärennamen gaben, geht es. (Wobei ich den Film "unterkomplex" fand, obwohl kompetente Gesprächspartner wie Chaos Computer Club-Sprecher Linus Neumann zur Verfügung standen; hier meine KNA-Besprechung).

Ansehen lohnt dennoch, gerade jetzt. Denn nun haben russische Hacker, fast ein Jahrzehnt nach dem am Doku-Anfang verhandelten erfolgreichen digitalen Beutezug im Bundestag, wieder in Deutschland zugeschlagen. Und das mitten im Krieg, in dem sich zwar Deutschland, die EU und die NATO ausdrücklich nicht befinden, aber die befreundete und verbündete Ukraine. Unter der Überschrift "Deutschland ist ein Hochrisikoland" kommentiert wiwo.de weiter:

"Damals war die Aufregung riesig. Die Panik ging um vor manipulierten Bundestagswahlen, vor geleakten Geheimdokumenten ... Die Techies und IT-Sicherheitsexpertinnen der Republik kritisierten wütend die naive Sorglosigkeit der politischen Eliten. Und diese versprachen pflichtbewusst: härtere Systeme, technische Ausbildung, mehr Bewusstsein und institutionelle Auffangnetze gegen die digitale Bedrohung. Cyber, Cyber, Cyber! Dieses Wochenende nun hat gezeigt: Pustekuchen."

"Für die Bundeswehr ist es höchst peinlich, was passiert ist", formuliert das der relativ anders als wiwo.de orientierte, aber ebenfalls nachmittägliche Newsletter von correctiv.org. Drin verlinkt sind dann auch der Telegram-Kanal von Margarita Simonyan und die dort veröffentlichte, abgehörte Audiodatei, falls wer reinhören mag, Simonjan, "als Chefin des russischen Staatsmediums RT (früher Russia Today) eine der wichtigsten Säulen von Putins Medienapparat", "sieht sich selbst als Kämpferin in Putins Informationskrieg und war dem GRU", dem russischen Militärgeheimdienst, "auch schon selbst in prominenter Mission zu Diensten", schrieb die "FAZ" (Abo). Dieser Begriff, "Informationskrieg" taucht nun wieder oft auf, auch weil Verteidigungsminister Pistorius ihn verwendete. Heute ist er etwa vorne auf der "FAZ" zu lesen, die weiter hinten im Blatt in einem FAQ-Format schildert, wie wahrscheinlich den russischen Spionen ihr Erfolg gelang bzw. der Bundeswehr ihr Missgeschick passierte: "Schuld sein soll der laxe Umgang mit unangemessener Software", nämlich mit der Konferenzsoftware "Webex" des US-amerikanischen Cisco-Konzerns, die "für Telefonteilnehmer einer Konferenz keine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung bietet". Das etwas nerdige Portal heise.de sieht's auch so und bringt dazu eine Umschau der wie immer zahlreichen Politiker-Einlassungen. Den CDU-Politiker Roderich Kiesewetter zitiert (und verlinkt) die aus einem "Welt"-Interview:

"Kiesewetter sieht hinsichtlich der Kommunikationsmittel der Bundeswehr auch das BSI in der Pflicht, es müsse sich 'Gedanken machen, wie man niedrigschwellig generell geschützte Kommunikation ermöglicht'. Solche Systeme gebe es zwar, jedoch sei "die Schwelle, sicherheitsbedeutsame Videokonferenzanlagen zu nutzen, relativ hoch".

Die Bundestags-Wehrbeauftragte Högl von der SPD fordert, dass "umgehend alle Verantwortlichen auf allen Ebenen der Bundeswehr umfassend zu geschützter Kommunikation geschult werden" müssen. Was zumindest die niedrige, äh, Flughöhe der deutschen Diskussion um alles Digitale schön zeigt. (Darauf, dass die US-amerikanische NSA auf "Webex" so wie auf sowieso sämtliche US-amerikanischen Produkte Zugriff hat, weist das oben verlinkte "FAZ"-FAQ hin ...). Und falls das von Kiesewetter erwähnte Kürzel BSI nicht mehr oder sowieso nicht geläufig ist – in diesem Altpapier aus dem Oktober '22 ging es um dieses Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (bzw. darum, wie dessen damaliger Chef Schönbohm durch vereinte Bemühungen der Bundesinnenministerin und Jan Böhmermanns gegangen wurde). Und um die Frage "Ist der Begriff 'Informationskrieg' sinnvoll?" ging es zufällig ebendort dann auch ...

Ob es aktuell sinnvoll ist, aufgrund der geleakten Audio-Inhalte die sowieso tobenden deutschen Diskussionen um Marschflugkörper-Lieferungen an die Ukraine zu verschärfen, muss jeder selbst entscheiden. Das dürfte im Kalkül der russischen Seite liegen, so wie erst recht verschärfte Diskussionen im befreundeten Ausland (vgl. z.B. "SZ"). Eine andere, davon unabhängige Frage muss lauten, ob wenigstens einige der nicht wenigen deutschen Nachrichtendienste für diesen von russischer Seite zweifellos geführten Informationskrieg gewappnet sind.

Verfassungsgericht, Spitzengehalt, Ruhegelder (ÖRR)

In den Öffentlich-Rechtlichen-Debatten taucht ein gut 2.300 Jahre alter militärgeschichtlicher Begriff auf, der aber noch Bedeutung besitzt – haben sich Erfolge, die die Bundeswehr vielleicht am Hindukusch errang, nicht auch als Pyrrhuserfolge erwiesen? Hier nun ist's aber ganz im übertragenen Sinne gemeint:

"Den Anstalten steht es natürlich frei, das Bundesverfassungsgericht anzurufen, wenn sie der Meinung sind, nicht bedarfsgerecht finanziert zu sein. Sie hätten wahrscheinlich auch gute Erfolgsaussichten. Nach meiner Überzeugung wäre das aber ein Pyrrhussieg, weil die Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch diesen Schritt weiter leiden würde",

sagt der sächsische CDU-Medienpolitiker Oliver Schenk im am Freitag schon hier erwähnten "FAZ"-Interview. Soll heißen: Wenn, worauf die Medienpolitik zielt, die KEF-empfohlene Rundfunkbeitragserhöhung einstweilig ausbleibt und die Rundfunkanstalten nach Karlsruhe gehen, hätten sie zwar gute Chancen auf einen juristischen Sieg. Doch die Chance, dass dieser sich als Niederlage erweist, weil die Anstalten den guten Willen der Medienpolitik, auf den sie formal angewiesen bleiben (und womöglich auch der Öffentlichkeit, die zu größeren Anteilen ja auch nicht mehr als bisher zahlen möchte) verlieren, sind ebenfalls groß.

In dieser Gemengelage entfalten die Anstalten allerhand Aktivitäten. Z.B. bei der Senkung ihrer Spitzengehälter. Inzwischen scheint die hier gestellte Frage, ob Tom Buhrow "als bestbezahlter Intendant in die Mediengeschichte eingehen" wird, klar beantwortet. Mit "Ja", erfuhr "epd medien":

"Beim WDR wird die Vergütung für das neu zu besetzende Intendantenamt niedriger ausfallen als die des scheidenden Amtsinhabers Tom Buhrow. Dem Verwaltungsrat sei es wichtig, die Vergütung bei einer Neuwahl des Intendanten oder der Intendantin abzusenken, erklärte die WDR-Verwaltungsratsvorsitzende Claudia Schare auf Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) in Köln. So solle das Gehalt künftig den bisherigen beruflichen Weg berücksichtigen. Das Einstiegsgehalt werde aber 'deutlich unterhalb des Gehalts des aktuellen Intendanten gesehen'".

Das zitiert die "FAZ" natürlich gerne (und wirft dann noch drei Namen für die Buhrow-Nachfolge in die Debatte). Zugleich müssen öffentlich-rechtliche Spitzenkräfte, die es nicht ganz bis in die Intendanz schafften, um ihre schönen Ruhegelder fürchten oder haben zumindest statt der versprochenen Ruhe juristischen Ärger. Von einem Berliner Arbeitsgerichts-Prozess berichtete als erster Hagen Eichler in der "Mitteldeutschen Zeitung" und nannte da auch den Namen der bis 2016 aktiven RBB-Programmdirektorin Claudia Nothelle:

"Der RBB fordert von der heutigen Journalistikprofessorin der Hochschule Magdeburg-Stendal zunächst für die Zeit von Januar bis September 2020 die Rückzahlung von 86.544 Euro plus Sozialabgaben. Laut Weißflog stehen weitere Forderungen für die Jahre 2021, 2022 und 2023 im Raum. Damit dürfte es um eine Summe von rund 400.000 Euro gehen. ... Ältere Ansprüche dürften verjährt sein."

Wobei Nothelles Anwalt betont, dass seine Mandantin gerade nicht zum Freundeskreis um Patricia Schlesinger zählte ("Sie verließ die öffentlich-rechtliche Anstalt nach dem Amtsantritt der neuen Intendantin Schlesinger. 'Man hat sie vor die Tür gesetzt'"). Könnte heißen: Wer es auf Intendantenposten schaffte, beförderte dann seine Freundinnen und Freunde auf schöne Positionen, die dank schöner Ruhegelder freigeräumt wurden. Offenbar gehörte auch so was zumindest in der Vergangenheit zum öffentlich-rechtlichen Sittengemälde und könnte dann noch allerhand Jahre bis Jahrzehnte nachwirken. Der Begriff "Sittengemälde" passt, weil der RBB-Anwalt nun wieder einen Rechtsbegriff benutzte, der aber auch für sich allein spricht, nämlich "sittenwidrig".

Was macht eigentlich der Grimme Online Award?

Der WDR hat als größte Anstalt der ARD viele Baustellen, auch im Wortsinne, aber erst recht im übertragenen Sinne. Eine seiner, rein finanziell, kleinsten dürfte die zehnprozentige Beteiligung an der gemeinnützigen GmbH des finanzkriselnden Grimme-Instituts darstellen (auch wenn einer der heißen Kandidaten für die Buhrow-Nachfolge den WDR in der Instituts-Gesellschafterversammlung vertritt: Programmdirektor Jörg Schönenborn). Bei Grimme wird Direktorin Frauke Gerlach bekanntlich Ende April, nicht ganz freiwillig, aber mit Auslaufen ihres Vertrags aufhören. Zuvor werden am 26. April die Preise noch zum 60. Mal vergeben. Sonst gibt es einstweilen nichts zu melden.

Naja, genau darin, dass nichts vermeldet wird, besteht die Meldung. Eigentlich würde gerade jetzt der zweite wichtige Preis, für den das Marler Institut überregional auch noch bekannt ist, der Grimme Online Award, in die heiße Phase gehen. Davon zeugt die Liste der zahlreichen Pressemitteilungen aus dem Vorjahr, die auf der Instituts-Webseite immer noch oben stehen. Das kriselnde Institut hat offenbar beschlossen, den GOA entweder ganz ausfallen zu lassen, oder vielleicht in der zweiten Jahreshälfte, wenn ein neuer Chef und womöglich ein bisschen zusätzliches Geld im Haus sind, auf kleiner Flamme nachzureichen, und darüber bloß nichts zu sagen. "Wir äußern uns nicht dazu", heißt der Artikel, den ich dazu für den KNA-Mediendienst/ Abo schrieb (und der Transparenzhinweis, dass ich selber mit dem GOA zu tun hatte, steht frei online hier):

"Preise leben von Kontinuität und Verlässlichkeit", sagt Friedrich Hagedorn, der den Award 2001 als 'Referatsleiter Medienbildung' ins Leben gerufen hatte und das Institut 2015 verließ, auf Anfrage des KNA-Mediendiensts. Er versteht nicht, dass das Institut sich überhaupt nicht öffentlich zur Zukunft des bislang jährlich verliehenen Preises äußert. Der GOA werde 'leichtfertig aufs Spiel gesetzt', obwohl doch dieser Preis 'am ehesten die mediale Zukunftsorientierung des Instituts verkörpert'".

Wenn das Grimme-Institut sich ans klassische Fernsehen klammert, dessen Sendeanstalten allesamt längst ganz besonders die Zukunft im Internet sehen (und jede Menge Geld in Mediatheken und, so kurzsichtig das wiederum ist, auf Plattformen wie Youtube umschichten), kann das auch an die Strategien des antiken Militärs Pyrrhus erinnern.


Altpapierkorb (Scholz/Assange, Milliardenstrafe für Apple, Gesichtserkennungs-Software, Sport 1, Göttinger Elch)

+++ Oh, Bundeskanzler Scholz hat was über Julian Assange (Altpapier) gesagt, hörte tagesschau.de. +++

+++ "Nach einer jahrelangen Untersuchung der EU-Kommission" soll der Apple-Konzern nun "1,8 Milliarden Euro Geldbuße wegen Verstößen gegen das EU-Kartellrecht bezahlen", meldet netzpolitik.org und erwähnt, dass nicht zuletzt Beschwerden von Spotify zur Entscheidung führten: "Der schwedische Anbieter hatte sich auf Apples Distributionsplattform diskriminiert gefühlt: Auf jedes Abo, das über Apples In-App-Käufe und damit über den App Store abgeschlossen wurde, wurde 30 Prozent Provision an Apple fällig", ohne dass Spotify im Appstore auf günstigere Angebote, an denen der Apple-Konzern nicht verdient, hinweisen durfte. "Apple wiederum bestreitet die Vorwürfe und kündigte an, in Berufung gehen zu wollen", was weitere jahrelange Prozesse nach sich ziehen dürfte. +++ EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager "hat offenbar kein allzu großes Vertrauen in den von ihr als großen Erfolg gefeierten DMA, wenn sie das künftige Verbot mit einer Abschreckungs-Kartellbuße im konkreten Fall verknüpft", kommentiert die "FAZ"-Wirtschaft. Das Digitale-Märkte-Gesetz DMA tritt just morgen so richtig in Kraft (Altpapier). +++

+++ "Derweil fordert die Gewerkschaft der Polizei ... bessere Gesichtserkennungssoftware, um Fahndungen wie die gegen Klette zu erleichtern. Ein Journalist des Recherchenetzwerks Bellingcat hatte Fotos von [Daniela] Klette über die private Software PimEyes­ bereits Ende 2023 online aufgespürt, auf der Webseite eines Kreuzberger Capoeira-Vereins", heißt's in einem "taz"-Artikel zum gerade groß berichteten Fahndungserfolg gegen die lange gesuchte mutmaßliche Terroristin. Um PimEyes, die umstrittene "einst polnische, nun vom Georgier Giorgi Gobronidze wohl von den Seychellen aus betriebene Gesichter-Suchmaschine", ging es zuletzt 2022 in diesem Altpapierkorb. +++

+++ Die schweizerischen Eigentümer des kleinen Sportsenders Sport 1 wollen 50 Prozent ihrer Anteile an den türkische Medienunternehmer Acun Ilicali verkaufen, der als eng mit dem türkischen Regimechef Erdogan verbandelt gilt. Und derzeit gibt es ja "Bestrebungen einer mutmaßlich Erdoğan nahestehenden Gruppierung, in Deutschland eine Partei zu gründen". Das rüttelt Bayerns Medienwächter wach, berichtet die "SZ" (Abo). +++

+++ Und am vorigen Sonntag wurde der Göttinger Elch, nach eigenen Angaben "der einzige deutsche Preis für Satire", an die Karikaturisten Greser & Lenz vergeben, die heute mit diesem aktuellen Scherz in der "FAZ" vertreten sind. +++

Das nächste Altpapier schreibt am Mittwoch Annika Schneider.

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