Kolumne: Das Altpapier am 25. März 2024: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels 4 min
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Kolumne: Das Altpapier am 25. März 2024 Verzögert, überfordert, im Giftschrank

25. März 2024, 10:53 Uhr

Die Verwaltungs-Digitalisierung kommt noch etwas später, aber das Digitale-Dienste-Gesetz ist ein bisschen beschlossener. Ein ehemaliger Medienwächter kritisiert den deutschen Medien-Föderalismus bemerkenswert scharf. Der WDR will eine 1980er-Doku über Leni Riefenstahl zwar nicht selber zeigen, gestattet neuerdings aber Kino-Aufführungen. Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

DSA im Bundestag

Oh là là, der DSA, also das Digitale-Dienste-Gesetz, hat schon wieder ein Schrittchen nach vorn gemacht. Am Donnerstag wurde es im Bundestag verabschiedet. Das heißt allerdings noch nicht, dass das langwierige, paradoxe Procedere der Umsetzung des im August vorigen und Februar dieses Jahres vollständig in Kraft getretenen EU-Gesetzes vollbracht ist. Der Bundesrat muss auch noch zustimmen, und sicher ist das nicht. Gerade blieb dort das Gesetz zur Digitalisierung der Verwaltung, bei dem – anders als beim DSA – ziemlich klar ist, dass es die gegenwärtige Situation entschlechtern würde, im Rahmen parteipolitischer Machtspielchen überraschend noch mal hängen ("FAZ").

Immerhin ist die Bundesnetzagentur inzwischen dabei, offiziell die Führungsposition zu übernehmen, entdeckte netzpolitik.org. "DSC Deutschland - die Koordinierungsstelle für digitale Dienste", heißt die Seite im Internetauftritt der Agentur, die geschickt gespannt macht auf "Umfangreiche und detaillierte Informationen über Verbraucherrechte, Beschwerdemöglichkeiten, Antragsvoraussetzungen für außergerichtliche Streitbeilegungsstellen ..." usw. usf.. Werden diesen DSC bald Fans mit schwarzrotgoldenen oder Regenbogenfähnchen ausgelassen feiern so wie den ESC?

Im Zuge dieser Maßnahmen sollen für eine bloß zweistellige Millionensumme pro Jahr immerhin circa 580 Jobs geschaffen werden, hieß es im Dezember (Altpapier). In Details der tagesaktuellen Lage gehen heise.de und netzpolitik.org. Jeweils erwähnen sie eine Initiative der grünen Medienpolitikerin Tabea Rößner:

"Im Lauf des Gesetzgebungsverfahren hat der Bundestag noch einige Regeln ... konkretisiert. Tabea Rößner ... verweist auf eine ihr besonders wichtige Änderung zum Aufbau der Koordinierungsstelle: 'Ministerien und Bundestag sollen bei der Auswahl der Leitung nicht mitreden.' So soll die Stelle möglichst unabhängig arbeiten können. 'Dafür wollen wir im Hinblick auf Qualifikation und Unabhängigkeit höhere Anforderungen an die Leitungsposition stellen', so Rößner in einer Pressemitteilung. 'Sie soll zudem in einem Ausschreibungsverfahren und allein durch den Präsidenten der Bundesnetzagentur ausgewählt werden.'"

Ob es vertrauenswürdiger oder staatsferner erscheint, wenn statt des Bundestags und der an vielen Fronten überforderten Ministerien der von seinem Parteifreund Robert Habeck vorgeschlagene Netzagentur-Präsident Klaus Müller allein entscheidet, liegt natürlich in den Augen derer, die überhaupt davon erfahren. Wobei die Antwort-Option weder noch auch noch zur Auswahl steht.

Kritik an den deutschen DSA-Auslegungen gibt's weiterhin. Während algorithmwatch.org etwa beklagt, dass das vielfach postulierte EU-Ziel, "die Integrität demokratischer Wahlen zu schützen", für die Europawahl im Juni in Deutschland nun kaum mehr erreicht werden könne (und dafür ein Beispiel nennt), beklagt der Internetwirtschafts-Verband eco die speziell deutsche Beibehaltung von Netzsperren. Die stammen noch aus dem speziell deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetz/ NetzDG, das der DSA zwar ziemlich ablöst, aber nicht ganz.

Ein kleines Spannungsfeld entdeckte die "FAZ"-Medienseite: "Bislang waren die Landesmedienanstalten führend in der Netzkontrolle; sie stehen nun am Rande", schrieb sie. Die Anstalten hingegen freuen sich, weiter mit im Boot zu sitzen:

"Die Medienanstalten werden neben der Bundesnetzagentur, die die Funktion des Digital Services Coordinator übernimmt, und weiteren Bundeseinrichtungen als zuständige Behörde für zentrale Bereiche des Jugendmedienschutzes benannt. Damit behalten sie ihren bisherigen Zuständigkeitsbereich im Jugendmedienschutz und gewinnen neue Verfahren zur grenzüberschreitenden Rechtsdurchsetzung hinzu."

Ob überhaupt der künftig noch dichtere deutsche Medien-Institutionen-Dschungel und die semi-transparente EU-Kommission in Brüssel durch das umfassend gemeinte EU-Gesetz in der Lage sind, den Plattformkonzernen sinnvoll gegenüber zu treten, muss sich zeigen.

Bleiben wir bei den Landesmedienanstalten ...

Gut gemeint, aber überholt: der Medien-Föderalismus

"Nach dem Ende der Lizenzierungen des privaten Rundfunks in den 1990er Jahren war die eigentliche Aufgabe der Landesmedienanstalten getan. Dass es sie immer noch gibt, liegt auch daran, dass die Bundesländer sie für allerlei Aktivitäten nutzen, die diese Anstalten dann finanzieren müssen. Ob sie mit dem Thema 'Netzregulierung' eine neue Aufgabe bekommen haben, ob sie das überhaupt dürfen, ist so unklar wie ihre Zukunft."

Ui. Solch scharfe Worte hört und liest man selten über die Landesmedienanstalten. Auch, weil sie ihre Öffentlichkeitsarbeit längst zentralisiert haben, stehen sie selten in der Kritik. Dieses scharfe Zitat entstammt einem Longread, dessen Lesezeit "epd medien" auf "ca. 23 Minuten" schätzt. Autor Norbert Schneider, Jahrgang 1940, war von 1993 bis 2010 Direktor der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen, also selber Chef der größten Landesmedienanstalt. Längst im Ruhestand, greift er gern für längere Artikel in die Nähkästchen seiner Erfahrungen zurück. Auch hier mag die Überschrift "Zurück zu den Wurzeln/ Zur Transformation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks" nicht unbedingt zum Lesen einladen. Doch außer Wortspielchen wie "wortlastig" und "mordlastig" oder "Vergangenheitsrat" (den Schneider in Ergänzung zu den Zukunftsrats-Vorschlägen geben möchte) erfreut in diesem Fall eine Schärfe der Formulierungen.

Vor allem für den Föderalismus, der die deutsche Medienpolitik prägt, findet er harte Worte (" ...doch die Geborgenheit im Föderalismus ... brachte dem Rundfunk zwar eine Sicherheit, die selbstbewusst machte, sie machte aber auch träge ..."). Und für die Kontrollgremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, also die Rundfunk- und Fernsehräte, noch härtere, etwa, "dass es eine gesellschaftliche Kontrolle des Rundfunks nur auf dem Papier gibt":

"Die Idee, die Kontrolle über den Rundfunk einem Kreis von Personen zu übergeben, der repräsentativ für die Gruppen und Kräfte der Gesellschaft handelt, erweist sich im Rückblick als eine der größten Schwachstellen des Systems. Nicht nur dass es nie gelungen ist, öffentlich deutlich zu machen, dass der Rundfunk durch die Wahl seiner Kontrolleure eine Veranstaltung der Gesellschaft ist; nicht nur dass er faktisch schon früh in eine Abhängigkeit des Organs geraten ist, das er eigentlich kontrollieren sollte. Die ehrenamtlich tätigen Personen sind schon seit Jahren mit der Kontrolle des Rundfunks überfordert. Sie verfügen, von Ausnahmen abgesehen, nicht über die nötigen Kenntnisse, die für eine Bewertung juristischer, wirtschaftlicher und technischer Fragen notwendig sind. Seit der Digitalisierung der Kommunikation hat sich das Kompetenzproblem noch vergrößert ..."

Ich bin kein großer Fan der gern zitatengesättigten Norbert-Schneider-Texte, aber diesen lohnt es zu lesen. Zwar greift Schneider auch hier tief in die Vergangenheit aus, aber um zu zeigen, wie der nach der Nazizeit aus historisch guten Gründen beschlossene und ein paar Jahrzehnte lang produktive deutsche Medien-Föderalismus den voranschreitenden technischen Entwicklungen immer noch weiter hinterherhinkt – weil die von den Bundesländern betriebene Medienpolitik, zu deren Spielwiesen sowohl die Landesmedienanstalten als auch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gehören, sich für wenig anderes als Einfluss und eventuell Standorte interessiert.

Ein 1940er-Spielfilm und eine 1980er-Doku

Noch in der Nazizeit, über mehrere Kriegsjahre hinweg, verfilmte die 2003 mit 101 Jahren gestorbene Regisseurin Leni Riefenstahl die Oper "Tiefland" mit sich selbst in der Hauptrolle. Wiederholt mit Riefenstahl befasste sich später die Filmemacherin Nina Gladitz, die 2021 75-jährig verstarb (und kurz zuvor noch die kritische Riefenstahl-Biografie "Leni Riefenstahl. Karriere einer Täterin" in Buchform veröffentlicht hatte, um die es in diesem Altpapier ging).

Riefenstahls "Tiefland"-Film findet, wer möchte, schnell auf Youtube oder etwa auf archive.org. Nach Gladitz' Dokumentarfilm "Zeit des Schweigens und der Dunkelheit", der 1982 im Dritten Programm des WDR gesendet, dann zum Gegenstand von durch Riefenstahl angestrengten Prozessen und dann vom WDR in den sprichwörtlichen Giftschrank gesteckt wurde, kann man lange suchen. Worum geht's?

"Als junge Dokumentarfilmerin war Nina Gladitz ... dem Schicksal von Sinti auf der Spur, die Leni Riefenstahl aus einem KZ heraus als Komparsen für ihren von den Nazis finanzierten und ab 1941 gedrehten Spielfilm 'Tiefland' engagiert hatte. Die wenigen Überlebenden beklagten, sie hätten bis zuletzt auf eine Rettung durch die NS-Filmregisseurin gehofft. Offenbar hatte Riefenstahl, die sie 'Tante Leni' nannten, diese Hoffnung genährt und sie in dieser Hoffnung gelassen. Die 2003 verstorbene Riefenstahl bestritt das zeit ihres Lebens",

schreibt Thomas Schuler für den KNA-Mediendienst (Abo) unter der Überschrift "Eingeknickt vor Leni Riefenstahl?". Ein Anlass ist, dass Gladitz' zu ihren Lebzeiten überhaupt nicht zu sehender Film inzwischen manchmal doch zu sehen ist, etwa am kommenden Mittwoch im Kommunalen Kino in Freiburg. Nach einer Riefenstahl-Klage 1984 vor dem Freiburger Landgericht, bei der Riefenstahl nur in einem von vier Punkten Recht bekam, "sperrte" der WDR "den Film ... weg, auch für Forschung und Gedenkstätten", schreibt Schuler. Erst nachdem sich der WDR-Rundfunkrat im März 2022 damit befasste, beschloss die Anstalt, "den Film freizugeben, zum Beispiel für ein Fachpublikum im Rahmen einer Veranstaltung." Einige Aufführungen in manchen Städten gab es. Eine Ausstrahlung "sei aber nicht geplant, 'da der Film aus heutiger Sicht nicht unseren Standards entspricht'" (wozu wohl auch gehört, dass der 1980er-Film enthält, was gegenwärtig mit dem Warnhinweis "Dieser Film beinhaltet diskriminierende Sprache" versehen wird).

Auch das ist also eine hoch komplizierte Geschichte, die in mehrere Vergangenheiten greift und allerhand unterschiedliche Fragen aufwirft.

Unter vielem anderen zeigt sie, dass die öffentlich-rechtlichen Anstalten im Lauf der Jahrzehnte vieles produziert haben, was auch auf lange Sicht so oder so sehenswert ist. Statt zahlloser linearer Alles-mögliche-Kanäle lieber ein öffentliches Archiv (gern mit linearem Schaufenster) einzurichten, in dem die Öffentlichkeit, möglichst viel davon finden kann, schon weil sie seinerzeit ja auch schon Rundfunkgebühren gezahlt hatte, wäre auch etwas, das gute Medienpolitik fordern würde.


Altpapierkorb (Assange, TikTok, Impressumspflicht, Serienfestival)

+++ Wo bleibt das Positive? Hier vielleicht: "Das 'Wall Street Journal' will von Insidern erfahren haben, dass das amerikanische Justizministerium nach Möglichkeiten sucht, den juristischen Marathon von Julian Assange zu beenden." Man erwäge, "dem australischen Whistleblower zu erlauben, sich für ein geringeres Vergehen schuldig zu bekennen. So könnte er den Missbrauch vertraulicher Informationen eingestehen und über einen derartigen Deal dann aus dem britischen Gefängnis freigelassen werden", meldet der "Tagesspiegel". +++

+++ "TikTok einschränken oder den Raum dort einnehmen? Es ist die gleiche Frage wie: Soll ich mit dem Rechten am Tresen reden oder soll ich ihn vor die Tür bitten? Laden wir die AfD in Talkshows ein? Erstaunlich, dass Medien und Politik bis heute, elf Jahre nach der Gründung der AfD, noch immer keine Antwort auf diese Frage haben, geschweige denn sie auf ein soziales Medium übersetzen können", kommentiert die "taz" zu den laufenden deutschen TikTok-Debatten.
+++ "Die Annahme, dass pure Präsenz" von Karl Lauterbach, Luisa Neubauer und Co, "als 'Gegengewicht zu Desinformation' wirkt, könnte sich allerdings als naiv herausstellen", meint die "Welt". +++

+++ "Die Impressumspflicht in ihrer jetzigen Form ist abschreckend und ein Problem für die freie Meinungsäußerung", konstatiert netzpolitik.org-Chefredakteurin Anna Biselli. Wobei Blogs zu marginalisieren wohl nicht das Ziel des EU-Gesetzes zur DSGVO (Datenschutz-Grundverordnung), aber doch sein Ergebnis war. Nun wolle die Ampel-Bundesregierung "eine Überarbeitung prüfen", habe "die Chance, das Problem schon im Digitale-Dienste-Gesetz anzugehen", aber verpasst. +++

+++ Vom "größten europäischen Serienfestival" namens Series Mania im französischen Lille berichten im österreichischen "Standard" die Jurorin Doris Priesching ("Streamingtrend: Serien werden kürzer") sowie dwdl.de über "frenetischen Applaus" für die ARD-Serie "Herrhausen – Der Herr des Geldes". +++

Das nächste Altpapier erscheint am Dienstag und kommt auch von Christian Bartels.

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