Kolumne: Das Altpapier am 25. November 2024: Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab 4 min
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G
4 min

Nicht Kanzlerkandidaturen, sondern das Klima ist das Zukunftsthema Nummer eins –medial merkt man davon derzeit nicht viel. Braucht es einen planetarischen Netzwerkjournalismus?

Do 28.11.2024 09:58Uhr 04:27 min

https://www.mdr.de/altpapier/das-altpapier-audio-724.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Audio

Kolumne: Das Altpapier am 25. November 2024 Klima- und andere K-Fragen

25. November 2024, 09:06 Uhr

Nicht Kanzlerkandidaturen, sondern das Klima ist das Zukunftsthema Nummer eins –medial merkt man davon derzeit nicht viel. Braucht es einen planetarischen Netzwerkjournalismus? Und: Die Rundfunkkommission kommt in Sachen ÖRR-Finanzierung voran. Ein Altpapier von Klaus Raab.

Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab
Bildrechte: MEDIEN360G

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Merkel füllt die Pistorius-Lücke

Es war nicht schön für einige personalpolitisch engagierte Redaktionen, dass Boris Pistorius vergangene Woche doch nicht Kanzlerkandidat der SPD wurde. Da hatte man so eine tolle Story an der Angel gehabt, Titel- und Talkstoff für Wochen. Von "Kommt jetzt Pistorius?" über "Wer ist er, der neue Heilsbringer?" bis "Ist der Pistorius-Effekt verpufft?" und "Wurde Olaf Scholz unterschätzt?" hätten sich die Beiträge bis ins neue Jahr routiniert im Schlaf entwickeln lassen. Mit welcher Frage soll man jetzt bloß am Ende von Fernsehinterviews die Leute nerven?

Zum Glück füllte erst einmal die außer Dienst befindliche Bundeskanzlerin die erste Lücke. Angela Merkel hat ein Buch geschrieben. Es begann mit einem Vorabdruck ihrer Memoiren in der "Zeit" (Abo). Es folgte ein langes Interview im "Spiegel" (Abo). Und Maybrit Illner hat das Erscheinen Merkels bereits für den kommenden Donnerstalk im ZDF bekannt gegeben.

Sich medial mit Personen zu beschäftigen, ist nicht verwerflich. Sie sind Türöffner für Aufmerksamkeit, Transporteure von Inhalt, und natürlich prägen sie die politischen Inhalte. Es ist ein Unterschied, ob Merkel oder Merz die CDU führt, ob Pistorius oder Scholz Kanzler ist und ob die Grünen mit Baerbock oder Habeck in den Wahlkampf gehen. Ein Problem entsteht, wenn die Personaldebatten sich vor die Inhalte schieben und sie zu verdrängen drohen. Die Pistorius-Debatte zumindest war eine Mediendebatte, in der es spät auch Beiträge (Abo-Link zu zeit.de) darüber gab, was Pistorius wohl vielleicht so täte, würde er Kanzler, in der politische Inhalte aber insgesamt bemerkenswert großräumig umschifft wurden.

Der "Spiegel"-Kolumnist Thomas Fischer hat nun ziemlich losgefischert (Abo-Text) über diese, wie er es nennt, "K-Fragen-Diarrhö" der Medien; über Medienpersonaldebatten, die unentwegt die Aufmerksamkeitswettbewerbe gewinnen:

"Es erscheint mir (…) derzeit so, als sei das Ausmaß inhaltsfreien Geredes im Minutentakt nicht mehr überbietbar. Die aufgeblasene Farce um die sogenannten 'Kanzlerkandidaten' ist weithin sinnfrei. Die Diskussion vermischt auf abenteuerliche Weise verschiedene Ebenen der Bedeutung und generiert hierdurch aufwandsarme und preisgünstige Bedeutsamkeit für die Vermischer.

Ich schlage deshalb vor, dass sich die seriösen Medien, von denen es zum Glück noch eine ganze Menge gibt, eilig von der Frage abwenden, welcher mögliche Kandidat den stahlhärtesten Blick und die glatteste Performance hat und was hierüber möglichweise Personen denken, denen das vielleicht sowieso alles egal ist. Eine Alternative wäre, die ganze Kraft der bohrenden Fragen auf die unter dem Schaumschlagen vielleicht verborgenen inhaltlichen Vorschläge zu lenken."

Als realistisch stellt sich derzeit allerdings wohl die Alternative dar, dass breitestmöglich über den Bundestagswahltermin herumgegackert wird.

Thema Nummer 1 unter "ferner liefen"

Was nicht alles hinter Personal- und Terminfragen verschwindet. Man kann aber die Diskussion über den journalistischen Fokus auch anders aufziehen und fragen: Welche Themen wären denn eigentlich wirklich wichtig? Das Klima vielleicht, das sich – die Älteren werden vielleicht davon gehört haben – wandelt? Bei 3sat immerhin gab es kürzlich einen Schwerpunkt dazu mit einem Film und einer sich anschließenden Diskussionsrunde. Die Weltklimakonferenz in Baku hat ebenfalls zu breiter Berichterstattung geführt, etwa die des Deutschlandfunks war auch sehr gut. Aber alles in allem ist das Klima in der Prioritätenliste der Themen deutlich nach hinten gerückt.

Markus Feldenkirchen sprach im Podcast "Apokalypse und Filterkaffee" dieser Tage den "Stern"-Journalisten Veit Medick darauf an, ob da vielleicht etwas falsch läuft: "Ganz nüchtern betrachtet ist Klima das Thema Nummer eins für die Zukunft der Menschheit, der Welt", so Feldenkirchen. Aber viele Journalistinnen und Journalisten würden "Machtfragen in der SPD und die Sorge der Leute über die Inflation (…) wichtiger nehmen".

Medick, dessen Magazin zuletzt Boris Pistorius und davor Friedrich Merz auf dem Titel hatte (und davor Donald Trump, Kamala Harris und Elon Musk), antwortet, das liege wohl daran, "dass gerade wir Journalisten immer sehr im Moment leben (…). Wir steigern uns da natürlich auch rein und, klar, verlieren wir da manchmal den Blick für die Perspektive und die langen Linien."

Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen ist dem vertieft nachgegangen, am Beispiel der Klimaberichterstattung des "Spiegels". Er kritisiert sie – wie zuvor schon dessen Trump-Berichterstattung (Altpapier) – im "Spiegel" selbst, auf fünf Seiten (Abo-Text).

Pörksen macht bis 2019 einen "fröhlich-unbekümmerte(n) Schlingerkurs" zwischen Apokalypse und Verharmlosung aus:

"Es gibt pauschale Attacken auf angeblich fanatisierte Öko-Apostel. Und faszinierende Erklärstücke, berührende Reportagen, philosophische Tiefeninterviews. Man muss einen solchen Zeitgeist-Opportunismus nicht nur negativ sehen. (…) Allerdings: Seriöser Klimajournalismus braucht eine Mischung aus geistiger Offenheit und innerlich geklärter, gedanklich durchgearbeiteter Problemsicht. Und genau diese fehlt mitunter elementar."

Eine Ursache dafür, die Pörksen nennt, sei eine "Lust an postmodernen Provokationen". In seinem Text fallen Begriffe wie "wissende Ignoranz" und "Verharmlosungsaktivismus Einzelner". Instruktiv wird es, wo er in die Details geht und etwa "Techniken der publizistischen Gesinnungspflege" analysiert, zu denen er Interviews mit dem Klimawissenschaftler Hans von Storch zählt, der zwischen 2003 und 2019 immer wieder interviewt worden sei und der die Erderwärmung verniedlicht habe. Ab dann allerdings regiere in der Berichterstattung "eine existenzielle Ernsthaftigkeit, ein Ringen um die evidenzbasierte Synthese, die konstruktive Lösung". Die schreibt Pörksen einzelnen Journalistinnen und Journalisten und der Organisation eines "Climate Desk" zu. Der allerdings kein festes Ressort sei, wie es international andere Medien von vergleichbarer Bedeutung hätten. Dort auch mit entsprechend vielen Leuten.

Pörksens Vorschlag:

"Was mir vorschwebt, ist ein planetarischer Journalismus, organisiert in transnationalen Netzwerken, der das Jahrhundertverbrechen der Klimakriminalität – Emissionsbetrug, Greenwashing, das illegale Flaring beziehungsweise Gas-Abfackeln – mit Wucht und Wums attackiert. Und der überdies auf dem Weg zu einer globalen Lerngemeinschaft Szenarien, aufrüttelnde Best-Practice-Beispiele aus anderen Ländern und Policy-Optionen in Richtung einer klimaneutralen Gesellschaft zur Diskussion stellt, dies alles in deliberativer, nicht in edukativer Absicht, also zum Zweck der substanziell informierten Debatte."

Es geht voran: zum ÖRR-Finanzierungsmechanismus

Eine irgendwie gute Nachricht war am Freitag, dass die Rundfunkkommission der Länder ein Modell erarbeitet habe, wie der Finanzierungsmechanismus der Öffentlich-Rechtlichen funktionieren soll. Und dass sie sich, vor allem, auch noch darauf geeinigt habe.

Entscheidungen werden freilich erst auf der Konferenz der Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnen am 12. Dezember getroffen, wie es bei epd Medien heißt. Trotzdem: Nachdem die Öffentlich-Rechtlichen jüngst den nach wie vor im Zeitpunkt kritisierten Gang vors Verfassungsgericht angekündigt hatten, klang hier und da bei den Bundesländern eher eine Art LMAA-Stimmung an (Altpapierkorb vom Freitag). Jetzt sieht es immerhin nach einer konstruktiven Wende aus.

Dass es eine neue Regelung braucht, ist klar. Die Querelen über die Frage, welche Bundesländer der für die Ermittlung der Rundfunkbeitragshöhe zuständigen KEF folgen und welche nicht, waren und sind eine Lose-lose-Situation: Verlierer sind die Öffentlich-Rechtlichen, deren Finanzierung ungeklärt ist, wenn ein Land oder mehrere Länder nicht zustimmen. Die KEF, deren Zuständigkeit von der Politik angezweifelt wird. Die Politik, die sich lächerlich macht, weil sie ein Verfahren aushebelt, das sie doch selbst ändern könnte.

Was soll also nun kommen? Die FAZ hatte vorab das sogenannte "Widerspruchsmodell" erwähnt (Altpapier vom 20.11.), das nun tatsächlich beschlossen werden könnte. Details, die genannt werden, sind aber neu. Sie stehen aufgedröselt im Text von Timo Niemeier bei dwdl.de. Im Kern soll es demnach beim jetzigen KEF-Verfahren bleiben, aber mit Veränderungen im fortgeschrittenen Verfahren. Peer Schader fasst sie in seiner Kolumne, an anderer Stelle bei DWDL, so zusammen:

"Ein gestaffeltes Widerspruchsmodell soll künftig zwar Blockaden einzelner Länder verhindern – aber bis das greift, bleiben die Fronten verhärtet."

Es soll, so Michael Hanfeld bei faz.net (Abo), "der Einfluss der Landesregierungen und insbesondere der Länderparlamente nicht ausradiert werden". Sie müssten, sofern das neue Modell umgesetzt wird, nicht aktiv einer Beitragserhöhung zustimmen. Sie könnten aber aktiv widersprechen. Was ein Unterschied ist, den Niemeier bei DWDL so deutet:

"Es ist eben etwas anderes, sich auf Länderebene in einer Koalition erst einmal auf einen Widerspruch zu einigen – oder einfach den Tagesordnungspunkt zur künftigen Höhe des Rundfunkbeitrags nicht zur Abstimmung zu stellen bzw. sich gar nicht damit zu befassen – so geschehen 2020 in Sachsen-Anhalt."

Vielleicht kann man, wenn es so kommt, wie es nun anklingt, von einer Art korrigiertem Weiter-so sprechen. Ob das für die Zukunft ein ausreichender Fortschritt ist, ist meines Erachtens nicht absehbar.


Altpapierkorb (Zeitungszustellung, "digitaler Montag", "Wort zum Sonntag", Focus Online, Netzkolumne der "SZ")

+++ Über Zeitungen in sehr dünn besiedelten Gebieten ausliefernde Drohnen schreibt die "taz".: "Welzow geht dafür jetzt in die Testphase. Im Rahmen des vom Ministerium für Digitales und Verkehr geförderten Projekts '5G Testbed BB' wird in Stadt und Umkreis ein innovativer Ansatz ausprobiert, um Zeitungen zukünftig flächendeckend ausliefern zu können."

+++ Auch ein Modell ist der "digitale Montag": "Die in Thüringen erscheinenden Tageszeitungen der Verlagsgruppe Hof, Coburg, Suhl, Bayreuth (HCSB) gibt es ab 2025 montags nur noch in digitaler Form." (dpa via horizont.net)

+++ Das "Wort zum Sonntag" in der ARD könnte sich angesichts des anhaltenden Exodus der Kirchenmitglieder auch mal ein bisschen verändern, findet Nils Minkmar in der "Süddeutschen" (Abo).

+++ Focus Online hatte berichtet, die SPD plane eine Kampagne mit Frauen, die Angst vor Friedrich Merz hätten (Altpapier). Wer denkt sich denn sowas Perfides aus? Es war wohl Focus Online only. "Übermedien" berichtete nun (Abo) noch einmal über eine "Falschmeldung von ganz oben", also aus der Geschäftsführung, die für redaktionelle Fragen nicht zuständig ist – es gebe deshalb nach wie vor Ärger in der Redaktion.

+++ Nach 860 Folgen seit 2007 wird die "Netzkolumne", die im Feuilleton der "SZ" erschien, mit der heutigen Ausgabe eingestellt. Programmatischer Titel des Abschlusstexts (Abo): "Es war einmal die Hoffnung". Die Berichterstattung zu Digitalthemen gehe weiter, heißt es darunter, ziehe sich aber mittlerweile durch die ganze Zeitung.

(Für die Transparenz: Ich arbeite frei für spiegel.de.)

Am Dienstag schreibt das Altpapier Christian Bartels.

Mehr vom Altpapier

Kontakt