Das Altpapier am 24. April 2018 Was das wieder kostet!

Die Öffentlich-Rechtlichen berichten aus Baden-Baden über die Fußball-WM in Russland – und hurra!, das ist vergleichsweise billig, aber oh nein!, es ist leider auch vergleichsweise teuer. Der Spiegel erfindet ein neues Online-Bezahlmodell – vom "Daily Spiegel" bleibt nur der Name. Und bei Brainpool, im UKW-Antennenstreit und auf den Titelseiten der Royal-Baby-Presse sind Eskalationen zu beobachten. Ein Altpapier von Klaus Raab.

Fussi-WM! Endlich geht’s auf den Medienseiten mal wieder um was anderes als um Geld!

"Dankenswerterweise nicht wiederholt wird Reinhold Beckmanns idiotisches EM-Experiment 'Beckmanns Sportschule'. Stattdessen wagen sich Micky Beisenherz und Jörg Thadeusz an eine Art WM-Late-Night-Show live von der Hamburger Reeperbahn, deren Name 'Kwartira' allerdings schon jetzt eine gewisse Zwangslockerheit verströmt",

schreibt Imre Grimm auf den Seiten der Hannoverschen Allgemeinen.

Aber haben wir gerade wirklich behauptet, es gehe auf den Medienseiten mal nicht um Geld? Haha:

"ARD und ZDF übertragen sämtliche 64 Spiele der Fußball-Weltmeisterschaft in Russland in der Zeit zwischen dem 14. Juni und dem 15. Juli live. Sie hatten die Senderechte beim internationalen Fußballverband Fifa zum Preis von 218 Millionen Euro erworben."

Schreibt die FAZ, die die Gelegenheit nutzt, den Satz "Die Kosten insgesamt freilich werden steigen" in den Fußballdiskurs einzuspeisen ("Scheiß-Milliardäre!"). Also wieder nichts mit "Kosteneinsparungen" durch die Einrichtung eines gemeinsamen Sendezentrums für ARD und ZDF – obwohl man bei der ARD doch eigentlich betont, man sei dadurch "so wirtschaftlich wie nie". Und warum nicht?

"(W)eil die Übertragungsrechte in den vergangenen Jahren kontinuierlich teurer geworden sind und stets neue Rekordwerte erreichen" (FAZ).

Was der Spaß diesmal kostet, weiß man freilich schon seit 2015. Aber in der momentanen Diskurslage (Altpapier von Montag) kommt es den Öffentlich-Rechtlichen halt doch mal wieder ungelegen. Um es mit Sartre zu sagen: Haste Scheiße am Fuß, haste Scheiße am Fuß.

Auch bei der Süddeutschen Zeitung wird am Sparthema nicht gespart: "Für die Fußball-WM in Russland richten ARD und ZDF eine gemeinsame Fernsehzentrale ein. Die steht 2500 Kilometer weit weg vom Roten Platz. Das soll Geld sparen", untertitelt sie ihren Printmedienseitentext – und 2500 Kilometer weg, das heißt: Baden-Baden (wobei es über die Route A5, A6, A9, A72, E67, DK8 und M1 nur 2445 Kilometer sind, aber das nur nebenbei).

Wir fahren zum Geldsparen nach Baden-Baden – das ist doch eigentlich wirklich lustig.

Das Sparen geht zwar nicht so weit, dass es nicht nur gemeinsames Personal hinter, sondern auch vor den Kameras gäbe. Aber schon so weit, dass Philipp Lahm (dessen Beisein die Personalnachricht des Tages ist) mit Jessy Wellmer nicht einmal von Baden-Baden, sondern vor allem vom kargen Tegernsee aus über die WM in Russland berichtet, wie die SZ unter der Online-Version festhält. Aber dann langen diese elenden TV-Rechte-Händler hin und machen alles wieder kaputt.

Baden-Baden ausbaden

Und wer muss die vergleichsweise billig-teure Berichterstattung aus Baden-Baden am Ende ausbaden? Vor allem die freien Mitarbeiter der Öffentlich-Rechtlichen. Befürchten zumindest die freien Mitarbeiter der Öffentlich-Rechtlichen.

Beim ARD-Freienkongress in Bremen forderten die einen Teilnehmer einen höheren Rundfunkbeitrag, "denn 'der Spardruck wird sonst in den Redaktionen immer größer.' Darunter hätten vor allem Freie zu leiden". Die anderen, namentlich David Schraven vom Recherchebüro Correctiv, warnte: "'Damit bieten wir Populisten eine Vorlage' (…). Er forderte eine offene Diskussion über Einschnitte bei den Sportlizenzen. 'Die Öffentlich-Rechtlichen geben zu viel Geld für die FIFA und Olympia aus.'"

Das sind freilich Evergreens der Gebührendiskussion. Daher schnell weiter zu den nächsten Themen.

5 Eskalationen von UKW-Streit über "68" bis Brainpool

Eskalationsmangel herrscht insgesamt schließlich eher nicht.

  • Der UKW-Antennenstreit eskaliert immer noch ein bisschen weiter (Welt): Nach dem Verkauf der ehemaligen Telekomtochter Media Broadcast ans börsennotierte Freenet, das keine Lust mehr auf das regulierte UKW-Business hat, wackelt der UKW-Empfang: Die UKW-Antennen wurden nämlich von Media Broadcast an 30 verschiedene Unternehmen verkauft – und die verlangen jetzt von den Nutzern (also Sendernetzbetreibern und indirekt Radiosendern) zum Teil eklatant höhere Gebühren. Neueste Entwicklung nach einem Brief von 32 Privatradios an Wirtschaftsminister Altmaier: Media Broadcast wird von der Konkurrenz vorgeworfen, mit den fünf Finanzinvestoren, die ins Geschäft eingestiegen sind, irgendwie verbunden zu sein. Es geht also um den Vorwurf von Absprachen. Gleichzeitig sagt jetzt die Bundesnetzagentur: Ja, theoretisch kann man tun, was die Privatradios fordern, nämlich die neuen Eigentümer der Antennen einer Marktregulierung unterwerfen. Kompliziert? I wo.

  • Die Klatschpresse eskaliert, weil ihre Lieblingsroyals sie über den Tisch gezogen und – anders als sie behauptet hat – doch keine Zwillinge, sondern nur ein einziges lächerliches Baby bekommen haben (Übermedien).

  • Das Thema des Jahres 1 nach Luther eskaliert big time: Bei "Hart aber fair" ging es um "1968 – Jahr der Gewalt". Damit dürfte das Talkshowgenre eigentlich durchgespielt sein.

  • Radio-Bremen-Intendant Jan Metzger eskaliert laut Stefan Fries: "Das, was auf den Medienseiten passiert, hat streckenweise mit Journalismus nichts mehr zu tun, das ist reine Verlagspropaganda". Nicht neu, der Vorwurf, und nicht unterpauschal formuliert.

  • Und bei Brainpool hat man auch nochmal ein Schippchen draufgelegt. Brainpool, vermeldet DWDL.de, das Leitmedium für Brainpool-News, habe einen neuen Geschäftsführer: Peter Langenberg. Stefan Raab und dem neuen Mehrheitseigner Banijay sei es gelungen, ihn auf der Gesellschafterversammlung am Freitag zu installieren, schreibt die SZ. Jörg Grabosch und Andreas Scheuermann dagegen seien abberufen worden – "behalten ihre Posten aber einstweilen trotzdem", dafür sorgt eine einstweilige Verfügung, die sie erwirkt haben. DWDL: "Die Fronten zwischen den streitenden Parteien sind derart verhärtet, dass eine gütliche Einigung inzwischen unrealistisch scheint. Nun droht Brainpool auch noch ein Stillstand in der Geschäftsführung. Es ist kaum vorstellbar, dass die neu besetzte Geschäftsführung in wichtigen Punkten Einigkeit zeigt und zusammen entscheidet. Letztlich wird es wohl darauf ankommen, wann und wie der Streit vor Gericht endet. Wie lange das dauert, ist derzeit aber noch nicht abzusehen. Derzeit sieht es aber so aus, als könnten Grabosch und Scheuermann ihr Aus mit Hilfe der Justiz allenfalls hinauszögern."

Was mit keinem Papier

Und dann, last but not least, eskaliert auch noch die Papierknappheit: "In den Niederlanden geht den Zeitungen das Papier aus, weil Papiermühlen im Netzzeitalter die Produktion zurückfahren", schreibt Peter Riesbeck.

So geht’s dahin, aber Trauer, nein danke – wir sind ja noch keine hundert. Wir befinden uns "(i)n einer Zeit, in der Fail faster, fail forward zum Mantra einer neuen Experimentierkultur wird", schreibt Stefan Plöchinger, der seit diesem Jahr beim Spiegel-Verlag Leiter der Produktentwicklung ist, in einem Spiegel-Werkstatt-Blogpost.

Und man muss sagen: Das Ende eines Konzepts positiver und glaubwürdiger als andere Verlagsmitteilungsautorinnen und -autoren als Neuanfang zu verkaufen, das kann er. Man könnte es in Anlehnung an Jan "Medienseiten machen Verlagspropaganda " Metzger so sagen: Die Zeiten des im Mai 2017 gestarteten "Daily Spiegel" sind vorbei. Man kann es aber eben auch so sagen:

"Der Titel 'Daily' (…) wird erhalten bleiben, mit Kolumnisten wie Harald Schmidt; aber eben nicht als eigenständiges Produkt DAILY, sondern als Push-Angebot unserer Nachrichtenseite für Apps, Messenger und Newsletter. Wir haben gelernt, dass sich diese Darreichungsformen für den Use Case 'Einmal täglich die Welt anhalten' besser eignen dürften als ein eigenständiges Produkt."

Was ändert sich konkret? Die SZ, für die Plöchinger zuvor gearbeitet hat, fasst knapp zusammen: "Der Spiegel will eine Flatrate für seine Digitalprodukte einführen." Alle digitalen Produkte der Website sowie das wöchentliche Heft in digitaler Form gebe es, statt wie bisher unter verschiedenen Namen, unter dem gemeinsamen Namen "Spiegel+" für 20 Euro im Monat.

Aber wir müssen hier jetzt erstmal weiter nach dem Neuesten von den Royals googeln, Baby Nummer 3 kommt ja nur einmal auf die Welt. Bunte.de schreibt heute über Kindsvater William: "Das antwortet er auf die Namensfrage!"

Ach, interessant. Spoiler alert: nichts.

Altpapierkorb (Whistleblower-Gesetzentwurf, Neonazi-Berichterstattung, WM-Kader von ARD und ZDF, Lausitzer Rundschau)

+++ To whom it may concern, hier die Fußball-WM-Kader von ARD und ZDF:

Für die ARD spielen: Wellmer, Lahm, Kuntz, Wolf, Hitzlsperger, Berthold, Simon, Gottlob, Bartels, Naß, Delling, Rojinski, Bommes, Opdenhövel, Lielischkies, Thadeusz, Beisenherz.

Fürs ZDF laufen auf: Welke, Breyer, Neumann, Schmidt, Schneider, Müller-Hohenstein, Kahn, Stanislawski, Meier, Réthy.

+++ Dass "rund 150 Journalistinnen und Journalisten" beim Neonazi-Treff in Ostritz gewesen seien, um zu berichten, verstört Boris Rosenkranz bei Übermedien (derzeit nur frei für Abonnenten). Warum diese Aufmerksamkeit?, fragt er. Vor allem kritisiert er, dass der "mehrfach vorbestrafte Landesvorsitzende der NPD Thüringen" in der Sächsischen Zeitung "nahezu uneingeordnet reden" darf (und auch "im MDR noch etwas werben" könne – wobei der MDR schon eine Einordnung leistete). Der entscheidende Satz des Übermedien-Texts ist jedenfalls dieser: "Keine Ahnung, ob wir schon so weit sind, dass man auch Neonazis ausreichend Platz für ihre Botschaften einräumen und aufpassen muss, sie nicht in die rechte Ecke zu drängen, aber ich denke: nein."

+++ Die EU-Kommission hat einen Gesetzesentwurf vorgestellt, mit dem Whistleblower, die Gesetzesverstöße bei Unternehmen und Behörden aufdecken, besser geschützt werden sollen. Das Gesetz soll "Firmen und Behörden von einer bestimmten Größe an verpflichten, ein internes Meldesystem aufzubauen", so die FAZ. "Unbestimmter geht’s nicht", kritisiert im Deutschlandfunk ein Vorstandsmitglied des Whistleblower-Netzwerks.

+++ Die taz berichtet über den Verkauf der Lausitzer Rundschau an die Neue Pressegesellschaft aus Ulm, "die in Brandenburg bereits die Märkische Oderzeitung und diverse Anzeigen- und kleinere Blätter herausgibt". Es geht also um die Pressekonzentration in Brandenburg – aber auch um Zuversicht der Redaktion ob ihres neuen Eigentümers.

+++ Nicht dass nicht alles schon mal da gewesen wäre: Dass jemand zum Beispiel einen "Wilhelm" in den Wikipedia-Eintrag des namensreichen Ex-Ministers Karl-Theodor usw. zu Guttenberg hineineditierte und nachwies, dass zahlreiche Journalisten das einfach abschreiben, ist mittlerweile fast ein Jahrzehnt her. Aber das Interview, das der Faktenfinder der "Tagesschau" mit Tommaso Debenedetti geführt hat, der seit spätestens 2012 als "Twitter hoaxer" mediale Präsenz erlangt hat, ist einigermaßen zeitlos: "In Wirklichkeit sind die Social Media die unzuverlässigste, die unsicherste aller Presseagenturen, die es auf der Welt gibt. Wenn eine Nachricht auf Twitter oder Facebook erscheint, dann müssten, so denke ich, Journalisten als erstes verifizieren, ob es ein echter Account ist oder nicht. (…) Diese Schnelligkeit von heute, dieses ständige Aktualisieren, immer noch ein Update, noch eine Breaking News – dadurch entstehen kolossale Fehler. Sogar lächerliche Fehler."

+++ In der Wirtschaftswoche sagt der Amerikanistik-Professor Michael Butter über Verschwörungstheorien: "Verglichen mit 1918 oder 1818 ist die Zahl derer, die solchen Theorien anhängt, (…) sehr gering." Und erklärt, wie damit trotzdem Geld verdient wird.

Frisches Altpapier gibt es am Mittwoch.

Offenlegung: Zu meinen Auftraggebern gehört Spiegel Online.