Das Altpapier am 1. Juni 2018 Bärendienst trifft Schweineblut

Starbucks als Verteidiger der journalistischen Unabhängigkeit. Der untote Akardi Babtschenko als Lehrbeispiel für noch mehr kritische Distanz zu staatlichen Stellen und deren Meldungen. Tom Buhrow räumt ein: Sogar ein Familienbetrieb wie der WDR macht mal Fehler. Was sagt die DSGVO eigentlich zum munteren Umzug des Newsletter-Verteiler Garbor Steingarts? Ein Altpapier von Juliane Wiedemeier.

Fuck.

Entschuldigen Sie, aber das musste raus, denn der Journalismus bzw. vor allem die journalistische Integrität hatte echt keine gute Woche, und jetzt sitze ich hier seit fünf Minuten und überlege, wie man fassungsloses Kopfschütteln in einen guten Einstiegssatz transferiert, und ich denke, der gewählte fasst die Lage ganz gut zusammen.

Was ist geschehen?

In London hat sich der Evening Standard überlegt, dass es doch eine gute Idee wäre, drei Millionen Pfund zu verdienen, indem man Unternehmen wie Google und Uber "'money-can’t-buy' positive news and 'favourable' comment coverage", natürlich ungekennzeichnet und im redaktionellen Teil, verkauft, wie die Plattform Open Democracy gestern enthüllte.

Du weißt, dass etwas gehörig schief läuft im Journalismus und seinem Selbstverständnis, wenn Dir Starbucks-Manager erklären müssen:

"Buying positive news coverage is PR death…something you might do in Saudi Arabia, but not here. This wasn’t right for us. We do engage in advertorial (…) but that’s just marketing. We don’t need to buy our reputation.”

Und wenn Sie sich jetzt denken: Evening Standard? Ist das nicht dieses Gratisblättchen, das Londoner Pendler nur aus Gewohnheit oder weil ihr Handy-Akku leer ist am Tube-Eingang einsammeln? Well:

"The London Evening Standard has a circulation of close to 900,000 and distributes more copies within a two-mile radius of Westminster than the Times does across the UK nationally."

Quicklebendig und zufriiiiiiiieden: Neues zum Fall Babtschenko

Damit zum journalistischen Golden Boy der Woche, Akardi Babtschenko, der einst den Wikipedia-Eintrag zum Thema "Bärendienst" bebildern dürfte und dessen Tod und Auferstehung auch gestern hier schon Thema waren.

Während die deutschen Kommentatoren wie Florian Hassel auf Seite 4 der SZ ("Bleiben aber die Beweise aus, so hat sich Kiew einen Bärendienst (sic!) erwiesen: Jede Nachricht über Morde an Kreml-Gegnern stünde in Zukunft im Schatten dieser Inszenierung") bzw. Nikolas Busse für die FAZ (€) ("Im Ausland wird eher der Eindruck entstehen, dass die Ukraine nicht sehr viel sauberer arbeitet als Russland. Für einen Pufferstaat, der nach Westen will, ist das kein günstiges Bild") ihren Fokus auf die Folgen für die Politik der Ukraine legen, urteilt der britische Guardian in seinem Leitartikel:

"Unfortunately, that will not prevent the unscrupulous from exploiting his involvement to cast doubt upon media independence and portray journalists as complicit with security services and willing to bend the truth more generally. That insults not only Russian journalists under intense pressure, but all those risking their lives to report."

Das ist wirklich, wirklich übel, und wird auch nicht besser dadurch, dass Babtschenko mittlerweile selbst in einem Interview beschrieben hat, wie die inszenierte Ermordung vor sich gegangen ist - das Original ist zumindest mir leider unverständlich; wiederum der Guardian fasst die entsprechende Stelle so zusammen:

"The Russian journalist Arkady Babchenko has described how his own death was dramatically faked, in an extraordinary operation involving a make-up artist, pig’s blood and a trip by ambulance to the morgue where he cleaned himself up and watched news of his 'murder' on live TV."

Wenn das mal nicht klingt wie eine typische Überschrift der Daily Mail, und nein, solche Meldungen zu produzieren kann niemals Ziel eines Journalisten sein.

Aus der gleichen Quelle stammt auch Babtschenkos Rechtfertigung gegen jede Kritik - "When someone comes to you and says here’s an order for your killing, do you proudly say: I’m thinking about the media’s reputation! Let me be killed! Carry on!” - die schon deshalb fragwürdig ist, weil sie voraussetzt, dass es neben inszenierter und realer Ermordung keine weitere Alternative gegeben hätte. Und ehrlich, zur Zusammenarbeit mit Geheimdiensten und Schweineblut gibt es immer Alternativen, gerade für Journalisten. Aber (Bernhard Clasen in der taz):

"Arkadi Babtschenko, so scheint es, wird indes nicht von Selbstzweifeln geplagt. 'Gott, bin ich froh, dass ich nicht mehr Zielscheibe bin', schreibt er auf Facebook. 'Ich gehe, lächle, es ist gut. Ich bin zufriiiiiiiieden.' Doch lange werde dieser entspannte Zustand nicht anhalten, schreibt er weiter. Irgendwann in einigen Monaten werde ihm wohl wieder ein Mordversuch drohen, meint er. Fragt sich nur, ob man es dann noch glauben wird."

Konjunktiv und kritischer Geist: Lehren aus dem Fall Babtschenko

Damit können wir umschwenken zur Frage, was die Journalisten, die selbst nicht Akteure sondern immer noch Berichterstatter im Nachrichtendschungel sind, aus der Sache lernen können.

Tanjev Schultz, Journalismus-Professor der Uni Mainz, formuliert im Gespräch mit Stefan Fries von @mediasres eine Idee, die wir in dieser Woche an dieser Stelle in ähnlicher Form schonmal gehört haben:

"Gleichwohl müsste man immer gewappnet sein vor Propaganda und müsste immer skeptisch sein. Generell sollte auch im Umgang mit solchen privilegierten Quellen, mit Verlautbarungen von öffentlichen Stellen, gelten, dass man den Konjunktiv pflegt und hinterfragt, ob das so sein kann."

Wie das praktisch umgesetzt aussehen kann, lässt sich bei Zeit Online nachlesen, wo ein Team aus sechs Journalisten nach dem bewährten WaWiWi-Modell ein "Was wir über den Fall Babtschenko wissen" zusammengetragen hat, wozu auch viele offene Fragen gehören wie:

"Ging es wirklich darum, ein Mordkomplott aufzudecken? Oder ist Babtschenko nur eine Marionette in einem ganz anderen Spiel? Geht es möglicherweise vielmehr um den Mittelsmann H.? Denn warum wurde dieser nicht einfach verhaftet und mit der Anschuldigung, einen Mord geplant zu haben, vor ein Gericht gestellt? Und welche Hinweise gibt es dafür, dass tatsächlich ein Angriff auf 30 weitere Personen geplant war? Oder ging es gar darum, mehr Aufmerksamkeit für den Krieg zwischen Russland und der Ukraine zu wecken?"

Ähnlich geht auch Silvia Stöber bei den Faktenfindern der "Tagesschau" vor, die zudem noch eine Einordnung liefert -

"Auf allen Seiten - Russland, Georgien, Ukraine und darüber hinaus - lassen sich Medien teils aus Patriotismus instrumentalisieren, teils fehlen unabhängige Informationen. Babtschenko weiß das. Er kennt den Krieg nicht nur als Reporter vor Ort, sondern auch als Soldat im Tschetschenien-Krieg.

Deshalb stellt sich umso dringlicher die Frage, warum er sich auf die Aktion mit dem ukrainischen SBU einließ und dafür bereit war, das höchste Gut eines Journalisten zu riskieren - seine Glaubwürdigkeit. Der Geheimdienst und andere ukrainische Behörden sind für eine geringe Aufklärungsquote bekannt und für zwielichtige und fragwürdige Aktionen" -

und ebenfalls die Lehre formuliert, "mehr noch als bisher auch scheinbar klare Fälle und selbst schlüssige Behördeninformationen zu hinterfragen."

Die drei Fehler des Tom Buhrow

Halten wir fest: Journalisten sollten nicht einfach so übernehmen, was man ihnen vorsetzt, und damit herzlich willkommen zur Vorabmeldung aus der Juni-Ausgabe des DJV-Magazins Journalist.

"Ich werfe mir drei Fehler vor",

ist diese überschrieben, was ein Zitat von Tom Buhrow aus einem Interview mit Hans Hoff zu den Missbrauchsvorwürfen beim WDR ist.

Wer sich für das Gesamtwerk interessiert, muss gleich das komplette Magazin, gedruckt, mit oder ohne Bankeinzug, bestellen, oder eben nicht, denn fürs Hervorziehen hinter Paywalls hat der Journalismus ja die Konkurrenz erfunden, die nun titelt:

"'Werfe mir drei Fehler vor': WDR-Intendant Tom Buhrow räumt Probleme im Umgang mit Metoo-Affäre ein" (Meedia)

"WDR-Intendant Buhrow: 'Ich werfe mir drei Fehler vor'" (DWDL)

"Intendant Buhrow: 'Drei Fehler habe ich gemacht'" (Tagesspiegel)

Sie sind aber auch catchy, diese drei Fehler - die by the way die Abmahnung des bereits 2010 die sexuelle Belästigung angesprochen habenden WDR-Korrespondenten Arnim Stauth, das Ignorieren von Hinweisen des Personalrats sowie die Auswahl einer Anwaltskanzlei, die den WDR bereits gegen Mitarbeiter vertreten hatte, als Anlaufstelle für Betroffene umfassen. Was Buhrow, noch ein vom Magazin Journalist selbst verbreitetes Zitat, nicht davon abhält, folgendes Narrativ zu beschwören:

"Wir sind ein großer mittelständischer Betrieb, vielleicht sogar ein Sender in Konzerngröße, aber wir haben eine Seele wie ein Familienbetrieb."

Nur halt eine der Familien, die auf ihre eigene Art unglücklich sind.

Altpapierkorb (DSGVO, UKW-Radio, alter Jung-Journalismus)

+++ Bislang keine Abmahnwelle, dafür aber ein paar Kuriositäten hat W&V zum einwöchigen Geburtstag der DSGVO (Altpapier) zusammengetragen. Netzpolitik.org feiert den Tag mit einem Interview mit Datenschutzaktivist Max Schrems. Was ich mich derweil frage, ist, wie viel dieser Morning-Briefing-Verteiler in Zeiten der DSGVO eigentlich noch wert ist, den das Handelsblatt Gabor Steingart zu seinem Abgang schenkte und mit dem er nun laut Kai-Hinrich-Renners Medienkolumne ab 11. Juni auf eigene Faust loszulegen plant.

+++ Dürfen Journalisten demonstrieren, zum Beispiel gegen die AfD (Altpapier)? Auf jeden Fall, erklärt DJV-Chef Frank Überall bei kress.de. Auf keinen Fall, meint man in den USA (Peter Weissenburger, taz.de).

+++ "Zehn Gründe, warum du deine Social Media Accounts sofort löschen musst" heißt das am Montag erscheinende Buch von Jaron Lanier. Warum der "Computer-Pionier" das gerade überall predigt, erklärt auf Seite 3 der SZ (€) Andrian Kreye.

+++ Neuer Monat, neue Furcht, dass zu seinem Ende dem UKW-Radio der Saft abgedreht werden könnte. Daran erinnert bei evangelisch.de Altpapier-Kollege Christian Bartels und erklärt auch gleich, welches strukturelle Medienpolitikproblem sich an dem Beispiel zeigt.

+++ "25 Jahre nach der Geburt des 'jetzt'-Magazins sieht der moderne Jung-Journalismus im Grunde sehr alt aus", analysiert Alf Frommer beim Bildblog.

+++ Voliá, geht doch, das mit den Frauen in Führungspositionen, zeigt der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Frankreich (Medienkorrespondenz).

+++ Die aktuelle Ausgabe epd medien bereitet derweil in diversen Beiträgen die Tagung "Demokratie und Medien - Journalismus in der digitalen Welt"  der Siebenpfeiffer-Stiftung, des Saarländischen Journalistenverbands und der Landesmedienanstalt Saarland auf.

Das nächste Altpapier erscheint am Montag.