Das Altpapier am 13. November 2018 Ein Kaufhauskönig für die Krone

Der Karstadt-Investor steigt in den österreichischen Zeitungsmarkt ein – auch mit Konsequenzen für die Funke-Gruppe. Jérôme Boateng rules ok, aber die Produkte, die er im Gruner+Jahr-Kaufhaus empfiehlt, übersteigen den Wert eines Pappenstiels. Das Verhältnis zwischen Medien und Facebook "ist kompliziert". Ein Altpapier von Klaus Raab.

Vor ein, zwei Jahrzehnten hätten sich bibelfeste Leitartikler darüber noch aufgeregt: Eine Zeitung ist keine Shopping-Mall usw.! So ändern sich die Zeiten. Jetzt kauft der Mann, der eben noch "Deutschlands neuer Kaufhaus-König" hieß, zwei der größeren Zeitungen Österreichs, aber die Frage, ob das gut für Zeitungen ist, wird in der Berichterstattung gar nicht gestellt. Benko heißt der Mann, um den es geht, René Benko:

"Nun steigt der 41-jährige Investor ins Zeitungsgeschäft ein – und das mit einem 'Paukenschlag', wie österreichische Medien schreiben. Benkos Signa Holding übernimmt von der deutschen Funke Mediengruppe aus Essen Teile an den österreichischen Tageszeitungen Kronen Zeitung und Kurier."

Die heißeste Medienmeldung des gestrigen Tages war also eine Wirtschaftsmeldung, hier zitiert aus der Süddeutschen Zeitung. Was man auf keinen Fall laut sagen sollte, was einen aber natürlich trotzdem zuallererst interessiert, ist, welche Medien das Wort "Paukenschlag" verwendet haben. Suchergebnis: viele, es wurde also wohl in den Agenturtexten benutzt.

Was man aber bei so einer Suche auch findet: eine ganze Menge weiterer Benko-Paukenschläge. Paukenschlag scheint zu ihm zu gehören wie der Bahnchef zu Mehdorn, Grube und Lutz. buongiornosuedtirol.it schrieb schon 2014 von einem "Paukenschlag", als Benkos Signa-Gruppe sich am Wettbewerb für ein Großkaufhaus in Bozen beteiligte. In Österreich gab es laut trend.at einen "Paukenschlag", als er die Handelsgruppe kika/Leiner übernahm. Ein "Paukenschlag" war es laut Reuters auch, als Signa aus dem Immobilienunternehmen S-Immo ausstieg. Dann war da in Deutschland noch der "Paukenschlag bei Karstadt" (bild.de), als Benkos Unternehmen dort einstieg. Und erst vor Kurzem war ein "Paukenschlag" zu vernehmen, als bekannt wurde, dass Karstadt mit Galeria Kaufhof fusionieren darf. Wir haben es, summa summarum, also mit einem Mann zu tun, der nicht die Triangel spielt.

Was der Paukenschlag bedeutet

Was aber bedeutet der Einstieg von Paukenschlag Benko ins österreichische Zeitungsgeschäft? Zum einen bedeutet er etwas für die deutsche Funke-Mediengruppe. Denn, so viel Zahlengeklingel muss sein,

"über die WAZ Ausland Holding GmbH hält die Mediengruppe 50 Prozent an der Kronen Zeitung und fast die Hälfte des Kurier. Die übrigen Anteile an der Krone gehören der Familie Dichand. Mitgesellschafter beim Kurier ist die Raiffeisen Gruppe. Signa wird dem Deal zufolge nun einen Anteil von 49 Prozent an der WAZ Ausland Holding GmbH übernehmen. Damit würde die Holding 24,22 Prozent am Kurier und 24,5 Prozent an der Krone besitzen." (Meedia)

Funke ist damit, so interpretiert es DWDL andeutungsweise – und mehr Deutung findet sich heute nicht –, womöglich auf dem Weg, ein Problem loszuwerden:

"So räumte Funke der Familie Dichand beim Einstieg 1987, damals boomte Print noch, einige Sonderrechte ein. So ist den Dichands die verlegerische Leitung der Zeitung vorbehalten. Viel mehr schmerzen dürften Funke aber jährliche Garantieausschüttungen. Diese sehen vor, dass der Verlag jährlich einen hohen Millionen-Betrag an die Dichands überweisen muss, kolportiert werden bis zu zehn Millionen Euro."

Zum anderen ist aber die Frage, was Paukenschlag Benkos Einstieg in den österreichischen Medienmarkt publizistisch bedeutet. Dazu gibt es bislang auch nicht gerade viel Material; ein wenig mehr Meinungsjournalismus wäre da (Grüße an das Altpapier vom Montag!) wirklich jetzt mal ganz wohltuend. Allüberall zitiert wird brav das schwergängige Businessgesabbel, das rund um Paukenschläge gerne verbreitet wird. Bitte lernen Sie daraus folgenden Benko-Satz auswendig: "Wir investieren strategisch in Geschäftsmodelle, die breite Konsumentenschichten mit außergewöhnlichen Produkten und Leistungen überzeugen und ihre zukünftigen Bedürfnisse in der analogen wie der digitalen Welt ganzheitlich abbilden."

Aber nicht unwichtig ist natürlich, dass Krone und Kurier nicht irgendwelche dahergelaufenen Popelblätter sind, sondern, wie die SZ schreibt, "überaus einflussreiche Medien", die "zuletzt mit betont positiver Berichterstattung über die rechtskonservative Wiener ÖVP-FPÖ-Regierung auf(fielen), was ihnen den Vorwurf einbrachte, zu viel Nähe zum Kabinett zu pflegen". Beim Kurier wurde zudem gerade erst der Chefredakteur ausgewechselt. Die neue Chefin, Martina Salomon, vertrete "vor allem in Fragen der Integration, Migration oder Feminismus regelmäßig Meinungen, die rechts der Mitte des politischen Spektrums angesiedelt sind", schrieb dazu der Standard. Von Benko wiederum gibt es schöne Fotos mit Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz; kontrast.at nennt ihn einen "Kurz-Förderer" (wobei kontrast ein SPÖ-Medium ist). Die Vermutung liegt nahe, dass sich Benko nicht unbedingt auch den Falter gekauft hätte. Jedenfalls: Paukenschlag.

Jérôme "Kein Pappenstiel" Boateng

Und noch ein Mann aus einem journalismusfernen Metier hat sich in die weite Welt der Printprodukte aufgemacht, um, mit den Worten Paukenschlag Benkos, breite Konsumentenschichten mit außergewöhnlichen Produkten und Leistungen zu überzeugen. Wobei es Jérôme Boateng, um den es geht, vermutlich etwas anders formulieren würde, "gönnt euch", oder so. Boa heißt das neue Personality-Magazin, dem der Fußballer seinen Namen geliehen hat. Und irgendwie kommen wir heute von den Verbindungen zwischen Kaufhaus und Journalismus nicht los, denn der ehemalige Altpapier-Autor Matthias Dell hat für Zeit Online, so viel Zahlengeklingel muss auch hier sein, den Taschenrechner ausgepackt:

"Das Personality-Magazin Boa von Jérôme Boateng ist eigentlich ein Katalog. Gegen eine Schutzgebühr von 4,90 Euro werden der Leserschaft 59 Waren in einem Gesamtwert von 121.005,60 Euro angeboten (wenn wir uns nicht verrechnet haben)."

Das Magazin erscheint nach Adam Riese also bei Gruner+Jahr, bzw. "bei der Corporate-Publishing-Agentur Territory, einer Tochter von Gruner + Jahr, die auch für die Deutsche Bahn, Miele oder die Lufthansa arbeitet" (Süddeutsche). Während aber die Produkte einen Gesamtwert von keinem Pappenstiel haben, geht es noch um etwas anderes. Dell hat den Personen-Index durchgeschaut und schreibt: "Bemerkenswert ist es doch, dass ein Hochglanzheft wie Boa bis vor Kurzem noch gar nicht denkbar war. Es bildet einen großen Teil der Bevölkerung ab, der sich lange Zeit gegen die Annahme behaupten musste, er sei nicht selbstverständlich."

Benedikt Warmbrunn dagegen, in der SZ, legt einen Fokus auch auf die Medienstrategie und schreibt, Boa verstärke "auch einen Trend, der im Profisport in den vergangenen Jahren zugenommen hat: den Trend zur vollständigen Kontrolle der Sportler und Vereine über das eigene Wort und das eigene Bild" (siehe auch Altpapier vom 22. Oktober).

Es ist kompliziert

Wie relevant ist da eigentlich noch klassischer Journalismus? Tage, die, was das medienjournalistische Paukenschlagaufkommen angeht, so einigermaßen übersichtlich sind wie dieser, bieten sich an für Hintergrundtexte wie den von Adrian Lobe (wiederum SZ), der sich mit dem Facebook-Newsfeed beschäftigt. "Für immer mehr Leute ist Facebook also das Fenster zur Welt", schreibt er; dummerweise sind "die Besucherströme, die über das soziale Netzwerk kommen", für die Medienunternehmen, die darauf setzen, aber hochvolatil:

"News-Portale, die ihre Social-Media-Strategie nicht hinreichend diversifiziert haben, riskieren einen Einbruch ihrer Besucherzahlen. Die Modifikation des Newsfeed-Algorithmus hat mutmaßlich dazu geführt, dass das Online-Medium Little-Things, ein Lifestyle-Magazin für Frauen, schließen musste. Das Magazin, das an seinem Redaktionssitz in New York 100 Mitarbeiter beschäftigte, hatte sich auf Feelgood-Artikel und Videos spezialisiert, die auf Facebook geteilt wurden. (…) Der Niedergang von LittleThings ist ein Lehrstück in Sachen Aufmerksamkeitsökonomie: Facebook kann Portale hochjazzen, aber gleichsam in die Bedeutungslosigkeit herunterpegeln – ohne dass die Algorithmen einer öffentlichen Kontrolle unterzogen werden."

In einem Meedia-Interview mit zwei Facebook-Vertretern wird das Verhältnis zwischen Facebook und Medien mit dem Zitat einer Publisherin, "Es ist kompliziert", zusammengefasst. Das zu sagen, finden sogar die Facebooker "fair". Was dann wohl auch heißen kann: Es ist viel komplizierter.


Altpapierkorb ("Parfum", Philipp Kadelbach, Weibo, Nathalie Wappler)

+++ Die ZDF-Serie "Parfum" (mittwochs, 22 Uhr, ZDFneo bzw. in der Mediathek), "die sich locker an Motive aus Patrick Süskinds weltbekanntem – und bereits halbwegs erfolgreich verfilmtem – Roman über den genialisch amoralischen Parfümeur Jean-Baptiste Grenouille anlehnt", bespricht die FAZ: In einem Universum aus Freaks lässt einen "nicht nur ziemlich kalt, wer der Täter ist, sondern auch – und viel schlimmer –, was an olfaktorischem Hokuspokus aufgeboten wird, um jene psychologische Abgründigkeit (Liebe als Gewalt) zu begründen, auf die es diese Noir-Serie abgesehen hat."

+++ DWDL hat ein Interview mit dem Regisseur, Philipp Kadelbach ("Ganz ehrlich, es gibt zu viele Serien").

+++ Ebenfalls in der FAZ: Was der Bayerische Rundfunk zum 70. Geburtstag des Musikers und Satirikers Ringsgwandl zeigt ("Vogelwild", 22.30 Uhr), bespricht der Ex-Münchner Edo Reents.

+++ Übermedien (€) ist nicht einverstanden mit Weglassungen in einem Geschichtstext der Welt, in dem es um die Frage geht, ob 1962 der DDR-Grenzsoldat Reinhold Huhn ermordet oder in Notwehr getötet wurde: "Der Fall ist damals von beiden Seiten für Propaganda genutzt worden. Sie erzählten einfache Geschichten, ohne Widersprüche. Die 'Welt' scheint bis heute ungern davon zu lassen."

+++ Nicht mit dem westlichen Blick nach China zu schauen, bringt mehr Erkenntnis: Wie Weibo, "das chinesische Twitter", funktioniert, hat Ronnie Grob für die NZZ bei der Bloggerin Manya Koetse erfragt und mit ihr auch über den Bias geredet: "Entweder wird anklagend berichtet, oder man will sich lustig machen. Wer aber stets nur mit westlichem Bias und Framing an Storys herangeht, verpasst wichtige Entwicklungen: zum Beispiel, wie sehr die innerchinesische Propaganda ihre Form ändert, wie sie spielerischer wird, witziger, geschickter. Propaganda findet längst nicht mehr auf dumpfen Propagandapostern statt, sondern in Apps, im Internet, in TV-Shows."

+++ Nathalie Wappler, die noch MDR-Programmdirektorin ist, aber bald Direktorin des Schweizer Radios und Fernsehen sein wird, wird heute auf Basis ihres gestern hier kritisierten NZZ-Interviews in der FAZ vorgestellt. Ihr Satz "Wir müssen keinen Meinungsjournalismus machen" wird dort nicht als Irrtum gelesen, wie gestern an dieser Stelle, sondern als Versprechen. Zu den weiteren Themen des Textes gehören welche, die FAZ-Leserinnen und -Leser kennen könnten: Sie schlage versöhnliche Töne gegenüber den Verlegern, heißt es, und indirekt zitiert wird sie auch mit dem Satz, es "hätten ohnehin alle Medien ein 'gemeinsames Problem': die amerikanischen Digital-Konzerne, welche die Werbegelder abziehen."

Das nächste Altpapier erscheint am Mittwoch.