Das Altpapier am 7. Februar 2019 Unteilbar

In Venezuela sitzt ein deutscher Journalist in Haft, und keinen interessiert’s. Journalismus von Auskennern mag sich das gemeine Volk nicht mehr leisten, meint der Tagesspiegel. John F. Kennedys Vater hat auch mal was gesagt. Wo liegt eigentlich Tadschikistan? Ein Altpapier von Juliane Wiedemeier.

#FreeDeniz

#FreeMesale

#FreeThemAll

Wie oft diese Forderungen in den vergangenen Monaten auch hier im Altpapier auftauchten, könnte ich - Danke, Google! - zwar zählen, belasse es aber bei der vagen Angabe: sehr, sehr oft.

Von #FreeBilly haben wir hingegen nie geschrieben; Erwähnung fand der Fall des seit November im venezolanischen Militärgefängnis sitzenden Journalisten Billy Six gerade drei Mal (1, 2, 3), irgendwo im Korb. Dabei erinnern die Vorwürfe gegen Six durchaus an die aus der Türkei bekannten Fälle der unter hanebüchenen Vorwänden eingesperrten Journalisten, wie die Reporter ohne Grenzen erklären:

“Six’ Eltern zufolge werden ihm Spionage, Rebellion und das Verletzen von Sicherheitszonen vorgeworfen: Er habe bei Militärparaden anlässlich des Unabhängigkeitstages am 5. Juli 2017 und 2018 Fotos gemacht, er habe Staatspräsident Nicolás Maduro auf einer Wahlkampfveranstaltung im Mai 2018 innerhalb einer Sicherheitszone fotografiert und er habe sich mit der kolumbianischen Guerrillagruppe FARC getroffen.“

Das Militärgefängnis El Helicoide in Caracas ist berüchtigt. Boris Rosenkranz bei Übermedien (Links im Original):

“Die Zustände dort sind katastrophal: von abscheulichen Folter-Methoden ist die Rede, politische Gegner oder jene, die der Regierung als solche gelten, werden drangsaliert. Wie es Six dort geht, ist ungewiss. Seit kurzem soll er abermals im Hungerstreik sein, und Zugang zu einem Anwalt wird ihm offenbar weiterhin verwehrt. Sollte es zu einer Verurteilung kommen, drohen ihm angeblich bis zu 28 Jahre Haft.“

Aufgrund der politischen Entwicklung steht Venezuela derzeit auch in Deutschland stärker im Fokus als in anderen Jahren, in denen man mit dem fehlenden Nachrichtenwert der Nähe hätte argumentieren können. Die Gründe, weshalb es im Fall Six an Interesse und Solidarität fehlt, sind andere: seine Auftraggeber (u.a. die Junge Freiheit), seine politische Gesinnung (weiter rechts) und die damit aufgeworfene Unsicherheit, ob Six tatsächlich als Journalist oder nicht doch als politischer Aktivist in Venezuela unterwegs war. Für die Reporter ohne Grenzen steht das außer Frage; der DJV bezweifelt das auf Anfrage von Rosenkranz jedoch.

Six ist einer der beiden Aktivisten, die im Sommer 2016 “Lügenpresse“ rufend die Redaktion von Correctiv stürmten (Altpapier). Sympathisch ist er zumindest mir damit nicht. Aber wir kennen ja alle unseren Voltaire bzw. was Evelyn Beatrice Hall ihn sagen ließ - verdammen was Du sagst, aber mein Leben einsetzen, dass Du es sagen darfst, Sie wissen schon. Und damit verdient auch Billy Six unsere Aufmerksamkeit. Einfach auf die schon richtig mahlenden rechtsstaatlichen Mühlen Venezuelas vertrauen mag zumindest ich derzeit nicht.

Nochmal Rosenkranz (Link im Original):

“Vor zwei Jahren waren es Rechte, die sich zynisch über den inhaftierten ,Welt’-Reporter Deniz Yücel ausließen, auch aus der AfD kamen solche Stimmen. Heute ist es umgekehrt. Bisher sind es vor allem Rechte, die offen für Six eintreten, auch die AfD trommelt für ihn und beklagt, dass der öffentliche Aufschrei ausbleibe. Mindestens einen sehr prominenten, in so einer Angelegenheit erfahrenen Journalisten als Unterstützer hat Six allerdings: Deniz Yücel. Zu Six‘ Geburtstag an Heiligabend twitterte er: 'Die Freiheit des Wortes gilt oder gilt nicht. Sie ist unteilbar. Darum selbstverständlich: #FreeBilly.’“

In Tadschikistan ist es um die Pressefreiheit auch schlecht bestellt

Um den Blick noch kurz in Ländern zu belassen, deren genaue Lage man zunächst im Diercke Weltatlas verifizieren muss: Tadschikistan, eines der -stans zwischen Afghanistan und China sowie ein Ort, an dem man gerade auch in keinem Fall journalistisch arbeiten möchte, auch wenn es dringend geboten zu sein scheint. Das hat die nach Hamburg ausgereiste tadschikische Journalistin Humayra Bakhtiyar Knut Henkel für das Verdi-Magazin Menschen Machen Medien erzählt:

(Bakhtiyar:) “Ab 2013 hat die Geheimpolizei die Redaktionen direkt aufgesucht, mit Journalisten gesprochen und Druck ausgeübt. Sie haben uns aufgefordert Kritik zu unterlassen. Sie kamen in die Redaktion des 'Ozodagon’ und sagten mir, dass es nicht wahr sei, was ich schreiben würde. Ich sei jung und würde nicht verstehen, wie die Politik funktioniert, was Meinungsfreiheit sei. Warum würde ich so ein Risiko eingehen, nicht an meine Familie denken? Sie haben mich damals aufgefordert, ihnen Informationen zu liefern aus der Redaktion – ich habe sie daraufhin aufgefordert, mir das schriftlich zu bestätigen. Das haben sie verweigert.“

(Henkel:) “Sie sollten als Informantin aus der Redaktion auf deren Lohnzettel arbeiten?“

“Ja, das wollten sie. Ich habe es abgelehnt, meine Kollegen auszuspionieren.“

“Was passierte dann?“

“Sie haben meinen Facebook-Account gehackt, Fotos von mir auf ihrer Seite publiziert, mich als Prostituierte diffamiert, Falschinformationen über mich und meine Familie veröffentlicht. Ich wurde observiert, mein Telefon abgehört.“

Tadschikistan also auch. Da wir nun wissen, wo es liegt, können wir es gleich ebenfalls im Auge behalten.

Guter Journalismus sollte a) wenig b) besonders viel kosten

Höchste Zeit, an Orte zu schauen, wo sich das journalistische Dasein erfreulicher gestaltet, sogar als hierzulande, zumindest in manchen Belangen. Caspar Busse hat dazu für die SZ-Medienseite Mark Thompson interviewt, Vorstandsvorsitzender der New York Times Company. Diese meldete für ihr Nachrichten-Flagschiff gestern Rekord-Einnahmen aus dem Digital-Geschäft von über 700 Millionen Dollar im Jahr 2018. Im vierten Quartal nahm man mit Werbung online erstmals mehr ein als gedruckt. “The revenue gains will allow the company to spend more on its newsroom operations“, heißt es in der Meldung weiter.

Nun aber zur SZ und dem Erfolgsgeheimnis: Niedrige Preise bei riesiger Zielgruppe. Das Basis-Abo mit unbeschränktem Digital-Zugang kostet für Sie derzeit vier Euro, ab dem zweiten Jahr acht Euro im Monat.

Mark Thompson:

“Wir haben jetzt 2,5 Millionen Abonnenten alleine für unsere Nachrichtenseite. Multiplizieren Sie mal die Zahl der Kunden mit dem Preis. Reed Hastings, der Chef von Netflix, glaubt zum Beispiel, dass wir noch zu teuer seien und sonst noch viel mehr erlösen könnten. Unser Ziel ist: Abos zuerst, das treibt uns an. (…)

Unser Ziel lautet mehr als zehn Millionen Abonnenten bis zum Jahr 2025. Das wird aber nicht die Obergrenze sein, wir können auch mehr erreichen. Es gibt Hunderte Millionen Menschen auf dieser Welt, die gut Englisch sprechen und die wir alle erreichen können. Und wenn wir ehrlich sind, gibt es nicht viele Konkurrenten für das, was wir machen.“

Einfach mal einen verdammt guten Job zu machen und die Hürden zum Abschluss eines Abos niedrig zu setzen: Das wäre doch auch in Deutschland mal ein interessanter Ansatz. Denn selbst wenn nicht die ganze Welt unsere Sprache spricht. Die so-called DACH-Region ist ja auch nicht winzig.

Doch stattdessen wird für die Masse weiterhin kostenloser Click-Bullshit präsentiert und das, was noch den Namen Journalismus verdient, geht exklusiv an “Entscheider“. So verstehe ich jedenfalls das Konzept der Newsletter namens Tagesspiegel Background zu den Themen Energie und Klima bzw. Digitalisierung und KI (und ja, da steht wirklich “Sie sind Entscheider. Wir sind ihr Briefing“).

Grit Eggerichs stellt es bei “@mediasres“ vor und zitiert Redaktionsleiter Sascha Klettke:

“Wir sind eine sechsköpfige Redaktion, die sich mit Digitalisierung beschäftigt. (…) Ich schreibe zum Beispiel hauptsächlich über Regulierung von IT-Sicherheit und E-Government. Und auf dem Gebiet kenn ich mich halt sehr gut aus und verfolge alle Entwicklungen; und das machen die Kollegen genauso. (…)

Einer der Gründe dafür, dass es uns gibt, ist genau, dass das passiert: Dass in klassischen, auch überregionalen Tageszeitungen die Themengebiete breiter geworden sind, es weniger tiefes Expertenwissen gibt und dass es Unternehmen gibt, die bereit sind dafür zu zahlen, dass ihnen das jemand recherchiert und aufschreibt.“

Wie viel so ein Abo kostet, war ich zur frühen Morgenstunde herauszufinden vermutlich einfach zu blöd. Oder sollte das tatsächlich auf der Website nicht vermerkt sein? Eggerichs spricht von “179 Euro als Einzellizenz, bei mehreren wird es günstiger. Dafür gibt es Text im Umfang von rund vier Zeitungsseiten.“ Im Monat? Wahrscheinlich.

Was Sascha Klettke als cooles Erfolgsrezept des Newsletter-Hauses Tagesspiegel bezeichnet, klingt für mich schlichtweg nach: Journalismus. Sie auskennen und darüber schreiben, ist nicht genau das Jobbeschreibung und Existenzberechtigung? In dem Moment, in dem wir diese Dienstleistung aber nur noch Eliten hinter verschlossenen Türen anbieten, haben wir bei allem Refinanzierungsproblembewusstsein kapituliert.

Altpapierkorb (Football-Leaks, Bild Politik, Algorithmen, Deutschlandfunk Nova)

+++ Die Kontext Wochenzeitung streitet am kommenden Mittwoch in nächster Instanz dafür, über den Mitarbeiter zweier Landtagsabgeordneter der AfD berichten zu dürfen, der sich in Chats rechtsextrem geäußert haben soll (Altpapier), informiert die Redaktion.

+++ Sollten Journalisten ihnen zugespielte Dokumente nutzen, auch wenn ein Hack dahinter steckt? Diese Frage erörtert am Beispiel der Football-Leaks Daniel Bouhs bei “Zapp“.

+++ “Wenn aber 'Bild’ und 'Bild am Sonntag’ mit ihrem streitlustigen Journalismus schon derart rasant an Zuspruch verlieren – wen genau will 'Bild Politik’ dann mit seiner sanfteren Spielart der Politemotion erreichen?“, fragt sich Imre Grimm in der Hannoverschen Allgemeinen zu Springers am Freitag im Norddeutschen starteten Testlauf mit einem politischen Wochenmagazin.

+++ Vor eineinhalb Jahren wurde aus DRadio Wissen Deutschlandfunk Nova, und der Sender macht einen richtig guten Job, findet Oliver Weber auf der Medienseite der FAZ ().

+++ In der Redaktion von Mediapart klingelte am Montag die Staatsanwaltschaft, um Materialien zu einer Enthüllungsgeschichte einzufordern, und nun diskutiert Frankreich über einen besseren Quellenschutz, berichtet Rudolf Balmer in der taz.

+++ Sie wissen nicht, was ein Algorithmus ist? Das ist schlecht, aber sie sind in guter Gesellschaft: Der Hälfte aller EU-Bürger geht das so (dpa/Heise.de).

+++ Mögliche Gewalttäter in sozialen Netzwerken zu outen, um mögliche Opfervor ihnen zu warnen: Ja, warum denn nicht? Meint Sascha Lobo in seiner Kolumne bei Spiegel Online.

+++ Darf ein Foto nicht veröffentlicht werden, dann darf es nicht veröffentlicht werden, auch nicht mit einem anderen Bildausschnitt. Das urteilte das Oberlandesgericht Frankfurt (dpa/Meedia).

+++ Zum Abschluss die Einstiegsfrage des Tages: “Katrin Bauerfeind, bei der Premiere Ihrer 'Show zur Frau’ zitiert Micky Beisenherz John F. Kennedys Vater mit den Worten, es käme nicht drauf an, was du bist, sondern wofür man dich hält. Sind Sie, wer Sie sind oder wofür man Sie hält?“ Wow, einfach nur wow, was Jan Freitag da Kathrin Bauerfeind bei DWDL vor den Latz knallt. Ich frage mich: Fehlt da nicht irgendwo noch der Hund der ersten Frau vom Bruder? Ich halte, also bin ich: hiermit raus. *micdrop*

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.