Vaclav Havel
Vaclav Havel am 29. Dezember 1989 nach seiner Wahl zum Staatspräsidenten auf dem Balkon der Prager Burg Bildrechte: imago/CTK Photo

Vaclav Havel - aus der Zelle auf den "Thron"

21. Februar 2019, 12:05 Uhr

Er war das charismatische Gesicht der "Samtenen Revolution" in der Tschechoslowakei – ein kämpferischer Bürgerrechtler und zugleich Autor und Dramaturg: Vaclav Havel. Nach jahrelangen Repressionen stellte ihn der kommunistische Staat Anfang 1989 zum wiederholten Male als Feind des Systems vor Gericht. Doch noch im selben Jahr wurde Havel zum umjubelten Sieger über das Regime und zum ersten Mann im Lande.

Als Vaclav Havel am 21. Februar 1989 in einem kleinen Gerichtssaal eines Prager Vororts der Prozess gemacht wurde, durfte nur ein einziger westlicher Journalist zugegen sein. Andere Prozessbeobachter von außen waren nicht zugelassen, als sich der systemkritische Schriftsteller wegen vermeintlichen "Rowdytums" verantworten sollte. Das Urteil im Sinne des kommunistischen Staates war freilich eine abgemachte Sache. Nach der Verurteilung zu neun Monaten Haft sprachen immerhin einige Unterstützer Havel vor dem Gerichtsgebäude auf dem Weg ins Gefängnis Mut zu. Von diesem Moment an sollten nur gut zehn Monate vergehen, bis Havel zum Staatspräsidenten einer neuen Tschechoslowakei wurde – ein schier unglaublicher Aufstieg.

Stachel im Fleisch des Staates

Gut einen Monat zuvor hatte die Opposition in der ČSSR des Todes von Jan Palach gedacht. Der Student hatte sich 20 Jahre zuvor öffentlich selbst verbrannt, um gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings im August 1968 zu protestieren. Sein verzweifeltes Fanal gegen die Unterdrückung der damaligen Bewegung für einen "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" durch Truppen des Warschauer Paktes hatte das ganze Land schockiert und wirkte stark nach.

Vor dem 20. Jahrestag von Palachs Tod hatte Vaclav Havel als bekanntes Gesicht der Opposition nun einen anonymen Brief bekommen, in dem eine weitere Selbstverbrennung angekündigt wurde. Um einen weiteren schrecklichen Selbstmord zu verhindern, forderte Havel den Verfasser über westliche Radiosender dazu auf, sich stattdessen an öffentlichen Kundgebungen zu beteiligen. Ironischerweise lieferte er dem Staat dadurch letztlich den Vorwand, um ihn wegen Anstiftung zum Verstoß gegen das Versammlungsgebot anzuklagen.

Während der sogenannten "Palach-Woche" versammelten sich schließlich immer wieder Tausende Gegner der kommunistischen Diktatur auf dem Prager Wenzelsplatz, um für einen friedlichen Wandel zu demonstrieren. Eine weitere "menschliche Fackel" gab es dabei glücklicherweise nicht. Den unnachgiebigen Menschenmassen setzte die Polizei Wasserwerfer und Tränengas entgegen. Havel gehörte schließlich zu denen, die verhaftet wurden. Obwohl er sich vor Ort eher zurückhielt, war er dem Staat als wichtiger Mann der Opposition ein Stachel im Fleisch – und das bereits seit Jahrzehnten.

Vom Wortführer zum Häftling

Alexander Dubcek und Vaclav Havel
Alexander Dubcek und Vaclav Havel im Herbst 1989 Bildrechte: imago/CTK Photo

Schon während des Prager Frühlings 1968 hatte Havel als Verfechter einer politischen Erneuerung auf sich aufmerksam gemacht. Die liberalen Ideen des charismatischen Regierungschefs Alexander Dubcek für einen gemäßigteren Sozialismus mit Presse- und Versammlungsfreiheit griffen intellektuelle Systemkritiker wie er seinerzeit begeistert auf und verbreiteten sie vor allem bei den zahlreichen öffentlichen Versammlungen im Sommer 1968.

Nach dem Einmarsch der Sowjetarmee und ihrer Verbündeten in Prag sowie der folgenden Absetzung Dubceks bekam Havel als Autor Veröffentlichungsverbot im gesamten Ostblock. Seine regimekritischen Theaterstücke durften nicht mehr aufgeführt werden und zudem wurde er von der Staatssicherheit überwacht. Dennoch begründete er gut ein Jahrzehnt später die oppositionelle Bewegung "Charta 77" mit, die die Herrschaft der Staatspartei KPČ durch Veröffentlichungen im Ausland kritisierte und infrage stellte. Darauf folgten schließlich erste Verurteilungen als Staatsgegner und eine Haftzeit von etwa vier Jahren, während der er bewegende Briefe an seine langjährige erste Ehefrau Olga schrieb. Ein Ausreiseangebot der Regierung hatte Havel vor Haftbeginn abgelehnt.

Ich hoffe immer noch, dass die Staatsmacht endlich aufhört, sich wie ein hässliches Mädchen zu gebärden, das den Spiegel zerschlägt in der Annahme, er sei schuld an seinem Aussehen.

Vaclav Havel in seinem Schlusswort vor Gericht am 21.02.1989

Funken der Revolution

Havels erneute Inhaftierung 1989 endete bereits im Mai nach anhaltenden Protesten im In- und Ausland. Nicht zuletzt an seiner Person entzündete sich somit letztlich die Lunte der Revolution. Wie in vielen Ostblockstaaten wuchs auch in der ČSSR angesichts der schwachen Wirtschaft und Versorgungslage zusehends der Unmut.

Ein fassbares Kampfthema wie die vorzeitige Haftentlassung Havels wurde in dieser Lage zum Ventil des allgemeinen Protests und die Opposition rückte näher zusammen – zumal sich Ende der 80er-Jahre überall im östlichen Lager die Hoffnungen auf Veränderung mehrten, angesichts der zunehmend liberaleren Politik im Moskauer Kreml unter Michail Gorbatschow. Doch erst der Fall der Berliner Mauer brachte im November 1989 auch in der Tschechoslowakei den politischen Umbruch.

Geist der Wende

Als sich ab Mitte November schließlich Hunderttausende in Prag für eine neue Ära einsetzten und diese mit ihren Schlüsselbunden klimpernd einläuteten, gehörte Havel erneut zu den Wortführern und wurde zur Symbolfigur des gewaltfreien Widerstands. Unter seiner Führung gründete sich nun ein "Bürgerforum", dem sich auch die "Charta 77" anschloss und das nunmehr mit der Regierung in Verhandlungen trat. Der Geist der Wende war dabei längst voll entfaltet und von einem Dritten Weg als Kompromissansatz wie 1968 war nicht mehr die Rede – sodass sich die Hoffnung Havels und seiner Mitstreiter auf ein Ende des kommunistischen Regimes durch freie Wahlen erfüllen sollte.

Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat – egal wie es ausgeht.

Vaclav Havel aus: Gesprächsband "Fernverhör" von 1987)

Vaclav Havel mit Alexander Dubcek auf einem Balkon.
Samtene Revolution in Prag im November 1989 Bildrechte: imago/CTK Photo

Ein Philosoph als Staatsmann

Den Rufen aus dem Volk "Havel auf die Burg!" folgte um die Jahreswende 1989/1990 tatsächlich der Umzug Havels auf den Prager Hradschin nach seiner Wahl zum neuen Staatspräsidenten – als Schlusspunkt der sogenannten Samtenen Revolution und des rasanten Aufstiegs eines verurteilten "Rowdys" zum ersten Mann im Lande binnen zehn Monaten.

In seinen insgesamt 13 Jahren als Präsident zunächst der Tschechoslowakei und ab 1993 der Tschechischen Republik blieb Havel eine – wenn nicht die – maßgebliche Stimme und moralische Instanz in seiner Heimat. Darüber hinaus wurde er auch im Ausland hochgeschätzt und vielfach für sein Lebenswerk mit Auszeichnungen bedacht.

Die Größen der Welt von Gorbatschow über US-Präsident George Bush senior bis Papst Johannes Paul II. zeigten sich nun gern mit Havel. Zuhause sollte seine Popularität allerdings – trotz eines regelrechten Personenkults seitens seiner Anhänger – nicht völlig ungebrochen bleiben, als die Euphorie der Wende in den steinigen Weg zu einer modernen Gesellschaft nach westlichem Vorbild mündete.

Er selbst sagte einmal, er wäre lieber Präsident der Schweiz geworden – und gestand sogar ein, dass mit ihm und seiner so genannten "Havel-Mafia" aus Intellektuellen und Kulturgrößen wie dem oscarprämierten Regisseur Milos Forman zunächst ein gewisser Dilettantismus in die höchsten politischen Kreise seines Heimatlandes Einzug hielt. Ihn selbst umgab auch im höchsten Amt noch die Aura eines eher schüchternen Denkers – was ihn aber nicht davon abhielt, auch umstrittene Positionen zu vertreten und sich beispielsweise für eine Annäherung an Deutschland trotz der Verbrechen der NS-Besatzungszeit einzusetzen.


Als Havel schließlich Ende 2011 im Alter von 75 Jahren verstarb, hinterließ der charismatische "Philosophenkönig" der turbulenten Nachwendezeit freilich als Symbolfigur und Vorbild in jedem Fall ein Vermächtnis, das bis heute nachwirkt.

Über dieses Thema berichtete der MDR auch im TV: MDR Zeitreise | 10.01.2017 | 21:15 Uhr

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