Im Gespräch Interview: Die Corona-Krise im Kleingarten überstehen
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09. April 2020, 13:00 Uhr
Mehr denn je kann Gartenarbeit in dieser schweren Zeit helfen, innerlich zur Ruhe zu kommen und trotz des Gebotes sozialer Distanz mit anderen Menschen in Kontakt zu treten - mit dem Gartenzaun als Abstandshalter. Ein Gespräch mit Wolfgang Preuß, dem Präsidenten des Landesverbandes der Thüringer Kleingärtner, darüber, wie sich Corona auf das Kleingartenwesen auswirkt.
Herr Preuß, der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow hat vor einigen Tagen gesagt, dass die Menschen in ihre Gärten gehen sollen. Welche positiven Effekte hat das Gärtnern gerade jetzt?
Gartenarbeit ist ein wunderbares Mittel, um zu entschleunigen und Stress abzubauen. Die körperliche Arbeit sowie die Beobachtung der Natur im Zyklus der Jahreszeiten führt auch zur Achtsamkeit sich selbst gegenüber. In unserem Alltag sind wir oftmals sehr fern von der Natur, im Garten finden wir wieder zu ihr zurück. Gleichzeitig erleben wir in den Kleingartenanlagen die so wichtige Gemeinschaft mit anderen. Über den Gartenzaun hinweg können wir mit den Nachbarn kommunizieren und wahren trotzdem Abstand. Nicht zu vergessen: Die Kinder können hier spielen und toben. Kurzum, in den Kleingärten wird sozialer Sprengstoff entschärft.
Wie gehen Sie als Landes-Dachverband mit Corona um?
Wir haben für alle Mitglieds-Anlagen verbindliche Regeln erlassen. So darf der Garten ausschließlich zusammen mit Mitgliedern des eigenen Haushalts aufgesucht werden, das gilt auch für die Kinder. Zu allen anderen Personen muss der Mindestabstand eingehalten werden. Die öffentlichen Toiletten in den Kleingartenanlagen sind geschlossen und wer sich krank fühlt, soll zu Hause bleiben. Die Vorstandsarbeit läuft weitgehend über Telefon, E-Mail und so weiter. Mit diesen Regeln schützen wir uns selbst und andere, schließlich gehören viele Kleingärtner schon aufgrund ihres Alters zur Risikogruppe.
Expertentipp Nehmen Sie eine Kopie Ihres Unterpachtvertrages mit, wenn Sie sich in den Garten aufmachen. Sollte die Polizei Sie anhalten, können Sie so nachweisen, dass Sie Kleingartenpächter sind.
Verspüren die Kleingartenverbände seit Beginn der Corona-Krise eine erhöhte Nachfrage nach Parzellen?
In der Tat verzeichnen wir seit einigen Wochen verstärkte Anfragen, insbesondere in den Ballungsräumen Jena und Erfurt, wo die Kleingärten ohnehin schon knapp sind. Hingegen haben wir im ländlichen Raum ein Überangebot an Kleingärten. Landesweit stehen circa sieben Prozent der Parzellen leer. Dieses Ungleichgewicht besteht schon seit längerer Zeit.
Mit welchen Strategien begegnen Sie dieser Diskrepanz?
Für die Ballungsräume bietet sich das sogenannte Hamburger Modell an, sprich: Man verkleinert die Parzellen, sodass mehr Nutzer profitieren. Allerdings kämpfen wir viel mehr mit dem Garten-Leerstand auf dem Land. Die Demografie spricht da eine eindeutige Sprache: Wir müssen uns gesundschrumpfen. Viele Parzellen finden einfach keine Nachfolger mehr und auch die Personalressourcen für die Vorstandsarbeit nehmen ab. Wahrscheinlich werden wir zukünftig Vereine und Regionalverbände zusammenlegen, um so die Verwaltungskosten zu senken - im Grunde analog zu den Prozessen auf kommunaler Ebene. Außerdem müssen die Städte die Kleingartenanlagen zukunftsfähig in ihre Flächennutzungspläne integrieren. Von der Politik fühlen wir uns allerdings allein gelassen, wir bräuchten Fördergelder für die Beräumung von Flächen sowie für neue Nutzungen.
Sehen Sie die Corona-bedingte neue Lust am Gärtnern auch als Chance für eine Erneuerung des Kleingartenwesens?
Ja, unbedingt. Generell sehe ich diese Krise als Chance zur Rückkehr zum Eigentlichen: Wie will ich mein Leben gestalten? Was ist mir wichtig? Der Garten führt auch zur Selbstbesinnung. Viele Menschen hetzen durch ihr Leben, nun ist das Müssen auf einmal weg. Wir beherrschen nicht alles, die Natur hat ihr eigenes Zeitraster. Wenn ich meine Gurkenpflanzen vor Anfang Mai unbedingt raussetzen will, gehen sie wahrscheinlich ein. So ist das einfach.
Zur Person Der promovierte Agrarpädagoge aus Altenburg, Jahrgang 1945, trat bereits 1974 in einen Kleingartenverein ein und wurde aufgrund seiner beruflichen Qualifikation gleich als Fachberater tätig. Seitdem engagiert er sich ehrenamtlich im Kleingartenwesen auf lokaler, Landes- und Bundesebene. Seit Oktober 2017 ist Wolfgang Preuß unter anderem Präsident des Landesverbandes Thüringen der Gartenfreunde e.V., des Dachverbandes der Kleingartenvereine des Freistaats.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Garten | 29. März 2020 | 08:30 Uhr