Beamte von Europol und den italienischen Carabinieri auf einem Schrottplatz.
Rullo wird vorgeworfen, illegal mit Schrott gehandelt und das Geld über deutsche Banken gewaschen zu haben. Bildrechte: Carabinieri

Keine Bargeldobergrenze Millionenschweres Geldwäschenetzwerk aufgedeckt

16. Mai 2023, 11:01 Uhr

Über ein internationales Firmenkonstrukt soll ein Geldwäschenetzwerk zwischen Deutschland und Italien aufgebaut worden sein. Eine Gruppe mutmaßlicher Krimineller soll so über deutsche Banken rund 70 Millionen Euro verschoben haben. Spuren führen auch zur kalabrischen Mafia ‘Ndrangheta.

Eine alte Weisheit unter Finanzermittlern heißt "Follow the money", folge dem Geld. Dieser Lehrsatz wurde auch Maurizio Rullo zum Verhängnis. Über die Analyse der Konten einer verdächtigen Firma in München wurden Ermittler des Bundeskriminalamts nämlich auf den kalabrischen Geschäftsmann aufmerksam.

70 Millionen an illegalen Geldern

Dabei stießen sie auf ein ausgefeiltes Firmengeflecht mit Verbindungen in verschiedene europäische Länder. Der Verdacht: Über dieses Geflecht sollen Rullo und seine mutmaßlichen Komplizen illegale Gelder verschoben haben. Es geht um rund 70 Millionen Euro.

Rullo gehört zu einem mutmaßlichen kriminellen Netzwerk, das im Rahmen eines Verfahrens namens "Black Steel" Mitte Februar dieses Jahres aufgedeckt wurde. Die Staatsanwaltschaft Mailand vollstreckte Haftbefehle gegen insgesamt 14 Beschuldigte. An den Ermittlungen waren auch die Staatsanwaltschaft im kalabrischen Reggio Calabria und in München beteiligt, gemeinsam mit den italienischen Carabinieri und dem Bundeskriminalamt (BKA).

Der Hauptvorwurf: Rullo soll offenbar der Chef einer kriminellen Gruppierung gewesen sein, die mit Eisenschrott handelte. Inzwischen kooperiert Rullo mit der Justiz und hat die Vorwürfe teilweise bestätigt.

Ein Team von "report München", MDR, dem ARD-Studio Rom und der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" hat Rullos Fall rekonstruiert. Er zeigt exemplarisch, wie sich Kriminelle die fehlende Bargeldobergrenze in Deutschland zu Nutze machen. Und wie sie in immer ausgefeilteren Firmengeflechten ihre Machenschaften zu verschleiern versuchen.

Komplexes Firmengeflecht für illegalen Schrotthandel

Rullo bei einer Pressekonferenz.
Maurizio Rullo wird krimineller Handel mit Schrptt und Geldwäsche vorgeworfen. Bildrechte: La Stampa

Rullo (55) stammt aus der kalabrischen Kleinstadt Locri und ist ein umtriebiger Geschäftsmann. 1992 eröffnete er sein erstes Unternehmen im Gastronomiebereich im Großraum Mailand, doch über die Jahre baute er seine Karriere in zwei Bereichen auf: Immobilien und den Handel mit Schrott. Bei Letzterem spielten sich offenbar seine kriminellen Aktivitäten ab.

So soll Rullos System funktioniert haben: Der Geschäftsmann hat offenbar über Jahre viele Tonnen an Eisenschrott schwarz gekauft. Über eine Firma in Mailand verkaufte er den Schrott weiter an Gießereien. Mittels gefälschter Papiere gab er offenbar vor, dass es sich um angeblich ordentlich recyceltes Altmetall handelte. So soll Rullo Eisenschrott billig gekauft und diesen dann teuer als verwertetes Material weiterverkauft haben.

Weil Rullo den Schrott offiziell durch seine Firma und damit auf legalem Wege weiterverkaufte, musste er dessen illegale Herkunft verschleiern. Dafür soll er angeblich ein komplexes Firmenkonstrukt in Deutschland, Ungarn, Kroatien und Bulgarien aufgebaut haben. Auf Papier kaufte Rullo den Schrott von einer Münchner Firma, die ihren Hauptsitz im Zentrum der Stadt hat. Rullo gründete die Firma im Jahr 2015. Sie wird von einer weiteren Münchner Firma verwaltet, die wiederum Alleingesellschafter von Rullos Mailänder Firma ist.

Alle drei Firmen sind am Ende also auf Rullo zurückzuführen. Die Firma in München soll nach Ansicht der Ermittler eine reine Scheinfirma gewesen sein. Laut Rullos Anwalt soll er das Firmengeflecht nicht alleine aufgebaut haben, sondern sich dafür an Fachleute gewandt haben.

Abhebungen in Millionenhöhe

Um den Eisenschrott auf dem Schwarzmarkt einzukaufen, brauchte Rullo große Mengen an Bargeld. Doch in seinem Heimatland Italien gilt eine Bargeldobergrenze von 5.000 Euro. Eine Person kann zwar von ihren Konten so viel Bargeld abheben, wie sie möchte. Da man aber nirgendwo mehr als 5.000 Euro in bar legal bezahlen darf, wirken große Abhebungen schnell verdächtig. Hebt jemand mehr als 10.000 Euro bar ab, ist eine Bank dazu verpflichtet, eine Verdachtsmeldung an die Kontrollbehörden abzugeben.

Um an das viele Bargeld zu kommen, nutzte Rullo daher wieder seine Münchner Firma. Und das lief so: Die Firma stellte Scheinrechnungen für den nie stattgefundenen Verkauf des Schrotts aus. Zwischen 2016 und 2021 soll Rullos Mailänder Firma mehr als 80 Millionen Euro auf drei Konten seiner Münchner Firma überwiesen haben. Rullo und seine mutmaßlichen Komplizen sollen von zwei dieser Konten bei verschiedenen Banken in München zwischen 2016 und 2019 rund 70 Millionen Euro Bargeld abgehoben haben. Allein an einem Tag sollen 900.000 Euro abgehoben worden sein.

Die Spur des Bargelds endet in Südtirol

Einer der Beschuldigten erzählte nach Aussagen eines am Verfahren beteiligten Ermittlers, dass die mutmaßliche Gruppierung Deutschland aufgrund der fehlenden Bargeldobergrenze ausgesucht habe. Tatsächlich ließen die Banken nach Informationen von "report München", MDR, dem ARD-Studio Rom und der FAZ die Bargeldabhebungen eine ganze Weile laufen, ehe sie eine Geldwäscheverdachtsanzeige abgaben. Diese landete in Köln bei der Financial Intelligence Unit (FIU), die schon seit Jahren in der Kritik steht, unter anderem, weil sie ihrer Arbeit nicht schnell genug nachkommt.

Was mit dem Bargeld dann geschah, ist unklar. Ermittler konnten offenbar beobachten, wie es etliche Male nach Sterzing in Südtirol gebracht wurde. Dort verliert sich die Spur. Rullo soll laut seinem Anwalt Ermittlern gegenüber gesagt haben, dass das Bargeld dem weiteren Kauf von Eisenschrott vom Schwarzmarkt diente. 

Spuren führen zur kalabrischen Mafia

Autos der italienischen Polizei stehen in einer Straße mit mehreren Häusern in San Luca.
Eine Razzia in San Luca, das als eine Hochburg der ‘Ndrangheta gilt. Bildrechte: FAZ/David Klaubert

Die Ermittlungen gegen Rullo in Italien wurden von der Abteilung für Umweltkriminalität der Carabinieri unter dem Decknamen “Black Steel” geführt. Als diese auf Rullos Firma in München aufmerksam wurden, wandten sie sich an die dortige Staatsanwaltschaft und erfuhren, dass diese mit dem BKA bereits ein eigenes Verfahren gegen Rullo führte.

Hier waren die Ermittlungen im Rahmen der Datenauswertung aus dem Steuerleak der "Paradise Papers" in Gang gekommen. Ermittler waren auf zwei verdächtige Firmen auf Malta gestoßen. Einer der Eigentümer hatte auch Firmen in München und stand in Italien unter Verdacht, Verbindungen zur kalabrischen Mafia 'Ndrangheta zu haben. Als Ermittler die Konten eines der bayerischen Unternehmen auswerteten, entdeckten sie eine Spur zu Rullo. So landete auch er im Visier der deutschen Ermittler.

'Ndrangheta hat festes Standbein in Deutschland

Die 'Ndrangheta gehört zu den mächtigsten Mafia-Organisationen der Welt und ist längst international über die Grenzen Italiens hinaus aktiv. Beheimatet ist sie in der Region Kalabrien, der Spitze des italienischen "Stiefels" auf dem Festland gegenüber der Insel Sizilien.

Sie dominiert den internationalen Drogenhandel, verdient ihr Geld aber auch mit Waffenhandel, Geldwäsche und durch Korruption. Ihren Umsatz schätzen manche Experten auf mehr als 100 Milliarden Euro. Es gibt rund 160 Clans in Kalabrien mit schätzungsweise 6000 Mitgliedern. Der Begriff 'Ndrangheta stammt aus dem Griechischen und bedeutet etwa Mut oder Treue. Die Mafia-Organisation soll sich in den 1860er Jahren gegründet haben, als eine Gruppe Sizilianer von der italienischen Regierung von der Insel verbannt wurde.

Die 'Ndrangheta hat auch in Deutschland ein festes Standbein. Clans der Organisation waren etwa für die Mafia-Morde von Duisburg verantwortlich, bei denen 2007 sechs Menschen vor einer Pizzeria erschossen wurden.

Aktuell gehen italienische Ermittler dem Verdacht nach, dass über den Eigentümer der Firmen auf Malta auch Mafia-Gelder an Rullo gegangen sein könnten. Rullos Anwalt sagte auf Anfrage, sein Mandanten habe explizit gesagt, dass das gesamte Geld, das auf die Konten floss, rückverfolgbar sei. Er schließe aus, dass jemand über ihn Gelder unklarer Herkunft gewaschen haben könnte.

Das ist allerdings nicht die einzige Spur im Verfahren "Black Steel", die zur kalabrischen Mafia ‘Ndrangheta führt. Um an sein Bargeld zu kommen, soll Rullo auch in Ungarn ein weiteres Firmengeflecht aufgebaut haben. Die Firmen sind bei der Kanzlei einer Anwältin registriert, gegen die die kalabrische Staatsanwaltschaft Catanzaro Anfang Januar einen Haftbefehl im Rahmen eines Anti-Mafia-Verfahrens erlassen hat.

Die umstrittene Bargeldobergrenze

Der Fall Rullo könnte neuen Schwung in die Debatte über die Bargeldobergrenze in Deutschland bringen. Im Herbst hatte sich Innenministerin Nancy Faeser (SPD) für eine Grenze von 10.000 Euro bei Bargeldtransaktionen ausgesprochen. Der Koalitionspartner FDP wehrt sich dagegen.

Florian Toncar, Staatssekretär beim Finanzministerium, sagte, dass er keinen Grund für eine Obergrenze bei Bargeldbesitz sehe. Nach seiner Ansicht würde das heutige System ausreichen, das Banken in der Pflicht sieht, verdächtige Transaktionen zu melden.

Kritik kommt dagegen von Experten wie Florian Köbler, Bundesvorsitzenden der Deutschen Steuer-Gewerkschaft DSTG. Er glaubt, dass Deutschland im europäischen Vergleich als Geldwäscheparadies gilt. Er fordert eine Obergrenze für Bargeldzahlungen von 1.000 Euro, denn "man sieht es jetzt auch in dem Fall, dass Deutschland immer wieder zumindest Banken-technisch und Bargeldmäßig der Hauptspielplatz von organisierter Kriminalität ist".

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | MDR AKTUELL RADIO | 12. Mai 2023 | 07:00 Uhr

1 Kommentar

Jan Will vor 51 Wochen

Im Artikel von "fehlender" Bargeldobergrenze zu schreiben, scheint doch sehr einseitig wertend. Die Wirksamkeit solch einer Bevormundung der Bürger bezweifle nicht nur ich, wenn es den Behörden schon kaum gelingt, illegalen Schwarzhandel zu verfolgen und zu unterbinden.

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