Kommentar Berlin-Wahl: Gefragt ist nun Demut
Hauptinhalt
13. Februar 2023, 15:39 Uhr
Berlin hat sich schwarzgeärgert. Wahldebakel, marode Verwaltung, Silvesternacht, es sind die Aufreger-Themen, die der CDU zum ersten Mal seit 1999 den Wahlsieg in der Bundeshauptstadt bescheren. Das Wahlergebnis ist eine schallende Ohrfeige für Rot-Grün-Rot. Die Wahlverlierer lassen jedoch bislang noch keine Demut erkennen und üben sich in Gedankenspielen einfach wie bisher weiterzumachen – ein Fehler.
Wer zwei Mal wählen muss, wählt wütend. Falls es für diese Erkenntnis je einen Beweis brauchte, dann ist er mit der Berliner Wiederholungswahl endgültig erbracht. Die CDU gewinnt knapp zehn Prozentpunkte dazu und holt die mit Abstand meisten Stimmen. Dass das Ergebnis so deutlich ausfallen würde, damit hatte wohl selbst CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner nicht gerechnet. Die Union gewinnt als Sammelbecken der Enttäuschten vor allem viele Protestwählerinnen und Protestwähler.
Im Konrad-Adenauer-Haus zeigt sich das CDU-Präsidium vom eigenen Erfolg berauscht. Die Union kann eben doch Großstadt, so die Botschaft. Vom Wahldebakel 2021, über die Krawalle in der Silvesternacht, bis zur Verkehrs- und Migrationspolitik – die CDU setzte auf eine harte Kante. Die Union grenzte sich von der Regierung ab, fuhr verbale Attacken gegen Rot-Grün-Rot und wurde genau dafür belohnt.
Schlechte Verliererinnen
Die Berliner Landesregierung wurde abgewählt, daran kann es mit dem vorläufigen Endergebnis keinen Zweifel geben. Und trotzdem bleibt eine potentielle parlamentarische Mehrheit für Rot-Grün-Rot und somit auch eine Regierungsoption der Wahlverliererinnen im Bereich des Möglichen. Noch am Sonntagabend lassen Grüne und die Linke erkennen, dass sie die bisherige Regierungsarbeit gerne fortführen wollen. SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey klingt am Morgen nach dem Debakel schon vorsichtiger. So sieht Giffey zwar einen klaren Auftrag an die Sozialdemokratie, sich an einer Regierungsbildung zu beteiligen. Mit wem, da legt sich die scheidende Bürgermeisterin nicht fest.
Jetzt braucht es schnelle Entscheidungen. Die amtierende rot-grün-rote Regierung mag zwar auch nach neuem Wahlergebnis eine parlamentarische Mehrheit auf sich vereinen können, doch bedarf es schon sehr viel mehr als nur Fantasie, um aus einer solch klaren Niederlage einen Regierungsauftrag zu konstruieren. Dafür braucht es Ignoranz.
Klar ist: Nur 25 Prozent der Berlinerinnen und Berliner gaben am Wahlabend an, mit der Regierungsarbeit von SPD, Grünen und Linken zufrieden zu sein. Das reicht nicht für ein "Weiter so".
Dass die Linke für ihren Machterhalt kämpft, scheint mangels anderer Koalitions-Alternativen noch nachvollziehbar – von Grünen und SPD braucht es jetzt aber vor allem eines: Demut.
Brückenbauen schwergemacht
Die paradoxe Situation: Wegners CDU hat nun zwar in der Hauptstadt gewonnen, aber keine Koalitionspartner, die gemeinsam mit ihm regieren wollen. Der konservative Wahlsieger muss jetzt versuchen Brücken aufzubauen, die er noch im Wahlkampf abgebrannt hat, Gemeinsamkeiten zu finden, von denen er im vergangenen Monat nichts wissen wollte.
In der Berliner CDU geht bereits die Angst um, dass sie in egal welcher Regierungskonstellation große Abstriche machen muss. Die Angst ist berechtigt, ohne schmerzhafte Kompromisse wird es in Berlin auf absehbare Zeit keine funktionierende Regierung geben. Demut braucht es also nicht nur bei den möglichen Koalitionspartnern, sondern auch bei der Union. Schon jetzt steht fest: am Ende der Sondierungsgespräche und Koalitionsverhandlungen wird keine Liebesehe stehen.
Nie wieder Wiederholungswahl
Immerhin gab es keine Wahlpannen, hört man es am Tag nach der Wahl immer wieder durch das Regierungsviertel hallen. Die leicht gehässige Randbemerkung sei erlaubt, dass bei 63 Prozent Wahlbeteiligung Schlangen vor den Wahllokalen auch äußerst schwer zu erklären gewesen wären.
Die Wahlbeteiligung ist im Vergleich zu 2013 um über zwölf Prozentpunkte gesunken. Die größte Wahlverliererin des Abends ist somit die Demokratie. Alleine mit fehlenden Politikangeboten ist der Schwund bei der Stimmenabgabe nicht zur erklären. Das sollte und muss in allen Parteien aufgearbeitet werden.
Weiter muss für alle politischen Verantwortlichen klar sein, dass es eine Wiederholungswahl in Berlin nie wieder geben darf.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL FERNSEHEN | 13. Februar 2023 | 19:30 Uhr