Viele MDRfragt-Mitglieder finden die Arbeit im Gemeinderat wichtig für ihr eigenes Leben. Sie fühlen sich jedoch über die Ergebnisse der Kommunalparlamente schlecht informiert.
Viele MDRfragt-Mitglieder finden die Arbeit im Gemeinderat wichtig für ihr eigenes Leben. Sie fühlen sich jedoch über die Ergebnisse der Kommunalparlamente schlecht informiert. (Symbolbild) Bildrechte: imago/Horst Rudel

MDRfragt Mehrheit weiß nicht, was Kommunalpolitiker machen

22. April 2024, 03:00 Uhr

Sechs von zehn Befragten fühlen sich schlecht darüber informiert, was genau Gemeinde- und Stadträte und Kreistag entscheiden. Dabei kümmern sich diese um Dinge, die aus Sicht sehr vieler ihr tägliches Leben betreffen. Das zeigt eine Befragung unter fast 25.000 MDRfragt-Teilnehmern wenige Wochen vor den Kommunalwahlen in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen.

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Wann wird der Müll aus welchen Tonnen abgeholt? Wer bringt die sanierungsbedürftigen Kindergärten und Schulen auf Vordermann? Und wo entsteht ein Treff für Jugendiche im Ort? Über diese Fragen wird direkt vor Ort in den kommunalen Vertretungen entschieden. Dass die Entscheidungen auf städtischer oder Gemeindeebene wichtige Auswirkungen auf das eigene Leben haben, das sieht die deutliche Mehrheit der Teilnehmenden (75 Prozent) in der aktuellen Befragung von MDRfragt so. Trotzdem weiß nur rund ein Drittel (35 Prozent) der Befragten nach eigenen Angaben gut darüber Bescheid, was in den Kommunen und Landkreisen selbst geregelt werden kann.

Sabine (39) aus dem Landkreis Saalfeld-Rudolstadt gehört zu den Befragten, die sich schlecht informiert fühlen über die Arbeit der Kommunalpolitiker: "Obwohl es Amtsblätter mit lokalen Beschlüssen gibt und Einladungen zu Gemeinderatsversammlungen, bin ich in diesen Zeiten so sehr mit meiner Arbeit beschäftigt, dass es mir schwer fällt, mich vorher zu informieren und entsprechend zu beteiligen." Sabine wünscht sich mehr Austausch zwischen Bürgern und ihren politischen Vertretern. So könnten digitale Medien wie Gemeinde-Apps über anstehende Versammlungen und Infoveranstaltungen informieren.

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Digitalisierung wird in vielen Kommentaren als wichtigste Aufgabe für die Kommunen genannt

In Thüringen findet schon am 26. Mai die nächste Kommunalwahl statt, in der unter anderem die Mitglieder aller Kreistage des Freistaates gewählt werden. Auch über die meisten Mitglieder von Gemeinde- und Stadträten wird abgestimmt. In Sachsen und Sachsen-Anhalt stehen die Kommunalwahlen am 9. Juni an. In den Kommentaren zur Befragung beschreiben die Teilnehmenden aus der MDRfragt-Gemeinschaft sehr genau, was sie von den kommenden Kommunalvertretungen erwarten: Diese sollten "Ehrenamt und Soziales stärken, Klimaschutz vorantreiben und dabei die Wirtschaft nicht vernachlässigen", findet beispielsweise Heinrich-Georg (21) aus der Börde. Dorit (27) aus Jena hofft, dass die neugewählten Kommunalpolitiker sich dafür einsetzen, dass "die Katastrophenvorsorge in der Stadt vorangetrieben wird. Und dass sie gute Voraussetzungen für gute Bildung und gute Infrastruktur schaffen." Alexander (33) aus dem Landkreis Zwickau schreibt: "Zum Stand der Zeit muss es möglich sein, dass alle Kommunen digital so aufgestellt sind und dass alle wichtigen Unterlagen (Beschlussvorlagen, Beschlüsse usw.) im Internet zur Verfügung stehen und auch zeitnah über das elektronische Amtsblatt veröffentlicht werden."

Zum Stand der Zeit muss es möglich sein, dass alle Kommunen digital so aufgestellt sind.

MDRfragt-Teilnehmer Alexander (33) aus dem Landkreis Zwickau

Alexander steht mit seinem Kommentar stellvertretend für sehr viele, die schnelle Fortschritte bei der Digitalisierung als eine der wichtigsten Aufgaben in den Kommunen in der nächsten Zeit sehen. Viele Befragungsteilnehmende machen in ihren Kommentaren aber auch deutlich, dass aus ihrer Sicht Gemeinde- und Stadträte überhaupt nur sehr wenig entscheiden könnten. "Der Gestaltungsspielraum ist so gering, dass immer die Überlegung mitschwingt, ob es überhaupt Sinn macht, dieses Recht wahrzunehmen. Das einzige, das gegen eine Wahlverweigerung spricht, ist, den Rechten nicht das Feld zu überlassen", schreibt Peter (61) aus dem Erzgebirgskreis. Eine 72-jährige MDRfragt-Teilnehmerin aus dem Landkreis Görlitz war selbst 25 Jahre lang Stadt- und Kreisrätin und findet: "Der hehre Anspruch auf kommunale Selbstverwaltung ist schon seit Jahren löchrig wie ein Schweizer Käse, denn die finanziellen Spielräume sind einfach nicht vorhanden. Immer mehr Aufgaben werden von Bund und Land an die Kommunen übertragen, leider aber nicht die finanziellen Mittel dazu."

Große Mehrheit informiert sich vor Kommunalwahlen über Menschen, die antreten

Die Kommunalvertretungen entscheiden zwar über Dinge, die Menschen direkt vor Ort betreffen. Trotzdem ist die Wahlbeteiligung bei Kommunalwahlen in der Regel deutlich geringer als bei Landtags- oder bei Bundestagswahlen. In der aktuellen Befragung geben aber acht von zehn Befragten (78 Prozent) an, Kommunalwahlen seien ihnen nicht unwichtiger als andere Abstimmungen. Eine sehr große Mehrheit (82 Prozent) informiert sich vorab auch darüber, wer bei den Kommunalwahlen mit welchen Zielen antritt. Das Bedürfnis nach Information über die zur Wahl stehenden Personen steigt offenbar mit dem Alter: Bei den 16- bis 21-Jährigen, die an der Befragung teilgenommen haben, informieren sich 72 Prozent vorab. Bei den über 65-Jährigen sind das im Vergleich etwas mehr (86 Prozent).

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Bei der Entscheidung für einen Kandidaten für den Kreistag oder den Stadtrat lässt sich knapp die Hälfte der Befragten (49 Prozent) auch vom aktuellen Geschehen auf Bundesebene beeinflussen. Das gilt zumindest dann, wenn der oder die zu Wählende für eine Partei antritt. 44 Prozent der Befragungsteilnehmenden trennen dagegen nach eigener Aussage die unterschiedlichen Politikebenen. Die Antworten auf diese Frage unterscheiden sich zwischen den Bundesländern: Befragte aus Sachsen geben im Vergleich häufiger an, bei Kommunalwahlen auch auf die Bundespolitik zu schauen.

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Anfeindungen gegen Kommunalpolitiker halten andere davon ab, sich auch zu engagieren

Die Teilnehmenden der aktuellen Befragung wurden auch gebeten, über ihre Bereitschaft für ein kommunales Amt zu schreiben. "Nicht in der derzeitigen aufgeheizten Lage, in der ich in einem solchen Amt um mein Leben fürchten muss", schreibt Niklas (26) aus Erfurt. Janette (47) aus Dresden kommentiert: "Würde ich gerne machen, wenn der menschliche Anstand und respektvolle Umgang miteinander wieder möglich wären und ich die Chance bekäme, konstruktiv und gleichberechtigt meine Ideen und Gedanken gemeinschaftlich zu äußern und mitzugestalten, ohne Angst um Übergriffe auf Familie und extreme Diffamierungen in Kauf nehmen zu müssen." Ähnlich wie Niklas und Janette begründen viele andere aus der MDRfragt-Gemeinschaft, warum sie sich bewusst nicht für eine Kommunalwahl aufstellen lassen: Sie haben Angst vor Anfeindungen und Hass.

Würde ich gerne machen, wenn der menschliche Anstand und respektvolle Umgang miteinander wieder möglich wären.

MDRfragt-Teilnehmerin Janette (47) aus Dresden

Gleichzeitig schreiben vor allem Frauen und Teilnehmende unter 50, sie fühlten sich aktuell in den Kommunalvertretungen nicht ausreichend repräsentiert. Die Entscheidungen dort würden mehrheitlich von Männern im höheren Alter getroffen. Sie sei zwar bereit für die Kommunalpolitik, schreibt Janina (40) aus Mittelsachsen. Sie wisse aber nicht, wie sie das in ihren Alltag packen könnte: "Ich befinde mich in der Lebensphase, die man die 'Rushhour des Lebens' nennt. Die Kinder sind noch relativ jung, ich stehe mitten im Berufsleben und bin bei weitem noch nicht am Ende meiner Karriereleiter. Gleichzeitig sind Eltern/Schwiegereltern in dem Alter, in dem sie langsam auch Hilfe und punktuell Unterstützung brauchen. Ich weiß nicht, wo ich da noch kommunalpolitisches Engagement unterbringen sollte."


Über diese Befragung Die Befragung vom 12. bis 16. April 2024 stand unter der Überschrift: "Allgemeine Wehrpflicht – ja oder nein?" und enthielt im zweiten Teil Fragen zu Kommunalparlamenten.

Bei MDRfragt können sich alle anmelden und beteiligen, die mindestens 16 Jahre alt sind und in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen wohnen, denn: Wir wollen die Vielfalt der Argumente kennenlernen und abbilden. Die Kommentare der Befragten erlauben, die Gründe für die jeweiligen Positionen und das Meinungsspektrum sichtbar zu machen.

Da sich jede und jeder beteiligen kann, der möchte, sind die Ergebnisse von MDRfragt nicht repräsentativ. Bei dieser Befragung haben sich 24.783 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen online mit ihrer Meinung eingebracht.

Die Ergebnisse von MDRfragt werden nach wissenschaftlichen Kriterien anhand verschiedener soziodemografischer Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Bildungsgrad gewichtet, um sie an die tatsächliche Verteilung in der mitteldeutschen Bevölkerung anzupassen. Damit wird die Aussagekraft der Ergebnisse erhöht und es ergibt sich ein durchaus belastbares Stimmungsbild aus Mitteldeutschland.

MDRfragt wird zudem wissenschaftlich beraten und begleitet, beispielsweise durch regelmäßige Validitätstests. Mehr zur Methodik von MDRfragt finden Sie am Ende des Artikels.

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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | FAKT IST! | 22. April 2024 | 22:10 Uhr