Fahne hinter Stacheldraht
Symbolbild: Russische Fahne hinter Stacheldraht Bildrechte: picture alliance / Photoshot | -

Faktencheck Gefährlicher Ratschlag auf TikTok: Ohne Visum nach Russland reisen

04. September 2024, 14:36 Uhr

Wer mit der "neoliberalen Politik" in seinem Land unzufrieden ist, für den soll es bald leichter sein, nach Russland auszuwandern – ganz ohne Visum, ohne Russischkenntnisse und ohne russisches Geschichtswissen. Das behauptet der TikTok-Creator "its.daniel.brln" in einem viel beachteten Video. Doch wie realistisch und sicher ist das?

Zunächst: Ohne Visum nach Russland zu reisen, das ist eine schlechte Idee. Auch wenn der TikTok-Creator "its.daniel.brln" all jenen, die mit der Politik in ihrem Land unzufrieden sind empfiehlt: Koffer packen, Flug buchen und ab nach Russland. Das solle jetzt sogar ohne Visum für das Land gehen, sagt er und verweist auf ein Dekret, das der russische Präsident Wladimir Putin kürzlich unterzeichnet hat. Dem Influencer zufolge lädt Putin alle ein, die mit der "neoliberalen Politik" in ihrem Land nicht einverstanden sind. "Ihr könnt da einfach hinziehen. Ihr braucht kein Visum, müsst kein Russisch können und nichts über die russische Geschichte wissen", fasst der Creator zusammen.

Ein Mann als Screenshot von einem TikTok-Kanal
Bildrechte: TikTok-Kanal "its.daniel.brln

Tatsächlich hat der russische Präsident am 19. August ein Dekret unterschrieben. Es trägt den Titel "Erlass über die Bereitstellung humanitärer Unterstützung für Personen, die traditionelle russische geistige und moralische Werte teilen." Das bestätigt das Pressebüro der Botschaft der Russischen Föderation in Deutschland auf Anfrage von MDR AKTUELL. Der Erlass trat am 1. September in Kraft und soll Menschen bestimmter Staaten die Einreise nach Russland erleichtern.

Reisewarnung Das Auswärtige Amt rät dringend von Reisen in die Russische Förderation ab. Dort besteht laut einer offiziellen Reisewarnung auch für deutsche Staatsbürger und deutsch-russische Doppelstaater die Gefahr willkürlicher Festnahmen. Zudem gelte für Moskau und St. Petersburg die höchste Terrorwarnstufe.

Ohne Visum geht es aber nicht

Entgegen der Aussage von "its.daniel.brln" ist für die Einreise nach Russland weiterhin ein Visum notwendig. Der Erlass soll den Antrag des Visums lediglich erleichtern. Ausgestellt wird dann ein einfaches Privatvisum für drei Monate. Unklar ist, wie es für die Ausländer nach diesen drei Monaten in Russland weitergeht. Fraglich ist auch, wie überprüft werden soll, ob Bewerberinnen und Bewerber sich mit den nicht näher definierten russischen Werten und Moralvorstellungen identifizieren.

Der Erlass richtet sich laut Informationen der Russischen Föderation in Deutschland an Menschen aus solchen Ländern, "in denen die destruktive neoliberale Agenda durchgesetzt wird". Welche Staaten das konkret betrifft, ist noch nicht bekannt. Eine Liste der betroffenen Länder soll noch von der russischen Regierung veröffentlicht werden.

Erlass als Instrument russischer Propaganda

Alena Epifanova, Expertin für deutsch-russische Beziehungen bei der Deutschen Gesellschaft für Außenpolitik, kennt das Dekret und bestätigt MDR AKTUELL, dass keine Russischkenntnisse oder Kenntnisse der russischen Geschichte nachgewiesen werden müssen. Sie vermutet, dass Putin mit diesem Erlass seine "Soft-Power" stärken und Menschen mit konservativen Einstellungen anziehen will.

Epifanova zufolge haben die offiziellen russischen Medien in den vergangenen Jahren ein Bild von Russland als "Hochburg von echten konservativen Werten und traditionellen Familien" verbreitet. Dagegen würden in Europa und den USA Eliten herrschen, die ihrer Bevölkerung 'unmoralische' Werte aufzwingen.

Ein Bild von Russland als die Hochburg von 'echten' konservativen Werten und 'traditionellen Familien' wird in den letzten Jahren in offiziellen Medien und von der Propaganda verbreitet. In Europa und den USA herrschen dagegen die Eliten, die 'unmoralische' Werte ihrer Bevölkerung aufzwingen.

Alena Epifanova, Russland-Expertin bei der DGAP

Es könnte aber auch damit zu tun haben, dass Russland aufgrund des anhaltenden Angriffs auf die Ukraine und der damit verbundenen Abwanderung schlichtweg Arbeitskräfte fehlen, so Epifanova: "Ende 2023 haben 61 Prozent der Unternehmen über einen Mangel an Arbeitskräften geklagt; der höchste Stand seit 25 Jahren."

Warum spricht das Auswärtige Amt eine Reisewarnung aus?

Das Auswärtige Amt rät bereits seit Februar 2022 von Reisen nach Russland ab. Als Gründe nennt das Ministerium auf seiner Website unter anderem die eingeschränkte Presse- und Meinungsfreiheit.

Zudem könnten Verhaftungen und Verurteilungen jederzeit auch willkürlich und aufgrund von konstruierten Vorwänden durchgeführt werden. Das Auswärtige Amt schreibt, dass solche Verhaftungen als politisches Druckmittel dienen könnten.

In Russland seien lange Haftstrafen unter harten Bedingungen möglich. Beispiele dafür sind etwa die Verhaftung eines Deutschen in St. Petersburg. Bei ihm waren laut russischen Zollbehörden Cannabis-Gummibärchen gefunden worden. Ein anderer Deutscher ist vor kurzem bei seiner Einreise nach Russland festgenommen worden. Der Mann soll mutmaßlich Gold geschmuggelt haben. Laut eines Berichts vom Redaktionsnetzwerk Deutschland saßen im Februar diesen Jahres knapp 30 Deutsche in russischer Haft.

3 Kommentare

Hajoe vor 1 Wochen

Aus Interesse - wie lange haben Sie in Moskau gelebt/gearbeitet?

Ich kenne Moskau leider nicht so gut, da ich nicht oft dort war. Uni in St. Petersburg, daher fast nur Petersburg und Umgebung. Zu meiner Zeit hätte man sich bei Aufenthaltsdauer von 3 Tagen oder mehr in Moskau noch beim "Owir" registrieren müssen. Aber an den Kreml, Tretjakowski Galerie, Puschkin Museum und den Fernsehturm in Ostankino erinnere ich mich noch gut. Basiliuskathedrale, GUM und Roter Platz auch. Lenin habe ich auch gesehen - zu DDR Zeiten "Traum" vieler Deutscher. In 99/2000 eher leer. Hoffe, dass sie Altstalinist Putin bald daneben legen :-)

Ist sehr lange her und heute unter "Iwan dem Schrecklichen Putin" definitiv! kein Reiseziel. Aber Herr Krassikow reist jetzt hoffentlich auch nicht mehr zu uns. Sehr zynisch, aber wie soll man den Wahlsieg vom BSW als "Bündnis stalinistischer Wähler" und der "falschen Alternative" und ihr ideologisches Umfeld anders beurteilen außer mit Kopfschütteln?

D.L. vor 1 Wochen

Ich habe bis 2010 auch mit Multivisum und auch Arbeitserlaubnis (nicht so ohne weiteres zu bekommen) in Moskau gearbeitet.
Selbst mit diesen Dokumenten war eine Einreise immer mit mehr als skeptischen Blicken verbunden.
Man könnte eigentlich pragmatisch sein und sagen: Lasst die Leute, die diesen Unsinn glauben, das doch einfach versuchen nach Russland so einfach einzureisen?
Tiktok ist doch das neue auswärtige Amt - das muss einfach wahr sein.

Hajoe vor 1 Wochen

Manchmal fragt man sich was sich im Internet für "merkwürdige Gestalten' tummeln und wie man solchen Unsinn für ernst nehmen kann. Ich erinnere mich gut, wie die Einreise nach Rußland in den Neunzigern über die Landgrenze von Finnland aus (Studienjahr dort) lief und sehr, sehr stark an die DDR-Grenze zur "Tschechoslowakei" erinnerte. Die USA haben das später unter Bush "kopiert". Das Visa-Prozedere fürs Auslandssemester in Petersburg um den Jahrtausendwechsel war nochmal viel extremer, da "Multiple Entry Visa". Jetzt ohne Visum nach Rußland? Für AfD Abgeordnete gerne - die sollen dort bleiben. "Altrechte" zu "Altstalinisten". Obwohl ich Russisch noch immer etwas sprechen kann und auf jeden Fall bestens lesen kann, besuche ich es nicht. Und Putin mag meine russ. Geschichtskenntnisse definitiv nicht. Der Herr Jeschow als Organisator des "Großen Terrors" (1936-38) ist in Deutschland leider kaum bekannt-genauso wie der "Gulag". Und Putin möchte, daß das auch in Rußland keiner weiß.

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