Verkleinerung des Bundestags Union kritisiert geplante Wahlrechtsreform

20. Januar 2023, 15:59 Uhr

Alle Parteien sind sich einig, dass im Bundestag zu viele Abgeordnete sitzen. Die Ampelkoalition von SPD, Grünen und FDP hat nun einen Vorschlag für eine Wahlrechtsreform vorgelegt, wodurch der Bundestag von 736 Abgeordneten auf 598 schrumpfen soll – und zwar, indem Überhangs- und Ausgleichsmandate wegfallen. Die Reaktionen sind erwartbar gemischt, Kritik daran kommt von der Union.

Am 26. September 2021 war dem Abgeordneten Jens Lehmann nicht zum Feiern zumute. Seine Partei, die CDU, hatte die Bundestagswahl verloren und war bei den Zweitstimmen nur auf Platz zwei hinter der SPD gelandet.

Für Lehmann persönlich hatte der Abend immerhin noch eine positive Nachricht parat. Sein eigenes Bundestagsmandat für den Wahlkreis Leipzig I konnte er verteidigen. Auf ihn waren die meisten Erststimmen entfallen: "Ich habe mich durch meine Person und durch gute Arbeit dort durchgesetzt. Das finde ich auch wichtig, dass man sich regional durchsetzt. Dass die Leute wissen, wen sie wählen und wen sie als Ansprechpartner haben."

Bedenken an der Wahlreform

Die Erststimme soll künftig weniger Bedeutung haben. Die durch sie entstehenden Überhang- und Ausgleichsmandate sollen abgeschafft werden. Die regierenden Ampelparteien wollen so die Zahl der Abgeordneten reduzieren. Ein schlankeres Parlament ist auch im Sinne von Jens Lehmann.

Doch die Idee von SPD, Grünen und FDP lehnt er trotzdem ab: "Insgesamt schwächt das die einzelnen Wahlkreise, weil es natürlich dazu führen kann, dass der ein oder andere Wahlkreis überhaupt keinen Vertreter mehr hat. Ich wüsste jetzt nicht, wer meine Leipziger Bürger oder unsere Interessen beispielsweise aus Hamburg oder München vertreten sollte, wenn da einer aus der Liste nachrutscht."

Bedenken, die auch die SPD-Abgeordnete Franziska Kersten teilt. Trotzdem will sie für das Vorhaben stimmen. Denn gegenüber anderen Konzepten sei dies immer noch das beste, sagt sie. Positiv sei, dass die 299 Wahlkreise gleich blieben.

Ein Reformvorschlag der früheren Bundesregierung hatte vorgesehen, Anzahl und Zuschnitt der Kreise zu verändern. Der Wahlkreis von Kersten ist der Wahlkreis Börde – Jerichower Land, einer der flächenmäßig größten in Deutschland sei: "Wenn es zu dieser Wahlkreisreform käme, dann würden die Altmark und das Jerichower Land zusammengelegt. Das ist, glaube ich, fast ein Drittel von ganz Sachsen-Anhalt. Das kann man nicht mehr mit einer Repräsentativität der Abgeordneten im Wahlkreis verbinden", denkt Kersten.

Klage vor Bundesverfassungsgericht denkbar

Aus Sicht der CSU ist der Gesetzesentwurf verfassungswidrig. Gewählten Kandidaten würde das Mandat verweigert, findet der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Stefan Müller. Die CSU hatte in der Vergangenheit die meisten Direktmandate gewonnen.

Thorsten Faas dagegen glaubt nicht, dass die Reformidee gegen das Grundgesetz verstößt. Er lehrt Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin: "Was die CSU hart trifft, ist, dass Kandidaten, die im Wahlkreis die Besten sind, nicht mehr automatisch in den Bundestag einziehen. Wenn sie so wollen, sind die die Verlierer der Reform. Aber nicht die CSU insgesamt. Deren Einfluss, deren Anteil im deutschen Bundestag bleibt völlig unverändert." Die CSU könne so – wie alle anderen Parteien auch – weniger Abgeordnete entsenden, erklärt Faas.

Beobachter erwarten schon jetzt, dass gegen das Vorhaben Klage eingereicht wird. Dann hätte das Bundesverfassungsgericht das letzte Wort.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 17. Januar 2023 | 06:00 Uhr

6 Kommentare

goffman am 17.01.2023

Bloß nicht!
1. Wer kennt denn schon das Gesicht auf dem Wahlplakat persönlich? Wer kann die Person schon einschätzen?
2. Dies würde die politische Diskussion noch weiter von Inhalten und Lösungen, hin zu Populismus und Selbstdarstellung treiben.
3. Und vor allem!: Es würde die politische Meinung der Bevölkerung noch deutlich weniger widerspiegeln.

Beispiel:
Im Wahlkreis Dresden 1 hat die CDU mit 21,1% der Stimmen das Direktmandat gewonnen. Gleichzeitig entfallen nur 15,4% der Zweitstimmen auf die CDU. Bezieht man die Nichtwähler mit ein, dann würde der Direktkandidat nur knapp 12% der Bürger gut vertreten. 88% der politischen Ansichten in Dresden hätten keine Vertretung im Bundestag.

goffman am 17.01.2023

Auch ein guter Vorschlag.
Wir reduzieren die Anzahl an Sitzplätzen prozentual um den Anteil der Nichtwähler und verteilen den Rest anhand der Parteistimmen.
Dann wird der Bundestag sogar noch effizienter, als mit dem Vorschlag der Ampel. ;-)

goffman am 17.01.2023

Wir brauchen keine Selbstdarsteller sondern Inhalte!
Der Vorschlag der Ampel ist das Demokratischste, was ich in den letzten Jahren zu dem Thema gehört habe.

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