Skyline von Leipzig zur blauen Stunde Skyline von Leipzig mit City-Hochhaus, Wintergartenhochhaus, Neuem Rathause, Nikolaikirche, Hauptbahnhof mit Gleisvorfeld, Oberleitungen und einfahrendem Zug, 2021
Bei den neuen Lokführerstreiks werden viele Zugausfälle und Behinderungen erwartet. Die Mehrheit der MDRfragt-Gemeinschaft hat wenig Verständnis für die Ausstände. Bildrechte: IMAGO / Zoonar

MDRfragt Knapper Mehrheit fehlt Verständnis für Lokführer-Streiks

10. Januar 2024, 05:00 Uhr

Schon im vergangenen Jahr sorgten Beschäftigte bei der Deutschen Bahn mit Warnstreiks für tagelange Behinderungen und Zugausfälle. Jetzt gibt es neue tagelange Streiks von Mitgliedern der Lokführergewerkschaft GDL. Gut zwei Fünftel der rund 23.000 Befragten aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen geben im MDRfragt-Stimmungsbild an, Verständnis für den Arbeitskampf zu haben. Auffällig: Wer regelmäßig Bahn fährt, macht sich deutlich mehr Sorgen wegen der Folgen - hat aber auch mehr Verständnis.

MDR-Redakteurin Franziska Höhnl
MDR-Redakteurin Franziska Höhnl Bildrechte: MDR / David Sievers

Mehrheit blickt skeptisch auf Lokführer-Streiks

"Streiks sind ein gewerkschaftliches Recht. Aber sie sollten immer als letztes Mittel eingesetzt werden. Besonders wenn die Bevölkerung dadurch so stark behindert wird", findet MDRfragt-Mitglied Andreas (61) aus dem Landkreis Bautzen. Er gehört zu den 56 Prozent der Befragten, die angaben, wenig bis kein Verständnis für die anstehenden Streiks zu haben.

Auch andere Teilnehmerinnen und Teilnehmer stellen darauf ab, dass der Arbeitskampf vor allem Unbeteiligte trifft. "Geht auf Kosten der Fahrgäste, die keinen Einfluss auf die Forderungen haben", begründet etwa Klaus (84) aus Jena seine Sicht. Und Christian (55) aus dem Landkreis Sömmerda verweist darauf, dass die Lokführer ihre mächtige Stellung ausnutzen. "Der Verdienst ist besser als in vielen anderen Berufen. Mitarbeiter, zum Beispiel in der Reinigung, sollten besser entlohnt werden, die haben aber keine solche Streikmacht wie die Lokführer."

Verständnis für Lokführerstreiks
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Es gibt jedoch auch Fürsprecherinnen und Fürsprecher für den Arbeitskampf der Lokführer. 41 Prozent der Befragten blicken eher verständnisvoll auf die Streiks. Unter jenen, die angaben, selbst regelmäßig die Bahn zu nutzen, ist der Anteil der Verständnisvollen mit 48 Prozent sogar noch etwas größer.

Zur Einordnung der Ergebnisse Die Ergebnisse von MDRfragt werden nach wissenschaftlichen Kriterien gewichtet, um die Aussagekraft zu erhöhen.

Die MDRfragt-Ergebnisse sind nicht repräsentativ.

Bei der Gewichtung wird die Verteilung von verschiedenen Merkmalen wie Alter, Abschluss oder Geschlecht unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern so ausgeglichen, dass sie der Verteilung in der mitteldeutschen Bevölkerung entsprechen.

Die Befragten geben oft nicht nur ihre grundsätzliche Position an. Sie begründen diese in den Kommentarspalten. Das erlaubt dem Team vom Meinungsbarometer MDRfragt, die Argumente der verschiedenen Meinungsspektren aufzuzeigen.

MDRfragt wird wissenschaftlich begleitet.

Dabei argumentieren viele grundsätzlich, so wie Sascha (43) aus dem Landkreis Zwickau: "Die Lokführer machen von ihrem im Streikrecht verankerten Recht Gebrauch. Darüber muss man nicht debattieren. Das ist ein Recht von gewerkschaftlich organisierten Arbeitern." Und andere, wie Michael (61) aus Leipzig, sehen auch gute Gründe mit Blick auf die Deutsche Bahn als Arbeitgeberin: "Der Vorstand gönnt sich schamlos Bonuszahlungen. Die Verteilung ist ungerecht und es muss weiter gekämpft werden, auch wenn es mit langem Streik ist."

Die Hälfte der Bahnnutzenden blickt besorgt auf die Streikzeit

Die Mitglieder der Lokführergewerkschaft GDL wollen mehr Lohn und gleichzeitig geringere Arbeitszeiten durchsetzen und haben in einer Urabstimmung mit großer Mehrheit für unbefristete Streiks gestimmt. Es könnte also, je nach Verlauf der derzeit festgefahrenen Verhandlungen im Tarifkonflikt mit der Deutschen Bahn, zu langen Streiks kommen. Vor allem diejenigen, die regelmäßig mit der Bahn unterwegs sind, blicken durchaus mit Sorge auf die kommenden Wochen: Jede und jeder Zweite von ihnen gab an, durchaus beunruhigt zu sein. Insgesamt gab jede und jeder Dritte an, die angekündigten Streiks mit Sorge zu betrachten.

Besorgnis wegen Streiks
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Großen Zuspruch für Möglichkeit von Generalstreiks

Die Streiks bei den Lokführern fallen in den kommenden Tagen zusammen mit den Protesten von Landwirtinnen und Landwirten. Letztere demonstrieren gegen die Agrarpolitik der Bundesregierung und blockieren dabei auch zahlreiche Autobahn-Auffahrten. So kündigte unter anderem der sachsen-anhaltische Bauernverband großflächig sogenannte Mahnblockaden für Mittwoch an. Der Bauernverband ist keine Gewerkschaft und die Aktionen sind Versammlungen und keine Streiks.

In der MDRfragt-Gemeinschaft hält es jede und jeder Vierte für richtig, dass Arbeitsniederlegungen in Deutschland nur dazu genutzt werden dürfen, Forderungen gegen den eigenen Arbeitgeber bei Tarifverhandlungen durchzusetzen. Rund zwei Drittel der Befragten findet das Verbot politischer Streiks hingegen falsch oder eher falsch.

Verbot von Generalstreiks - persönliche Sicht
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Dabei zeigt sich binnen weniger Wochen eine deutliche Verschiebung im MDRfragt-Meinungsbild: Bereits im November 2023 hatten wir die Gemeinschaft gefragt, wie sie das Verbot von Arbeitsniederlegungen zur Durchsetzung politischer Forderungen gegenüber der Regierung finden. Damals gab rund jede und jeder Zweite an, diese Einschränkung tendenziell für falsch zu halten, mehr als zwei Fünftel fanden das Verbot hingegen richtig.

Apropos Frage: Aktuell wollen wir von der MDRfragt-Gemeinschaft wissen, wie sie auf die Bauernproteste und die damit verbundenen Blockadeaktionen blickt. Wenn Sie mitmachen wollen und noch kein Mitglied sind, können Sie sich jetzt anmelden, und ihre Meinung einbringen:

Pro und Kontra politischer Streiks

Wer die geltenden Einschränkungen für Arbeitskämpfe richtig findet, argumentiert beispielsweise so wie Fredi (23) aus dem Wartburgkreis: "Es bringt nichts, wenn wir am Ende Massenaufstände und Generalstreiks in Deutschland haben. Es ist nicht Aufgabe der Bevölkerung, die Wirtschaft des Landes lahmzulegen, um die Politiker abzustrafen."

Mit Generalstreiks schießt man sich (wirtschaftlich) ins eigene Knie und befördert Regierungswechsel hin zu populistischen Parteien.

MDRfragt-Mitglied Andreas (49), Erfurt

Marco (25) aus dem Erzgebirgskreis meint, für die Durchsetzung politischer Forderungen gebe es bessere Wege: "Politische Forderungen sollten über Volksentscheide durchgesetzt werden können, aber nicht durch Streiks." Aus Sicht von Andreas (49) aus Erfurt wären Generalstreiks auch für die Beteiligten wenig zielführend: "Mit Generalstreiks schießt man sich (wirtschaftlich) ins eigene Knie und befördert Regierungswechsel hin zu populistischen Parteien."

Andere, wie Hans-Martin (71) aus dem thüringischen Unstrut-Hainich-Kreis, hielten die Möglichkeit, mit Arbeitsniederlegungen die Regierung unter Druck zu setzen, für sinnvoll. "Ich fände es richtig, wenn sich Berufsstände offiziell zur Wehr setzen könnten", fasst er seine Sicht zusammen. Und Antje (55) aus dem Landkreis Meißen sieht ein Vorbild in der Streikkultur anderer europäischer Länder: "Ich blicke begeistert nach Frankreich. Wir können viel von den Franzosen lernen."

Cornelia (69) aus dem Altmarkkreis Salzwedel zieht einen Vergleich zu den aktuellen regulären Arbeitskämpfen bei der Deutschen Bahn: Sie habe weder für die Streiks der Lokführer noch für die zurückliegenden des Öffentlichen Dienstes Verständnis, schreibt sie. "Diese Berufsgruppen verdienen sehr gut. Die Proteste der Bauern sind gerechtfertigt. Hier befürworte ich auch die Unterstützung aller."

Mehrheit hält Lokführer für attraktiven Beruf

Tatsächlich ist die Mehrheit im aktuellen MDRfragt-Stimmungsbild der Ansicht, Lokführer sei eher ein attraktiver Beruf. Mehr als die Hälfte der Befragten sieht das so, weniger als ein Drittel hält den Job für eher unattraktiv. Dabei begründet die GDL ihre Forderungen nach mehr Geld bei weniger Wochenarbeitszeit damit, dass angesichts des Personalmangels der Job attraktiver werden müsse.

Attraktiven Bahnverkehr? Halten die meisten für ferne Zukunftsmusik

Bahnfahren hingegen steht derzeit nicht im Ruf, attraktiv zu sein. Auch abseits der Streikwochen haben Bahnreisende mit Verspätungen, Zugausfällen, Schienenersatzverkehr und Co. zu kämpfen. Zuletzt meldete die Deutsche Bahn, dass nur knapp jeder zweite Fernzug pünktlich war. In den kommenden Jahren sollen zahlreiche Strecken komplett saniert werden, um das marode Schienennetz zu sanieren, mit dem Ziel, Verspätungen und Behinderungen zu minimieren.

Trotzdem glaubt nur eine Minderheit der MDRfragt-Gemeinschaft, dass die aktuellen Anstrengungen dazu führen werden, in wenigen Jahren wieder einen attraktiven Bahnverkehr zu haben - konkret ist es ein Fünftel. Gut drei Viertel der Befragten halten es für eher unwahrscheinlich, dass der Bahnverkehr in wenigen Jahren ein attraktives Angebot ist. Auffällig: Jene, die regelmäßig selbst mit der Bahn reisen, sind zuversichtlicher. Mehr als jede und jeder Vierte von ihnen glaubt daran, dass es bald wieder attraktiv ist, Bahn zu fahren.

Künftig Bahnfahren attraktiver - Anteil Zustimmung
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Attraktiv wären: Pünktlichkeit und gute Anschlüsse

Doch was wäre ein attraktiver Bahnverkehr aus Sicht der MDRfragt-Gemeinschaft? Aus zahlreichen Optionen konnten die Befragten alles wählen, das sie wichtig finden. Die Antwort ist eindeutig: pünktliche Züge (85 Prozent), gute Anschlüsse (81 Prozent) und Verbindungen, bei denen man möglichst selten umsteigen muss, um ans Ziel zu kommen (71 Prozent). Auch Sauberkeit ist für einen Großteil der Befragten wichtig. Zwei Drittel halten die Preise für entscheidend. Für jede und jeden Zweiten ist es wichtig, dass man mit dem Zug schneller am Ziel ist als mit dem Auto.

Die Stimmung unter den Befragten fasst Tinas Kommentar gut zusammen: "Die Bahn muss sauberer, sicherer, schneller, moderner und günstiger werden", findet die 36-Jährige aus dem Landkreis Zwickau.

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Nicht nur Landwirtinnen und Landwirte gehen derzeit aus Protest auf die Straße, wie hier auf dem Juri-Gagarin-Ring in Erfurt. Auch in einigen anderen Branchen ist zuletzt gestreikt worden. Bildrechte: picture alliance/dpa/Martin Schutt

Über diese Befragung Die Befragung vom 29.12.2023 bis 02.01.2024 stand unter der Überschrift:

(Wie) ist die Bahn noch zu retten?

Insgesamt sind bei MDRfragt 65.933 Menschen aus Mitteldeutschland angemeldet
(Stand 03.01.2024, 14 Uhr).

22.807 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben online an dieser Befragung teilgenommen.

Verteilung nach Altersgruppen:
16 bis 29 Jahre: 269 Teilnehmende
30 bis 49 Jahre: 3.113 Teilnehmende
50 bis 64 Jahre: 9.482 Teilnehmende
65+: 9.943 Teilnehmende

Verteilung nach Bundesländern:
Sachsen: 11.750 (51 Prozent)
Sachsen-Anhalt: 5.443 (24 Prozent)
Thüringen: 5.614 (25 Prozent)

Verteilung nach Geschlecht:
Weiblich: 9.713 (43 Prozent)
Männlich: 13.035 (57 Prozent)
Divers: 59 (0,2 Prozent)

Die Ergebnisse der Befragung sind nicht repräsentativ. Wir haben sie allerdings in Zusammenarbeit mit dem wissenschaftlichen Beirat nach den statistischen Merkmalen Bildung, Geschlecht und Alter gewichtet. Das heißt, dass wir die Daten der an der Befragung beteiligten MDRfragt-Mitglieder mit den Daten der mitteldeutschen Bevölkerung abgeglichen haben.

Aufgrund von Rundungen kann es vorkommen, dass die Prozentwerte bei einzelnen Fragen zusammengerechnet nicht exakt 100 ergeben.

Dieses Thema im Programm: Das Erste | MITTAGSMAGAZIN | 08. Januar 2024 | 12:10 Uhr