Bilanz des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft Ost-Handel erreicht Rekordwert

24. Februar 2023, 15:05 Uhr

Kurz vor dem ersten Jahrestag des russischen Überfalls analysiert der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft Zahlen zu den Entwicklungen im deutschen Ost-Handel. Während die Beziehungen mit Russland weiter abkühlen, profitieren besonders Deutschlands osteuropäische Nachbarn.

Der Krieg der Russischen Föderation gegen die Ukraine hat das globale Gerüst ins Wanken gebracht. Das Konzept "Wandel durch Handel" wurde erst einmal ad acta gelegt. Seit dem Frühjahr 2022 traten harte Sanktionen und politische Auseinandersetzungen an dessen Stelle. Damit wurde auch die Weltwirtschaft, die sich gerade erst von den Folgen der Pandemie zu erholen begann, erneut vor massive Herausforderungen gestellt.

Wirtschaft reagiert schnell auf neue Gegebenheiten

Unternehmen mussten sich neu orientieren, um die verlorenen Märkte und Lieferketten zu kompensieren. Ein Unterfangen, das laut dem "Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft e.V." gelingt: "Die Entflechtung vom russischen Markt kommt schnell voran und wird sich 2023 weiter fortsetzen", urteilt der Geschäftsführer des Ost-Ausschusses Michael Harms.

Während der deutsche Handel sich weiter anpasst und begonnen hat, sich zu konsolidieren, ist Michael Harms der Meinung, dass Russland langfristig auf eine Krise zusteuere. "Die Mehrheit der deutschen Unternehmen im Russland-Geschäft tut wesentlich mehr, als es die Sanktionen verlangen, hat ihr Neugeschäft eingestellt oder ist dabei, ihr Russland-Geschäft komplett abzuwickeln," so Harms.Am Ende ist die russische Wirtschaft damit aber noch nicht, denn noch gelingt es dem Kreml seine Wirtschaft am Laufen zu halten. Wie lange das anhalten wird, ist schwer einzuschätzen.

Die Konsequenzen für Russland werden sich laut Ost-Ausschuss eher langfristig bemerkbar machen. "Wir haben immer gesagt, dass die russische Wirtschaft nicht über Nacht zusammenbrechen wird", betont Harms. Dennoch würden die Sanktionen, der Rückzug ausländischer Unternehmen und der Verlust hunderttausender junger Arbeitskräfte durch Krieg und Flucht langfristig zum Problem für Russland. "Wir erleben eine Desintegration Russlands aus der Weltwirtschaft und eine beispiellose Rückabwicklung marktwirtschaftlicher sowie technischer Errungenschaften der letzten 30 Jahre." Diese Lücke zu schließen, wird für die Russische Föderation keine leichte Aufgabe, unabhängig vom Ausgang des Konflikts.

Export nach Russland nimmt drastisch ab

Die deutschen Ausfuhren nach Russland haben sich im Jahr 2022 im Vergleich zum Vorjahr um rund 45 Prozent verringert. Circa 15 Milliarden Euro betrug das Exportvolumen 2022 – zwölf Milliarden weniger als im Jahr zuvor. Dabei handelt es sich um ein historisches Tief.

"Rein statistisch hat der Krieg die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen bereits um 20 Jahre zurückgeworfen und ein Ende dieser Negativentwicklung ist nicht abzusehen", sagt der Ost-Ausschuss-Geschäftsführer. In der Rangfolge der deutschen Absatzmärkte fiel Russland damit binnen eines Jahres von Rang 15 auf Rang 23 zurück.

Michael Harms
Michael Harms ist der Geschäftsführer vom Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft. Bildrechte: IMAGO / ITAR-TASS

Anders sieht es beim Import aus. Die Einfuhren aus der Föderation nach Deutschland stiegen um 6,5 Prozent. Grund hierfür ist aber nicht, dass mehr Ware aus Russland kommt. Im Gegenteil: Zum Großteil reduziert sich der deutsche Einkauf auf Öl und Gas. Der größere Anteil am Handelsumsatz kommt durch die gestiegenen Preise für diese Waren zustande, nicht allein durch gestiegene Nachfrage. Dennoch reichen die horrenden Energiepreise nicht aus, um das Niveau des Vorjahres zu erreichen. Der gesamte Handelsumsatz mit Russland schrumpfte im Vergleich zu 2021 um 16,5 Prozent.

Ost-Handel erreicht neues Rekord-Hoch

Der deutsche Handel mit Mittel- und Osteuropa erreichte 2022 insgesamt einen neuen Rekordwert von 562 Milliarden Euro. "Die drastischen Einbußen konnten durch zweistellige Exportsteigerungen in andere Märkte mehr als wettgemacht werden", sagt Harms. Gemessen am Vorjahr stieg das Handelsvolumen um 11,5 Prozent. Dadurch erreichten die 29 Mitgliedsstaaten des Ausschusses einen Anteil von 18 Prozent am deutschen Außenhandel – mehr als China und die USA zusammen.

Polen bleibt Nummer 1

Wie schon im letzten Jahr führt Polen die Liste der osteuropäischen Handelspartner auch 2022 an. Mit 167 Milliarden Euro Warenverkehr konnten sogar nochmal 20 Milliarden mehr umgesetzt werden als 2021. Auto-, Chemie- und Elektroindustrie sind hier die Leistungsträger. Doch auch die anderen Mitgliedsländer des Ausschusses klettern in der Bilanz nach oben. "Tschechien überholte Großbritannien und stieg damit in die Top Ten der deutschen Handelspartner auf. Ungarn ließ Russland hinter sich und kletterte auf Platz 14", so der Ausschuss. Der Außenhandel mit Bulgarien, Serbien und Kroatien wuchs über 20 Prozent.

Ukraine bleibt starker Handelspartner

Trotz der erbitterten Auseinandersetzungen konnte die Ukraine bisher wirtschaftlich standhalten. "Der Handel mit der Ukraine ist mit minus sieben Prozent 2022 weniger stark eingebrochen, als dies angesichts der dramatischen Lage zu erwarten gewesen wäre, und befindet sich seit dem Spätherbst sogar auf Erholungskurs", sagt Michael Harms. Deutsche Unternehmen im Land hätten die Produktion wo immer möglich aufrechterhalten oder schnell wiederhergestellt. Obwohl die Exporte in die Ukraine leicht nachgelassen haben, stiegen die Importe minimal um 1,1 Prozent an. Damit ist die Ukraine weiterhin auf Platz elf der 29 Partnerländer des Ostausschusses.

 

Ost-Ausschuss fordert Aufbauhilfe

In der Ukraine schlummert eine Menge Potenzial, besonders in der Digitalwirtschaft. Das war vor dem Krieg so und soll auch jetzt wieder gelten. Daher fordert der Ausschuss schnelle Aufbauhilfe. Man brauche eine Art Marschall-Plan. "Im Interesse der Menschen in der Ukraine muss der Wiederaufbau zeitnah starten und er wird nur durch Aktivierung der Privatwirtschaft erfolgreich sein. Benötigt werden daher insbesondere Investitionsgarantien und eine unbürokratische und transparente Verwaltung internationaler Wiederaufbaumittel", so Harms. "Das von uns dazu erarbeitete Dossier ist die Grundlage für viele Gespräche mit der Bundesregierung, ukrainischen Partnern und europäischen Wirtschaftsverbänden."

Chancen in der Krise

Obwohl die Bilanz des Ost-Ausschusses positiv ausfällt, ist dennoch besonders Osteuropa von den Folgen des Krieges betroffen. Inflation, Flüchtlingsströme und Unsicherheiten sorgen für Anspannung. Die schnelle Anpassungsfähigkeit der Unternehmen und Märkte hat jedoch auch gezeigt, dass sich aus dem Chaos auch Chancen für die Zukunft gewinnen lassen. Diese gilt es zu nutzen, mahnt Michael Harms: "Die Diversifizierung unserer Beschaffungs- und Absatzmärkte fängt eben nicht in Asien oder Lateinamerika, sondern direkt vor unserer Haustür im Osten an."

Man habe aus den Corona-Jahren gelernt und arbeite noch stärker an Kooperationen, um die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Deutschlands osteuropäischen Partnern weiter zu regionalisieren und zu diversifizieren. So soll künftig das Outsourcen von Produktionen nach Fernost und Co. reduziert, Lieferketten verkürzt und die Resilienz der europäischen Wirtschaft gegenüber globalen Krisen gestärkt werden.

Der Ost-Ausschuss "Der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft e.V. (gegründet 1952) fördert die deutsche Wirtschaft in den 29 Ländern Mittel-, Ost- und Südosteuropas, des Südkaukasus und Zentralasiens. Der deutsche Osthandel steht insgesamt für rund ein Fünftel des gesamten deutschen Außenhandels und ist damit bedeutender als der Handel mit den USA und China zusammen. Der Ost-Ausschuss hat rund 350 Mitgliedsunternehmen und -verbände und wird von sechs Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft – BDI, BGA, Bankenverband, DIHK, GDV und ZDH – getragen", beschreibt sich der Ost-Ausschuss auf seiner Homepage selbst.

*Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version vom 23. Februar stand das Zitat: "Wir gehen davon aus, dass durch Einstellung des Neugeschäfts und die Stilllegung von Produktionsanlagen in Russland rund 80 Prozent der früheren Umsätze deutscher Unternehmen wegfallen werden." Dies haben wir auf Bitten des Zitatgebers entfernt.

MDR (cbr)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Umschau | 21. Februar 2023 | 21:00 Uhr

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