ARD-Themenwoche #wieleben "Hotspot des demografischen Wandels": Warum Sachsen-Anhalt trotz Zuwanderung Einwohner verliert

18. November 2020, 19:50 Uhr

Zum sechsten Mal in Folge wollen in Sachsen-Anhalt mehr Menschen leben als wegziehen. Und trotzdem sind die Zukunftsvorhersagen nicht positiv. Das Bundesland wird weiter schrumpfen und altern. 2030 könnte die Einwohnerzahl auf weniger als zwei Millionen Menschen sinken. Was Bevölkerungsprognosen leisten können und was nicht – und welche Folgen der demografische Wandel für Sachsen-Anhalt hat, darüber hat MDR SACHSEN-ANHALT mit dem Sozialgeographen Klaus Friedrich gesprochen.

Martin Paul im Funkhaus von MDR SACHSEN-ANHALT
Bildrechte: MDR/Luca Deutschländer

Wandbild an einer Hausfassade
Professor Klaus Friedrich: "Probleme erwachsen eher aus der dramatischen Bevölkerungsalterung. Wer sorgt künftig für die sozialen Sicherungssysteme, wer für das Brutto-Inlandsprodukt, wer für die Pflege?" Bildrechte: imago/Eckhard Stengel | Grafik MDR/Martin Paul

Die guten und die schlechten Nachrichten liegen nah beieinander. 2019 sind zum ersten Mal seit der Wende wieder mehr Menschen nach Sachsen-Anhalt gezogen als sie es in Richtung eines anderen Bundeslandes verlassen haben. Wenn man den Zuzug aus dem Ausland mitrechnet, übersteigt der Zuzug den Wegzug sogar zum sechsten Mal in Folge. Das ist eine positive Nachricht, meint Professor Klaus Friedrich, Sozialgeograph an der Universität Halle. "Wir haben sogar eine Rückwanderung" beschreibt er die demografische Situation im Gespräch mit MDR SACHSEN-ANHALT.

Aber: Sachsen-Anhalt sei demografisch gesehen ein "Sorgenkind" und ein "Hotspot des demografischen Wandels". Deutschlandweit schrumpfe und altere die Bevölkerung in Sachsen-Anhalt am stärksten.

Die Fakten kurz zusammengefasst

  • Ende 2019 hat Sachsen-Anhalt laut Statistischem Landesamt 679.000 Einwohnerinnen und Einwohner weniger als im Vergleich zu 1990. Die Bevölkerungszahl ist also um 23,6 Prozent zurückgegangen – von mehr als 2,8 Millionen auf knapp 2,2 Millionen.
  • Aber die starke Abwanderung wie in den vergangenen Jahren gibt es nicht mehr. Der Wanderungssaldo zwischen Zu- und Fortzügen ist ausgeglichen.
  • Für das Jahr 2030 errechnet die derzeit aktuelle Bevölkerungsprognose nur noch 1,99 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner.
  • Bis 2060 könnte laut Statistischem Bundesamt die Bevölkerung sogar auf 1,6 Millionen schrumpfen – je nach Prognosemodell. Zu beachten ist dabei jedoch: Je weiter eine Vorausberechnung in die Zukunft schaut, umso ungenauer wird sie. (Mehr zu den Unsicherheitsfaktoren folgend im Interview).
  • Hauptgrund für diese Entwicklung ist die Alterung und das Geburtendefizit, also dass die Zahl der Sterbefälle die Zahl der Geburten überschreitet.

Professor Klaus Friedrich erklärt den Hauptgrund für den Bevölkerungsrückgang folgendermaßen: "Die potenzielle Müttergeneration ist aufgrund der ehemals dramatischen Wanderungsverluste ausgedünnt. Gerade viele junge Personen sind damals nach Westen gegangen und fehlen jetzt vor Ort. Hier fehlen sie im ausreichenden Maße, um die Bestandserhaltung einer Bevölkerung zu sichern. Selbst wenn es zu einer Verdopplung der Geburtenrate käme, würden wir dennoch schrumpfen. Wir haben einfach nicht genügend Frauen im gebärfähigen Alter in Sachsen-Anhalt."

Auf den folgenden Seiten können Sie das Interview lesen

  • Teil 1 des nachfolgenden Interviews thematisiert die Hintergründe und Bedingungen von Bevölkerungsprognosen – was sie leisten können und was nicht.
  • Teil 2 fragt nach den Folgen demografischer Probleme für eine Gesellschaft.
  • Teil 3 beschäftigt sich mit den Vorhersagen für die Zukunft Sachsen-Anhalts.
  • Teil 4 thematisiert die Chancen und Risiken für das Land.

Professor Dr. Klaus Friedrich leitete das Fachgebiet Sozialgeographie des Instituts für Geowissenschaften und Geographie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
Bildrechte: Klaus Friedrich

Zur Person Professor Dr. Klaus Friedrich hat das Fachgebiet Sozialgeographie des Instituts für Geowissenschaften und Geographie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg geleitet. Seine Forschungsschwerpunkte sind: demografischer Wandel, geografische Altersforschung und sozialräumliche Regionalanalyse.

Er arbeitete in verschiedenen Enquete-Kommissionen zum Thema demografischer Wandel, unter anderem in den 90er-Jahren im Deutschen Bundestag und in die Enquete-Kommission "Zukunft der ländlichen Regionen vor dem Hintergrund des demografischen Wandels" des Brandenburger Landtags.

Bis 2016 war er Sprecher, danach Mitglied der Lenkungsgruppe demografischer Wandel in Sachsen-Anhalt. Außerdem gehörte er dem Demografie-Beirat des Ministeriums für Landesentwicklung und Verkehr an.

1 Kommentar

wiederdasselbe am 17.11.2020

Hier im Kreis Sangerhausen wie in der restlichen Goldenen Aue, Kyffhäuser und Südharz sind wir weder Sachsen, noch Anhaltiner, sondern Thüringer, so wie unsere Nachbarn im Kreis Artern. welche es im Mai 1990 noch rechtzeitig wählen durften, mit 88 % für Thüringen, Wir in SGH kamen zu spät, konnten nicht mehr wählen, sonst wären wir jetzt auch Teil des offiziellen Thüringens. Jetzt habe wir hier eine hässliche Ländergrenze , welche keiner will, unsere Heimat künstlich zerschneidet. Von einem wirtschaftsstarken Standort sind wir zu einer "abgehängten" Region geworden. Diese Kleinstaaterei mit ihren künstlichen Grenzen fördert die Abwanderung der jungen, gut ausgebildeten kreativen und produktiven Bevölkerung (Brain-Drain) , ein mit der Zeit irreversibler Vorgang. Um diesem Trend entgegenzuwirken sollte endlich die Länderfusion Thüringen+ Sachsen+ Bezirk Halle zum Land "Mitteldeutschland", durchgeführt werden, wie es ursprünglich 1990 vorgesehen war.

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