Podcast "Digital leben" "Sachsen-Anhalt braucht mehr Open-Source-Software"

06. September 2020, 11:01 Uhr

Open-Source-Software ist heutzutage aus der IT-Welt nicht mehr wegzudenken. Trotzdem scheuen manche Firmen ihren Einsatz. Auch in Sachsen-Anhalt. Einer, der das ändern will, ist Frederik Kramer. Mit seiner Firma initOS in Magdeburg setzt er überwiegend auf Open-Source-Software und bietet damit anderen Unternehmen komplette IT-Lösungen an. Warum Frederik Kramer quelloffene Software als sicherer ansieht und weshalb sie auch die digitale Souveränität stärkt, erklärt er im Interview.

Ein großer Mann mit Locken und Brille steht vor einer Betonwand.
Bildrechte: MDR/Viktoria Schackow

Dr. Frederik Kramer ist 41 Jahre alt, in Hamburg aufgewachsen und hat in Magdeburg Wirtschaftsinformatik studiert. Nach dem Studium hat er hier die Firma initOS gegründet. Das Unternehmen beschäftigt derzeit 17 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen und bietet als IT-Dienstleister überwiegend Open-Source-Lösungen an.

Wie Open Source funktioniert

Frederik, was ist für dich der Kerngedanke von Open Source?

Dass der Nutzer die Software sehr flexibel nutzen kann und dabei nicht von einer Lizenz eingeschränkt wird. So kann der Nutzer oder die Nutzerin die Software nach den eigenen Wünschen flexibel nutzen. . Aber der Nutzer kann die Software eben auch an die eigenen Bedürfnisse anpassen und die Änderungen wieder in den Umlauf bringen. Ein Sicherheitsgedanke spielt auch mit herein: Der Nutzer kann den Code im Detail selbst prüfen und so feststellen, was mit den Eingaben und damit letztlich mit den Daten passiert.

Wie nimmst du Nutzern die Scheu vor Open Source, denn die müssen ja dafür nicht programmieren können oder?

Nein, müssen sie nicht. Der überwiegende Teil der heutigen Open-Source-Software lässt sich unabhängig vom Betriebssystem von ganz normalen Anwendern installieren, betreiben und nutzen. Selbst Microsoft "liebt" ja seit geraumer Zeit Linux und bewegt sich gerade mit vielen seiner Produkte mit Siebenmeilenstiefeln in Richtung Open Source.

Warum Sachsen-Anhalt bei Open Source hinterherhinkt

Welche Erfahrungen hast du damit bei den Unternehmen in Sachsen-Anhalt gemacht?

Sachsen-Anhalt ist innerhalb Deutschlands historisch leider ein vergleichsweise schlechter Standort für das Thema Open Source. Es gibt noch sehr, sehr viel Luft nach oben, denn aus meiner Sicht gab es in der Vergangenheit eine lange Liste von IT-Fehlentscheidungen.

Welche meinst du?

Zum Beispiel, dass selbst nach dem Trojaner-Angriff im Landtag 2017 kein wirkliches Bewusstsein für IT-Sicherheit in der Landesregierung entstanden ist und dass die Landesregierung den zentralen IT-Dienstleister des Landes, die Dataport, deshalb zum Handeln aufgefordert hat. Auch die Bestellung eines neuen Landesdatenschutzbeauftragten ist zur politischen Posse par exellence geworden. Dabei ist so ein Amt bei Fragen der Souveränität der IT-Sicherheit hierzulande elementar. Die sachkundige Lösung all dieser Fragen hätte auch in Sachen-Anhalt dafür gesorgt, dass Open-Source-Software zum "First Citizen" bei Beschaffungsentscheidungen geworden wäre, wie man Neudeutsch sagt. Was noch erschwerend hinzu kommt: Nach meinem Wissen widmet sich nicht eine einzige Vorlesung an einer Hochschule im Land speziell dem Thema Open Source. Das Bildungsministerium hat im Februar auf eine kleine Anfrage (PDF) zur Nutzung von Open Source in Schulen ausweichend und mit Unkenntnis reagiert, obwohl in entsprechenden Positionspapieren des Bildungsministeriums die Nutzung von Open-Source-Software offiziell vorgesehen ist.

Was ist Open Source

Open Source – oft auch freie Software genannt – ist Software mit offenem Quellcode. Oft ist sie das Produkt einer Community. Der Quellcode ist die für Menschen lesbare Form des Computerprogramms. Open Source grenzt sich von geschlossener Software, so genannter kommerzieller oder proprietärer Software, ab. Bei ihr ist der Quellcode nicht einsehbar und die Software-Hersteller vergeben oft eng gefasste Lizenzen für die Nutzung. Bei Open-Source-Software darf jeder Nutzer den Quellcode sehen, verändern und sogar weiterverbreiten. Auch bei Open Source gibt es unterschiedliche Lizenzen für die Nutzung des sogenannten Objektcodes (d.h. die nicht menschenlesbare Form eines Computerprogramms). Zum Beispiel wird stets der Name des Programmierers genannt und er kann bestimmen, dass seine Software verändert werden darf und die daraus entstandene neue Software auch als Open Source zur Verfügung gestellt werden muss. Auch bei Open Source gibt es unterschiedliche Lizenzen für die Nutzung. Zum Beispiel fordern einige Lizenzen den Namen des Programmierers zu nennen. Er kann auch bestimmen, unter welchen Bedingungen seine Software verändert werden darf und wie und ob die daraus entstandene neue Software auch als Open Source zur Verfügung gestellt werden muss. Wie der Open-Source-Gedanke entstanden ist und welche unterschiedlichen Lizenzmodelle es gibt, fasst das Buch "Freie Software – Zwischen Privat- und Gemeineigentum" zusammen, das es bei der Bundeszentrale für politische Bildung als kostenlosen Download gibt.

Haben es andere Bundesländer denn besser gemacht?

Vom Mut anderer Bundesländer wie Schleswig-Holstein, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern oder auch Städte wie München und Schwäbisch Hall sind wir hierzulande leider weit entfernt. Das liegt wohl auch daran, dass wir unter den Politikerinnen und Politikern in Sachsen-Anhalt praktisch keine sachkundigen oder in der Sache mutigen Akteure haben. Das Land ist politisch und gesellschaftlich eher vom Erhalt alter Seilschaften als vom pragmatischen und schnellen gesellschaftlichen Wandel geprägt. Vielleicht hat das auch mit den schlechten Wende-Erfahrungen vieler Menschen zu tun. Aber ich bin überzeugt, dass eine 180-Grad-Wende bei diesem Thema für das Land eine wirklich heilsame und zielführende Maßnahme wäre. Man muss also feststellen, dass die Internationale Raumstation zwar unter Verwendung von Open Source seit geraumer Zeit um die Erde kreist, aber in Sachsen-Anhalt nach wie vor weitgehende Unkenntnis der Materie herrscht. Vielleicht müssen wir deshalb in Sachen-Anhalt einfach mal etwas globaler und mutiger denken dann ergibt sich vieles von selbst.

Das klingt ziemlich verärgert. Passiert denn gar nichts?

Doch doch. Ich erkenne erste Anzeichen dafür, dass vor allem bei jüngeren Unternehmerinnen und Unternehmer und bei Politikern ein Wandel eingesetzt hat. Ich glaube fest daran, dass wir es in Sachsen-Anhalt von einem der letzten Plätze in Sachen digitaler Transformation auf die Überholspur und im Bundesvergleich ganz nach vorne schaffen können. Jedenfalls dann, wenn die Politik endlich konzertiert und über Parteigrenze und Koalitionen hinweg die richtigen Weichen zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger des Landes stellt, sich personell entsprechend konsequent aufstellt und eine nachhaltige und transparente Strategie verfolgt. Jüngere Unternehmen bewegen sich.

Warum glaubst du, sind andere Unternehmen so zurückhaltend?

Das hat nicht nur einen Grund. Sachsen-Anhalt ist ein Flächenland mit vergleichsweise hohem mittleren Alter unter den Unternehmerinnen und Unternehmern, die noch dazu in eher konservativen Branchen wie dem Schwermaschinenbau beheimatet sind. Ich glaube, die Menschen hier mögen innovatives und allzu progressives Vorgehen nicht sehr gern. Und ich habe manchmal den Eindruck, die Entwicklungen in der Welt oder den umliegenden Bundesländern kommen in Sachsen-Anhalt immer verspätet an. Aber hat man die Menschen hier erst einmal überzeugt, kann Sachen-Anhalt kompromisslos schnell sein. Wenn das künftig besser gelingt, wäre das wunderbar.

Warum Sachsen-Anhalts Unternehmen auf Open Source setzen sollten

Welche Vorteile hat Open Source, wenn Unternehmen diese Software einsetzen?

Nicht nur für Unternehmen, sondern für alle Organisationen, also auch öffentliche Verwaltung oder gemeinnützige Organisationen wie Vereine hat Open Source viele Vorteile. Der Kostenvorteil von Open Source kann zwar erheblich sein, aber vor allem die flexible Nutzungs- und Anpassungsfähigkeit und die Unabhängigkeit von einem konkreten Anbieter sind sehr gewichtige Argument für Open-Source-Software in Organisationen.

Hat man die Menschen hier erst einmal überzeugt, kann Sachen-Anhalt kompromisslos schnell sein.

Proprietäre Software behindert heute viele Betriebe, die eine übergreifende und nachhaltige Digitalisierung umsetzen wollen. Sie werden dadurch nicht selten gezwungen, ihre Geschäftsprozesse der Software anzupassen, obwohl das ineffizient oder sogar regelrecht behindernd sein kann. Auch die eingegebenen Daten lassen sich bei proprietärer Software oft nicht einfach und umfassend exportieren. Bei Open-Source-Software ist das oft sehr viel besser gelöst.

Ist Open-Source-Software für Unternehmen günstiger als proprietäre Software?

Proprietäre Software zwingt ihre Nutzer meist in eine relativ ausweglose Zahlspirale. Das wird durch Cloud Computing sogar noch forciert. Bei Open-Source-Software zahlt der Endnutzer in der Regel nur für die erbrachten Dienstleistungen, wie Wartung, Anpassung oder den Betrieb. Ist er damit unzufrieden, kann er jederzeit den Dienstleister ohne Einschränkungen wechseln.

Proprietäre Software kommt dir also gar nicht unter?

Open-Source-Lösungen machen sicher 95 Prozent unseres Umsatzes aus. Aber manchmal ist ein proprietäres Produkt die wirtschaftlich sinnvollste Lösung. Dann bieten wir selbstverständlich auch das an. Aber nur wenn eine sachkundige Recherche und Test die Wirtschaftlichkeit der Lösung auch belegt hat.

Beispiele für Open Source Software

Beispiele für Open-Source-Software sind die Bürosoftware LibreOffice mit Textverarbeitung und Tabellenkalkulation, der Browser Firefox, das Mailprogramm Thunderbird, den Mediaplayer VLC oder das Grafikprogramm GIMP. Eines der bekanntesten Open-Source-Betriebssysteme für PCs und Laptops ist Linux. Für Smartphones gibt es zum Beispiel LinageOS, das im Kern auch auf Linux basiert.

Selbst die Europäische Flugsicherung nutzt Open-Source-Software. Auch in Android-Smartphone steckt sie drin, genauso wie in Samsung-Fernsehern, WLAN-Routern oder auf den Servern von Cloud-Anbietern wie Dropbox, Googledrive oder Amazons AWS. Weil Open-Source-Software bei diesen Beispielen aber nur einen Teil ausmacht, ist die Gesamt-Software nicht mehr Open Source.

Auch wenn der Einsatz von Open-Source-Software oft günstiger ist, ist er auch sicherer?

Es gibt ja keine Hotline, die ein Nutzer anrufen kann. Hotlines sind doch eher Teil des Problems als eine wirkliche Lösung. Niemand zahlt gern für eine telefonische Auskunft. Denn viele Menschen meinen, dass mit dem Kauf eines Produktes der Hersteller auch unentgeltlich und lebenslang Auskünfte zur Handhabung geben müsste. Das versuchen die Hersteller mit besserer Dokumentation, FAQs und Nutzervideos zu lösen. Aber um entsprechend qualifiziertes Personal bei einer Hotline zu beschäftigen, genügt die Zahlungsbereitschaft in den meisten Fällen jedoch nicht. Eine kostenlose Hotline halte ich deshalb für eine sinnfreie Zeitverschwendung, auch weil man sein Problem auch drei Mal erklären muss, bevor man bei einem mehr oder weniger sachkundigen Ansprechpartner landet.

Warum Open Source wahrscheinlich sicherer ist

Und wen kann ich bei Problemen mit Open Source anrufen?

Da ist der ganze Ansatz ja ein ganz anderer. Es geht zunächst einmal um Hilfe zur Selbsthilfe, um die Souveränität im Umgang. Gerade für verbreitete Open-Source-Software gibt es im Internet hervorragende Informationsquellen und ein viel schnelleres und nachhaltigeres Erfolgserlebnis als an einer kostenlosen Hotline. Und wenn jemand bereit ist, qualifiziertes Personal für die Unterstützung zu bezahlen, hat er die Kosten in der Regel bereits durch nicht vorhandene Lizenzgebühren gespart.

Um auf das Stichwort Sicherheit zurückzukommen: Auch Open Source kann ja nicht immer fehlerfrei sein.

Richtig. Aber Fakt ist: Open Source wird oft in viel schnelleren Zyklen weiterentwickelt und von überdurchschnittlich vielen sachkundigen Menschen auch analysiert. Wenn die Entwickler die Software nicht mehr weiterentwickeln und damit das Sicherheitsrisiko steigt, wird das durch den offenen Code auch schnell und deutlich sichtbar. Also ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass ein Fehler im Code lange Zeit unentdeckt bleibt, in der Regel deutlich geringer als bei proprietärer Software. Open-Source-Software ist also nicht per se sicherer oder unsicherer als proprietäre Software. Aber die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Sicherheitsproblems zu werden, ist bei aktiv weiterentwickelter, häufig genutzter Open-Source-Software erheblich geringer als bei vergleichbaren proprietären Produkten.

Auf einem Laptop steht 'Software'
Software ist nicht gleich Software: Opern-Source-Software hat schon längst viele Nutzer und Entwickler in Sachsen-Anhalt überzeugt. (Symbolbild) Bildrechte: imago/STPP

In welchen Bereichen kommt deiner Meinung nach der Einsatz von Open-Source-Software zu kurz?

Die Frage ist eher, wo findet man Open Source nicht mehr. Denn ich würde behaupten, ein Unternehmen, das heute keinen strategischen Gebrauch von Open-Source-Software macht, kann langfristig nicht überleben. Ein Roboter von KUKA, ein Flugzeug von Airbus, ein Auto von Mercedes, ein Fernseher von Samsung oder die hauseigene Fritzbox – keine IT-Abteilung der Welt kommt mehr ohne Open Source aus. Der Umgang mit dieser Software erfordert aber eine neuartige Auseinandersetzung mit Lizenz- und Urheberrecht und einen Paradigmenwechsel in den Einkaufs- und Strategieabteilungen. Darauf sind gerade deutsche Mittelständler eher schlecht vorbereitet.

Du sprichst von einer anderen Strategie. Es gibt Open-Source-Fans, die sagen, dass dieses Konzept eine Kultur der Offenheit fördere. Ist also Open Source nicht nur eine bestimmte Art Software zu bauen, sondern auch die Idee einer anderen Art des Wirtschaftens oder Lernens?

Absolut. Open Source stellt einen substantiellen Paradigmenwechsel im Umgang mit und der Erstellung von Software dar. Er erfordert von den Nutzern und allen beteiligten Akteuren eine substantiell andere Art des Umgangs durch alle Gesellschaftsschichten und Rollen. Egal ob Politiker, Lehrer, Endanwender, Unternehmensnutzer oder sogenannte Contributor: alle Menschen müssen und werden auch umdenken.

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Quelle: MDR/mar

1 Kommentar

Uwe B am 07.09.2020

Wow! Ein derart offen kritischer Artikel vom MDR, das ist revolutionär. Demnächst wird der MDR noch demokratisch!
Die alten Seilschaften sind wirklich das größte Problem in Sachsen-Anhalt. Die sorgen dafür, dass ein Altstalinist wie Haseloff Ministerpräsident sein kann, und dass der Dunning-Kruger-Effekt nicht nur beim Thema Open-Source prägend ist, ebenso bei IT-Sicherheit im Allgemeinen, ebenso wie beim Datenschutz, um bei verwandten Themen zu bleiben. Inkompetenz, die nicht nur persönlich ist, sondern sich auch auf die Fähigkeit und den Willen erstreckt, geeignete Mitarbeiter zu finden, um bestehende Aufgaben auszuführen. Dabei beschränken sich meine Erfahrungen auf Dessau-Roßlau und den Umgang mit dem hiesigen Stadtrat. Aber ich glaube nicht, dass es anderswo in Sachsen-Anhalt wesentlich besser ist.

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