Tod von Brocken-Benno Nachruf: Der Brocken verliert seinen treuesten Botschafter

24. Dezember 2022, 17:21 Uhr

Benno Schmidt, vielen besser bekannt als Brocken-Benno, ist gestorben. Er war einer der Harzer, die 1989 den Brockengipfel gewaltfrei zurückerobert hatten. Danach wanderte Schmidt beinahe täglich auf seinen Berg, hörte nach 9.000 Wanderungen auf zu zählen. Brocken-Benno setzte sich mit seinen Wanderungen, seinen Geschichten und seinen Begegnungen für den Harz ein. Ein Nachruf.

Brocken-Benno ist wohl der bekannteste Harzer: Hager und drahtig, meist grün gekleidet, mit großer Brille und Basecap. Benno Schmidt, wie der berühmte Wanderer mit bürgerlichem Namen hieß, liebte den Brocken. Seinen Berg, den "Großvater Brocken", den er gern bestieg – mit einer riesigen Pause: Der Zeit der deutschen Teilung.

Nach dem Mauerbau 1961 – 29 Jahre war Schmidt damals alt – war der Brocken jahrzehntelang für Besucher nicht zugänglich. Der Harzgipfel war militärisches Sperrgebiet. Die Staatssicherheit, DDR-Grenztruppen und russisches Militär hielten ihn als Posten an der innerdeutschen Grenze besetzt, Stacheldraht und Mauern sperrten Wanderer aus. "Für mich ist der Brocken insoweit etwas Besonderes, weil ich schon früher gern hochgewandert bin. Und dann durfte ich 28 Jahre lang nicht mehr", erinnerte sich Schmidt später.

Brocken-Benno eroberte den Harzgipfel gewaltfrei zurück

Benno Schmidt war einer derjenigen, die den Brocken 1989 freikämpften – ohne Gewalt, unter dem Motto "Freie Bürger, Freier Brocken". Damals war die Mauer schon Geschichte, der Harzgipfel aber immer noch Sperrgebiet.

Für mich ist der Brocken insoweit etwas Besonderes, weil ich schon früher gern hochgewandert bin. Und dann durfte ich 28 Jahre lang nicht mehr.

Benno Schmidt

Weit über Tausend DDR-Bürger zogen hinauf und brachten die Soldaten dazu, das Tor zu öffnen. Unter ihnen Benno Schmidt und sein guter Freund Michael Ermrich. Ermrich, der spätere Landrat und Vorsitzende des Harzklubs, erinnert sich: "Der Brocken ist das Herz unserer Heimat. Keiner kam damals hoch und insofern ist es immer wieder schön, hier hoch zu kommen und an diesen Tag zu erinnern, wo wir versucht haben, hier auf den Brocken zu kommen, was schließlich auch gelungen ist."

Das sei der schönste Tag seines Lebens gewesen, sagte Benno Schmidt fast 33 Jahre später. Im Mai 2022 feierte er seinen 90. Geburtstag, natürlich auf dem Brockengipfel. Und auch am 3. Dezember dieses Jahres, zum alljährlichen Gedenken an die Grenzöffnung auf dem Brocken, war Schmidt dort, trotz des Winterwetters. Sein altes Transparent mit der Aufschrift "Freier Brocken für Freie Bürger", das war wie jedes Jahr mit dabei.

Es war ihm aber wichtig, nochmal auf den Brocken zu kommen, auf seinen Berg, der ihm so viel bedeutet hat, die ganzen Jahre.

Michael Ermrich, enger Freund von Benno Schmidt

Schmidts Freund Michael Ermrich berichtet, er habe ihn an diesem Tag zum letzten Mal gesehen. Schmidt sei seiner Krebserkrankung gezeichnet gewesen. "Es war ihm aber wichtig, nochmal auf den Brocken zu kommen, auf seinen Berg, der ihm so viel bedeutet hat, die ganzen Jahre", sagt Schmidt.

Mehr als 9.000 Brockenwanderungen

Seit Dezember 1989 ging Schmidt immer wieder auf seinen Brocken, beinahe täglich. Er zählte, führte Buch, sammelte Stempel und holte schließlich den Rekord. Bei der 9.000. Wanderung hörte er auf zu zählen. Erst holt er sich den Rekord - dann hält er ihn, auch wenn es bisweilen bizarre Züge annimmt. Schmidt steht dazu: "Bis zu fünf Mal an einem Tag habe ich geschafft. 60 Kilometer in zwölfeinhalb Stunden. Hatte ich tagsüber keine Zeit, bin ich sogar nachts gegangen und dann hat mir das eben so einen Spaß gemacht."

Hatte ich tagsüber keine Zeit, bin ich sogar nachts gegangen.

Benno Schmidt

Schmidts Freunde liebten die Konsequenz des durchtrainierten Wanderers, der mit etwas Obst und Nüssen im Gepäck, im Sturmschritt eher marschierte als zu wandern. Ob Regen, Schnee oder Sturm, nichts konnte aufhalten. Ermrich erinnert sich lächelnd: "Das Schönste war für mich immer, wenn Brocken-Benno gesagt hat: 'Das Wetter ist so schlecht, man sollte heute nicht auf den Brocken gehen'. Aber Benno war natürlich schon oben gewesen und hat geguckt, wie schlecht das Wetter oben wirklich ist."

Doch, etwas konnte Brocken-Benno aufhalten, berichten nicht nur seine Wanderfreunde, sondern auch Menschen, die ihm auf seinen Wegen begegnet sind. Zum Fotografieren, um etwas zu erklären, Karten oder Bilder zu verschenken, blieb er gerne stehen. Schließlich bekam er sogar seinen eigenen Stempel, wurde zum Botschafter für den Brocken, für den ganzen Harz.

Brocken-Bennos Engagement für den Harz fand Anerkennung

Benno Schmidt kämpfte für seinen Harz, nicht nur für den Brocken, auch für den Teufelsstieg in Erinnerung an Goethe und Faust. Und, so Michael Ermrich: "Wenn ich an den Teufelsstieg denke oder auch an den Harzer Grenzweg, dann sind das Dinge, für die er sehr stark gekämpft hat. Er hat sich zum Schluss durchgesetzt, sodass wir den Teufelsstieg und auch den Harzer Grenzweg mit dem Namen von Benno Schmidt verbinden können."

Das Engagement des rastlosen wie beliebten Wanderers fand Anerkennung: Brocken-Benno bekam das Bundesverdienstkreuz und durfte sich ins goldene Buch der Stadt Wernigerode eintragen. Als Ministerpräsident Reiner Haseloff ihm den Landesverdienstorden überreichte, fand die Auszeichnung nicht wie üblich in der Staatskanzlei statt, sondern auf dem Brockengipfel.

Ständige Sehnsucht nach dem Brockengipfel

Benno Schmidt erklärte dem Bergsteiger Reinhold Messner und mehreren Bundespräsidenten die Geschichte und die Landschaft des Harzes. Er sammelte Fotos und Erinnerungen, schuf sein eigenes kleines Brockenmuseum.

Wie ein Seismograf registrierte er, wie sich die Natur veränderte: "Früher bin ich im Eckerloch durch tiefen und dunklen Wald gegangen. Heute hat man Aussicht, man hat ganz andere Waldbilder", sagte Schmidt, "Mir gefällt das, man muss auch beobachten, wie sich die Natur entwickelt. Zum Beispiel habe ich da so einen Lieblingsbaum, der ist abgebrochen und aus dem abgebrochenen Stumpf wächst eine neue kleine Fichte. Das ist fantastisch!"

Wenn ich nicht gehen würde, gucke ich sehnsüchtig zum Brocken und habe das Gefühl, ich habe heute was versäumt.

Benno Schmidt

Schmidt schrieb ein Buch, erzählte Journalisten seine Geschichte, posierte für Fotos. Auch in der MDR-Talkshow "Riverboat" nahm er Platz. Als eine Universität ihn bat, an einer Studie zum gesunden Altern teilzunehmen, sagte er ab: Da wäre er zu lange weg gewesen von seinem Brocken.

"Das ist einmal der Mythos Brocken, der mich immer wieder anzieht, wie ein Magnet", erklärte Schmidt, "Wenn ich nicht gehen würde, gucke ich sehnsüchtig zum Brocken und habe das Gefühl, ich habe heute was versäumt."

Jetzt kommt Brocken-Benno nicht mehr hinauf, seine Stempeljagd ist zu Ende. Seine Familie, die ganze Harzfamilie trauert um einen ihrer Besten.

MDR (Elke Kürschner, Marvin Kalies, Maren Wilczek), dpa

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 24. Dezember 2022 | 16:00 Uhr

4 Kommentare

Anita L. am 25.12.2022

Was ich Ihnen Wichtiges wünsche, ist Pietät.
Dass der Botschafter des Brockens gestorben ist, mag für Sie nicht wichtig sein, für andere aber sehr wohl. Von Ihnen habe ich zumindest noch nichts gehört, von Benno Schmidt hingegen schon. Er möge in Frieden ruhen. Sein Name jedoch wird am Brocken noch lange nachhallen.

MDR-Team am 25.12.2022

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Rain Man am 25.12.2022

Beeindruckend. Auf den Brocken muss man erstmal kommen in diesem Alter. Schöne Geschichte.

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