Diskussion Magdeburger Stadtteil soll durch neue Ausländerbehörde gestärkt werden
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09. Juni 2023, 16:10 Uhr
Der Umzug der Ausländerbehörde in den Stadtteil Neue Neustadt im Norden Magdeburgs löst bei Politikern und Neustädtern gemischte Gefühle aus. In einer Podiumsdiskussion am Donnerstag wurde über das Vorhaben geredet. Ein Ergebnis: Die Bewohner sehen ihren Stadtteil zu wenig im Fokus und fordern, dass sich das mit dem Umzug der Behörde das ändert.
- Die Ausländerbehörde im Zentrum der Stadt ist zu klein. Sie jedoch an den Stadtrand zu verlegen, wäre das falsche Zeichen, findet der CDU-Politiker Stephen Stehli.
- Die Behörde will durch vollständige Digitalisierung lange Warteschlangen künftig vermeiden.
- Laut einigen Bewohnern hat das Sicherheitsgefühl der Neustädter abgenommen.
Einer der großen Hörsäle an der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg füllt sich. Die Stadt hatte am Donnerstagabend zu einer Podiumsdiskussion geladen. Der Grund: Der ab Dezember 2023 geplante Umzug der Ausländerbehörde von der zentral gelegenen Altstadt in den nördlichen Stadtteil Neue Neustadt wird in der Politik und bei Magdeburgern des Stadtteils mit gemischten Gefühlen betrachtet.
Mit der Diskussion, bei der Vertreter aus Politik, dem Stadtteil Neue Neustadt und dem Integrationsbeauftragte geladen sind, soll Klarheit über das weitere Vorgehen geschaffen werden.
Ziel: Keine langen Warteschlangen und mehr Platz für Mitarbeiter
Doch der Reihe nach: Die Ausländerbehörde Magdeburg steht immer wieder durch lange Wartezeiten, eingeschränkten Kontaktmöglichkeiten und Unfreundlichkeit bei Betroffenen in der Kritik. Das hatten Erfahrungsberichte im Zusammenhang mit einer MDR-Recherche gezeigt.
Ein neues Gebäude ist der erste Schritt zur Qualifizierung hin zur Willkommensbehörde.
Mit dem Umzug in die Neustädter Höfe an der Lübecker Straße ab Dezember sollen zumindest lange Schlangen vor dem Gebäude kein Thema mehr sein. Auch sind aktuell zu viele Mitarbeitende unter schlechten Arbeitsbedingungen an verschiedenen Standorten untergebracht, erklärt Oberbürgermeisterin Simone Borris im Interview mit MDR SACHSEN-ANHALT. "Ein neues Gebäude ist der erste Schritt zur Qualifizierung hin zur Willkommensbehörde", heißt es.
Stehli: Behörde an den Stadtrand verlagern ist falsches Zeichen
Doch genau das sehen nicht alle so: Im Hörsaal meldet sich Stephen Gerhard Stehli, CDU-Landtagsabgeordneter und zuständig für den Wahlkreis Magdeburg Nord. Stehli kritisiert, dass eine Verlagerung der Behörde an den Stadtrand einer offenen und migrationsfreudigen Stadt nicht zu Gute kommen. Seine Bedenken hatte er nach Bekanntgabe des Umzugs vorab in einer Pressemitteilung verkündet.
Anders sieht das Simone Borris, denn für sie ist Neustadt nicht der Stadtrand, wie sie dem MDR sagt. Die Menschen müssten die Behörde nur einmal anlaufen, um ihre Dinge zu regeln, heißt es. Ein Willkommensbereich in der Innenstadt, der durch Kooperationspartner betrieben wird, sei aber trotzdem immer noch vorhanden.
Wenn sie in einer Stadt alles konzentrieren, dann hängen sie die Stadtteile ab. Aber wenn sie die Behörden nach dem Gießkannenprinzip über das Stadtgebiet verteilen, dann führt das zu einer Stärkung der Stadtteile.
Auch Ronni Krug, der als Beigeordneter des Dezernats für Personal, Bürgerservice und Ordnung auch für die Ausländerbehörde zuständig ist, sieht in dem Umzug der Behörde sogar eine Chance für den Stadtteil: "Wenn sie in einer Stadt alles konzentrieren, dann hängen sie die Stadtteile ab. Aber wenn sie die Behörden nach dem Gießkannenprinzip über das Stadtgebiet verteilen, dann führt das zu einer Stärkung der Stadtteile", sagt er MDR SACHSEN-ANHALT.
Trotzdem gibt er dem CDU-Politiker teilweise Recht. Krug selbst würde sich wünschen, dass jede Behörde "zentral in einem entsprechend nach Außen ausstrahlendem Bau" präsentiert würde.
Definition Ausländer
Ausländer sind Personen, die nicht Deutsche im Sinne des Artikels 116 des Grundgesetzes sind. Als Ausländer gelten Personen mit nur fremder Staatsangehörigkeit, Staatenlose und Personen mit "ungeklärter Staatsangehörigkeit".
Quelle: Stadt Magdeburg, Amt für Statistik, Wahlen und demografische Stadtentwicklung, "Bevölkerung & Demografie 2022"
Krug: Zu wenig Büroflächen in Magdeburg
Doch ausschlaggebend für die Auswahl des Stadtteils war etwas anderes: Mitglieder der Partei AfD melden sich zu Wort und kritisieren, dass der Umzug der Behörde in den Stadtteil schon "in Sack und Tüten" sei. Für sie ist klar: Hier wurde nicht lang genug nach anderen Gebäuden in Magdeburg gesucht.
Laut Krug hat Magdeburg nicht genügend Büroflächen. Das Ziel sei, eine "zukunftsfeste Ausländerbehörde" zu schaffen. "Leider wachsen die Büroflächen nicht an Bäumen. Ich habe keinen Raum in der Innenstadt, ich brauche aber eine schnelle Lösung für die Probleme der Behörde und deswegen machen wir das in der Neustadt."
Vorgeschlagene Gebäude von Kritikern, wie etwa die alte Polizeiwache neben der aktuellen Behörde oder die AOK an der Lübecker Straße sind entweder schon verkauft oder entsprechen nicht den Anforderungen. Nach Angaben der Stadt musste es ein Gebäude mit mehr als 2.000 Quadratmetern Bürofläche sein – das in der Neuen Neustadt letzten Endes gefunden worden sei.
Digitalisierung: Keine langen Warteschlangen mehr
Einige der Neustädter, die im Hörsaal bei der Diskussion teilnehmen sind skeptisch: Wie soll künftig garantiert werden, dass die Warteschlangen vor der Behörde in der Altstadt nicht auch in die Neustadt "verschoben" werden? Laut Krug soll es in Zukuft keine Warteschlangen mehr geben. Möglich werde das durch ein sogenanntes "One-Touch-System".
Sprich: Menschen müssen nicht mehrmals in die Behörde, um Formulare anzufordern und ein zweites Mal um sie abzuholen, sondern sie gehen einmal und bekommen die entsprechenden Formulare auf das Smartphone. Auch soll es zur schnelleren Verarbeitung keine Akten mehr in Papierform geben und Termine sollen im Zehnminutentakt vergeben werden. Die Behörde wird nach Aussage von Krug also komplett digitalisiert.
Einige Neustädter haben Angst vor Ballung
Mit Fortschreiten der Veranstaltung nimmt die Diskussion noch eine andere Richtung – es geht plötzlich nicht mehr nur um die Behörde selbst. Es wird von einer Angst vor einer zunehmenden "Ghettoisierung" gesprochen, wie es Anwohner sagen. Andere berichten, dass sie sich in ihrem Stadtteil nachts aktuell gar nicht mehr auf die Straße trauen und sich fragen: "Was passiert, wenn es mal kracht?" Aus der Diskussion ist herauszuhören, dass das subjektive Sicherheitsgefühl der Anwohner allgemein abgenommen hat – und für einige liegt das an Menschen mit Migrationshintergrund.
Aktuell liegt laut Amt für Statistik, Wahlen und Digitalisierung der Stadt Magdeburg der Anteil der ausländischen Bevölkerung in der Neuen Neustadt bei knapp 25 Prozent. In der Altstadt – wo die Behörde aktuell ist – ist er allerdings ähnlich hoch. Doch für Oberbürgermeister Simone Borris sind die Bedenken zum Thema "Ballung" wenig nachvollziehbar. Es handelt sich schließlich nur um eine Behörde mit Öffnungszeiten und sei nicht mit einer Asylunterkunft zu verwechseln, sagt sie.
Auch der Integrationsbeauftragte Krzysztof Blau, erklärt MDR SACHSEN-ANHALT im Voraus, dass es keine Ballung von Menschen mit Migrationshintergrund geben wird, da es sich lediglich um eine Behörde handelt. Er kenne keinen Fall, bei dem Menschen dorthinziehen, wo sich Behörden aufhalten. Ihmzufolge müsse man hier aber auch beachten, dass viele der Menschen mit Migrationshintergrund Sozialleistungen beziehen. "Da ist nur eine gewisse Wohnungsgröße und Miete möglich. Deswegen verstärkt sich das in manchen Stadtteilen, die preiswertere Wohnungen haben", sagt er.
Blau ist überrascht, wie einseitig über Zuwanderung geredet wird, erklärt er dem MDR im Anschluss an die Veranstaltung. "Man kann ja nicht bei einem Umzug einer Behörde ständig nur über Sicherheit und Kriminalität reden. Welches Menschenbild hat man da von den Kunden einer Behörde", fragt er sich. Da bestünde noch viel Klärungsbedarf.
Bürgerverein Neue Neustadt: Umzug als Chance
Die besagten Ängste der Neustädter teilt Jaqueline Strauß vom Bürgerverein Neustadt teilweise, wie sie MDR SACHSEN-ANHALT erklärt. Für sie sind es allerdings nicht die Migranten, die das subjektive Sicherheitsgefühl maßgeblich trüben, sondern dass eine generelle Sicherheit in bestimmten Ecken nicht gegeben ist. Laut Strauß fehlen zum Beispiel elementare Dinge wie eine Beleuchtung – etwa auf der Lübecker Straße.
Die Stadt hat den Stadtteil in den letzten Jahren nicht unbedingt im Fokus gehabt. Wir sehen jetzt die Chance, das ein bisschen glatt zu ziehen und die ein oder andere Forderung, die wir in den letzten Jahren gestellt haben, durchzudrücken.
Sie findet, dass ihr Stadtteil endlich die Aufmerksamkeit erhält, die längst überfällig war: "Die Stadt hat den Stadtteil in den letzten Jahren nicht unbedingt im Fokus gehabt. Wir sehen jetzt die Chance, das ein bisschen glatt zu ziehen und die ein oder andere Forderung, die wir in den letzten Jahren gestellt haben, durchzudrücken." Zu den Forderungen gehören beispielsweise eine Stadtwache, Streetworker, mehr Beleuchtung und Kameraüberwachung.
Laut Stadt werden die Forderungen des Bürgervereins geprüft. Ronni Krug sagte dem MDR, dass Neustadt definitiv wieder eine Stadtwache bekommen soll und eine Kameraüberwachung vorerst rechtlich geprüft würde. Am Ende der Diskussion sind sich alle Beteiligten einig: Mit dem Umzug der Behörde müsse Neustadt künftig mehr Aufmerksamkeit bekommen.
MDR (Maximilian Fürstenberg)
MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir
EOM am 10.06.2023
Fakt ist, dass die aktuelle Ausländerbehörde zu klein ist. Ich kann die Sorgen der Anwohner nicht verstehen. Es ist nur eine Behörde, mehr nicht. Gibt es denn in der Altstadt, wo übrigens auch 25% einen Migrationshintergrund haben, Probleme mit der Ausländerbehörde? Nein! Also warum sollte es die auf einmal am neuen Standtort geben?
Thommi Tulpe am 09.06.2023
Auch ich kann mich des Eindruckes nicht erwehren, dass man lange Schlangen vor einer Behörde in unmittelbarer Nähe zum Dom und zum Hundertwasserhaus "einfach" verschwinden lassen möchte. Sarkastisch könnte man ergänzend hinzufügen, dass der Standort Neustadt gut gewählt ist. Dort haben die Anwohner (besonders im Bereich Umfassungsstraße) bereits "gute" Erfahrungen im Umgang mit fremdländischen Mitbürgern sammeln "dürfen". Stichwort: Rumänen.
Wenn aber ein Herr Krug von den Rechtsaußen kritisiert, dass nicht genügend Zeit darin investiert wurde, andere Räumlichkeiten zu finden: Jeder weiß doch, dass Kritik aus dieser Richtung nicht "nur" gegen die Verfahrensweise der Stadt gerichtet ist. Solche Leute würden doch eine Ausländerbehörde (so sie dann schon sein muss) am liebsten auf dem Mond oder zumindest an den EU-Außengrenzen eröffnen.