Menschen stehen auf dem Friedensplatz in Magdeburg und gedenken Ella.
In Magdeburg hat eine Mahnwache für Ella Nik Bayan stattgefunden. Bildrechte: MDR/Leonard Schubert

Zweiter Todestag Mahnwache für verstorbene trans Frau Ella: "Nichts hat sich gebessert. Im Gegenteil."

14. September 2023, 20:47 Uhr

Für die verstorbene trans Frau Ella Nik Bayan haben am Donnerstag in Magdeburg etwa 50 Menschen eine Mahnwache abgehalten. Ella hatte sich vor zwei Jahren in Berlin das Leben genommen. Sie hatte bis zuletzt unter Diskriminierung gelitten. Teilnehmende erinnerten an Ellas bewegtes Leben. Sie forderten den besseren Schutz von trans Rechten und mehr Solidarität aus Politik und Gesellschaft.

MDR San Mitarbeiter Leonard Schubert
Bildrechte: MDR/punctum.Fotografie/Alexander Schmidt

Etwa 50 Menschen haben sich am Donnerstagabend zur Mahnwache auf dem Friedensplatz in Magdeburg versammelt. Mit einer Schweigeminute, Blumen und mehreren Redebeiträgen erinnern die Teilnehmenden an die trans Frau Ella Nik Bayan, die sich am 14. September 2021 in Berlin auf dem Alexanderplatz das Leben genommen hat.

In den Reden erinnern sich die Teilnehmenden an ihre Freundin Ella. Sie erzählen von ihrer freundlichen Art, von ihrem warmen Lächeln, ihrer Hilfsbereitschaft. Aber auch von Ellas ständigem Kampf um Würde und Anerkennung. Von ihre mühevollen Flucht aus dem Iran. Von der Diskriminierung und Gewalt, die sie auch nach ihrer Ankunft in Magdeburg erfahren musste. Und auch, als sie 2019 nach Berlin zog, um dort glücklich zu werden.

Ein Porträt der trans Frau Ella Nik Bayan.
Etwa 50 Menschen erinnerten am Donnerstag in Magdeburg an Ella Nik Bayan. Bildrechte: Georg Matzel

Begriffserklärung: trans - "trans" ist ein Oberbegriff, der verschiedene Menschen bezeichnet, die sich nicht mit dem ihnen bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren.

Diskriminierung und Gewalt: "Leider hat sich nichts gebessert"

Georg Matzel hat Ella bei ihren ersten Schritten in Magdeburg begleitet, in Berlin eine Zeit lang eine Wohnung mit ihr geteilt. Zeitgleich zur Veranstaltung in Magdeburg organisiert er ein Gedenken in Berlin. Wenn er über Ella spricht, über die aktuelle Situation, wird er emotional.

Ein Selfie, auf dem die trans Frau Ella Nik Bayan und Georg Matzel.
Ella Nik Bayan und Georg Matzel. (Archivbild) Bildrechte: Georg Matzel

Er ist überzeugt: "Das Zuviel an sozialem Druck, Diskriminierung und Gewalt hat Ella letztendlich in den Suizid getrieben." Auf den Straßen Magdeburgs und Berlins sei sie täglich Opfer von Beleidigungen, Übergriffen und Gewalt geworden. Nach ihrem Tod wurde ihr Grab mehrfach geschändet.

Leider, sagt Matzel, habe sich seit Ellas Tod aber nichts verbessert. Stattdessen müsse er feststellen, dass die Gesamtsituation für LSBTIQ* heute viel feindlicher sei, als noch vor zwei Jahren. "Diese Missstände deutlich zu machen, bestenfalls zu ändern, ist das politische Anliegen der Mahnwachen" sagt Matzel.

Blumen, Kränze und ein Bild liegen im Gedenken an Ella auf dem Friedensplatz in Magdeburg.
Mit Blumen, Kränzen und Bildern erinnerten viele Teilnehmende an Ella. Bildrechte: MDR/Leonard Schubert

Er fordert ein gemeinsames Gegensteuern aus Politik und Gesellschaft: "Alle, die schweigen, würde ich gerne fragen: Was glaubt ihr, was langfristig passiert, wenn ihr all das Unrecht geschehen lasst?"

Begriffserklärungen: queer, LSBTIQ* - "Queer" ist ein Sammelbegriff für Personen, deren geschlechtliche Identität und/oder sexuelle Orientierung nicht der zweigeschlechtlichen, cis-geschlechtlichen und/oder heterosexuellen Norm entspricht.

- Die Abkürzung LSBTIQ* steht für „Lesbisch, Schwul, Bisexuell, Trans, Inter und Queer"

Verantwortung der Gesellschaft

Ähnliche Gedanken äußern die Menschen, die bei der Mahnwache in Magdeburg das Wort ergreifen. Heike Ponitka, Gleichstellungsbeauftragte von Magdeburg, sagt: "Unsere Bemühungen haben nicht gereicht, dass Ella heute bei uns ist." Das Denken in Deutschland müsse sich ändern. Das gelte auch für Behörden. Die jüngsten Gesetzesänderungen seien kleine Schritte, die hoffentlich dazu beitragen könnten, Menschen besser zu schützen.

Heike Ponitka, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Magdeburg, hält eine Rede auf der Mahnwache für Ella in Magdeburg.
Die Gleichstellungsbeauftragte Heike Ponitka hält eine Rede für Ella. Bildrechte: MDR/Leonard Schubert

Die grüne Bundestagsabgeordnete Tessa Ganserer, die sichtlich bewegt ist, erklärt: "Wir sollten dazu beitragen, dass der Tod von Ella nicht vergessen wird und dass er nicht umsonst war." Es sei nicht die Aufgabe marginalisierter Gruppen, sich selbst gegen Angriffe zu wehren oder damit irgendwie klar zu kommen. Es sei die Aufgabe der gesamten Gesellschaft, sich dagegen zu stellen.

Die Bundestagsabgeordnete Tessa Ganser hält eine Rede vor Teilnehmenden der Mahnwache für Ella in Magdeburg.
Die grüne Bundestagsabgeordnete Tessa Ganserer hat das Schicksal von Ella tief berührt. Bildrechte: MDR/Leonard Schubert

Micha, ein Freund von Ella, appelliert: "Ich bitte euch, alles dafür zu tun, damit niemand so enden muss, wie Ella. Wir müssen jetzt das Zeichen setzen, damit so etwas nie wieder passiert."

Forderungen an die Politik

Freddy Schmiess von der LSBTI-Koordinierungsstelle in Sachsen-Anhalt Nord hat die Mahnwache in Magdeburg organisiert. Schmiess richtet deutliche Worte an die Politik. "Rechte und konservative Gruppierungen machen Stimmung gegen die queere Community und sorgen für Transfeindlichkeit. Wir müssen uns zusammen als Demokratie dagegen stellen. Bisher werden queere Projekte zu wenig unterstützt".

Freddy Schmies auf einer Mahnwache für Ella in Magdeburg. 1 min
Bildrechte: MDR/Leonard Schubert
1 min

Auf der Mahnwache für die verstorbene trans Frau Ella Nik Bayan richtete Freddy Schmiess deutliche Worte an die Politik.

MDR FERNSEHEN Do 14.09.2023 18:34Uhr 00:40 min

https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen-anhalt/magdeburg/magdeburg/audio-freddy-schmiess-mahnwache100.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

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Derzeit fehle es an vielem. Es brauche Unterstützung von Seiten der Politik, richtige Gesetzgebungen, die queere Menschen schützt, eine Sensibilisierung der Polizei und eine offene Gesellschaft.

In Magdeburg gebe es mit der queeren Anlaufstelle für Asylbewerber einen guten Ansatz. Aktuell sei die Finanzierung aber noch nicht gesichert. Dies sei untragbar. Zudem brauche es mehr Fördergelder, um ausreichend Angebote erhalten zu können.

Ella wird nicht vergessen

Nach den Redebeiträgen und den politischen Forderungen nehmen sich die Teilnehmenden noch einige Minuten Zeit. Viele Menschen stehen zusammen. Schweigen. Trauern. Trösten einander und erinnern sich an Ella. "Das Schönste Denkmal, das ein Mensch bekommen kann, steht in den Herzen der Menschen" sagt Heike Ponitka. "Ich denke heute daran, wie viel Ella gegeben hat. Wie wichtig sie vielen Menschen war."

Hinweis Beratungshotline Falls es Ihnen nicht gut geht oder Sie Suizidgedanken haben, gibt es zahlreiche Hilfsangebote. Dort können Sie, auf Wunsch auch anonym, Unterstützung und Beratung bekommen. Einige Beratungsangebote finden Sie hier:
https://www.suizidprophylaxe.de/hilfsangebote/hilfsangebote/

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MDR (Leonard Schubert)

3 Kommentare

Lecker Currywurst vor 32 Wochen

Ich finde der Artikel greift doch mit den Rechten einen sehr wichtigen Punkt auf. Schließt halt auch die ganz Sibyllen und Uwes ein, die brav der AfD nachplappern und beim Anblick der Regenbogenflagge Schnappatmung bekommen.

Frau_Holle vor 32 Wochen

Leben und leben lassen, das wäre es doch. Wir sind alle Menschen und Gast in dieser Welt.
Aber ein Schmunzeln kann ich nicht verhindern: was für ein eigener Hintergrund bei den Fotos, der WC-Hinweis. Cooler Fotomensch, hmmm?!? Absicht?

Ralf G vor 32 Wochen

Dieser und ähnliche Artikel sagen, die Queerfeindlichkeit nehme zu. Sollte man sich da nicht mal fragen, warum das so ist?
Sind die zunehmenden CSD's das richtige Mittel um Verständnis zu werben? Spielt die sich verändernde Bevölkerungsstruktur eine Rolle?

Eine ehrliche Analyse wäre auch hier der erste Schritt zu Lösungen.

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