Personen sitzen auf einem Podium und erzählen.
Bei einer Podiumsdiskussion am Mittwoch erzählen Adele und Lisa von ihren Erfahrungen im Fach Glück. Bildrechte: MDR/Maximilian Fürstenberg

Besser lernen, weniger Konflikte Glück als Unterricht: Magdeburger Schüler lernen über sich selbst

08. September 2023, 19:03 Uhr

Im Unterrichtsfach "Glück" lernen Schülerinnen und Schüler am Stiftungsgymnasium in Magdeburg sich selbst besser kennen und ihre Lehrkräfte. Diese sogenannte Beziehungsarbeit führt zu einem besseren Lernen und weniger Konflikten im Schulalltag. Das Schulfach soll so das in den Mittelpunkt rücken, was oft zu kurz kommt: Die Arbeit mit dem Kind.

Adele hat ein Jahr mehr "Glück" gehabt, als Lisa. Klingt an sich erst einmal nachvollziehbar, da Adele ein Jahr älter ist als ihre 14-jährige Mitschülerin. Doch mit "Glück haben" ist hier tatsächlich etwas anderes gemeint, als man erst einmal annehmen würde. Die beiden Schülerinnen besuchen nämlich das Internationale Stiftungsgymnasium in Magdeburg und da steht "Glück" auf ihrem Stundenplan.

Seit dem Schuljahr 2021/22 ist an der Schule "Glück" Teil des Ethik- und Religionsunterrichts und wird in den Klassenstufen 5 bis 9 unterrichtet. Noten gibt es keine, denn anders als in anderen Fächern soll hier weder bewertet noch gewertet werden. Laut den beiden Schülerinnen lernen sie in diesem Unterricht keine fachlichen Inhalte wie in Mathe oder Physik, sondern ausschließlich sich selbst besser kennen – sprich: die Schüler sind selbst Gegenstand des Unterrichts.

Es fehlt Beziehungsarbeit zwischen Schüler und Lehrer

Ein Mädchen lächelt in die Kamera.
Adele aus der 10. Klasse hat durch das Fach Glück gelernt, besser zu kommunizieren. Bildrechte: MDR/Maximilian Fürstenberg

Adele, die die 10. Klasse besucht, hat durch das Fach gelernt, besser zu kommunizieren, erklärt sie MDR SACHSEN-ANHALT. "Uns wurde gezeigt, wie man sich richtig präsentiert und wie Akzeptanz und Toleranz aussieht", sagt sie. Doch es geht auch darum, wie man Konflikte besser löst, ohne das sie ausarten, sagt Adeles Mitschülerin Lisa.

Die Achtklässlerin ist durch das Fach "Glück" selbstbewusster geworden, wie sie verrät: "Ich weiß jetzt auch, dass man nicht alleine ist mit seinen Schwächen und das andere diese Schwächen auch haben und manche eine Schwäche nicht als solche auslegen."

Ich weiß jetzt auch, dass man nicht alleine ist mit seinen Schwächen und das andere diese Schwächen auch haben und manche eine Schwäche nicht als solche auslegen.

Lisa Schülerin der 9. Klasse

Was durch das Fach passiert, ist sogenannte Beziehungsarbeit – etwas, das im Schulalltag viel zu selten vorkommt, wie die stellvertretende Schulleiterin Antje Schwan MDR SACHSEN-ANHALT sagt. Schwan, die das Fach Glück selbst unterrichtet, will vor allem, dass die Schüler nicht nur dem Leistungsdruck unterliegen, sondern auch wirklich beim Erwachsenwerden begleitet werden. "Es ist so, dass die Schüler viele fachliche Inhalte lernen im Schulleben und das der Raum über sich selbst zu sprechen, nicht sehr groß ist. Wir schauen, wie wir sie besser auf das Leben vorbereiten können, ohne ihnen nur Fachliches zu vermitteln."

Eine Frau steht vor einem Pult und erzählt etwas.
Die stellvertretende Schulleiterin Antje Schwan hat das Fach Glück fest als Teil des Ethik- und Religionsunterrichts etabliert. Bildrechte: MDR/Maximilian Fürstenberg

Bindung zu den Lehrern und untereinander wird besser

Mit anderen Worten sollen die Schülerinnen und Schüler lernen, dass Beziehung das "A und O" an der Schule ist, wie die stellvertretende Schulleiterin erklärt. Ihr zufolge lernt es sich besser, wenn das Verhältnis zu den Lehrkräften ein positives ist. Das empfinden auch Adele und Lisa so. "Die Atmosphäre ist viel entspannter", so Lisa, "und das hilft einem auch beim Lernen. Lehrkräfte geben uns aber mittlerweile die Möglichkeit, dass wir sagen können, wenn uns was nicht gefällt."

Man kann sich öffnen und über alles reden. Auch wenn die Lehrer nichts damit persönlich zu tun haben, habe ich immer das Gefühl gehabt, dass ich aufgefangen werde und das die Lehrer mich wertschätzen.

Adele Schülerin der 10. Klasse
Ein Mädchen lächelt in die Kamera.
Lisa besucht die 8. Klasse und findet, dass die Atmosphäre zwischen Lehrkräften und Schülern an der Schule sehr entspannt ist. Bildrechte: MDR/Maximilian Fürstenberg

Auch Adele empfindet die Bindung und Kommunikation zu den Lehrern als gut. Das war zwar vorher schon gut, aber nun geben die Lehrer auch etwas über sich preis, so die Zehntklässlerin. "Man kann sich öffnen und über alles reden, egal ob die Probleme beim Lehrer liegen oder zu Hause. Auch wenn die Lehrer nichts damit persönlich zu tun haben, habe ich immer das Gefühl gehabt, dass ich aufgefangen werde und das die Lehrer mich wertschätzen", erzählt sie weiter.

Schule als geschützter Raum für sensible Themen

Dass die Lehrkräfte nicht sofort mit den Inhalten, auf die das Fach "Glück" abzielt, etwas anfangen können, davon kann Tobias Rohde nach eigenen Angaben ein Lied singen. Er ist Juniordirektor des Fritz-Schuberts-Instituts in Heidelberg und bildet die Lehrkräfte in "Glück" aus." Lehrer sind am Anfang oft widerspenstig, weil infrage gestellt wird, was sie bisher gemacht haben. Dann merken sie aber, dass das gar nicht stimmt. Sondern es wird ergänzt, was ihnen fehlt – nämlich die Beziehung zu den Kindern zu stärken und in den Vordergrund zu rücken", so Rohde.

Wenn ich mit ihnen über Stärken und Schwächen gesprochen habe, dann ist es auch nicht mehr so schwierig, sich zusammen mit Mathe zu beschäftigen.

Tobias Rohde Ausbilder der "Glückslehrer"
Ein Mann lächelt in die Kamera.
Für Tobias Rohde, Ausbilder der "Glückslehrer", ist klar: Schulen müssen offener werden. Bildrechte: MDR/Maximilian Fürstenberg

Für den Ausbilder sei klar, das Unterricht nur dann ein guter werden kann, wenn sich auch die Lehrkräfte öffnen: "Wenn ich mit ihnen über Stärken und Schwächen gesprochen habe, dann ist es auch nicht mehr so schwierig, sich zusammen mit Mathe zu beschäftigen." Für Rohde sei es wichtig, dass ein "Raum" geschaffen werde, bei dem sowohl Schüler als auch Lehrer offen kommunizieren können.

Im Glücksunterricht soll genau so ein Raum geschaffen werden. Damit die auch teils sensiblen Themen mit Sorgfalt behandelt werden, gibt es laut stellvertretender Schulleiterin zwischen den Schülern eine Vereinbarung. So wird nichts, was im Unterricht erzählt wird, aus dem Klassenraum hinausgetragen.

Adele hat dafür ein Beispiel: Sie erzählt, dass im Sommer bei den heißen Temperaturen die Türen der Klassenräume offen sind. Weil eine Schülerin aber das Gefühl hatte, dass die anderen Klassen mithören können, wurden die Türen auf ihren Wunsch wieder geschlossen. Doch laut Schwan geht es aber auch um eine "Metaebene", wie sie es formuliert: "Am Ende suchen sich die Schüler ihre Gesprächspartner selbst. Sie müssen dann vor der Klasse nicht teilen, was sie besprochen haben, sondern die Frage ist dann: 'Wie geht es dir damit, was der andere erzählt hat, was nimmst du mit'", so Schwan.

MDR investigativ - Schule am Limit 31 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
31 min

Ein neues Schuljahr steht bevor. Doch Lehrermangel und fehlende Digitalisierung werfen die Frage auf: Ist das Schulsystem noch zu retten?

MDR AKTUELL Fr 11.08.2023 09:00Uhr 31:20 min

Audio herunterladen [MP3 | 28,7 MB | 128 kbit/s] Audio herunterladen [MP4 | 58,5 MB | AAC | 256 kbit/s] https://www.mdr.de/nachrichten/podcast/mdr-investigativ/audio-podcast-investigativ-schule-100.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Audio

Schulen müssen mutiger werden für neue Konzepte

In Magdeburg ist dieses Konzept einzigartig an den Stiftungsschulen. Laut Tobias Rohde könnte das Unterrichtsfach in Zeiten des Lehrermangels den Beruf wieder attraktiver gestalten. "Wir wollen, dass Leute sagen, hier kann ich als Mensch wirksam sein und wirklich begleiten", so der Ausbilder.

Wer von den Lehrkräften hat nicht den Film "Club der toten Dichter" gesehen und denkt, das wäre ich? Wer guckt denn nicht "Harry Potter" und will nicht Snape sein? Wer will denn nicht der coole Lehrer sein? Ich frage mich dann häufig, warum unterrichtet ihr denn nicht so?

Tobias Rohde Ausbilder der "Glückslehrer"
Ein Mann steht vor Publikum und erzählt etwas.
Ob die Schüler tatsächlich glücklicher sind, ist nicht messbar. Aber sie können auf jeden Fall ihre Gefühle besser kommunizieren. Bildrechte: MDR/Maximilian Fürstenberg

Oft fehlt es ihm zufolge allerdings an einem Ort, wie dem Stiftungsgymnasium, an dem mit Mut an neue Ansätze herangegangen wird, so Rohde. Dem Bildungssystem würde das gut stehen, denn: "Wer von den Lehrkräften hat nicht den Film "Club der toten Dichter" gesehen und denkt, das wäre ich? Wer guckt denn nicht "Harry Potter" und will nicht Snape sein? Wer will denn nicht der coole Lehrer sein? Ich frage mich dann häufig, warum unterrichtet ihr denn nicht so?", schließt er.

Ob der Glücksunterricht auch wirklich glücklicher macht, ist laut der stellvertretenden Schulleiterin nicht messbar. Was sie aber sieht, ist, dass ihre Schüler wissen, wie sie über Emotionen sprechen und dass sie wissen, dass Schwächen haben, in Ordnung ist, erklärt sie stolz.

MDR (Maximilian Fürstenberg)

4 Kommentare

Erichs Rache vor 34 Wochen

Unterrichtsfach "Glück" ???

In dieser Diktatur braucht man kein Unterrichtsfach "Glück" .


In dieser Diktatur wären Freiheit und Rechtsstaatlichkeit besser als "Glück"

Shantuma vor 34 Wochen

Einmal mehr ein Artikel der irgendwie an den Problemen der Menschen vorbei geht.

In Zukunft können die Kinder weiterhin keine Prozentrechnung, werden sich mir gegenüber darüber beschweren dass Glück fehlt.

Tja, leider ist Glück nicht besonders Produktiv und erschafft nichts.
Glück ist ein Zufallsprodukt und kommt häufig (nicht immer) als Co-Produkt zu Pech.

Dieses Fach ist sowas von überflüssig.
Oder anders gefragt. Warum brauchten Schüler dieses Fach früher nicht?
War deren Kindheit ggf. glücklicher? Was macht die heutige Jugend denn so unglücklich. Man hat doch deutlich mehr Möglichkeiten.

Oder spricht hier einfach das Paradoxum, dass mehr Möglichkeiten unglücklicher machen?

wuff vor 34 Wochen

Wenn es für die nächsten Generationen etwas bringt, viel Glück.

Mehr aus Magdeburg, Börde, Salzland und Harz

Rennradfahrer 1 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Mehr aus Sachsen-Anhalt

Spargelschäl "WM" in Zerbst 2 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK