EU-Check - Was bringt uns die EU? Thema: Erasmus 7 min
Was bringt das EU-Förderprogramm Erasmus+ den Menschen in Sachsen-Anhalt? Bildrechte: MDR/Maximilian Fürstenberg, pixabay

Von Annaburg ins Ausland Wie die EU einer Auszubildenden ein Praktikum in Spanien ermöglichte

05. Mai 2024, 16:58 Uhr

In einer Serie vor der Europawahl am 9. Juni geht MDR SACHSEN-ANHALT der Frage nach, wie Menschen hierzulande von der Europäischen Union profitieren. Im ersten Teil geht es um Erasmus+, ein milliardenschweres Programm, das den internationalen Austausch fördern soll. Luise Dümichen ist Auszubildende zur Konditorin in Annaburg. Zweimal war sie für Praktika im Ausland, einmal davon mit Erasmus+. Sie gehört damit zu den wenigen Azubis in Sachsen-Anhalt, die das Programm in Anspruch nehmen.

Schokocremetorte und Himbeerkuchen stehen heute auf Luise Dümichens To-do-Liste. Die beiden deutschen Klassiker, sie gehen der 21-Jährigen leicht von der Hand. Mit einem großen Rührgerät vermischt sie Schokolade und Butter zu einer geschmeidigen Masse, die sie später auf den Tortenböden verteilen wird. Luise Dümichen ist zurück im Alltag, zurück in der Backstube der Bäckerei Käpernick in Annaburg, wo sie ihre Ausbildung zur Konditorin macht und viele Rezepte längst auswendig kennt.

Erst einen Monat ist es her, da sahen ihre Arbeitstage noch ganz anders aus. Drei Wochen verbrachte Luise in der westfranzösischen Stadt Saumur. In einer Patisserie buk und verzierte sie dort allerlei Gebäck, das weder in der Annaburger Backstube noch in ihrer Berufsschule in Dessau auf dem Lehrplan steht.

In der Ausbildung zur Konditorin von Annaburg nach Vigo

Es war bereits der zweite Auslandsaufenthalt während ihrer Ausbildung. Schon 2022 war sie drei Wochen lang in Vigo in Nordspanien. "Ich habe mich immer für Desserts und Patisserie aus anderen Ländern interessiert und habe Lust gehabt, mich selbst weiterzubilden, sowohl sprachlich als auch beruflich", sagt Luise Dümichen.

Eine weiß gekleidete junge Frau steht in einer Backstube
Luise Dümichen ist im dritten Lehrjahr ihrer Ausbildung zur Konditorin. Bildrechte: MDR/Lucas Riemer

Gemein hatten beide Auslandsaufenthalte, dass sie für Luise Dümichen so gut wie kostenlos waren. "Selber beitragen musste ich quasi nur meine eigene Verpflegung, der Transfer und die Unterkunft wurden jeweils bezahlt", sagt die Auszubildende. Während der Frankreichaustausch von einer deutschen Organisation geplant und finanziert wurde, kam das Geld für Luise Dümichens Zeit in Spanien von der Europäischen Union.

Mehr als 26 Milliarden Euro Fördermittel für sieben Jahre

Die will mit dem Programm Erasmus+ den internationalen Austausch von Menschen aus EU-Ländern fördern und stellt dafür im Zeitraum von 2021 bis 2027 insgesamt mehr als 26 Milliarden Euro in allen EU-Staaten sowie Island, Liechtenstein, Nordmazedonien, Norwegen, Serbien und der Türkei zur Verfügung.

Außer in Austauschprogramme für die Berufsbildung fließen die Gelder auch in Projekte der Hochschul-, Schul- und Erwachsenenbildung. Allein für Auslandsaufenthalte von Studierenden aus Sachsen-Anhalt flossen im Jahr 2023 nach Angaben des Deutschen Akademischen Austauschdienstes mehr als 3,8 Millionen Euro aus dem Erasmus+-Programm. Auszubildende aus Sachsen-Anhalt wurden im vergangenen Jahr nach Angaben der Nationalen Agentur beim Bundesinstitut für Berufsbildung mit insgesamt 700.000 Euro aus den Erasmus-Fördertöpfen bedacht.

Für Sören Käpernick, den Junior-Chef von Luise Dümichens Ausbildungsbetrieb, war ihre Abwesenheit nicht leicht zu verkraften. Wie viele Handwerksbetriebe leidet auch die Bäckerei Käpernick in Annaburg unter dem Fachkräftemangel. Einst waren sie über 30 Mitarbeitende, inzwischen sind es noch 17. In drei Filialen verkauft die Bäckerei ihre Produkte, und während Luise Dümichen in Spanien und Frankreich weilte, fiel das Angebot in der Auslage kleiner aus. "Dadurch, dass wir sowieso schon unterbesetzt sind, merkt man sofort, wenn einer fehlt", sagt Sören Käpernick.

Dazu kommt, dass die Betriebe die Ausbildungsvergütung weiterzahlen, auch wenn ihre Azubis im Ausland sind. Trotzdem war es für ihn selbstverständlich, seiner Auszubildenden die Chance zu ermöglichen. "Auslandserfahrung zu sammeln, andere Produkte und Methoden kennenzulernen, das dient der Weiterbildung und ist eine tolle Sache, um sich persönlich weiterzuentwickeln. Ich bin da immer dafür", sagt Sören Käpernick.

Ein Mann mit weißem T-Shirt steht vor einem Regal mit Broten
Sören Käpernick ist Junior-Chef der Bäckerei Käpernick. Bildrechte: MDR/Lucas Riemer

Nur wenige Auszubildende gehen ins Ausland

Luise Dümichen ist die erste Auszubildende in der Bäckerei Käpernick, die einen Teil ihrer Ausbildung im Ausland verbracht hat. Während es unter Studierenden längst weitverbreitet ist, eine Zeit an einer ausländischen Universität zu verbringen, sind Auszubildende, die sich für einen Auslandsaufenthalt entscheiden, noch immer rar. In Sachsen-Anhalt ist der Anteil sogar besonders gering. So gingen im Jahr 2023 nur 364 Azubis aus Sachsen-Anhalt mithilfe von Erasmus+ in ein anderes Land, bundesweit waren es mehr als 33.000. Zum Vergleich: Aus Hamburg, das ähnlich viele Auszubildende wie Sachsen-Anhalt hat, gingen 789 Azubis ins Ausland.

EU-Check: Erasmus+

Europawahl - EU-Check- Checkbox
Bildrechte: MDR/Maximilian Fürstenberg, pixabay

  • Das überweist die EU nach Sachsen-Anhalt: Im Jahr 2023 mehr als 3,8 Millionen Euro für Auslandsaufenthalte von Studierenden sowie 700.000 Euro für Auslandsaufenthalte von Auszubildenden.
  • Wer profitiert davon: In erster Linie Studierende und Auszubildende, allerdings gibt es auch Fördermittel für internationale Austauschprogramme in der Erwachsenen- und Schulbildung.
  • Das überrascht: Obwohl eigentlich ausreichend Fördermittel zur Verfügung stünden, machen in Sachsen-Anhalt verhältnismäßig wenige Menschen Auslandspraktika oder -semester. Sowohl bei Studierenden als auch bei Auszubildenden ist der Anteil derer, die eine Erasmus+-Förderung in Anspruch nehmen, im bundesweiten Vergleich unterdurchschnittlich.

"Die Nachfrage nach Austauschprogrammen unter Auszubildenden ist nicht riesig groß, aber über die Jahre konstant steigend", sagt Thomas Böttcher, der als Mobilitäts- und Stipendienberater in Sachsen-Anhalt Menschen bei der Planung geförderter Auslandsaufenthalte unterstützt. Dabei stelle etwa die Europäische Union durchaus genug Fördermittel zur Verfügung, allerdings gebe es bisweilen bürokratische Probleme, die Mittel in Deutschland zu verteilen.

Azubis hätten oft auch schlicht ein zeitliches Problem, so Böttcher. Während ein Studium drei bis fünf Jahre dauert und somit genug Zeit bietet, ins Ausland zu gehen, hätten Auszubildende nur im zweiten und Anfang des dritten Lehrjahres die Möglichkeit, anderswo Erfahrungen zu sammeln.

Wenn man mit Mut und Neugier losgeht, kommt man immer klüger nach Hause, als man vorher war.

Thomas Böttcher Mobilitätsberater

Den vorhandenen Angeboten mangele es zudem oft an Bekanntheit, hat der Mobilitätsberater beobachtet. "Jeder weiß, dass Europa offen und freizügig ist, aber welche konkreten positiven Auswirkungen das haben kann, weiß man nicht unbedingt. Es wäre wünschenswert, wenn davon mehr Betriebe, Ausbilder und Berufsschulen wüssten", so Böttcher. Eine Voraussetzung dafür: "Man braucht eine Beratungsstruktur mit Menschen, die sich damit auskennen."

Dass sich ein Auslandsaufenthalt lohne, davon ist der Mobilitätsberater überzeugt: "Wenn man mit Mut und Neugier losgeht, kommt man immer klüger nach Hause, als man vorher war", sagt Thomas Böttcher.

"Neue Kombinationen, neue Ideen, neue Designs"

Luise Dümichen hat in der Berufsschule von den Angeboten für Auslandspraktika erfahren. In ihrer Klasse war sie fast die einzige, die sich dafür interessierte. "Da habe ich gestaunt, weil ich mich frage: 'Warum nicht, wenn man alles bezahlt kriegt?'", sagt die Auszubildende.

Bereut hat sie ihre beiden Auslandspraktika jedenfalls nicht, ganz im Gegenteil: "Man spricht mit den Menschen in anderen Sprachen und das macht mit einem ja schon mal was, dass man sprachlich dazu lernt. Aber auch in der Konditorei lernt man anderswo neue Kombinationen, neue Ideen, neue Designs und viele andere Dinge, die ich in Deutschland nicht alltäglich mache."

Ein Mann und eine Frau arbeiten in einer Backstube
Viele Erfahrungen, die sie im Ausland gemacht hat, helfen Luise Dümichen auch in der Annaburger Backstube. Bildrechte: MDR/Lucas Riemer

Erlebnisse auch außerhalb der Backstube

Auch die Erlebnisse außerhalb der Backstube haben ihr bleibende Erinnerungen beschert. "An den Wochenenden haben wir die Stadt Vigo erkundet, in der Nähe gab es außerdem tolle Inseln, die wir besucht haben", erinnert sich Luise Dümichen an die Zeit in Nordspanien. "So etwas bringt einen auf jeden Fall beruflich und persönlich weiter."

In ein paar Monaten ist Luise Dümichen mit ihrer Ausbildung zur Konditorin fertig. Wie es danach für sie weitergeht, weiß sie noch nicht. Sie wolle mehr Erfahrung sammeln und sich weiter ausprobieren, sagt sie. Und vielleicht erneut ins Ausland gehen? "Das", sagt Luise Dümichen, "kann ich mir sehr gut vorstellen."

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MDR (Lucas Riemer, Astrid Pawassar)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 05. Mai 2024 | 19:00 Uhr

6 Kommentare

nasowasaberauch vor 31 Wochen

Die Freizügigkeit innerhalb der EU ist besonders für die Jugend eine gute Sache. Grundlage und Erhalt der EU ist aber auch die Einhaltung der Verträge von Maastricht und die Sicherung der Außengrenzen.

DER Beobachter vor 31 Wochen

Studium war schon immer internat., aber Frage war, wer sichs leisten konnte. Studentenaustausch innerhalb EU machts leichter. Hier gehts aber um eine Auszubildende, falls es Ihnen entgangen ist. USA ist hier außen vor. Erinnert sei, da muss man Studium sogar in letzter mittelmäßiger Provinzuni bezahlen, wenn man nicht grade als Hoffnungsträger Sponsor oder Stiftung oder sonstige Corporation als Spender findet. Ist so 19.Jh. Ausbildung, also Studium, ist in allen Branchen meist gut, auch wegen oft kleinerem Betreuungsschlüssel, expl. auch in den von unseren kaum gebildeten Hohldenkern sooft verhöhnten Sozial-, Geistes- und Sprachwiss. Problem ist durchaus Abkehr vom M.A. oder Diplom hin zum Bachelor o.ä., geht aber, wenn gut gemacht, durchaus, wie ja gerade Erfahrung aus europ.und außereurop.Ausland zeigt. Im Übrigen darf man durchaus fragen, warum D schon so ein Jahrhundert lang nicht mehr Wissenschaftsnation Nr.1 ist: hat mit unserer Geschichte der Wissenschaftsverachter zu tun...

Maria A. vor 31 Wochen

Wenn man Erzählungen von "gelebten Wessis" Glauben schenken kann, gab es vor der EU auch Möglichkeiten für BRD-Jugendliche, ihr Wissen im Ausland zu erweitern. Vielleicht nicht in der geschilderten Form. Wobei man weiß, dass die Förderung aus dem großen Topf kommt, in den Deutschland vorher reichlich einzahlte. Bei allem Verständnis für das Anpreisen von Auslandspraktika, es schien mal nicht erforderlich, Jugendlichen zur Berufsausbildung ein Praktikum in einem anderen Land anzuraten. Es wurde mehrmals veröffentlicht, dass wir Deutsche für die durchdachte Form der Lehrausbildung nicht nur von den Amerikanern beneidet wurden. Wie es mittlerweile darum steht, weiß man nicht, aber hinsichtlich der Qualität unserer Hochschulbildung werden dort ganz offen Zweifel geäußert und davon abgeraten, zum Studieren nach Deutschland zu gehen. Es könnte sein, dass sich bald mehr junge Menschen, auch welche in Sachsen-Anhalt, für ein Studium in anderen EU-Ländern entscheiden.

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