Vermisstenfall Kriminologin: "Wahrscheinlich lebt Inga nicht mehr"
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06. Mai 2019, 09:02 Uhr
Vor vier Jahren verschwand die damals fünfjährige Inga spurlos im Wald des Stendaler Ortsteils Uchtspringe. Auch heute noch wird Ortsbürgermeister Siegmund Löser immer wieder von Bürgern gefragt, ob es neue Erkenntnisse gibt. Eine Kriminologin vom Institut für Forensik in Magdeburg dämpft die Hoffnung, dass das Mädchen noch lebend gefunden wird. Sie spricht über Szenarien, die aus ihrer Sicht infrage kommen.
Am Institut für Forensik in Magdeburg beschäftigt man sich nach wie vor mit dem Verschwinden der kleinen Inga am 2. Mai 2015. Das damals fünfjährige Mädchen wohnte mit seiner Familie auf dem Gelände des Diakoniewerks Wilhelmshof, einer abgeschiedenen sozialen Einrichtung. Auf einem kurzen Stück zwischen der Wohnung und dem Sportplatz verschwand Inga. Bis heute konnten keine Spuren von dem Mädchen gefunden werden und ihr Schicksal bleibt ungewiss.
Bettina Goetze ist Kriminologin am Institut für Forensik. Sie spricht über den Fall.
MDR SACHSEN-ANHALT: Frau Goetze, wie wahrscheinlich ist es, dass das Mädchen noch lebt?
Bettina Goetze: Das ist eine zentrale Frage im Vermisstenfall Inga. So ehrlich möchte ich sein: Aus meiner persönlichen Sicht habe ich keine Hoffnung mehr, dass das Kind noch lebt. Die Wahrscheinlichkeit, dass Inga bereits in den Abendstunden des 2. Mai 2015 ihr Leben verloren hat, dürfte recht hoch sein.
Was ist Ihre Theorie? Was könnte damals auf dem Wilhelmshof passiert sein?
Mit dieser Frage hat sich die Polizei viele Jahre befasst. Der entscheidende Hinweis ist bis heute nicht eingegangen. Erschwert wird die Lage dadurch, dass man bis heute keine Leiche gefunden hat.
Welche Szenarien kämen infrage?
Sachlich und mit einer gewissen Logik von außen betrachtet, kommen eigentlich nur drei Hauptszenarien infrage: Entweder hat sich ein Unglück bzw. ein Unfall zugetragen, was Beteiligte auf dem Wilhelmshof im Zuge einer Affekthandlung verdecken konnten. Oder es gibt einen Täter, eine Person, die höchstwahrscheinlich einen Bezug zum Wilhelmshof hat. Die wahrscheinlich Inga in einem unbeobachteten Moment in einen Keller oder Schuppen ziehen konnte und aus welchen Motiven auch immer eine Tötung vollzogen hat.
Eine andere Variante, die man nicht gänzlich ausschließen kann, ist, dass es eine Entführung gegeben hat. Als Kriminologin ist das allerdings eine Variante, die ich nicht favorisieren würde. Klassische Entführungsfälle betreffen eher reiche Unternehmerfamilien, was hier nicht der Fall ist. Es wäre eher eine Entführungskonstellation wie im österreichischen Fall der Natascha Kampusch. Aber solche Fälle sind sehr, sehr selten.
Was könnte man tun, um den Fall noch zu klären?
Der Fall Inga ist mittlerweile ein sogenannter "Cold Case". Das sind Fälle, die nach einem Jahr noch nicht gelöst werden konnten. Es ist wichtig, dass dieser Fall trotzdem präsent bleibt. Und dass er immer wieder auf neue Ermittlungsansätze überprüft wird. Eine Überprüfung könnte auch durch ein gänzlich neues Ermittlerteam stattfinden, neutral und unvoreingenommen. Auch das Hinzuziehen weiterer Fachmeinungen ist sinnvoll.
Ich erinnere an den Mord der zehnjährigen Stefanie aus Weimar. Durch eine eigens gegründete Soko für Altfälle konnte der Fall erfolgreich gelöst werden – und das nach 27 Jahren. Auch in Österreich gibt es Spezialabteilungen für "Cold Cases". Das wäre auch eine Überlegung für Sachsen-Anhalt. Auch Amtshilfe von Kroatien wäre denkbar. Dort gibt es Belgische Schäferhunde, die darauf spezialisiert sind, vergrabene Leichen auch nach vielen Jahren aufzuspüren. So dass man das ganze riesige Gebiet rund um den Wilhelmshof noch einmal mit Hunden absucht.
Die Fragen stellte Andreas Neugeboren.
Quelle: MDR/ahr
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 03. Mai 2019 | 19:00 Uhr