Zerbrochene Brille neben Springerstiefeln liegt auf dem Boden
Der Anteil rassistisch motivierter Gewalttaten in Sachsen-Anhalt ist 2022 nach den Aufzeichnungen der Mobilen Opferberatung gestiegen. (Symbolbild) Bildrechte: IMAGO / McPHOTO

Jahresbilanz der Mobilen Opferberatung Weiterhin hohe Zahl rechtsextremer Gewalttaten in Sachsen-Anhalt

04. April 2023, 17:12 Uhr

Für das Jahr 2022 hat die Mobile Opferberatung des Vereins Miteinander eine ähnlich hohe Zahl rechtsextremer Angriffe verzeichnet wie in den Jahren zuvor. Insgesamt waren es 156 Gewalttaten. Besonders besorgniserregend ist laut Opferberatung der Anteil der rassistisch motivierten Gewalttaten. Er ist von 47 Prozent in 2021 auf 65 Prozent in 2022 gestiegen.

156 Gewalttaten von Rechtsextremen hat die Mobile Opferberatung für das Jahr 2022 in Sachsen-Anhalt registriert. Bei dem größten Teil der Fälle handelt es sich um Körperverletzung, bei 41 Prozent davon sogar um gefährliche Körperverletzung. Von den Angriffen waren insgesamt 227 Menschen betroffen, darunter 25 Kinder.

Statistisch betrachtet bedeutet das, dass im vergangenen Jahr im Durchschnitt alle zwei bis drei Tage Menschen in Sachsen-Anhalt aus rassistischen, rechten, antisemitischen und/oder LGBTIQ*-feindlichen Motiven angegriffen und verletzt wurden. Laut Mobiler Opferberatung gab es damit 2022 ähnlich viele rechtsextreme Gewalttaten wie in den Vorjahren.

Rechte, rassistische, antisemitische und LGBTIQ*-feindliche Gewalt in Sachsen-Anhalt hat sich auf einem besorgniserregend hohen Niveau stabilisiert.

Sprecherin der Mobilen Opferberatung

"Rechte, rassistische, antisemitische und LGBTIQ*-feindliche Gewalt in Sachsen-Anhalt hat sich auf einem besorgniserregend hohen Niveau stabilisiert", schreibt die Mobile Opferberatung in ihrem Jahresbericht. Dabei sei die Anzahl der dokumentierten Angriffe nur ein Indikator für das tatsächliche Ausmaß vorurteilsmotivierter Gewalt und Diskriminierung in Sachsen-Anhalt.

Abkürzung LGBTIQ* Die Abkürzung LGBTIQ* steht für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans*, Inter* und Queere Personen. Das Sternchen soll die Vielzahl möglicher sexueller und geschlechtlicher Identitäten symbolisieren, die die Begriffe meinen können. Wir haben die Abkürzung aus der Jahresbilanz der Mobilen Opferberatung übernommen.

Denn die Opferberatung geht davon aus, dass es eine hohe Dunkelziffer von rechtsextremen Gewalttaten gibt, die nicht angezeigt werden und damit in keiner Statistik erscheinen. So hat eine Studie der Europäischen Grundrechteagentur in 2009 gezeigt, dass lediglich ein Viertel aller rassistischen Gewalttaten zur Anzeige kommen.

Rassistisch motivierte Gewalt um 18 Prozent gestiegen

Besonders alarmierend findet die Mobile Opferberatung den Anstieg rassistisch motivierter Gewalt im Jahr 2022. Der Anteil rassistischer Gewalttaten ist von 47 Prozent in 2021 auf 65 Prozent in 2022 gestiegen. Damit war Rassismus 2022 das häufigste Tatmotiv für rechtsextreme Gewalttaten. Die Mobile Opferberatung berichtet etwa von zwei 12- und 13-jährigen Mädchen, die im Juni 2022 bei Verlassen eines Supermarktes in Zeitz von einer Unbekannten rassistisch beleidigt und von ihrem Begleiter ins Gesicht geschlagen wurden.

Das zweithäufigste Tatmotiv rechtsextremer Gewalt war die Gewalt gegen politische Gegner. Sie macht allerdings mit 33 der 156 dokumentierten Gewalttaten einen deutlich geringeren Anteil aus. Bei 11 dieser Angriffe gab es einen Bezug zur Coronapandemie. Als Beispiel nennt die Mobile Opferberatung den Fall von schweren Landfriedensbruch im Februar 2022 in Halberstadt. Damals waren hunderte Teilnehmerinnen einer Demonstration gegen die Corona-Schutzmaßnahmen mit Trommeln und Trillerpfeifen vor das Privathaus des Oberbürgermeisters gezogen, angeführt von der extrem rechten Kameradschaft "Harzrevolte".

↓ Was ist die Mobile Opferberatung?

Die Mobile Opferberatung gibt es seit 2001. Ihr Träger ist der Miteinander – Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt e.V. Als spezialisierte Fachberatungsstelle unterstützt die Opferberatung nach eigenen Angaben "Betroffene rechter, rassistischer, antisemitischer, antiromaistischer, LGBTIQ-feindlicher, sozial-darwinistischer und antifeministischer Gewalt, ihr soziales Umfeld sowie Zeuginnen in Sachsen-Anhalt". Die Beratung ist kostenlos, auf Wunsch anonym und unabhängig von der Erstattung einer Anzeige.

Weitere Tatmotive: LGBTIQ*-Feindlichkeit und Antisemitismus

Als weitere Tatmotive rechtsextremer Gewalt listet die Mobile Opferberatung LGBTIQ*-Feindlichkeit und Antisemitismus. 2022 hat die Mobile Opferberatung elf LGBTIQ*-feindliche und neun antisemitische Gewalttaten dokumentiert. Damit hat sich die Zahl antisemitischer Gewalttaten im Vergleich zum Vorjahr nahezu verdoppelt.

Besonders folgenschwer war laut Mobiler Opferberatung die immer weiter eskalierende antisemitische Gewalt gegen einen Mann in Brachwitz (Saalekreis). Innerhalb von fünf Wochen habe der 52-Jährige vier Angriffe in seinem direkten Wohnumfeld durchleben müssen, wurde von seinen Nachbarn massiv bedroht. Schließlich wurden Brandanschläge auf sein Auto und ein Nebengebäude auf seinem Grundstück verübt.

MDR (Alisa Sonntag)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 04. April 2023 | 11:00 Uhr

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