Artenschutz Der Luchs kommt ins Erzgebirge: Jagdverband warnt vor Auswilderung
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27. Oktober 2022, 15:56 Uhr
Bis 2026 sollen insgesamt 20 Luchse im Erzgebirge und Umgebung ausgesetzt werden. Mit der Auswilderung der Raubkatzen will das Umweltministerium eine stabile Population schaffen, die sich mit anderen Luchsvorkommen in Deutschland und Europa vermischen soll. Der Landesjagdverband Sachsen sieht die Pläne jedoch äußerst kritisch und warnt vor Folgen für andere geschützte Arten und Wildbestände. Ob der Luchs ähnlich wie der Wolf für Streit sorgen wird, scheint allerdings noch unwahrscheinlich.
- Sachsen will bis 2026 eine kleine sich selbst erhaltene Population von Luchsen im Erzgebirge etablieren.
- Luchse wurden in Deutschland lange Zeit gejagt und galten als ausgerottet.
- Der Landesjagdverband Sachsen sieht die Wiederansiedlung kritisch und fürchtet Konsequenzen.
- Umfragen und Erfahrungen zeigen, dass der Luchs bei der Bevölkerung eine hohe Akzeptanz genießt.
Er pirscht sich langsam an seine Beute heran und schlägt dann meist mit einem gezielten Nacken- oder Kopfbiss zu: Der Luchs ist ein geübter Jäger, der bald auch im Erzgebirge und Umgebung sein Revier haben könnte. Das Sächsische Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie will bis 2026 insgesamt 20 Luchse aussetzen und auswildern. Die Tiere sollen entweder aus Wildfängen stammen oder aus einem Zuchtprogramm in den Karpaten.
Das Ziel, bestätigt das Landesamt gegenüber MDR SACHSEN, sei es, eine sich reproduzierende kleine Population im sächsischen Erz- und Elbsandsteingebirge zu etablieren. Zuvor hatte die Freie Presse über die geplante Ansiedlung berichtet.
Zusammen mit anderen Luchsvorkommen in Deutschland und Europa wolle man so langfristig die Pinselohren als Art erhalten. Die Notwendigkeit des Projekts ergebe sich aus Gründen des Artenschutzes, das auf Bundes- und EU-Ebene festgehalten ist.
Bis ins 18. Jahrhundert hinein wurden Luchse vom Menschen in Deutschland gejagt und vertrieben. Das rotbraun bis hellbraun gefärbte Fell war begehrt, die Luchse als Raubtier eher weniger.
Jäger empfanden die Katzen, die etwa ein Reh pro Woche verspeisen, als Konkurrenz. Noch dazu brauchen Luchse üppige, geschlossene Waldflächen ohne Querstraßen oder Ackerland dazwischen, um sich wohlzufühlen.
Nur eine kleine Anzahl in Nord- und Osteuropa überlebte die Ausbreitung des Menschen. Seit einigen Jahrzehnten geht es den Samtpfoten jedoch wieder ein klein wenig besser.
In Deutschland leben nach Schätzungen des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) derzeit zwischen 125 und 135 Exemplare. Die größten Vorkommen sind im Pfälzerwald, im Bayerischen Wald, Fichtelgebirge und im Harz anzutreffen – wenn die scheuen Tiere sich mal blicken lassen.
Die Luchse brauchten jedoch aktive Unterstützungsmaßnahmen des Menschen für ihr neues Zuhause. Für eine natürliche Ausdehnung ist die Population zu klein und genetisch verarmt, was Inzucht begünstigt und damit Erbkrankheiten.
Jetzt soll auch aus Sachsen zukünftig ein Luchsresort werden. "Da die Biotopqualität des Erzgebirgswaldes sehr gut für Luchse geeignet ist, bietet sich die Umsiedlung in diese Region an", teilt das Umweltamt mit.
Der Landesjagdverband Sachsen (LJVSN) sieht das anders. In einer Anfang Oktober veröffentlichten Pressemittelung stellte sich der Verband gegen die Auswilderung. Das Projekt würde jegliche Bemühungen zum Erhalt des Birkhuhns und des Niederwildes konterkarieren, heißt es. Erst 2019 verpflichtete sich Sachsen dazu, Lebensräume für das Birkhuhn zu sichern, die den etwa 50 Tieren im Erzgebirge zugutekommen sollen.
Das Birkhuhn hatte seine Hoch-Zeit in der Region Mitte der 1990er-Jahre, nachdem saurer Regen ideale Bedingungen für die Raufußhühner schuf, wie lichte Wälder und große Kahlflächen. Mit Verbesserung des Ökosystems Wald sank auch die Zahl der Birkhühner rapide. Gibt der Luchs ihnen nun den Rest?
Eine Studie aus Österreich, wo Birkhühner ebenfalls selten geworden sind, kommt zum Schluss, dass vom Luchs keine nennenswerte Gefahr für die Vögel ausgehe. Allenfalls als Zufallsbeute schnappe der Großräuber mal zu. Jedoch bestünden immer noch große Wissensdefizite, in welchem Ausmaß große Raubtiere in eine bestehende Beutetierpopulation in Mitteleuropa eingreifen würden, gibt die Studie zu bedenken.
Rehe werden sich an neuen Räuber gewöhnen müssen
Neben den Birkhühnern, sorgt sich der Jagdverband auch um die Wildbestände. Im Winter gehen Rehe üblicherweise in einen Art Energiesparmodus, in dieser Zeit fressen und bewegen sie sich weniger.
Die Befürchtung des Verbandes ist nun, dass der Luchs seine Hauptnahrungsquelle aufscheuchen würde. Das hätte wiederum einen höheren Verbiss – Schäden an Sträuchern und Bäumen – zur Folge.
Im Umweltamt reagiert man bisher recht gelassen auf die Sorgen. So könne es zwar lokale Schwankungen bei dem Verhalten der Beutetiere angesichts der neuen Bedrohung geben, allzu große negative Konsequenzen erwartet man jedoch nicht.
Inwieweit der Luchs das Potential hat, wie der sich ausbreitende Wolf, die Gemüter zu erhitzen, bleibt abzuwarten. Einer in Thüringen durchgeführten repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts forsa zufolge, stehen 87 Prozent der Befragten einer Wiederansiedlung des Luchses positiv gegenüber.
Angriffe auf Haus- und Nutztiere kommen beim Luchs nur sehr selten vor. Erfahrungen aus dem Harz zeigen zudem, dass sich zwar einige Bewohner zunächst bedroht gefühlt haben, mittlerweile die Stimmung aber eine andere sei. Der Luchs wurde zu einem Art Maskottchen der Region und kurbelte den Tourismus an, berichten Experten.
Die Jagdverbände selbst sind sich auch je nach Bundesland uneinig darüber, was man den vom Pinselohr halten soll. Während viele Jagdverbände nur eine natürliche Ausbreitung wollen, unterstützt der Rheinland-Pfälzische eine vom Menschen gesteuerte, wenn diese sich allerdings auf den Pfälzerwald beschränkt.
Der Präsident und der Vize-Präsident des Bayerischen Verbands stritten sich Anfang des Jahres öffentlich über die Frage, inwiefern man dem Luchs unter die Pfoten greifen solle. Der LJVSN erklärt auf Nachfrage, dass sie eine einzig eine natürliche Ausbreitung aus Tschechien und aus dem Harz akzeptieren. "Das Niederwild der Region hat es bereits durch die vorhandenen und neu zugewanderten Prädatoren sehr schwer", sagt der Verband.
Ungeachtet der verbandsinternen Auseinandersetzungen sollen ab 2023 die ersten zehn Luchse freigesetzt werden. Ungefähr zwei Jahre später soll der Rest folgen. Ein bisschen Zeit, sich an den neuen Erzgebirger zu gewöhnen, bleibt also noch.
Korrektur: In einer früheren Version des Artikels wurde der Luchs als Großkatze bezeichnet. Das ist falsch. Luchse gehören zur Gattungsfamilie der Kleinkatzen. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.
MDR (mad)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | 27. Oktober 2022 | 15:20 Uhr
Senta Tangerstedt am 28.10.2022
Die Jäger kommen in Erklärungsnöte. Wurde die Jagd doch immer damit begründet, dass man die ausgerotteten Beutegreifer ersetzen müsse. Kaum sind Wolf und Luchs zurück, sollen die nach dem Willen der Jäger auch wieder geschossen werden. Damit ist doch alles gesagt und "Naturschutz" als Jagdzweck einfach nur vorgeschoben.
Gurg am 28.10.2022
Nahrung in Form von Rehen gibt es genug. Man muss nur deren Bejagung etwas maßvoller und zeitlich begrenzter durchführen, was ohnehin aus vielen Gründen besser wäre.
Gurg am 28.10.2022
Er kann generell auch Offenflächen überqueren, problematischer sind Siedlungen und Straßen. Aber Weibchen wandern nicht weit und so ist natürliche Ausbreitung ins Erzgebirge nicht absehbar.