Génesis Morenos aus Venezuela ist mit dem Einspeichen von Rädern in der Produktion des Fahrradherstellers Diamant in Hartmannsdorf beschäftigt.
Génesis Morenos aus Venezuela ist mit dem Einspeichen von Rädern in der Produktion des Fahrradherstellers Diamant beschäftigt. Sie und Menschen aus 26 weiteren Nationen arbeiten im Werk in Hartmannsdorf zusammen. Bildrechte: picture alliance/dpa | Hendrik Schmidt

Fahrradherstellung Liebe und Perfektion: Knapp 130 Jahre Diamant-Fahrräder in Sachsen

16. Juli 2023, 06:00 Uhr

Handgefertigt in Deutschland: Nicht viele Fahrradhersteller können damit werben. Diamant in Hartmannsdorf bei Chemnitz wirbt nicht nur damit, sondern ist auch der älteste durchgängig produzierende Betrieb seiner Branche in Deutschland. Ein Blick hinter die Werkstore zeigt: trotz Globalisierung besinnen sich die "Diamanter" auf Sachen, die vor 100 Jahren schon galten.

Der Redaktionsauftrag war klar: Blick hinter die Kulissen des Fahrradherstellers Diamant. "Ach, die gibt's noch in Sachsen?", war die spontane Gegenfrage. Die kennt auch der Diamant-Geschäftsführer Mirco Schmidt. Als er Freunden und Bekannten von seinem neuen Job in Hartmannsdorf erzählte, hätten die ihn verwundert gefragt: "Was, die gibt's noch?" Seit zwei Jahren lenkt Schmidt die Geschicke für Deutschlands ältesten Fahrradhersteller. Weltweit gesehen ist nur Bianchi aus Italien noch ein paar Monate älter als Diamant.

Die Mitarbeiter arbeiten mit Leidenschaft und haben den Anspruch auf Perfektion.

Mirco Schmidt Geschäftsführer Diamant-Fahrradwerke Hartmannsdorf

Ein Mann Mitte 40 steht in einem dunklen T-Shirt vor einer Wand, an der mehrere neue Fahrräder hängen. Es ist der Geschäftsführer des Fahrradherstellers Mirco Schmidt in Hartmannsdorf.
Die Räder an der Wand hinter Geschäftsführer Schmidt sind Leihräder. Mitarbeiter können sie sich übers Wochenende oder für Kurzurlaube ausleihen. Bildrechte: Kathrin König

Seit 1885 gibt es das Unternehmen, seit 1895 stellt es Diamant-Räder her, erst in Chemnitz-Reichenbrand, seit 1997 in Hartmannsdorf. Schmidt kommt aus Jena und hat früher im Automobil-Bereich gearbeitet. Die Rad-Branche findet er "deutlich cooler", nicht nur, weil er Pressetermine bei 30 Grad in Jeans und T-Shirt bestreiten kann, statt in Hemd und Jackett zu schwitzen. Die Fahrradwerke gehören seit 2003 zum US-amerikanischen Familienunternehmen Trek, das die Marke Diamant als eigenständige Marke fortführt. Teamarbeit sei wichtig und die Ideen und Leidenschaft der "Diamanter".

Fahrrad- und Familiengeschichten Echt "Diamant" aus Sachsen

Diamant - Räder, Legenden und Siege
Ende des 19. Jahrhunderts tritt das Fahrrad den Siegeszug in Deutschland an. Auch die Gebrüder Nevoigts wollen profitieren und machen sich an die Entwicklung eines eigenen Modells. Von den Wanderer-Werken werben sie einen Ingenieur ab. 1895 verlässt das erste Fahrrad unter dem Namen "Diamant" das Werk. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Diamant - Räder, Legenden und Siege
Um die Marke noch populärer zu machen, steigt "Diamant" früh in den Radsport ein. Eine Tradition, die zu DDR-Zeiten wiederaufgenommen wird. Täve Schur fährt mehrmals Gold auf einem "Diamant"-Rad ein. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Diamant - Räder, Legenden und Siege
Bereits in den 1920er-Jahren wird die moderne Frau als neue Zielgruppe entdeckt; leichte, sportlich geschwungene und farbenfroh lackierte Räder gibt es auch zu DDR-Zeiten für die weiblichen Kunden. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Diamant - Räder, Legenden und Siege
Nach der Wende 1989 will im Osten niemand mehr Diamanträder kaufen. Von ehemals 1.500 Mitarbeitern bleiben nur 250. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Diamant - Räder, Legenden und Siege
Karschs ältestes Rad ist Baujahr 1906. Aber besonders stolz ist der Chemnitzer auf ein grün emailliertes Damenrad, Baujahr 1927. Mit leichtem Rahmen und luxuriöser Ausstattung erobert "Die Schöne aus Sachsen" von "Diamant" in den 1920er-Jahren die Radfahrerherzen der Frauen. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Diamant Fahrradwerk in Hartmannsdorf
Heute fertigen 700 Leute im Zwei-Schicht-System bei "Diamant", das Werk steht nun in Hartmannsdorf, rund 30 Kilometer von Chemnitz entfernt. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Diamant - Räder, Legenden und Siege
Ende des 19. Jahrhunderts tritt das Fahrrad den Siegeszug in Deutschland an. Auch die Gebrüder Nevoigts wollen profitieren und machen sich an die Entwicklung eines eigenen Modells. Von den Wanderer-Werken werben sie einen Ingenieur ab. 1895 verlässt das erste Fahrrad unter dem Namen "Diamant" das Werk. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Täve Gustav Schur - noch immer on Tour auf dem Rennrad
Bis heute bricht der 88-Jährige zur Tour auf, an den Wochenenden, immer begleitet von Wolfgang Lichtenberg (r.). Der fuhr einst genau wie sein Idol Täve Rennen auf "Diamant". Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Diamant - Räder, Legenden und Siege
Bis ins sozialistische Ausland schaffen es Abenteuerlustige auf dem "Diamant" – so wie Heinz-Gerd und Ursula Klein. 250 Farbdias sind als Erinnerung an diesen Sommer 1975 geblieben. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Mit Diamant durch Freundesland - Gerd und Ursula Klein mit Diamant Rädern in Ungarn
Von Bratislava geht die über 1.300 Kilometer lange Radtour durch die Slowakei nach Ungarn. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Diamant - Räder, Legenden und Siege
Nach schlaflosen Nächten fasst der letzte Betriebsdirektor der Diamantwerke, Dr. Hartwig Müller, einen Plan um die Fahrradproduktion zu retten: In schicken Volvos, mit "Diamant" Rädern auf dem Dachgepäckträger, schwärmen seine Händler in den Westen aus. Mit Erfolg: Wenige Monate später verkauft "Diamant" mehr Sporträder in den alten als in den neuen Bundesländern. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Dr. Hartwig Müller mit dem ersten Diamant E-Bike Cityblitz im Fahrzeugmuseum Chemnitz
Ein Lichtblick für die gebeutelten Fahrradbauer scheint auch der "Cityblitz" zu sein, das erste E-Bike, das "Diamant" 1992 auf der Internationalen Fahrradmesse in Köln vorstellt. Die Entwicklung wird nach Akku-Problemen abgebrochen. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Diamant - Räder, Legenden und Siege
"Die Alten" sind Gold wert, wenn man sie wieder aufzuarbeiten weiß. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Diamant Rad Sammler Ludwig Karsch mit einem Diamantrad Baujahr 1919
Ludwig Karsch sammelt seit 30 Jahren "Diamant"-Fahrräder – und die Familiengeschichten, die oft daran hängen. Hier arbeitet er an einem Modell aus dem Jahr 1919. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Diamant - Räder, Legenden und Siege
Rund elf Millionen "Diamant"-Räder wurden in 130 Jahrem gefertigt. Entsprechend groß ist die Sammler-Szene, die sich immer am Wochenende nach Pfingsten trifft, diesmal in Paußnitz an der Elbe. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Diamant - Räder, Legenden und Siege
Zur Ersatzteiljagd ... Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Diamant - Räder, Legenden und Siege
... und zum Austausch. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
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Zweiradmechaniker seit vier Jahrzehnten

Einer davon ist Torsten Pils. Er hat fast sein ganzes Arbeitsleben lang für Diamant gearbeitet, zuerst als Lehrling Ende der 1980er-Jahre und seit seiner Rückkehr 1993 ununterbrochen. Zwischendrin hatte er sich anderweitig Arbeit gesucht. "Als ich zurückkehrte, war es wie Heimkommen, die Maschinen und Geräte funktionierten noch wie früher. In Diamant steckt so viel Tradition", sagt Pils und blickt auf seine Hände. Wie viele Reifen wohl diese Finger angefasst haben mögen, seitdem er als Zweiradmechaniker arbeitet? "Tja, es müssen viele sein, ein paar Millionen bestimmt."

Ein Mann Mitte 50 steht an einem Arbeitsplatz und blickt lächelnd in die Kamera. Es ist der Zweiradmechaniker Torsten Pils in Hartmannsdorf.
Torsten Pils hat unzählige Reifen für Diamant auf Felgen gezogen. Er steht an einer Platte, die nach seinen Angaben 100 Jahre alt ist. Das Reifenaufziehen gehe ohne Strom, "funktioniert tadellos, wie früher". Automatisierungen wie in der Autobranche gebe es im Fahrradbau nicht. Bildrechte: Kathrin König

Alle Wechsel habe er seit der Wende miterlebt, erst den Verkaufseinbruch nach 1989, als kaum jemand mehr Diamant-Räder aus dem Osten kaufen wollte und von mehr als 1.500 Mitarbeitern nur noch 250 übrig blieben. Dann die Übernahme eines Schweizer Herstellers, danach die Amerikaner von Trek. Drei Mal sei er zu Weiterbildungen nach Madison in Wisconsin geflogen. "Dort war vieles ähnlich, wie heute bei uns. Die Tätigkeiten, viele Nationalitäten in den Werkhallen, vor allem Mexikaner."

Mein erstes eigenes Fahrrad war ein lindgrünes Diamant-Rad. Das habe ich ich zur Konfirmation bekommen und mich riesig gefreut.

Martin Dulig sächsischer Verkehrsminister (SPD) beim Werksbesuch am 13. Juli 2023

Die halbe Welt in einer Werkhalle

27 Nationen arbeiten in der 700-köpfigen Belegschaft in Hartmannsdorf zusammen. 42 Prozent davon sind laut Geschäftsführung Leiharbeiter aus Osteuropa, hauptsächlich aus Polen und Tschechien. Weil hierzulande immer weniger Fachkräfte zu bekommen seien, sagt Geschäftsführer Schmidt, gehöre auch das zur Wahrheit: "Ohne unsere Leiharbeiter würden wir hier nicht mehr produzieren." Man bezahle mehr als Mindestlohn, abhängig von den Qualifikationen. Genaue Zahlen nennt das Unternehmen nicht. Gerne würde Schmidt mehr Leiharbeiter als Festangestellte übernehmen. Doch viele wollten Geld verdienen und zögen nach drei bis fünf Jahren weiter oder zurück in ihre Heimat.

Das hat auch Andrezj Rzeznik vor. Seine Frau und er arbeiten seit vier Jahren in Hartmannsdorf. Nächstes Jahr will der 49-Jährige zurück nach Bogatynia ins Dreiländereck, wo er zuletzt nur während seines Urlaub hingefahren sei. Die Stimmung bei Diamant findet er gut. "Die Kollegen sind nett." Seit einem Jahr habe er einen Teamleiter, der fließend polnisch spricht und beim Übersetzen hilft. Zur Not würden Hände, Füße, ein bisschen Englisch und Erklärkarten weiterhelfen, die die Firma erstellt hat.

Ein Mitarbeiter in einer großen Werkhalle steht an einer Werkbank und blickt in die Kamera. Der Mann ist 49 Jahre alt und stammt aus Polen. Er arbeitet seit 4 Jahren im Diamant-Werk in Hartmannsdorf.
Andrezj Rzeznik aus Polen arbeitet als Leiharbeiter für den Fahrrad-Hersteller. Bildrechte: Kathrin König

Diamant will im Osten sichtbarer werden

"Wir bemühen uns um gutes Teamwork. Als einzige Bedingung gilt: politische Überzeugungen bleiben draußen", meint Geschäftsführer Schmidt. Er will das Traditionsunternehmen wieder sichtbarer machen, was seine amerikanischen Vorgänger anders handhabten. "Die Heimatregion ist ein Stück weit vergessen worden." Nun sollen Kontakte zu Gemeinden ringsum und zu Verbänden ausgebaut werden. Und man will näher ran - an die Institutionen und die privaten Fahrradkunden.

Die Fahrradfarik heute in Zahlen • Unter Führung des Mutterkonzerns Trek Bicycle Corporation in den USA stellen die 700 Mitarbeiter und 24 Azubis in Hartmannsdorf täglich 1.000 bis 1.400 Fahrräder der Marken Diamant, Trek und Electra her.
• Ein Fahrrad wird aus 122 Komponenten montiert. Diamant führt 130 Modelle in verschiedenen Farben und Ausstattungen.
• Für 2.700 Produkte haben die Hartmannsdorfer die Einzelteile vorrätig. Sie liegen in einem Lager direkt am Werk und in Lagern im Umkreis. Das Zentrallager steht in der Nähe von Leipzig.
• Der Hersteller nannte zuletzt einen Jahresumsatz von 300 Millionen Euro.

Bis zu 1.400 Räder montieren die Beschäftigten im Zweischicht-System pro Tag. Zwei Drittel davon sind E-Bikes. "Vor der Anschaffung recherchieren die Leute in Testberichten und vergleichen die Qualität. Da müssen wir vorn dabei sein", erklärt Geschäftsführer Schmidt die Richtung. Derzeit baut das Unternehmen eine neue Versandhalle und will die Fläche der Fertigungshalle verdoppeln. Zahlen zu Investitionskosten nennt der Mutterkonzern Trek nicht.

Ein E-Bike ist aufgebockt an einer Werkbank zu sehen. Daneben steht ein junger Mann und hat Werkzeuge in der Hand. Es sit ein Lehrling im ersten Ausbildungsjahr bei der Firma Diamant Fahrradwerke GmbH in Hartmannsdorf.
"Ich fahre am liebsten Mountainbike und schraube gerne." Das hat Leon Glöckler dazu bewogen, sich zum Zweiradmechatroniker ausbilden zu lassen. Bildrechte: Kathrin König

Den Schlüssel zum Erfolg sieht der Chef Schmidt im Anspruch seiner Belegschaft: "Wenn ich liebe, was ich mache, dann mache ich es auch gut." Das hat auch Langzeit-Mitarbeiter Torsten Pils vor - bis zur Rente in gut elf Jahren. Und wenn er Urlaub an der Ostsee macht und Diamantfahrräder sieht, achtet er auf die Felgen. "Dann gucke ich, ob sie durch meine Hände gegangen sind und freue mich im Stillen."

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | SACHSENSPIEGEL | 13. Juli 2023 | 19:00 Uhr

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