Fahrradherstellung Liebe und Perfektion: Knapp 130 Jahre Diamant-Fahrräder in Sachsen
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16. Juli 2023, 06:00 Uhr
Handgefertigt in Deutschland: Nicht viele Fahrradhersteller können damit werben. Diamant in Hartmannsdorf bei Chemnitz wirbt nicht nur damit, sondern ist auch der älteste durchgängig produzierende Betrieb seiner Branche in Deutschland. Ein Blick hinter die Werkstore zeigt: trotz Globalisierung besinnen sich die "Diamanter" auf Sachen, die vor 100 Jahren schon galten.
- Die Leidenschaft der "Diamanter" verbindet Tradition und Teamwork.
- Ohne Leiharbeiter gäbe es den Standort nicht mehr.
- Traditionshersteller will in Sachsen und im Osten sichtbarer werden.
Der Redaktionsauftrag war klar: Blick hinter die Kulissen des Fahrradherstellers Diamant. "Ach, die gibt's noch in Sachsen?", war die spontane Gegenfrage. Die kennt auch der Diamant-Geschäftsführer Mirco Schmidt. Als er Freunden und Bekannten von seinem neuen Job in Hartmannsdorf erzählte, hätten die ihn verwundert gefragt: "Was, die gibt's noch?" Seit zwei Jahren lenkt Schmidt die Geschicke für Deutschlands ältesten Fahrradhersteller. Weltweit gesehen ist nur Bianchi aus Italien noch ein paar Monate älter als Diamant.
Die Mitarbeiter arbeiten mit Leidenschaft und haben den Anspruch auf Perfektion.
Seit 1885 gibt es das Unternehmen, seit 1895 stellt es Diamant-Räder her, erst in Chemnitz-Reichenbrand, seit 1997 in Hartmannsdorf. Schmidt kommt aus Jena und hat früher im Automobil-Bereich gearbeitet. Die Rad-Branche findet er "deutlich cooler", nicht nur, weil er Pressetermine bei 30 Grad in Jeans und T-Shirt bestreiten kann, statt in Hemd und Jackett zu schwitzen. Die Fahrradwerke gehören seit 2003 zum US-amerikanischen Familienunternehmen Trek, das die Marke Diamant als eigenständige Marke fortführt. Teamarbeit sei wichtig und die Ideen und Leidenschaft der "Diamanter".
Zweiradmechaniker seit vier Jahrzehnten
Einer davon ist Torsten Pils. Er hat fast sein ganzes Arbeitsleben lang für Diamant gearbeitet, zuerst als Lehrling Ende der 1980er-Jahre und seit seiner Rückkehr 1993 ununterbrochen. Zwischendrin hatte er sich anderweitig Arbeit gesucht. "Als ich zurückkehrte, war es wie Heimkommen, die Maschinen und Geräte funktionierten noch wie früher. In Diamant steckt so viel Tradition", sagt Pils und blickt auf seine Hände. Wie viele Reifen wohl diese Finger angefasst haben mögen, seitdem er als Zweiradmechaniker arbeitet? "Tja, es müssen viele sein, ein paar Millionen bestimmt."
Alle Wechsel habe er seit der Wende miterlebt, erst den Verkaufseinbruch nach 1989, als kaum jemand mehr Diamant-Räder aus dem Osten kaufen wollte und von mehr als 1.500 Mitarbeitern nur noch 250 übrig blieben. Dann die Übernahme eines Schweizer Herstellers, danach die Amerikaner von Trek. Drei Mal sei er zu Weiterbildungen nach Madison in Wisconsin geflogen. "Dort war vieles ähnlich, wie heute bei uns. Die Tätigkeiten, viele Nationalitäten in den Werkhallen, vor allem Mexikaner."
Mein erstes eigenes Fahrrad war ein lindgrünes Diamant-Rad. Das habe ich ich zur Konfirmation bekommen und mich riesig gefreut.
Die halbe Welt in einer Werkhalle
27 Nationen arbeiten in der 700-köpfigen Belegschaft in Hartmannsdorf zusammen. 42 Prozent davon sind laut Geschäftsführung Leiharbeiter aus Osteuropa, hauptsächlich aus Polen und Tschechien. Weil hierzulande immer weniger Fachkräfte zu bekommen seien, sagt Geschäftsführer Schmidt, gehöre auch das zur Wahrheit: "Ohne unsere Leiharbeiter würden wir hier nicht mehr produzieren." Man bezahle mehr als Mindestlohn, abhängig von den Qualifikationen. Genaue Zahlen nennt das Unternehmen nicht. Gerne würde Schmidt mehr Leiharbeiter als Festangestellte übernehmen. Doch viele wollten Geld verdienen und zögen nach drei bis fünf Jahren weiter oder zurück in ihre Heimat.
Das hat auch Andrezj Rzeznik vor. Seine Frau und er arbeiten seit vier Jahren in Hartmannsdorf. Nächstes Jahr will der 49-Jährige zurück nach Bogatynia ins Dreiländereck, wo er zuletzt nur während seines Urlaub hingefahren sei. Die Stimmung bei Diamant findet er gut. "Die Kollegen sind nett." Seit einem Jahr habe er einen Teamleiter, der fließend polnisch spricht und beim Übersetzen hilft. Zur Not würden Hände, Füße, ein bisschen Englisch und Erklärkarten weiterhelfen, die die Firma erstellt hat.
Diamant will im Osten sichtbarer werden
"Wir bemühen uns um gutes Teamwork. Als einzige Bedingung gilt: politische Überzeugungen bleiben draußen", meint Geschäftsführer Schmidt. Er will das Traditionsunternehmen wieder sichtbarer machen, was seine amerikanischen Vorgänger anders handhabten. "Die Heimatregion ist ein Stück weit vergessen worden." Nun sollen Kontakte zu Gemeinden ringsum und zu Verbänden ausgebaut werden. Und man will näher ran - an die Institutionen und die privaten Fahrradkunden.
Die Fahrradfarik heute in Zahlen
• Unter Führung des Mutterkonzerns Trek Bicycle Corporation in den USA stellen die 700 Mitarbeiter und 24 Azubis in Hartmannsdorf täglich 1.000 bis 1.400 Fahrräder der Marken Diamant, Trek und Electra her.
• Ein Fahrrad wird aus 122 Komponenten montiert. Diamant führt 130 Modelle in verschiedenen Farben und Ausstattungen.
• Für 2.700 Produkte haben die Hartmannsdorfer die Einzelteile vorrätig. Sie liegen in einem Lager direkt am Werk und in Lagern im Umkreis. Das Zentrallager steht in der Nähe von Leipzig.
• Der Hersteller nannte zuletzt einen Jahresumsatz von 300 Millionen Euro.
Bis zu 1.400 Räder montieren die Beschäftigten im Zweischicht-System pro Tag. Zwei Drittel davon sind E-Bikes. "Vor der Anschaffung recherchieren die Leute in Testberichten und vergleichen die Qualität. Da müssen wir vorn dabei sein", erklärt Geschäftsführer Schmidt die Richtung. Derzeit baut das Unternehmen eine neue Versandhalle und will die Fläche der Fertigungshalle verdoppeln. Zahlen zu Investitionskosten nennt der Mutterkonzern Trek nicht.
Den Schlüssel zum Erfolg sieht der Chef Schmidt im Anspruch seiner Belegschaft: "Wenn ich liebe, was ich mache, dann mache ich es auch gut." Das hat auch Langzeit-Mitarbeiter Torsten Pils vor - bis zur Rente in gut elf Jahren. Und wenn er Urlaub an der Ostsee macht und Diamantfahrräder sieht, achtet er auf die Felgen. "Dann gucke ich, ob sie durch meine Hände gegangen sind und freue mich im Stillen."
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | SACHSENSPIEGEL | 13. Juli 2023 | 19:00 Uhr