Teure aber wirkungslose Medikamente? Leipzig: Neuer Verdacht gegen Kopfzentrum-Gruppe

25. August 2021, 05:00 Uhr

Die Leipziger Kopfzentrum-Gruppe stellt unter anderem das Nasenspray "Sahi Nose" her. MDR exakt hat nachgefragt: Wirkt es und ist in dem Produkt überhaupt das drin, was dem Patienten versprochen wird?

Im März berichtete "exakt" das erste Mal über Vorwürfe rund um das Kopfzentrum Leipzig – einem medizinischen Versorgungszentrum, das im Osten Deutschlands HNO-Praxen betreibt. Damals ging es um mutmaßliche Verstöße gegen das Recht auf freie Therapeutenwahl. Außerdem schilderte eine ehemalige Ärztin des Kopfzentrums, dass es dort mutmaßlich zu unnötigen Operationen gekommen sein soll.

Im Mai traf "exakt" drei Frauen, die unter Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung erklärten, sie seien zu Schönheits-Operationen überredet worden. Diese Operationen seien zudem schiefgelaufen. Die Folge wären entstellte Nasen, die sie bei Ärzten in anderen Kliniken wieder herstellen lassen mussten.

Jetzt kommt ein neuer Vorwurf dazu. Es geht um mutmaßliche Verstöße gegen das Arzneimittelgesetz. Außerdem äußern Experten Zweifel am Nutzen einiger vom Kopfzentrum angebotener Medikamente.

Wirkungslose Nasensprays?

Die Kopfzentrum-Gruppe stellt in Eigenregie Arzneimittel her – unter anderem die Nasensprays "Sahi Nose" und "Regeno". Beide kosten um die 35 Euro und sollen unter anderem die Regeneration der Nasenschleimhaut unterstützen. Wirkstoff ist die Eigenkomposition "BSCN": BSCN bestehe lauf Internetseite der Kopfzentrum-Gruppe aus mehr als 32 Signalproteinen, wie TSH und EPO.

Für Professor Torsten Schöneberg vom Rudolf-Schönheimer Institut für Biochemie der medizinischen Fakultät Leipzig ist BSCN eine sinnfreie Kombination körpereigener Proteine: "Es muss in irgendeiner Form einen Hinweis darauf geben, dass die Kombination verschiedener Wirkstoffe tatsächlich zum Beispiel Stammzellen ins Wachstum hineinbringt und dann zur Regeneration von Haut beispielsweise oder Schleimhäuten beiträgt. Das ist für diese Substanzen nicht belegt, das muss man ganz klar sagen."

Der medizinische Leiter und Geschäftsführer des Kopfzentrums – Professor Gero Strauß – steht für ein Interview nicht zur Verfügung. Über eine Anwaltskanzlei lässt er ausrichten, dass Ergebnisdaten von mehr als 6.000 Patienten vorlägen, bei denen signifikante Verbesserungen wesentlicher Parameter erzielt werden konnten. Man räumt aber ein, dass es sich dabei nicht um eine klinische Studie handele. Professor Torsten Schöneberg meint dazu: "Man hat eine gefühlte Wahrnehmung. Und ob die richtig ist und sich bestätigt und auch nutzbar ist, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ein Therapieversprechen zu geben, dazu braucht man immer eine klinische Studie."

Labor: In Nasenspray kein EPO nachweisbar

Doch ist in den Arzneimittel überhaupt das drin, was versprochen wird? Beispielsweise das Protein EPO. Um das herauszufinden, übergibt "exakt" jeweils eine Flasche "Regeno" und "Sahi Nose" dem Labor der Uniklinik Leipzig. Von dort werden die Arzneimittel an ein Speziallabor weitergeleitet. Das Ergebnis nach wenigen Tagen: In beiden Proben war kein Erythropoetin (EPO) nachweisbar. Nicht auszuschließen ist eine EPO-Konzentration unterhalb der Nachweisgrenze. Professor Torsten Schöneberg schätzt ein:

Wir bewegen uns sicherlich hier in Konzentrationen, wenn überhaupt etwas drin ist, von denen man ausgehen kann, dass es keine biologische Wirkung hat.

Professor Torsten Schöneberg Medizinische Fakultät Leipzig

Das hieße also, so Schöneberg, auch eine eventuelle Regeneration der Schleimhaut werde nicht unterstützt. Laut Kanzlei stünden die Labor-Ergebnisse im Widerspruch zur Verfahrensweise und Qualitätssicherung der Mandantschaft. Das Kopfzentrum versichere, "dass sämtliche von uns individuell hergestellten Arzneimittel unter Aufsicht eines Arztes und in Übereinstimmung mit unseren Rezepturen und unter Einhaltung unserer qualitätssicheren Maßnahmen hergestellt werden. Die Herstellung der Präparate folgt ausnahmslos anhand standardisierter Protokolle, die die Zusammensetzung, die Herstellung und die damit verbundene Qualitätsprüfung dokumentieren."

Exakt liegen interne Emails vor, in denen Professor Gero Strauß seinen Ärzten den Umgang mit Präparaten wie "Regeno" erläutert und Zielgrößen für deren Einsatz benennt. Durchschnittlich müssten es fünf Verordnungen pro Woche sein oder 20 pro Monat. Aus den Mails geht hervor, dass die Anzahl der Verordnungen für jeden Arzt monatlich erfasst werden. Das diene der Qualitätssicherung, teilt die Kanzlei mit.

Mutmaßliche Verstöße gegen das Arzneimittelgesetz

Wie sieht es rechtlich aus? Arzneimittel wie "Sahi Nose" und "Regeno" brauchen nach geltender Rechtslage keine Zulassung, wenn sie unter Verantwortung eines Arztes für einen bestimmten Patienten hergestellt und nur in den Praxisräumlichkeiten verabreicht werden. Eine Vorratshaltung ist verboten. Doch "exakt" hat Kontakt zu mehreren Patienten, denen die Arzneimittel verkauft und ausgehändigt worden sind, entsprechende Kaufbelege liegen vor.

Um herauszufinden, ob das noch immer so gehandhabt wird, dreht ein "exakt"-Reporter mit versteckter Kamera in einer Filiale des Kopfzentrums. Nach einer kurzen ärztlichen Untersuchung wird ihm "Sahi Nose" am Tresen ausgehändigt. Die Landesdirektion Sachsen überwacht die Einhaltung des Arzneimittelgesetzes. Ihre Einschätzung zum Sachverhalt:

Das unerlaubte Inverkehrbringen eines nicht zugelassenen Arzneimittels stellt bei Vorsatz eine Straftat dar.

Statement der Landesdirektion Sachsen

Auch wenn das Labor in "Sahi Nose" und "Regeno" keine wirksame EPO-Konzentration nachweisen konnte, laut Internetseite der Kopfzentrum-Gruppe ist das Protein ein Bestandteil. Darin läge ein weiteres rechtliches Problem, wenn solche Arzneimittel an Patienten ausgehändigt werden, sagt die Landesdirektion. "Ein Arzneimittel, das EPO enthält, ist bei Abgabe verschreibungspflichtig. Wer ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel abgibt, ohne eine Apotheke zu betreiben, begeht eine Straftat." Das Gleiche gilt übrigens für Arzneimittel, die das Protein TSH enthalten, so wie "Sahi Nose" und "Regeno".

Kanzlei unterstellt MDR "exakt" mehrere Fehlvorstellungen

Die Kanzlei unterstellt "exakt" gleich mehrere Fehlvorstellungen und betont, dass es sich um "keine verschreibungspflichtigen Arzneimittel" handele. Die Landesdirektion sieht das anders und hat die Staatsanwaltschaft Leipzig kontaktiert. Das Verfahren läuft noch, der Ausgang ist offen. Professor Gero Strauß hat der Landesdirektion garantiert, unter anderem das Inverkehrbringen von "Regeno" eingestellt zu haben.

Etwa eine Woche nach diesem Versprechen dreht "exakt" in einer Filiale des Kopfzentrums und kann problemlos eine Flasche "Regeno" erwerben. Die Kanzlei teilt dazu mit: Die Filialen seien angewiesen, sich bei der Abgabe der Präparate streng an das Arzneimittelgesetz zu halten.

Erik Bodendieck, Präsident der Sächsischen Landesärztekammer, meint, wenn es sich tatsächlich um Verstöße gegen das Arzneimittelgesetz handeln sollte, sei das ein Fall für die Staatsanwaltschaft: "Ich halte das nicht für eine Lappalie. Das Gesetz ist ja nicht gemacht, einfach, um jemanden unter Druck zu setzen. Das Gesetz ist gemacht, um Sicherheit für die Patienten zu gewährleisten. Der Patientenschutz und die Patientensicherheit stehen an oberster Stelle des ärztlichen Handelns."

Das Vertrauen einiger Patienten in das Kopfzentrum ist seit Monaten angeknackst. Die neuen Zweifel rund um die selbst hergestellten Arzneimittel dürften kaum geeignet sein, daran etwas zu ändern.

Quelle: MDR exakt

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 18. August 2021 | 20:15 Uhr

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