23.04.2020 | 11:51 Uhr Streit um Abstandsregeln in Asylbewerber-Erstaufnahmen geht weiter

23. April 2020, 11:51 Uhr

Die Landesdirektion Sachsen will gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Leipzig zu den Abstandsregeln in Aufnahmeeinrichtungen für Asylbewerber vorgehen. "Weil das Gericht die Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht nicht zugelassen hat, suchen wir nun nach einem anderen rechtlichen Weg", sagte der Sprecher der Landesdirektion Sachsen, Holm Felber, auf Anfrage am Donnerstag.

Kläger: Auf vier Quadratmetern mit Mitbewohner

Das Verwaltungsgericht hatte am Mittwoch klargestellt, dass die Abstandsregeln auch in den Aufnahmeeinrichtungen zu gelten haben. Es hob daraufhin die Pflicht eines Asylbewerbers auf, in dieser Einrichtung wohnen zu müssen. Der Mann hatte angegeben, dass er sich mit einem anderen Bewohner ein vier Quadratmeter kleines Zimmer in der Einrichtung im Landkreis Nordsachsen teilen müsse. Zudem seien die Toiletten, Duschen sowie die Küche für etwa 50 Menschen vorgesehen.

Stellungnahme der Landesdirektion zu spät bei Gericht eingegangen

Die Landesdirektion wies diese Behauptungen zurück. "Jeder Bewohner hat mindestens sechs Quadratmeter Fläche für sich", erläuterte Felber. Zudem habe es nach dem Inkrafttreten der sächsischen Corona-Schutz-Verordnung einige Änderungen gegeben. So wurden Familien zusammengelegt und das Essen nicht mehr im Saal, sondern in den Zimmern ausgegeben. "Unsere Stellungnahme kam allerdings nach der vorgegebenen Frist beim Verwaltungsgericht an", erläuterte Felber. Seinen Angaben zufolge ist unklar, ob der Beschluss sofort umgesetzt und der Bewohner woanders untergebracht werden muss.

Linke fordert dezentrale Unterbringung von Geflüchteten

Die Linksfraktion im Sächsischen Landtag hatte den Gerichtsbeschluss am Mittwoch begrüßt. Die Pflicht, in Erstaufnahmen zu leben, sei derzeit ein Gesundheitsrisiko, erklärte die flüchtlingspolitische Sprecherin der Fraktion, Juliane Nagel. Man fordere die Staatsregierung daher auf, die aktuell rund 2.000 Menschen in den Erstaufnahmen "kommunal und dezentral unterzubringen". In den Kommunen stünden Tausende Plätze in Wohnungen und Gemeinschaftsunterkünften frei, sagte Nagel.

Auch Geflüchtete haben ein Recht auf den Schutz ihrer Gesundheit.

Juliane Nagel Linke-Fraktion im Sächsischen Landtag

Laut Nagel laufen auch vor den Verwaltungsgerichten in Dresden und Chemnitz ähnliche Verfahren.

Der sächsische Flüchtlingsrat sprach von einem bahnbrechenden Beschluss, "der doch das Selbstverständliche bestätigt". Er bedeute "nichts anderes, als dass das Land nun umgehend die Massenunterkünfte auflösen muss", erklärte der Verein.

Insgesamt leben nach Angaben der Landesdirektion derzeit 2.649 Menschen in den zehn Aufnahmeeinrichtungen in Sachsen. Die Gesamtkapazität beträgt 4.330 Plätze.

Pressemitteilung des Verwaltungsgerichtes Leipzig vom 22. April 2020

22.04.2020 - Abstandsregeln der SächsCoronaSchVO müssen auch in einer Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber eingehalten werden können

Mit Beschluss vom heutigen Tag hat die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Leipzig dem Antrag eines Asylbewerbers auf vorläufigen Rechtsschutz stattgegeben - 3 L 204/20 - und den Antragsgegner verpflichtet, vorläufig seine  Pflicht nach § 47 AsylG, in der Aufnahmeeinrichtung in Dölzig zu wohnen, zu beenden.

Nachdem der Antragsteller erfolglos gegenüber der Landesdirektion geltend gemacht hatte, dass es ihm in der Erstaufnahmeeinrichtung in Dölzig nicht möglich ist, die auch für ihn geltenden Grundsätze des § 1 SächsCoronaSchVO - Mindestabstand von 1,5 Metern - einzuhalten, hat er am 17. April 2020 um verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht. Dazu hat er dargelegt, dass er mit einer weiteren Person in einem 2 x 2 Meter großen Zimmer untergebracht ist und Toiletten, Duschen und Küche zur gemeinsamen Nutzung von 50 Personen vorgesehen sind. Dem Vortrag ist der Antragsgegner nicht entgegen getreten, da er sich - trotz Aufforderung - im gerichtlichen Verfahren nicht geäußert hat.

Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag stattgegeben.

Zur Begründung hat es darauf verwiesen, dass gerade auch in Asylbewerberunterkünften die Verhinderung der Ausbreitung der Krankheit Corvid-19 zwingend notwendig ist. Daher müsse für die Bewohner die Möglichkeit bestehen, den Mindestabstand der geltenden SächsCoronaSchVO einzuhalten. Der Antragsteller gehöre zu einer Altersgruppe, in der eine Erkrankung an Covid‐19 eine Lungenentzündung sowohl mit Krankenhausaufenthalt und auch kritischem Verlauf nach sich ziehen könne. Ob der Betreiber der Erstaufnahmeeinrichtung zwischenzeitlich notwendige Schutzmaßnahmen und Anordnungen zur Einhaltung der Mindestabstände u. ä. getroffen hat, sei mangels Stellungnahme des Antragsgegners nicht feststellbar.

Quelle: MDR/dk/dpa

Dieses Thema im Programm bei MDR SACHSEN MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | 23.04.2020 | ab 13:00 Uhr in den Nachrichten

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