Reaktionen zu veränderten Stundentafeln Neue Stundenpläne: Ausgewogen oder falsches Signal?
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27. Juni 2018, 15:02 Uhr
Lange ist darüber diskutiert worden, nun hat Sachsens Kultusminister Christian Piwarz die neuen Stundentafeln vorgestellt. Ab 2019/2020 haben die Schüler weniger Unterricht. In der Grundschule sinkt die Stundenzahl in den Klassen 3 und 4 um insgesamt drei Stunden, in der Oberschule sind es zusammen sieben Wochenstunden, im Gymnasium sechs. Reduzierungen gibt es nicht nur in Sport und Musik, sondern auch in Fächern wie Mathematik, Deutsch oder
Biologie. Die Kürzungen werden unterschiedlich bewertet - wie die Reaktionen aus Sachsen zeigen.
Das sagt der Kultusminister
"Hohe Priorität hat für uns, die Stundenlast der Schülerinnen und Schüler zu verringern und zugleich Freiräume für bestimmte Lerninhalte und mehr individuelle Förderung zu eröffnen", sagte Sachsens Kultusminister Christian Piwarz bei der Vorstellung der Stundentafeln. Gerade die sächsischen Oberschüler seien im bundesweiten Vergleich besonders stark belastet. Künftig sollen Medienbildung und politische Bildung gestärkt werden. Mit den veränderten Stundentafeln werde auch Arbeitsvolumen für Lehrer freigesetzt, erklärte Piwarz. Er sprach von einer Entlastung, die dem Stundenumfang von ungefähr 770 Vollzeit-Lehrern entsprächen. "Diese Reserve brauchen wir auch ganz dringend, um die Unterrichtsabsicherung tatsächlich zu bewerkstelligen."
Die Verringerung der Stundenzahl setzt auch dringend benötigte Lehrer frei.
Statement des Landessportbundes
Der Landessportbund Sachsen hat die Kürzungen im Sportbereich "mit großem Bedauern" zur Kenntnis genommen. Präsident Ulrich Franzen sagte, die Entscheidung widerspeche dem Gesundheitsziel des Freistaates Sachsen, dass Kinder "gesund aufwachsen". Mit dem Schulsport werde nun das einzige Fach gekürzt, dessen sportliches Angebot alle Kinder und Jugendlichen erreiche. Zudem fördere Bewegung im Sportunterricht den Stressabbau und stärke den Zusammenhalt und Teamgeist im Klassenverband, so Franzen.
Auch, wenn es gelungen ist, die Streichung der dritten Sportstunde über alle Klassenstufen hinweg zu verhindern, sind wir mit dem jetzigen Ergebnis nicht zufrieden. Eigentlich muss es das Ziel sein, zumindest im Grundschulbereich die Anzahl der Sportstunden zu erhöhen. Der Schulsport hat einen unschätzbaren Wert für die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen - einen für die Schülerinnen und Schüler so wichtigen Reiz aus der Stundentafel zu nehmen, muss demzufolge kritisch betrachtet werden.
So reagiert der Landeselternrat
Skeptisch über die Kürzungen äußerte sich der Vorsitzende des Landeselternrats, Michael Becker MDR SACHSEN. "Die Befürchtung ist, dass durch Stundenkürzungen Inhalte nicht vermittelt werden, die letztendlich über Nachhilfestunden, über Stunden, die zusätzlich von Eltern geleisten werden, aufgearbeitet werden müssen", sagte er.
Wenn wir Nachhilfestunden ziehen, sind die Eltern wieder die Kuh, die gemolken wird.
Die Meinung des Landesschülerrates
Der Landesschülerrat äußerte sich differenziert. Eine reduzierte Unterrichtsbelastung für alle Schüler sei grundsätzlich gut, sagte Vorsitzender Noah Wehn. Positiv sei, dass die Veränderungen nicht mit einer Kürzung der Gesellschaftswissenschaften einhergehen. Auch die neue Position des Informatikunterrichts am Gymnasium als eigenständiges Fach und die Reduzierung der Fächer Mathematik und Biologie begrüße man. Kritisch sieht der Rat allerdings die Kürzungen bei Kunst und Musik.
So sehen es die Lehrervertreter
Der Philologenverband, der Berufsverband für Gymnasiallerer, hat sich via Twitter zu den Stundentafeln geäußert: "Sachsen kapituliert vor dem Lehrermangel, könnte es auch heißen. Dabei muss eine Überarbeitung der Lehrpläne zuerst erfolgen, bevor eine Entscheidung über die Stundentafeln getroffen wird! Wer den Anspruch an Bildung senkt, weil er keine andere Lösung für den Lehrermangel findet, bringt das Niveau gymnasialer Bildung in Sachsen in Gefahr!"
Einer Anpassung der Stundentafeln muss eine Überarbeitung der Lehrpläne vorausgehen.
Die sächsische GEW-Chefin Uschi Kruse hält die geplanten Stundenkürzungen im Freistaat für übereilt. Kruse sagte dem MDR, die Lehrpläne in Sachsen hätten zwar schon lange zur Diskussion gestanden, weil die Schüler mehr Unterricht hätten als in anderen Bundesländern. Sie habe sich aber mehr Diskussionen gewünscht - nicht nur mit Schulleitungen, sondern auch mit dem Landesbildungsrat und den Universitäten. Kruse sagte, Bildungsangebote dürften nicht nur nach dem Lehrer-Angebot gestrickt werden. Es sei fraglich, ob angesichts vieler Flüchtlingskinder eine Stunde weniger Deutsch pro Woche für Grundschüler gut sei. Die GEW-Chefin räumte ein, insgesamt seien aber die geplanten Stundenkürzungen ab dem übernächstem Schuljahr moderat.
Der sächsische Lehrerverband SLV befürchtet durch die Kürzungen "partielle Einschnitte bei der Bildungsqualität". So sieht er beispielsweise die Kürzung im Fach Deutsch in Klasse 4 "vor dem Hintergrund der Defizite von Schülern in der Rechtschreibung besonders problematisch".
Doch auch die Einschränkungen in Mathematik, Biologie sowie dem Fach Technik und Computer stehen nach Ansicht des SLV im Widerspruch "zum hohen Stellenwert naturwissenschaftlicher Bildung im Freistaat". Auch den "schuleigenen Stundentafeln", bei denen die Schulen eigenverantwortlich ein Fach um eine Stunde reduzieren, ein anderes um eine Stunde erhöhen können, kann der Verband nichts abgewinnen.
Gerade bei Fächern mit zwei Wochenstunden, wie z. B. Physik, Biologie, Geographie und weiteren, bedeutet die Reduzierung um eine Stunde unterm Strich eine Halbierung der zur Verfügung stehenden Zeit zur Vermittlung von Wissen und Kompetenzen.
Das schreibt ein MDR-Nutzer
"Ich finde diese Stundenkürzung absolut nicht dramatisch", schreibt ein Nutzer bei MDR SACHSEN, der nach eigenen Angaben erst vor ein paar Jahren die Schule abgeschlossen hat. "Wenn man sich das genau durchliest, fallen ja pro Woche wirklich nur circa drei bis fünf Stunden ab. Angesichts der überdurchschnittlichen Wochenstunden und der teilweisen sehr hohen Anforderungen in den Hauptfächern (ich kann ein Lied davon singen), wird dies keinesfalls ein Desaster geben." Seiner Meinung nach nütze es viel weniger, Schüler immerzu mit Stoff vollzustopfen, wenn ein Drittel der Klasse nicht mehr mitkomme.
Fordern ist gut, aber nicht überfordern.
Das sagen die Parteien
CDU
Mit Blick auf die veränderten Stundentafeln für alle Schularten ab 2019/2020 sagte der bildungspolitische Sprecher der sächsischen CDU-Fraktion, Lothar Bienst: "Die beschlossenen Anpassungen waren überfällig." Ab dem Schuljahr 2019/2020 werden wir unsere Schüler gezielt entlasten und mehr Freiräume für individuelles Lernen ermöglichen. Zugleich werden aber auch neue Lerninhalte wie Medienbildung und politische Bildung stärker verankert."
Lothar Bienst wertet die veränderten Inhalte als einen Schritt, das sächische Bildungssystem "weiter fit für ein Lernen im digitalen Zeitalter" zu machen.
Gezielt entlasten und mehr Freiräume für individuelles Lernen.
SPD
Auch die SPD findet die Veränderungen "gut überlegt und ausgewogen". Die bildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Sabine Friedel, weiß, "dass die Entscheidung auch Kritik hervorruft. Aber zwei Dinge gilt es zu bedenken. Einerseits: Sind Stunden, die nur auf dem Papier stehen, aber ausfallen, wirklich besser? Kaum. Ich halte es für richtig, dass das Kultusministerium angesichts des Lehrermangels inhaltlich Verantwortung übernimmt, statt Kürzungen auf die einzelnen Schulleiter abzuwälzen. Nur so ist gewährleistet, dass die Qualität der schulischen Bildung landesweit erhalten bleibt und Abschlüsse nach wie vor vergleichbar sind."
Der Blick über den Tellerrand lohnt. Das Land mit den besten PISA-Ergebnissen ist Finnland. Und es ist gleichzeitig das Land mit der niedrigsten Unterrichtsverpflichtung. Rund 25 Unterrichtsstunden werden hier pro Woche erteilt, in Sachsen sind es auch nach der Stundentafelkürzung mehr als 30. Das zeigt deutlich: Nicht der Umfang des Unterrichts ist entscheidend, sondern die Art des Unterrichts. Qualität macht den Erfolg, nicht Quantität.
Grüne
Ebenso wie der Philologenverband kritisieren auch Sachsens Grüne, dass Kultusminister Piwarz, "das Pferd von hinten" aufzäume, wie es die bildungs- und sportpolitische Sprecherin der Grünen im Landtag, Petra Zais formulierte. "Erst werden die Stundentafeln gekürzt, dann – 'begleitend' – die Lehrpläne überarbeitet. Das ist aus meiner Sicht die falsche Reihenfolge. Zunächst sollte es um Inhalte gehen, dann um die nötigen Stunden."
Auch beim Schulsport sei zu viel gekürzt worden. Lange sei die reguläre dritte Sportstunde in allen Schularten und Klassenstufen "ein hart erkämpftes sächsisches Alleinstellungsmerkmal" gewesen, sagte Petra Zais. "Ich halte die nun geplante Reduzierung für einen großen Fehler."
Beim Schulsport wird über Gebühr gekürzt. Das ist das falsche Signal.
Linkspartei
"Die 'Freiräume für bestimmte Lerninhalte und mehr individuelle Förderung', die sich der Minister erhofft, sind angesichts des akuten Lehrernotstands kaum realistisch", meinte die Sprecherin der Fraktion Die Linke, Cornelia Falken. Sie forderte den Kultusminister auf, erst die Unterrichtsinhalte zu klären, bevor Stundentafeln verändert würden. Die Linkspartei sieht mit der angekündigten Erhöhung der Mittel für Ganztagsangebote (GTA) Tendenzen verstärkt, "den Fachunterricht zu reduzieren und in den Ganztagsbereich zu verlagern". Cornelia Falken dazu: "Für den regulären Schulunterricht sind außerschulische Angebote kein gleichwertiger Ersatz, schon allein weil Ganztagsangebote nicht von allen Schülerinnen und Schüler besucht werden."
Für weniger Fachunterricht sind Ganztagsangebote kein gleichwertiger Ersatz.
Quelle: MDR/kk/dpa
Dieses Thema im Programm bei MDR SACHSEN
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