Fahrgäste steigen 2022 am Berliner Hauptbahnhof aus einem Regionalexpress aus.
Mit dem Deutschlandticket quer durchs Land für 49 Euro im Monat. Noch zu teuer, sagt Verkehrsexpertin Claudia Hille. Bildrechte: picture alliance/dpa | Christoph Soeder

Angesprochen - Ausgesprochen Deutschlandticket: Thüringer Forscherin fordert bundesweiten Sozialtarif

15. April 2023, 05:00 Uhr

Schon heute, so sagt die Thüringer Mobilitätsforscherin Claudia Hille, seien vergünstigte Nahverkehrstickets für Geringverdiener zu teuer. Das ab Mai angebotene Deutschlandticket ändere die Lage nicht. Die Expertin der FH Erfurt fordert einen bundesweit einheitlichen Sozialtarif für Menschen mit weniger Geld. Dabei verweist sie auf Erkenntnisse einer Studie zum 9-Euro-Ticket.

Das neue Deutschlandticket, da ist sich Dr. Claudia Hille sicher, werde den Nahverkehr hierzulande revolutionieren. Für monatlich 49 Euro im Abo können Menschen in ganz Deutschland ab Mai Bus und Bahn nutzen. Das neue Ticket soll es zunächst für zwei Jahre geben. Hille sagt, sie könne sich nicht vorstellen, dass das Ticket danach "wieder einkassiert" werde. Möglich sei jedoch, dass der Preis danach steige.

Bis dahin profitierten vor allem jene Menschen, die regelmäßig zur Arbeit fahren - etwa Pendler, die täglich zwischen Jena, Weimar und Erfurt im Regionalexpress oder einer Regionalbahn unterwegs sind. Für sie sei das neue Deutschlandticket "ein echter Anreiz", gegebenenfalls auch vom Auto auf den öffentlichen Nahverkehr umzusteigen. Es brauche Routinen, damit die Leute wirklich ihr Auto stehen lassen und somit etwas für Klima und Verkehrswende beitragen.

Bürgergeld zu gering für 49-Euro-Ticket

Anders sehe das bei Geringverdienern oder Menschen mit kleiner Rente aus. Im sogenannten Bürgergeld sei ein monatlicher Betrag von rund 40 Euro für Fahrten vorgesehen. Der Satz liege also unter dem Monatsbetrag für das Deutschlandticket.

Es entscheidet sich jetzt plötzlich am Wohnort, ob ich Zugang zu diesem Ticket habe oder nicht.

Dr. Claudia Hille über Sozialtarife in einzelnen Bundesländern

Hessen hat als erstes Bundesland reagiert und einen eigenen Sozialtarif für Menschen eingeführt, die sich den Vollpreis für das Deutschlandticket nicht leisten können. 31 Euro kostet dort das Rabatt-Ticket. Forscherin Hille kritisiert, dass damit nur regionale Lösungen geschaffen würden: "Es entscheidet sich jetzt plötzlich am Wohnort, ob ich Zugang zu diesem Ticket habe oder nicht. Das heißt: Entweder habe ich Glück sozusagen und habe einen Sozialtarif vor Ort, oder ich habe eben Pech, und es gibt keinen, und ich stehe wieder ohne Zugang zur Mobilität da."

Ein einheitlicher Sozialtarif für ganz Deutschland würde nach Ansicht der Forscherin Abhilfe schaffen. Damit hätten auch Geringverdiener nebenbei die Möglichkeit, dem üblichen Tarifdschungel der regionalen Verkehrsverbünde zu entkommen.

Studie: Dank 9-Euro-Ticket zum Facharzt

Im vergangenen Jahr hatte Hille für die Fachhochschule Erfurt eine Studie zur Nutzung des Nahverkehrs mit dem 9-Euro-Ticket durchgeführt. Rund 1.100 Menschen aus der Thüringer Landeshauptstadt hatten an der Umfrage teilgenommen, darunter viele Menschen mit geringem Einkommen - Rentner, Alleinerziehende oder Migranten.

Mit dem 9-Euro-Ticket, so ergab die Auswertung, hätten diese Menschen "plötzlich Zugang zu Mobilität erhalten". Manche der Studienteilnehmer hätten ihre Situation auf drastische Art beschrieben, sagt Hille: Endlich hätten sie sich den Besuch beim Facharzt leisten oder mal wieder Freunde treffen können. Das 9-Euro-Ticket habe ihnen Mobilität ermöglicht.

Das neue Ticket lege den Finger allerdings noch in eine andere Wunde, sagt die Forscherin. Erfreuen an dem überall gültigen Ticket könnten sich vor allem jene Menschen, die tatsächlich an den Nahverkehr angeschlossen seien. Doch für viele Menschen im ländlichen Raum gebe es kaum Verbindungen mit Bus und Bahn. Es fehle weiter, so moniert Hille, ein übergreifender Kompromiss in der Politik, großflächig in den öffentlichen Nahverkehr zu investieren.

Das sei eine Frage von Prioritäten beim Einsatz öffentlicher Gelder. Grundsätzlich halte sie eine Finanzierung sowohl von Tickets als auch eines Ausbaus des Nahverkehrs in Deutschland für möglich.

MDR (dvs)

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Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | 15. April 2023 | 06:10 Uhr

11 Kommentare

astrodon am 16.04.2023

@Guter: Politik wird durch Mehrheiten für Mehrheiten gemacht und bedeutet Kompromiss. Wenn dabei für die überwiegende Mehrheit etwas vernünftiges rauskommt ist es doch ok. Aufwiegel ist das nicht, nur Realität.

MAENNLEiN-VON-DiESER-WELT am 16.04.2023

Bestimmt wird sich Frau Hille bald einmal selbst hinter 's Steuer eines (Fern-)
Busses klemmen und so ihre Studienergebnisse am lebendigen Beispiel aus
der Fahrpraxis untermauern können und ihre dafür erhaltenen Forschungs-gelder dem weiteren Ausbau des ÖPNV auf dem Thüringer Lande "abtreten"
....?!

Allzeit gute Fahrt ! ;-)

MAENNLEiN-VON-DiESER-WELT am 16.04.2023

Mit der Rückschau auf das erfolgreiche Nahverkehrsjahr 2022
wissen wir heute : ein 49-Euro-Ticket --- kostet mindestens
40 Euro zu viel !

Warum ist das Deutschland-Ticket nicht problemfrei an jedem Fahrkarten-Automaten für jeden Bürger zu haben ? Warum wirken Bonitätsprüfungen
für einen kleinen Kreis der Verkehrsteilnehmer sogar noch mobilitäts-
verhindernd statt -fördernd ?

Die vom Bundesverkehrsminister angekündigten Nachbesserungen und
den Abschluss des Ausbau- und Modernisierungspaktes für den ÖPNV,
der für den Herbst angekündigt ist, begrüßen wir sehr !

Wenn nun auch das Thüringer Infrastrukturministerium seine Hausaufgaben
erledigt hat und die bestellenden Kommunen und die ÖPNV-Unternehmen mitwirken, dann wird (irgendwann) doch noch alles gut - zumindest für
den Freistaat Thüringen im Landtagswahljahr 2024 . . .

... und auch das kleine Thüringer Städtchen Vogelsberg wird dann
sonntags zum Gottesdienst von der Landeshauptstadt Erfurt aus
bequem erreichbar sein !

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